Ein aktueller Report der Bertelsmann Stiftung warnt: Ohne massive Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz und Digitalisierung steht das deutsche Wirtschaftsmodell auf der Kippe. Kommunen und Bund sind gleichermaßen gefordert.
"Vor dem Hintergrund einer aus den Fugen geratenen Weltordnung, massiver Preisschocks und des sich zuspitzenden Klimawandels stellt sich die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des industriebasierten deutschen Wirtschaftsmodells", heißt es in einem aktuellen Report der Bertelsmann Stiftung zur Lage der Staatsfinanzen der Bundesrepublik. In zahlreiche Bereiche müssen Bund, Länder und Kommunen investieren, damit die Soziale Marktwirtschaft auch für künftige Generationen ein verlässliches Leitbild bleibt.
Zwischen 1991 und 2023 wuchsen die staatlichen Konsumausgaben von 19 auf 22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an. Getrieben ist dieser Anstieg vor allem durch Sozialversicherungen, Gemeinden und Länder. Dem gegenüber stagnierte der Anteil der staatlichen Bruttoanlageinvestitionen am BIP mit 2,0 bis 2,5 Prozent, während Nettoanlageinvestitionen seit 1997 meist nahe null liegen. Schuld daran trägt laut Bertelsmann-Analyse eine schleichende Substanzaufzehrung.
Keine nachhaltige Transformation ohne Kommunen
Die Hauptlast aller staatlichen Projekte tragen dabei die Gemeinden. Das gilt allen voran bei der grünen Wende im Baubereich. "Der lokalen Ebene kommt eine besondere Bedeutung für nachhaltige Entwicklung zu. Ein großer Teil der zu transformierenden Handlungen und Praktiken findet in der alltäglichen Lebenswelt der Menschen statt", bringen es Pia Redenius und Harald Heinrichs auf den Punkt. "Ganz nach dem Motto think global, act local werden globale Nachhaltigkeitsbeschlüsse erst vor Ort konkret umgesetzt."
So wichtig internationale Abkommen sowie nationale Gesetze und Programme sind, seien diese nicht ohne die Umsetzung in Kommunen zu meistern. "Über globale und nationale Ziele für nachhaltige Entwicklung hinaus erkennen Kommunen dies zunehmend an und eine wachsende Anzahl entwickelt Strategien, Programme und Strukturen für die Stärkung von Nachhaltigkeit", erläutern die Springer-Autoren.
Lokalverwaltungen unter enormen Kostendruck
Dennoch kommen die Gemeinden laut Bertelsmann-Report dieser Aufgabe nicht in der nötigen Geschwindigkeit nach. Das KfW-Kommunalpanel 2024 beziffert den Investitionsrückstand in den Kommunen im vergangenen Jahr bundesweit auf 186,1 Milliarden Euro - und das über alle Aufgabenbereiche hinweg. Als Gründe geben die Studienautoren von Bertelsmann Liefer- und Kapazitätsengpässe in der Bauwirtschaft, komplexe Genehmigungsverfahren und baurechtliche Vorgaben, langwierigen Fördermittelbeantragungen und den Personalmangel in der Bauverwaltung sowie fehlende Eigenmittel zur Finanzierung entsprechender Vorhaben an.
"Mit ihren Einnahmen aus Grund- und Gewerbesteuer sowie den Zuwendungen von Bund und Ländern decken Kommunen - obwohl die Zuschüsse des Bundes eigentlich für wichtige Investitionen bestimmt sind - größtenteils ihre laufenden Kosten, wie Personalaufwendungen (25 Prozent), soziale Leistungen (22 Prozent) und Sachleistungen (21 Prozent)", erläutert Sven-Joachim Otto die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Für Investitionen bleibe da wenig Spielraum, sodass die Kommunen in der Vergangenheit immer wieder Kredite aufnehmen mussten, um zumindest die dringendsten Probleme angehen zu können.
Kommunen tragen schwer an ihrer Aufgabenlast
Zudem werde die Liste der Aufgaben, die Bund und Länder den Städten und Gemeinden übertragen, immer länger. "Nach der Logik des Subsidiaritätsprinzips macht das durchaus Sinn - wenn die Kommunen die Mittel dazu haben. Doch hier geraten sie eben zunehmend an ihre Grenzen", schreibt der Professor von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.
Mit einer Erhöhung der gesamtstaatlichen Verschuldung versucht der Bund zwar für Entlastung zu sorgen, dennoch bleiben zu viele notwendige Investitionen laut Bertelsmann-Analyse aus oder verzögern sich. Dabei bringen dem Report zufolge allen voran Umwelt- und Klimaschutz positive externe Effekte, die ohne staatliche Förderung nur unzureichend realisierbar sind. Zudem erfordert die Transformation Investitionen in Infrastrukturen, deren Fixkosten durch Monopoleffekte private Investitionen erschwerten.
Mehr in zentrale Handlungsfelder investieren
Besonders die Dekarbonisierung Deutschlands stellt den Staat vor enorme Herausforderungen. Sie verlangt zusätzliche öffentliche Ausgaben von jährlich 40 bis 50 Milliarden Euro bis 2030. Hierzu zählen Investitionen in klimaneutrale Infrastruktur, Gebäude und Mobilität. Und die sollten möglichst zügig umgesetzt werden, denn der Klimawandel verursacht steigende Schäden, die bis Mitte des Jahrhunderts zur Normalität werden könnten. Der Anpassungsbedarf sei mit etwa sechs Milliarden jährlich bis 2030 erheblich unterfinanziert. Zudem erhöhten demografische Veränderungen den Druck auf Renten- und Pflegeversicherungen, mit prognostizierten Bundeszuschüssen von über 450 Milliarden Euro bis 2060.
Sicherheits- und Verteidigungsausgaben steigen seit dem Ukraine-Krieg erheblich. Das Nato-Ziel, zwei Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben, erfordert zusätzliche Mittel. Weitere Investitionen in Cybersicherheit, Zivilschutz und industrielle Souveränität sind erforderlich, um auf geopolitische Unsicherheiten zu reagieren.
Deutschland hinkt außerdem bei der Digitalisierung und Forschung hinterher. Die öffentliche Forschungsquote müsste von 0,9 auf 1,25 Prozent des BIP steigen, was jährliche Mehrausgaben von 25 bis 30 Milliarden Euro nach sich zieht. Auch die Digitalisierung der Verwaltung und der Breitbandausbau benötigen erhebliches Kapital, dessen Umfang bislang noch unklar sei.
Steuerhinterziehung und klimaschädliche Subventionen abbauen
Allerdings begrenzt die Schuldenbremse die Aufnahme frischen Kapital durch den Staat stark. Angesichts begrenzter Steuererhöhungsoptionen fordert die Studie Reformen, etwa zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und dem Abbau klimaschädlicher Subventionen. Der CO2-Preis könnte Einnahmen generieren, sollte jedoch sozial ausgewogen rückverteilt werden, fordern die Ökonomen und führen aus:
Für viele kritische Aufgaben der öffentlichen Hand – etwa im Rahmen der ökologischen Transformation, bei der Klimawandelanpassung und den erwartbaren Schadenskosten, der Instandsetzung und Modernisierung der (digitalen) Infrastruktur, der Bildung oder der Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit – wird es zusätzlicher Kredite bedürfen, die die Finanzierungskosten über mehrere Generationen verteilen. Insbesondere bei investiven Ausgaben, die ökonomisch wie ökologisch überwiegend jungen und nachfolgenden Generationen zugutekommen dürften, ist dies generell ein sinnvolles Vorgehen."
Reform der Schuldenbremse unausweichlich
Eine Reform der Schuldenbremse sollte sich stärker auf investive Ausgaben konzentrieren. Ein Expertenrat könnte transparent bestimmen, welche Vorhaben schuldenfinanziert werden sollten. Langfristige Stabilität erfordert eine Begrenzung der Neuverschuldung, abhängig von der Schuldenstandsquote. Notlagenregelungen sollten flexibler gestaltet werden, um nachhaltige Krisenmaßnahmen zu ermöglichen.
Fazit: Die Ergebnisse zeigen, dass dringender Handlungsbedarf besteht, will Deutschland seine Infrastruktur, Klimaziele und Zukunftsfähigkeit sichern. Kämmerer sollten verstärkt auf nachhaltige Investitionen setzen, Prioritäten klug abwägen und Fördermöglichkeiten nutzen. Gleichzeitig sind Reformen der Einnahmenseite und der Schuldenbremse unabdingbar.
Für die Wirtschaft bietet die geplante Transformation Chancen, etwa durch staatliche Anreize in Forschung, Innovation und Klimaschutz. Eine engere Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft ist essenziell, um die enormen Investitionsbedarfe effizient und nachhaltig zu bewältigen.