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15-02-2017 | Kommunikation | Schwerpunkt | Article

Die Grenzen des Neuromarketings

Author: Corina Socaciu

5:30 min reading time

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Werbezeit ist teuer. Erfolgssicherheit suchen die großen Marken im Neuromarketing. Doch ist das technisch Mögliche auch moralisch vertretbar?

Der Super Bowl, das große Finale der amerikanischen Football-Profiliga, ist knapp zwei Wochen her. In Erinnerung bleiben die Höhepunkte auf dem Spielfeld. Doch sind auch die Werbespots noch präsent? Keine triviale Frage für Marken wie Pepsi, Airbnb und T-Mobile. Denn für die Ausstrahlung eines 30-Sekünders vor einem Massenpublikum zahlen Konzerne etwa fünf Millionen Dollar. Doch gerade mal zehn Prozent einer Markenbotschaft kommt durchschnittlich bei Zuschauern an. Strategen greifen daher gern in die Trickkiste des Neuromarketings als eine Art Erfolgsgarant.

Doch was kann die vergleichsweise junge Disziplin an der Schnittstelle zwischen Marketing und Neurowissenschaften mittlerweile leisten? Und wo verläuft die ethische Grenze für die umstrittene Hybridwissenschaft? Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten neurologischer Erkenntnisse angesichts neuer Technologien, wie Virtual Reality und künstlicher Intelligenz, werfen immer mehr ungeklärte Fragen auf, stellt Christian Ducu im Kapitel "Topoi in Neuromarketing Ethics" des Buches "Ethics and Neuromarketing" fest. (Seite 33)

Editor's recommendation

2017 | Book

Ethics and Neuromarketing

Implications for Market Research and Business Practice

This book addresses the emerging field of neuromarketing, which, at its core, aims to better understand the impact of marketing stimuli by observing and interpreting human emotions. It includes contributions from leading researchers and …


Wie tief das Neuromarketing Menschen in den Kopf zu schauen versucht, verraten bereits die Messmethoden: EEG und funktionelle Magnetresonanztomografie visualisieren die Gehirnaktivität, elektrische Impulse in der Haut messen den Schweiß- und somit auch den Stresslevel, mittels Eyetracker wird die Blickrichtung der Augen dokumentiert. Weitere Methoden schließen mimische Gesichtserkennung und Kombinationen aller Messtechniken ein.

Selbstbelohnung als Kaufknopf

Damit wird der Mensch bis in sein Unterbewusstsein vermessen und kodiert. Emotionen sollen berechenbar gemacht werden. Kognitive Prozesse beim Betrachten eines Logos, eines Produktdesigns, eines Werbespots werden im Gehirn geortet und kartiert. Anhand verschiedener "Landkarten" des Gehirns kann Neuromarketing offenbar selbst das menschliche Wertesystem offenlegen. Und selbst wenn ein Wertewandel stattfindet, ist dieser anscheinend ablesbar, "als Bewegung innerhalb der Limbic Map", wie der Psychoge und Neuromarketing-Experte Hans-Georg Häusel erklärt.

Ein zentraler "Schalter", der Menschen veranlassen könnte, sich von Werbung beeinflussen zu lassen, sei das so genannte Belohnungssystem, wie Marc Domning, Christian E. Elger und André Rasel im Buch "Neurokommunikation im Eventmarketing" nahelegen. "Denn nichts möchte das Gehirn lieber, als sich selbst für sein Denken und Entscheiden zu belohnen", so die Autoren. (Seite 157)

Um diese Wirkungen zu erzeugen, leisten Konzerne wie Apple Grundlagenforschung auf diesem Gebiet. Das Unternehmen beruft sich dabei auf Erkenntnisse des Harvard-Professors Robert Zaltman, wonach Kaufentscheidungen in 90 Prozent der Fälle unbewusst - also zum Teil irrational - getroffen würden, wie der Tagesspiegel berichtet. Vom Produktdesign einer Apple-Watch bis zu jeder Millisekunde eines Werbespots, vermittele die Marke durch ihr rundum abgestimmtes Konzept Kaufanreize an das Unterbewusstsein der Zielgruppe. Der konzeptionelle Aufwand der Marke Apple spiegele sich in einer "Aura des Besonderen" wieder, wie es Autor Felix van de Sand in seinem Buch "Die UXi-Methode" auf Seite 75 darstellt. Van de Sand: "Manch einer hängt dem Unternehmen an, wie einer Religion". Tagelang warteten Kunden, um ein teures Produkt der neuesten Generation kaufen zu können.

Konkurrenz für klassische Marktforschung

Ein exklusives Vermarktungstool ist Neuromarketing jedoch nicht mehr. Die Apple-Konkurrenz hat nachgezogen. Auch Mittelständler kommen inzwischen in den Genuss ähnlicher Methoden und wenden sich dabei tendenziell von klassischer Marktforschung ab. Und nicht nur im B2C-Bereich, auch im B2B finden Erkenntnisse aus dem Neuromarketing offenbar allmählich Einzug. Zwar bleiben aufwändige Forschungsarbeiten den Konzernen vorbehalten. Doch Agenturen haben das Potenzial standardisierter Verfahren zur Emotionserzeugung beim Kunden bereits für sich zu nutzen gelernt. Die teils patentierten Verfahren unterschiedlicher Agenturen heißen Limbic, Steady State Topography oder SBMI (Subconscious Decision Marketing Index). Letzteres Messverfahren der Ratingagentur Adverstising bewertet Werbespots mit so genannten SBMI-Scores nach Neuromarketing-Kriterien. Auf einer Skala von -100 bis +100 wird die neurologische Werbewirkung eingestuft.

Der Trend hin zur Patentierung von Neuromarketing-Verfahren durch Agenturen ist für das Ansehen der jungen Disziplin jedoch nicht von Vorteil, wie eine Studie der Europäischen Kommission belegt. Die erste "Welle" des Neuromarketings sei unglücklichen verlaufen. Agenturen hätten Kunden unrealistische Versprechen gegeben und dabei viel Vertrauen verspielt. Aktuell erlebe Neuromarketing einen neuen Hype. Dies sei sowohl neueren Erkenntnissen der Hirnforschung geschuldet als auch einer nie dagewesenen Datenflut durch Big Data.

Im Buch "Ethics and Neuromarketing" haben sich die Autoren Ana Maria Iorga und Nicolae Pop mit den Folgen dieser Entwicklung befasst. (Seite 182) Die neuen technologischen Anwendungsmöglichkeiten von Neuromarketing durch Datensammlung über soziale Medien, tragbare Datenmessgeräte, Internet of Things, Virtual Reality und künstliche Intelligenz seien noch nicht annähernd ausgeschöpft. Diese Entwicklung berge zugleich Gefahren. Denn mit der exponentiellen Entwicklung von neuen Technologien würden aktuell vorhandene ethische Richtlinien nicht Schritt halten.

Aussagen sind nicht zuverlässig

Unter den Richtlinienvorschlägen nennt der Bericht der Europäischen Kommission etwa die Notwendigkeit, Daten von Minderjährigen besser zu schützen. Auch sollten die allgemein zu Neuromarketing-Zwecken verwendeten Daten nicht länger als erforderlich von Unternehmen gespeichert werden dürfen. 

Doch nicht nur in der Forschung, auch die Anwendung von Neuromarketing birgt Risiken, wie die Website absatzwirtschaft.de am Beispiel von Amazon verdeutlicht. Durch "Dynamic Pricing", einer durch Algorithmen bestimmten Preisanpassung, würden Verbraucher in die Irre geführt werden. Einher geht die Verkaufsmethode mit einem Vertrauensverlust für das Unternehmen. Zwar zeigen Beispiele wie die neurowissenschaftliche Erforschung von Kundeneinstellungen gegenüber Fair-Trade-Produkten oder das Entscheidungsverhalten von Blindenhunden auch Möglichkeiten auf, wie Neuromarketing zum Wohle des gesellschaftlichen Lebens eingesetzt werden kann. Die Aussagekraft der Erkenntnisse aus dem Neuromarketing ist aktuell jedoch unter Hirnforschern umstritten. 

Als Kritiker des Neuromarketings versteht sich John-Dylan Haynes, Hirnforscher und Direktor am Berliner Bernstein Center for Computational Neuroscience der Charité. "Menschen wie auf Knopfdruck zu manipulieren, funktioniert nicht", sagt Haynes. Demnach gebe es keine Möglichkeit, das Gehirn direkt zu einem Kauf zu stimulieren. Doch nicht nur die Einflussmöglichkeiten, sondern auch die Rückschlüsse des Neuromarketings aus dem direkten Blick ins Gehirn auf das Kaufverhalten seien fragwürdig. "Eine nichtinvasive Technik kann nicht mehr Wissen über den Menschen liefern, als das, was er bereit ist, von sich aus zu sagen", so Haynes. Demnach sei die Aussagekraft des Neuromarketings aktuell weniger zuverlässig als jene der üblichen Marketingverfahren, die auf Marktforschung und Psychologie zurückgreifen.

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