Wie Neuromarketing dabei helfen kann, die User Experience von Marken zu verbessern und die Attraktivität von Marken zu steigern.
Springer Professional: Herr van de Sand, als Managing Partner und Design-Stratege einer Münchner Designagentur sind Sie federführend für die Vermittlung von Markenbotschaften verantwortlich. Kann ein Unternehmen heute noch auf Design verzichten?
Felix van de Sand: "Man kann nicht nicht kommunizieren hat der Kommunikationspsychologe Paul Watzlawick gesagt. Sobald ich ein digitales Produkt auf den Markt bringe, erzählt es eine Geschichte. Es löst Assoziationen und Bilder aus. Jedes Unternehmen designt, ob gut oder schlecht. Gerade in Bezug auf digitale Produkte muss man sagen: "Man kann nicht nicht designen." Durch Design kann ein Unternehmen die Wahrnehmung lenken. Positive Beispiele sind Apple und Airbnb, die offenkundig von gut designten User-Interfaces profitieren. Ebenso, gilt es, sich aus Unternehmersicht zu fragen, passt die Geschichte, die meine Produkte erzählen, zu der Positionierung meiner Marke? Sobald ich ein Produkt habe, komme ich am Design nicht vorbei.
In Ihrem Buch „User Experience Identity“ haben Sie die UXi-Methode als ein nachhaltiges Gestaltungsverfahren für digitale Produkte beschrieben. Was macht ein gelungenes User-Experience-Design aus?
Ein gezielt gestaltetes Kundenerlebnis mit einem digitalen Produkt, auch User Experience genannt, hilft einer Marke relevant und glaubwürdig zu wirken und sich im Idealfall vom Wettbewerb zu differenzieren. Wenn eine User Experience zudem nachhaltig ist, stärkt sie eine Marke durch eine anhaltende emotionale Wirkung. Eine Banking-App sollte durch ihr Design dazu beitragen, das Sicherheitsbedürfnis des Kunden dauerhaft mit dem Produkt zu verbinden.
Wenn etwa die Hypovereinsbank sich auf all ihren Marketing-Kanälen als Premium-Bank für anspruchsvolle Kunden positioniert, dann müssen Assoziationen wie "premium" und "anspruchsvoll" auch bei der Interaktion mit der App ausgelöst werden. Das digitale Produkt muss gestalterisch so an das Erleben des Konsumenten angepasst sein, dass der Markenkern in sinnliche Eindrücke übersetzt werden kann, sei es durch Typographie, Formen oder Farben. Nur wenn die Markenpositionierung mit dem Erleben des digitalen Produktes übereinstimmt, ist das Design gelungen.
Ihre Design-Methode beruht auf Erkenntnissen des Neuromarketings. Wie kommt die Wissenschaft in der täglichen Marketingpraxis zur Anwendung?
Hier kann ich nur für den Bereich User-Experience-Design sprechen. Ziel des Neuromarketings, das unter anderem auf Neuropsychologie beruht, ist es, Hirnaktivitäten während des Konsum- und Nutzungsverhaltens zu analysieren. Im Internet of Things werden diese Erkenntnisse besonders relevant. Mit einem Bosch-Kühlschrank mit Home-Connect-Funktion kann ich vom Handy aus kommunizieren. Eine moderne Heizungsanlage weiß anhand der Position meines Handys, dass ich mich auf dem Heimweg befinde, und beginnt mit dem Aufheizen des Hauses. Mit intelligenten Produkten können wir auf vielerlei Ebenen interagieren, sie geben uns Feedback.
Dadurch attribuieren wir ihnen einen nahezu menschlichen Charakter. Dieser Charakter entspricht im Optimalfall den Erwartungen, die aufgrund unserer Markenpräferenz entstehen. User Experience Design, das Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften einbezieht, fragt, wie spricht dieses Produkt mit dem Konsumenten? Je nachdem, ob ein intelligenter Temperaturregler sich eher wie ein Mitbewohner oder wie ein professioneller Energie-Manager "verhält", muss jeder Kontaktpunkt mit dem Produkt einem anderen Drehbuch folgen.
Um ein Produkt mit emotionalen Codes zu versehen, wird es also bereits in der Phase der Produktkonzeption in eine Geschichte eingebettet?
Ja, genau. Aus diesem Grund haben Regisseure bei einigen Startups im Silicon Valley derzeit Konjunktur. Durch die Art und Weise, wie ein Produkt gestaltet ist, erzählt es eine "Geschichte". Diese Story muss zu der Geschichte passen, die ein Unternehmen seinen potenziellen Kunden über seine Marke auf all seinen Kommunikationskanälen vermittelt. Durch die Erkenntnisse des Neuromarketings können an allen potenziellen Kontaktpunkten eines Konsumenten mit einer Marke Erlebnisse, die einem Drehbuch folgen und bestimmte Emotionen auslösen, inszeniert werden, sei es bei der Gestaltung einer Marke, in der Werbung, am POS, beim Customer Service oder eben bei der Nutzung der digitalen Produkte eines Unternehmens. Die Emotionen, dabei ausgelöst werden können für jegliche Marketingmaßnahmen und Produkten als positive Customer Experience eingesetzt werden.
Neuropsychologie und Neuromarketing sind die Basis Ihrer UXi-Methode. Warum ist Wissenschaft so entscheidend dabei?
Erkenntnisse aus den Teilgebieten der Neurowissenschaften ermöglichen es, das Geschmäcklerische im Design außen vor zu lassen. An Neurowissenschaften angelehntes Design orientiert sich vielmehr an objektiven Erkenntnissen über menschliche Reaktionen auf Produkte und Marken. Vorgänge im menschlichen Gehirn werden dadurch nachvollziehbar und können gezielt angesprochen werden. Die Werte einer Marke werden mit Hilfe von Erkenntnissen aus den Neurowissenschaften in Gestaltungselemente übersetzt.
Welche Rolle spielt Design Thinking dabei?
Design Thinking betrachtet eher die funktionalen Aspekte eines Produkts und zielt auf Produktinnovationen ab. Sie ist der UXi-Methode stets vorgelagert. Der Nutzen des Produkts wird im Kontext des Lebenszusammenhangs betrachtet. Die User Experience fragt hingegen allein nach den Emotionen.
Jede Form der Marketingkommunikation beruht auf bestimmten Vorstellungen vom Kunden und seinem Verhalten. Welches Kundenbild geht mit den Methoden des Neuromarketings einher?
Das Neuromarketing stellt die Emotionen der Konsumenten als Treiber für Kauf- und Nutzungs-Entscheidungen ins Zentrum seiner Betrachtungen. Das Modell des homo oeconomicus, der seine Entscheidungen, insbesondere Kaufentscheidungen, allein auf Basis rationaler Faktoren trifft, hat ausgedient. Vielmehr wird der Konsument als unbewusst Getriebener seiner drei grundlegenden und unterschiedlich ausgeprägten Motive Sicherheit, Erregung und Autonomie betrachtet. Erfolgreiche Marken und Produkte sprechen diese Motive gezielt und zum richtigen Zeitpunkt an.
Wie sollten Bildungsinstitutionen und Ausbilder den sich wandelnden Berufsbildern aus dem Produktmarketing Rechnung tragen?
Was vielerorts nicht gelehrt wird, ist die Argumentierbarkeit von Design. Designer können ihre Entscheidungen auf unterschiedliche Weise argumentierbar machen, durch ihren eigenen Geschmack, durch die Designkultur oder durch ihr kunsthistorisches Verständnis. Im Business sind diese Argumentationsweisen nicht immer passend. Um Marken nachhaltig zu stärken, gilt es das emotionale Erleben der Konsumenten zu verstehen. Wie ticken sie? Welche Wünsche und Ziele haben sie? Und wie können wir diese mit Hilfe der Gestaltung von Produkten bedienen? Die Einführung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse in der Lehre von Produktdesign, Kommunikationsdesign und Mediengestaltung kann nur vorteilhaft sein. Immerhin handelt es sich um Berufsfelder, in denen Erlebnisse für Konsumenten gestaltet werden.