Zusammenfassung
Krisen fordern Lösungen. Allerdings hat jeder Akteur seine eigene Vorstellung davon, wie diese Lösungen aussehen sollten. Folglich ist in Krisen zu beobachten, wie Akteure versuchen die öffentliche Meinung und die staatliche Krisenpolitik zu beeinflussen. Dieses Kapitel entwickelt einen wissenssoziologischen Ansatz und analysiert, wie die deutschen Sozialpartner die Große Krise, die mit der Pleite von Lehman Brothers 2007 begann, interpretierten. Die folgenden Forschungsfragen sind dabei leitend: Wie beurteilten die untersuchten Akteure die Krise öffentlich, welche Ursachen identifizierten sie und welche politischen Konsequenzen forderten sie? Der Beitrag argumentiert, dass Akteure versuchen Krisen als windows of opportunity zu nutzen, um bestehende nationale aber auch supranationale (also insbesondere den europäischen) Konfliktrahmen in ihrem Sinne zu verändern. Aus konflikttheoretischer Perspektive zeigt die Krise so ein integrationsförderndes Potenzial: in der Krise kommt es zu weiterer Institutionalisierung oder doch zumindest zur Politisierung bestehender Konfliktrahmen durch soziale Akteure. Die Krisenframings der Akteure reflektieren ihre Interessen in diesem Prozess und die sich intensivierenden Wechselbeziehungen sind im Simmelschen Sinne als Vergesellschaftung zu verstehen.