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16-04-2018 | Kläranlagen | Interview | Article

"Der Bund wird nicht umhin kommen, klare Ansagen zu machen"

Author: Nico Andritschke

3:30 min reading time

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Anthropogene Spurenstoffe im Wasserkreislauf fordern seit 10 Jahren Wissenschaft, Praxis und Politik. Professor Erik Gawel erläutert, wie die Finanzierung der vierten Reinigungsstufe gelingen könnte.

Springer Professional: Welche Bilanz würden Sie zu den anthropogenen Spurenstoffen aus Ihrer Perspektive ziehen?

Wir haben immer noch erhebliche Wissensdefizite, vor allem im Bereich der Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Was wir aber wissen, sollte im Sinne des Vorsorgeprinzips Veranlassung geben, einen breit aufgestellten Maßnahmenkatalog auf den Weg zu bringen. Gerade im Bereich der Arzneimittel werden wir in Zukunft mit noch stark ansteigenden Gewässer- und auch Trinkwasser­belastungen rechnen müssen. Die Schweiz hat aufgezeigt, wie dies bewerkstelligt werden kann, wenn der politische Wille da ist.

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Perspektiven der kommunalen Abwasserbehandlung

Nachhaltiges Handeln wird auch die kommunale Abwasserbehandlung verändern. Zum einen werden aus Gewässerschutzgründen weitergehende Anforderungen an den Ablauf von Kläranlagen gestellt, zum anderen müssen die im Abwasser enthaltenen Ressourcen künftig besser genutzt werden.


Wie bewerten Sie die bislang vorliegenden Ergebnisse aus dem Stakeholder-Dialog für eine Spurenstoffstrategie des Bundes?

Bisher liegt eine gute Bestandsaufnahme unter breiter Beteiligung der betroffenen Verantwortlichen vor. Das ist verdienstvoll. Vieles ist aber, was zu erwarten war, noch sehr unverbindlich und muss konkretisiert werden. Ein verbindliches Maßnahmenprogramm sollte rasch folgen. Der Bund wird nicht umhin kommen, hier klare Ansagen zu machen.


Neben der Festlegung prioritärer Stoffe sowie der Suche verfahrenstechnischer Lösungen zu deren Entfernung steht die Frage der Finanzierung einer vierten Reinigungsstufe im Raum. Im Jahr 2015 gab es dazu den Vorschlag des sogenannten Leipziger Modells. Wie ist dabei die Lastentwicklung zu bewerten und welchen aktuellen Stand hat der Vorschlag? 

Das Leipziger Modell versucht die Frage, welche Kläranlagen für eine gezielte Nachrüstung ausgewählt werden, von der Lastverteilung zu trennen. Dadurch lassen sich kosteneffiziente und ökologisch effektive Maßnahmen treffen, ohne die so ausgewählten Kläranlagen auf den entstehenden Kosten sitzen zu lassen. Stattdessen haben wir vorgeschlagen, aus den Finanzmitteln der existierenden, aber künftig lenkungspolitisch wieder zu ertüchtigenden Abwasserabgabe einen Zuschuss zu zahlen. Dieser beteiligt dann alle Abwassereinleiter angemessen an den punktuellen Reinigungsmaßnahmen ausgewählter Maßnahmen-Kläranlagen. Die Reform der Abwasserabgabe steht auf dem Programm des aktuellen Koalitionsvertrages. Den Rest werden wir abwarten müssen.

Was unterscheidet den Vorschlag vom Schweizer Modell?

Die Schweiz hat eine reine Finanzierungsabgabe neu eingeführt, die bevölkerungsweit die Mittel für die dort vorgesehenen Kläranlagen-Nachrüstungen aufbringt. In Deutschland existiert bereits seit 1976 eine Abwasserabgabe mit klar lenkungsbezogenem Auftrag. Dieser muss erhalten bleiben. Allerdings lassen sich die Abgabemittel neu aufteilen. Dann tritt der Finanzierungszweck "4. Reinigungsstufe" hinzu, ohne die Anreize zu verlieren, die Schädlichkeit von Abwässern zu reduzieren. 

Nun soll sich die Große Koalition vorrangig zu einem Ausbau der Kläranlagen bekennen. Der BDEW spricht davon, dass dies zu 25 Prozent Steigerung bei den Abwassergebühren führen würde. Es kann doch aber nicht das Ziel sein, die Hersteller und Verursacher aus der Pflicht zu nehmen und die Kosten für eine vierte Reinigungsstufe letztlich zu vergesellschaften, oder?

Zunächst hängt der Gebührensprung davon ab, wo im Einzelnen welche Maßnahmen getroffen werden und ob – wie wir vorgeschlagen haben – gebührendämpfend Ko-Finanzierungen Platz greifen (zum Beispiel im Leipziger Modell). Die von Ihnen genannten Zahlen scheinen mir selbst ohne diese Ko-Finanzierungen stark überzeichnet; wissenschaftliche Studien gehen je nach Maßnahme eher von 2 bis 10 Prozent aus. Auch muss man sehen, dass es gerade Aufgabe von Kläranlagen ist, "fremdverursachte" Abwässer zu behandeln. Und zwar deshalb, weil sie es – gegenüber den Abwassereinleitern oder gar vorgelagerten Stufen der Stoffproduktion – gut und günstig können! Dies könnte auch bei Mikroverunreinigungen der Fall sein. Im Übrigen dürfte allgemeiner Konsens sein, dass es ein breit angelegtes Maßnahmen-Portfolio braucht, um die Herausforderungen durch Mikroverunreinigungen anzugehen. Nicht zuletzt deshalb haben wir auch vorgeschlagen, zum Beispiel den Arzneimittelsektor oder die Landwirtschaft gezielt in die Verantwortung für externe Kosten durch Stoffeinträge (Medikamente, Pestizide) zu nehmen und nicht bei End-of-pipe-Lösungen stehen zu bleiben. Ohne diese wird es aber auch nicht gehen – gerade für urbane Verdichtungsräume oder ökologisch vulnerable Vorfluter.

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