2009 | OriginalPaper | Chapter
Ist eine europäische Identität notwendig und möglich? Zur deutschen Debatte
Author : Ulrike Liebert
Published in: Europäische Identität als Projekt
Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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„Europäische Identität“ ist weder bereits Wirklichkeit noch pures Wunschdenken, und auch kein wissenschaftlich etabliertes, analytisches Konzept sondern zunächst einmal ein politisches Projekt (
Meyer 2004: 186ff
). Die Frage nach der europäischen Identität — oder auch einem europäischen „demos“ — impliziert eine normative und eine empirische Problemstellung: Ob es notwendig und wie es möglich ist, Europa als eine Gruppe von Menschen zu begreifen, welche sich als politische Einheit selbst regieren sollte. In diesem Sinne schrieb bereits im Jahr 1973 der damalige deutsche Bundeskanzler Willy Brandt in der New York Times, Europa müsse eine eigene Identität und ein neues Selbstbewusstsein entwickeln: Es brauche „eine Politik der Selbstbehauptung in der Weltwirtschaft und damit auch in der Weltpolitik“
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; ein halbes Jahr später verabschiedeten die europäischen Außenminister in Kopenhagen eine Erklärung der EG-9 zur europäischen Identität.
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Dieser politische Wille wurde in den Folgejahrzehnten zum Motor einer Reihe demokratischer institutioneller Innovationen, z.B. das Europäische Parlament direkt zu wählen, mit dem Maastrichter Vertrag die Unionsbürgerschaft einzuführen, für die EU eine Grundrechte-Charta aufzusetzen, mit der Lissabonner Agenda die Programmatik eines „sozialen Europa„ zu formulieren und auch zu versuchen, mittels eines Verfassungsvertrages die Union der 500 Millionen Bürger und 27 Staaten handlungsfähiger und demokratischer zu machen. Ja, selbst die 2004–7 vollzogene „Rückkehr nach Europa“ von zehn ostmitteleuropäischen neuen Demokratien wurde mit Bezug auf das europäische Identitätsprojekt gerechtfertigt.