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Published in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik 5/2022

Open Access 23-08-2022 | Schwerpunkt

Kernkompetenz Empathie: digitale Service-Ökosysteme personennah gestalten

Authors: Pia Gebbing, Christoph Lattemann, Simon Michalke, Theresa Kroschewski, Susanne Robra-Bissantz

Published in: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik | Issue 5/2022

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Zusammenfassung

Für Dienstleister ist Empathie zu einer wichtigen Kompetenz im Rahmen der gemeinsamen Wertschaffung in digitalen Service Ökosystemen geworden. Um den technologie-vermittelten Austausch einer Dienstleistung gestalten und navigieren zu können, ist es wichtig, die Bedürfnisse und Werte der einzelnen Akteure zu berücksichtigen. Nur durch ein gemeinsames Verständnis kann sichergestellt werden, dass alle Akteure die entstehenden Austauschbeziehungen als wertvoll erachten. Doch wie können diese im zunehmend komplexen und anonymen digitalen Raum erfasst werden? Empathie ist in diesem Sinne eine Kernkompetenz, denn Empathie fördert durch Perspektivübernahme das Verständnis für die Bedürfnisse und Werte anderer Akteure. Anhand einer Auswahl exemplarischer Methoden aus der personennahen Dienstleistungsforschung wird veranschaulicht, wie Empathie in digitalen Service-Ökosystemen gezielt gefördert werden kann.

1 Einleitung

Nähe schaffen, trotz physischer Distanz – das ist die Herausforderung, der insbesondere personennahe Dienstleistungen zunehmend begegnen. Die anhaltende digitale Transformation, Globalisierung und Deregulierung haben zur Entwicklung von digitalen Service Ökosystemen geführt, die sich in hohem Maße auf digitale Technologien stützen (Fischer et al. 2020b). Beispiele aus den personennahen Dienstleistungen sind Plattformen für gegenseitige Nachbarschaftshilfe, digitale Tauschbörsen oder soziale Gemeinschaftsprojekte (Fischer et al. 2020b). Diese digitalen Service Ökosysteme vernetzen heterogene Akteure, d. h. Personen wie z. B. Anbieter und Kunden, aber auch Institutionen und Berufs- und Interessensgruppen. Die Akteure tauschen in digitalen Service Ökosystem materielle und immaterielle Ressourcen, Vermögenswerte und Kompetenzen aus, um gemeinsam Dienstleistungen zu schaffen (Lattemann et al. 2019; Robra-Bissantz et al. 2020). Diese Art von Austausch erfordert Kollaboration, Interaktion, Engagement aber auch Vertrauen und ein Verständnis für die Bedürfnisse und Werte der Beteiligten (Robra-Bissantz et al. 2020; Lohrenz et al. 2021; Michalke et al. 2022). Empathie und die Fähigkeit, sich in andere Akteure hineinzuversetzen fördern eben diese Faktoren und generieren insbesondere ein tieferes Verständnis in Bezug auf die Motive anderer Akteure (Wieseke et al. 2012; Bove 2019).
Der folgende Artikel zeigt, dass Empathie als Kernkompetenz bei der Gestaltung digitaler Service Ökosysteme betrachtet werden sollte. In diesem Zusammenhang werden zwei Forschungsfragen adressiert: (1) Welche Funktion erfüllt Empathie bei der gemeinsamen Wertschöpfung in digitalen Service Ökosystemen? (2) Mit welchen Methoden kann Empathie in digitalen Service Ökosystem gezielt gefördert werden? Zu diesem Zweck wird der Einfluss von Empathie und eine damit einhergehende Perspektivübernahme in anwendbaren Methoden aus der personennahen Dienstleistungsforschung reflektiert. Methodenwissen zur ist in diesem Fall besonders relevant, da sich gezeigt hat, dass Empathie durch explizite Anregung und strukturiertes Vorgehen gesteigert und trainiert werden kann.

2 Hintergrund: Was bedeutet personennah gestalten?

Laut der Service-dominierten Logik ist die Grundlage des ökonomischen und sozialen Austausches nicht mehr der Austausch von materiellen Gütern, sondern der Prozess, in dem eigene Ressourcen für den Vorteil anderer genutzt und ausgetauscht werden (Vargo et al. 2020, S. 3). Betrachtet man den Wert einer Dienstleistung, gibt es zwei hauptsächliche Komponenten: Zum einen den Value in Use, dem gemeinsam geschaffenen, individuellen (Nutzungs-)wert, den die Dienstleistung für den Kunden darstellt (Vargo und Lusch 2004), und einen Value in Interaction, der wahrgenommene Wert der Interaktion (Fyrberg und Jüriado 2009; Geiger et al. 2020). Ziel des Austausches im digitalen Service Ökosystem ist somit die Value Co-Creation (Value in Use und Value in Interaction), in einem gemeinschaftlichen Schöpfungsprozess, der die verschiedenen Akteure unter Verwendung digitaler Technologien einbindet.
Eine erfolgreiche Co-Creation erfordert ein hohes Maß an gegenseitigem Verständnis, damit die Akteure die Bedürfnisse und Prioritäten des jeweils anderen anerkennen können (Geiger et al. 2020). Dazu braucht es ein kollektives Verständnis zwischen allen Individuen in einem Verbund in Bezug auf verschiedene Aspekte der Zusammenarbeit (Redlich et al. 2017), wie Aufgaben, Ziele und Fähigkeiten, aber auch Bedürfnisse und Wertvorstellungen. Digitale Service Ökosysteme müssen in der Konsequenz so gestaltet sein, dass sie das Verständnis fördern und einen sicheren Rahmen für den Austausch schaffen, da dieser z. B. auch die Bereitschaft zur Weitergabe sensibler (z. B. persönlicher) Informationen oder Daten voraussetzen kann. Ein häufig eingesetztes Medium um den Austausch in Service Ökosystemen und das gegenseitige Verständnis zu ermöglichen, sind digitale Plattformen, deren Mechanismen und Funktionen bewusst und aktiv gestaltet werden müssen (Fischer et al. 2020a). Da hierbei der Mensch im Fokus steht, kann von einer personennahen Gestaltung gesprochen werden (Lattemann et al. 2019; Fischer et al. 2020b; Robra-Bissantz et al. 2021).

3 Empathie als Kernkompetenz

Empathie bezeichnet die kognitive Fähigkeit, die Perspektive anderer zu einzunehmen, ohne notwendigerweise emotional beteiligt zu sein (Hoffman 2001). Mit anderen Worten: Die Akteure sind in der Lage, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Erkenntnisse aus der Sozialpsychologie und den Neurowissenschaften lassen darauf schließen, dass auch Empathie ein bisher vernachlässigter jedoch wichtiger Schlüsselfaktor für die gemeinsame Schaffung von Value in Use und Value in Interaction sowie für die Funktionalität eines Service Ökosystems im Allgemeinen sein kann (Bove 2019). Erste Forschungsansätze zeigen, dass Empathie sowohl das Innovationspotential steigert (Gebbing et al. 2022a) als auch die Qualität von Kundenzufriedenheit in der Dienstleistung verbessert (Wieseke et al. 2012; Bove 2019). Im Kontext der Service-dominierten Logik hat sich die Forschung auf den positiven Einfluss von Vertrauen und sozialer Interaktion auf das gegenseitige Verständnis konzentriert (Lohrenz et al. 2021).
Im Folgenden wird der Einfluss von Empathie im direkten Zusammenhang mit Co-Creation in einem digitalen Service Ökosystems näher erläutert und im Forschungsrahmen eingeordnet (Abb. 1). Forschungen aus dem Bereich der Psychologie zeigen einen positiven Einfluss von Empathie auf moralisches Verhalten und zwischenmenschliches Vertrauen (Davis 2015). Ebenso stärkt Empathie soziale Interaktionen (Wieseke et al. 2012; Davis 2015) und verbessert die Einstellungen und Beziehungen innerhalb und zwischen Gruppen (Batson und Ahmad 2009). Die grundlegende Funktion von Empathie ist jedoch die Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses zwischen den Akteuren. Die Förderung von Empathie im digitalen Service Ökosystem könnte somit gleichzeitig mehrere Probleme der digitalen Zusammenarbeit lösen: die Schaffung von Vertrauen, positiver sozialer Interaktion und gegenseitigem Verständnis.

3.1 Empathie und Vertrauten

Vertrauen ist die Erwartung, durch das Handeln anderer nicht benachteiligt oder geschädigt zu werden (Suchanek 2021). Vertrauen ist somit unverzichtbar für den Austausch im Service Ökosystem, der davon profitiert, wenn Akteure, deren Handeln einen Einfluss auf andere hat, die Interessen anderer im besonderen Maße berücksichtigen und das in sie gesetzte Vertrauen nicht enttäuschen. Man spricht hierbei auch von der Beziehung zwischen Vertrauensnehmern und Vertrauensgebern (Suchanek 2021). Um sich diesem Potenzial, einem anderen zu helfen oder zu schaden, bewusst zu werden, braucht es Empathie. Nur indem man sich aktiv in andere Akteure hineinversetzt, wird deutlich, welche Bedürfnisse und Erwartungen erfüllt werden müssen um Enttäuschungen zu vermeiden und Vertrauen aufzubauen.

3.2 Empathie und soziale Interaktion

Die soziale Interaktion wiederum kann durch Empathie erleichtert werden (Hoffman 2001). In diesem Zusammenhang zeigt die Simulationstheorie der Empathie (Singer und Lamm 2009), dass Menschen Reaktionen und Gefühle anderer verstehen und vorhersehen, indem sie ihre Situation mental simulieren und nachempfinden. Dabei reagiert das Gehirn ganz so, als ob sie sich selbst in der Situation befänden, beispielsweise wenn jemand beim Anblick einer verletzten Person selbst so etwas wie Schmerz empfindet. Indem ein Mensch sich in die Gedankenwelt eines anderen hineinversetzt und dessen Erfahrung gedanklich simuliert, können Menschen sich untereinander besser verstehen und nachempfinden.
Auf die Interaktionen im Service Ökosystem bezogen bedeutet dies, dass auch hier die Bedürfnisermittlung für den Value in Use ein wichtiger Schritt ist und Empathie und Perspektivübernahme voraussetzt. Um den Value in Interaction zu erhöhen und eine dauerhafte Beziehung zwischen den Akteuren im Service Ökosystem aufzubauen, müssen Interaktionen auf der Beziehungs‑, Matching- und Serviceebene interaktiv gestaltet werden (Geiger et al. 2020). Genauer: um zu verdeutlichen, wie einzelne Akteure eine Interaktion wahrnehmen, werden durch sog. matching Bedürfnisse bezüglich der Form der Interaktion und den angebotenen Inhalten empathisch ermittelt und adressiert (Geiger et al. 2020).

3.3 Empathie im digitalen Raum

Studien zur virtuellen Empathie zeigen, dass Menschen sich in digitalen Umgebungen tendenziell weniger empathisch verhalten als in Face-to-Face Situationen (Carrier et al. 2015). Das zeigt sich beispielsweise daran, dass Empathie zwar generell in einem positiven Zusammenhang mit sozialer Unterstützung steht, sich dieser positive Einfluss in der physischen Interaktion jedoch 5–6-mal stärker zeigt als im digitalen Kontext (Carrier et al. 2015). Konkret bedeutet dies, dass eine empathische Person im direkten Kontakt deutlich öfter ihre Hilfe anbietet, als sie dies in der virtuellen Interaktion tut. Um dies zu erklären, kann auf die Media Neutrality Theory Bezug genommen werden, die besagt, dass die Anwendung von computervermittelter Zusammenarbeit wichtige kognitive Prozesse stört, die jedoch in der Face-to-Face-Kommunikation wahrgenommen werden (DeRosa et al. 2004). Die Simulation in Virtuellen Realitäten (VR) scheint beispielsweise durchaus eine emotionale Antwort wie Mitgefühl wecken zu können, aber sie regt die Nutzer nicht dazu zu an, sich kognitiv stärker in die Perspektive anderer Menschen hineinzuversetzen (Martingano et al. 2021).
Ein Merkmal der Empathie ist, dass sie leichter bei Menschen hervorgerufen wird, die wir als ähnlich zu uns wahrnehmen (z. B. Aronson 2002). Es liegt daher nahe, dass Empathie zwischen teilweise unbekannten, anonymen Akteuren in digitalen Service Ökosystem schwieriger zu erreichen ist als in klassischen Dienstleistungssituationen, in denen die Akteure direkt physisch miteinander interagieren können. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass Empathie im digitalen Raum gezielt durch die Anwendung spezifischer Techniken und Methoden gefördert werden muss. Die Media Synchronicity Theory besagt, dass die computervermittelte Zusammenarbeit die Qualität der Kommunikation verbessern kann, wenn Kommunikationskanäle verwendet werden, die für die jeweilige Aufgabe geeignet sind (Dennis et al. 2008). Es ist also wichtig zu verstehen, welche Techniken und Methoden konkret nützlich sind, um Empathie zu fördern.

4 Messung der Empathie

Wie eingangs erwähnt hat Empathie sowohl eine emotionale als auch kognitive Komponente (Hoffman 2001). In der Forschung zu Empathie in der Lehre oder im medizinischen Kontext wurden eine Vielzahl von Fragebögen zur Messung emotionaler Empathie entwickelt (Chlopan et al. 1985). Neurowissenschaftliche Studien verwenden bildgebende Verfahren um Hirnaktivitäten zu untersuchen. Für praxisnahe Untersuchungen im (digitalen) Arbeits- und Organisationskontext fehlen bisher noch standardisierte Messinstrumente (Clark et al. 2019). Jedoch lassen sich auch hier standardisierte Umfragen oder Instrumente der Kundenbefragung verwenden, die implizit auf Empathie eingehen, wenn sie beispielsweise erfassen, ob sich die Kunden verstanden fühlten und das Angebot den Wünschen entsprach. Es ist wichtig festzuhalten, dass Empathie zwar trainiert und die Genauigkeit der Vorhersagen verbessert werden kann, eine Einschätzung ohne den direkten Kontakt zum anderen Akteur jedoch immer spekulativ bleibt. Um wirklich sicher zu sein, dass die Bewertung korrekt ist, ist ein persönlicher Austausch, zumindest mit einigen repräsentativen Akteuren, unerlässlich.

5 Methodenwissen aus der Dienstleistungsforschung

Wie können die Akteure in einem digitalen Service Ökosystem in die Lage versetzt werden, die Perspektive anderer Akteure einzunehmen? Frühere Untersuchungen haben ergeben, dass eine einfache und wirksame Maßnahme zur Förderung des Empathievermögens ist, Menschen wiederholt einer Situation oder einem Problem auszusetzen, das ausdrücklich Empathie erfordert (Clark et al. 2019). Empathie wird also als eine Fähigkeit betrachtet, die gezielt gefördert und trainiert werden kann. Die Notwendigkeit, die Perspektive der Anderen einzunehmen, wird, im Sinne der SDL, durch den Erfolg einer personnenahen Dienstleistung deutlich. Dies kann auch ein Anreiz für diejenigen sein, denen Anfangs der Wille zur Empathie fehlt. Gelingen kann dies durch Einsatz von Methoden und der systematischen Anwendung von Prinzipien, Praktiken und Verfahren zur Perspektivübernahme. Im Folgenden werden daher exemplarisch drei Methoden für die Gestaltung eines digitalen Ökosystems vorgestellt, die den Einsatz von Empathie verdeutlichen: (1) Service Ökosystem Mapping (2) Ziel-Mapping und (3) Plattform Design. Die vorgestellten Methoden basieren auf Forschungserkenntnissen zur Gestaltung personennaher Dienstleistungen und finden sich ebenfalls in dem Sammelband „Playbook für Service for Good“ (Robra-Bissantz und Lattemann 2022) wieder. Die Entwicklung einer Dienstleistung ist ein iterativer Prozess. Die Wirkung der Methoden wird durch wiederholte Anwendung größer und die Identifizierung tieferer Werte und Bedürfnisse wird einfacher.

5.1 Methode 1 Service Ökosystem Mapping (Kroschewski und Michalke 2022)

Ein Service Ökosystem besteht aus einer Vielzahl beteiligter Akteure und den materiellen oder ideellen Ressourcen oder Kompetenzen, die sie austauschen (Lattemann et al. 2019; Robra-Bissantz et al. 2020). Wie eingangs erwähnt, ist es notwendig, Akteure als miteinander verbundene Partner zu betrachten, die innerhalb des Ökosystems komplexe Formen der Zusammenarbeit eingehen, und nicht als isolierte Einheiten (Lohrenz et al. 2021). Der erste Schritt ist daher die Identifizierung das Netzwerk aller beteiligten Akteure und deren Ressourcen und Kompetenzen, z. B. durch die Methode des Service Ökosystem Mapping, wie in Abb. 2 dargestellt (Kroschewski und Michalke 2022; Robra-Bissantz und Lattemann 2022).
Dazu werden im ersten Schritt alle beteiligten Akteure identifiziert, ähnlich wie im Stakeholder-Mapping (Walker et al. 2008). Empathie ist im zweiten Schritt vonnöten, wenn es darum geht, sich in die Akteure hinein zu versetzen um zu verstehen, welche Ressourcen, Kompetenzen und Werte der jeweilige Akteur mitbringt (Robra-Bissantz und Lattemann 2022). Hilfreich kann es sein, sich dabei zu fragen, welcher Akteur was zum Ökosystem beiträgt und warum. Die Visualisierung der Austauschbeziehungen ist ein wichtiger Schritt um sich den Akteuren zu nähern und Verständnis für deren Position im Service Ökosystem aufzubauen. Dabei geht es nicht nur darum, das offensichtliche aufzuzeigen, sondern auch tieferliegende Werte und Ressourcen zu identifizieren, welche innerhalb des Service Ökosystem eine entscheidende Rolle spielen oder neue Potenziale schaffen können. Je höher der Grad der Empathie, desto besser ist das Verständnis für den Akteur, und umso besser passt das Werteversprechen zu den realen Bedürfnissen und Werten.

5.2 Methode 2 Ziel-Mapping (Gebbing et al. 2022b)

Die Methode des Ziel-Mappings (Abb. 3) kann theoretisch jede Beziehung verbessern, besonders wertvoll ist sie aber in kritischen Situationen, z. B. der Integration neuer Akteure in das Service Ökosystem, oder der Lösung und Vermeidung von Konflikten bezüglich der Rollenverteilung innerhalb des Service Ökosystem. Bei dieser Methode werden durch Brainstorming die Ziele und Ambitionen der einzelnen Akteure im Netzwerk erfasst und visuell sichtbar gemacht. Die Funktion der anderen Akteure muss nicht nur auf einer professionellen, sondern idealerweise auch auf einer persönlichen Ebene definiert werden, was im digitalen Raum schwierig ist. Wichtig ist daher, sich möglichst empathisch sowohl über die Rolle des Akteurs Gedanken zu machen (welche Aufgabe hat die Person?) als auch über deren Motivation (warum sollte er die Aufgabe tun wollen?). Diese Übung fördert aktiv den Perspektivwechsel, da er dazu anregt, die Situation aus dem Blickwinkel eines anderen Akteurs zu betrachten. Die Übung kann auch dazu genutzt werden, den direkten Austausch mit anderen Akteuren zu suchen, um mehr über deren Situation zu verstehen. Auf diese Weise werden die initialen Einschätzungen validiert oder verändert. Hier bietet der digitale Raum sogar einen Vorteil aufgrund starker Vernetzung: es ist oft relativ niedrigschwellig möglich, zu Akteuren Kontakt aufzunehmen, z. B. durch Videoanruf oder Feedbackformulare, und sie somit besser kennen zu lernen (Abb. 3).
Basierend auf den Teilzielen möglichst vieler Akteure, sollte eine gemeinsame Zielvereinbarung erstellt werden. Die gemeinsame Zielvereinbarung sollte möglichst viele Teilziele beinhalten, welche die individuellen Interessen der Akteure widerspiegeln. Wichtig ist, dass am Ende alle ein gemeinsames Verständnis der verschiedenen Bedürfnisse haben und zu einer gemeinsamen Vorstellung oder Repräsentation gelangen (Redlich et al. 2017). Dieser Prozess kann unterstützt werden, indem die Ziele deutlich sichtbar, z. B. durch ausdrucksstarke Bildsprache präsentiert werden. Auch hier bieten digitale Plattformen die Möglichkeit, Ziele mit großer Reichweite zu kommunizieren und Feedback zu erlangen. Zugleich ist wichtig zu überprüfen, ob die eigene empathische Einschätzung der Werte und Ziele der Akteure der Wirklichkeit entspricht und diese ggf. anzupassen.

5.3 Methode 3 Plattform Design (Lohrenz und Gebbing 2022; Michalke et al. 2022)

Empathie durch Perspektivübernahme ist nicht nur im Hinblick auf die Zieldefinition nützlich, sondern auch in der Gestaltung von Interaktionen und insbesondere beim Antizipieren des Value in Interaction und des Wertversprechens. Am besten gelingt dies, indem der Ablauf der Dienstleistung oder des Austauschs im digitalen Service Ökosystem in Teilschritte gegliedert und aus dem Blickwinkel der einzelnen Akteure durchlaufen wird. Eine klassische Variante dieses Vorgehens ist die Customer Journey (Zinkann und Mahadevan 2018). Sie beschreibt alle Berührungspunkte, online und offline zwischen dem Kunden und einer Dienstleistung, einem Produkt oder einer Marke (Zinkann und Mahadevan 2018). Übertragen auf das Service Ökosystem bedeutet dies, alle Berührungspunkte der Akteure im Verlauf von Interaktionen innerhalb des Netzwerks zu identifizieren und zu beschreiben. Da das Service Ökosystem durch intensive Austauschbeziehungen gekennzeichnet ist, sollten der individuelle Wert der durch die Dienstleistung entsteht (Value in Use), aber auch der Austausch an sich (Value in Interaction) berücksichtigt werden (Geiger et al. 2020). Beide Faktoren sind höchst individuell, weshalb es Empathie bedarf, um das Angebot auf die Werte der einzelnen Akteure perfekt zuzuschneiden.
Im Folgenden wird beispielhaft die Methode „Plattform Design“ vorgestellt (Abb. 4), die speziell für die Gestaltung von Plattformen entwickelt wurde (Lohrenz et al. 2021; Michalke et al. 2022). Zunächst werden in einem bestimmten Kontext (z. B. Plattform oder Funktionsbereich) die identifizierten Akteure (Persona) und deren Ziele und Ambitionen (Wettbewerbsvorteile) notiert. Auch hier wird abwechselnd aktiv die Perspektive eines bestimmten Akteurs eingenommen. Der systematische Ansatz und die Definition der einzelnen Phasen macht es möglich, verschiedene Aspekte aus der gewählten Perspektive zu erläutern. Es ist ratsam, dieselben Phasen mit diversen Akteuren zu betrachten, um unterschiedliche Interessen, Synergien oder auch mögliche Konflikte aufzudecken (Abb. 4).
Wichtig ist dabei, sich in den einzelnen Akteur hineinzuversetzen und empathisch die jeweiligen Ziele und Ambitionen im Hinterkopf zu bewahren. Der strukturierte Rahmen hilft dabei, die Empathie zu „trainieren“ und sich immer wieder auf den Akteur zurückzubesinnen. Durch die resultierende, intensivere Einbindung von Akteuren wird so langfristig die Bindung gestärkt und eine aktive Beteiligung gefördert.

6 Fazit

Mit diesem Beitrag wird die Rolle von Empathie in digitalen Service Ökosystemen verdeutlicht. Ein Paradigmen-Wechsel hin zur Service-dominierten Logik erfordert zunehmend, dass sich Akteure um ein aktives Miteinander bemühen und sich den Werten, Zielen und Bedürfnissen des Gegenübers bewusst werden. Aus der Forschung geht hervor, dass Empathie sich positiv auf Kernaspekte der (digitalen) Austauschbeziehungen auswirkt, wie z. B. Vertrauen, soziale Interaktion und der Konstruktion eines gemeinsamen Verständnisses. Aus diesem Grund sollte Empathie als grundlegende Kernkompetenz betrachtet werden.
In weiterer Forschung ist grundsätzlich zu klären, ob Empathie eine grundlegend hilfreiche Kernkompetenz darstellt, um ein funktionierendes Service Ökosystem aufzusetzen, oder ob sie sogar eine grundlegend notwendige Kernkompetenz ist. In diesem Kontext stellen sich die Fragen, ob offensichtliche Bedarfe, Kompetenzen, Ressourcen und Werte auch ohne Empathie erkannt werden können, aber tieferliegende Werte nur durch Empathie? Zumindest zeigt die erwähnte Forschung zu personennahen Dienstleistungen auf, dass für das Design nachhaltiger Service Ökosysteme eine oberflächliche Betrachtung von Bedarfe, Kompetenzen, Ressourcen und Werte nicht ausreicht.
Folglich stellt sich immer die Frage, wie Akteure in komplexen und anonymen digitalen Service Ökosystemen befähigt werden können, die Perspektive anderer einzunehmen. Gerade die empathische Perspektivübernahme wird durch das digitale Setting deutlich erschwert (Carrier et al. 2015). Es reicht daher nicht aus, sich darauf zu verlassen, dass sich Menschen „von Natur aus“ empathisch zeigen. Empathie muss bewusst gefördert werden. Ein strukturiertes, methodisches Vorgehen kann helfen, sich immer wieder zurück zu besinnen und sich eine empathische Haltung „anzutrainieren“. Drei beispielhaft vorgestellte Methoden aus der personennahen Dienstleistungsforschung zeigen auf, dass Empathie bereits in vielen Bereichen praktiziert wird, jedoch noch nicht explizit benannt und gefördert wird. In Zukunft sollte daher noch stärker darauf geachtet werden, wie Perspektivübernahme gerade im digitalen Raum gelingen kann.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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23-08-2022
Publisher
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Published in
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Print ISSN: 1436-3011
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https://doi.org/10.1365/s40702-022-00892-7

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