Korrosionsschutztechnologien sollen künftig nachhaltiger und umweltfreundlicher sein. Und eine bislang häufig fragmentierte Korrosionsforschung soll mit EU-Hilfe gebündelt werden – speziell zu Fragen der Korrosion durch Mikroorganismen.
Das Projekt Vipcoat fördert Nachhaltigkeit beim Korrosionsschutz auch für Flugzeugteile.
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Korrosion durch Mikroorganismen – kurz MIC, Microbially induced corrosion – verursacht nach Angaben der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) jedes Jahr weltweit Schäden in Milliardenhöhe. Betroffen sind Werkstoffe und Materialien jeglicher Art: Metalle, Kunststoffe und sogar Beton. Die Folgen zeigen sich etwa an wichtigen Infrastrukturen der Energieversorgung wie Windkraftanlagen, Pipelines oder Turbinen, aber auch an Brücken, Hafenanlagen oder in den Tanks von Schiffen und Flugzeugen.
Je nach verwendetem Werkstoff und speziellen Korrosionsbedingungen können die Erscheinungsformen der Korrosion sehr vielfältig sein und in Abhängigkeit vom Werkstofftyp, Gefügeaufbau, Passivierung, speziellem Korrosionsmedium oder zusätzlichen mechanischen Beanspruchungen stark variieren. Zu den bedeutendsten Erscheinungsformen der Korrosion zählt Horst Briehl im Buchkapitel "Korrosion von Metallen" Flächenkorrosion, Lochfraßkorrosion, Spaltkorrosion, Interkristalline Korrosion, Selektive Korrosion, Spannungsrisskorrosion, Schwingungsrisskorrosion, Verschleißkorrosion und schließlich auch die Mikrobiologisch induszierte Korrosion (MIC), bei der werkstoffschädigende Reaktionen aufgrund der Stoffwechselvorgänge von Mikroorganismen auftreten: "Vereinfacht ausgedrückt besitzen gewisse Mikroorganismen, z.B. Viren, Bakterien, Pilze und Algen, die Eigenschaft, Enzyme zu produzieren, die in der Lage sind, bestimmte chemische Reaktionen, z.B. Oxidations- und Hydrolysevorgänge zu katalysieren und somit Korrosionsprozesse am Werkstoff einzuleiten" ("Chemie der Werkstoffe", Seite 117).
BAM koordiniert neues europäisches Forschungsnetzwerk
Bislang werde MIC in Europa nur sehr vereinzelt erforscht, auch fehle es an einem Austausch zwischen Industrie und akademischer Welt, heißt es in einer Mitteilung der BAM. Zudem mangele es oft an einem interdisziplinären Ansatz – der bei der Bandbreite des Themas und der zahleichen von MIC betroffenen Bereiche jedoch geboten wäre. Auch könne wohl davon ausgegangen werden, dass die globale Erwärmung die Ausbreitung von MIC begünstigen werde. Andrea Koerdt von der Bundesanstalt für Materialforschung – und prüfung hat daher zusammen mit Torben Lund Skovhus vom VIA University College im dänischen Aarhus jetzt das Netzwerk Euro-MIC ins Leben gerufen. Es wird von der europäischen Förderorganisation COST (Cooperation in Science and Technology) unterstützt.
"Mit Euro-MIC wollen wir die bisher oft fragmentierte Forschungsarbeit in Europa bündeln, ein interdisziplinäres und kollaboratives Netzwerk schaffen, den Austausch zwischen akademischer Welt und Industrie befördern und Präventionsmethoden gegen MIC entwickeln", sagt Koerdt. Beteiligt sind fast 100 Institutionen aus 33 Ländern, von Norwegen über Griechenland und Portugal bis Zypern. Vertreten sind neben den 24 COST-Mitgliedsstaaten auch assoziierte Länder wie Brasilien, Australien, Indien, Singapur, Japan, Tunesien oder die USA; – ein interdisziplinäres Unterfangen so unterschiedlicher Disziplinen wie Materialwissenschaft, Physik, Chemie, Mikrobiologie, Biochemie, Geologie und Umweltwissenschaften.
Nachhaltiger Korrosionsschutz
Der Schutz von Werkstoffen vor Korrosion ist teuer. Deshalb haben sich jetzt zwölf Partner aus sieben Ländern zum Projekt Vipcoat zusammengeschlossen, um die Entwicklung und Produktion von Technologien zum Korrosionsschutz nachhaltiger, kostengünstiger und schneller zu gestalten. Koordiniert wird das Projekt vom Helmholtz-Zentrum Hereon. Start des von der EU geförderten Projekts war am 1. Mai 2021. Vipcoat steht für "Virtual Open Innovation Platform for Active Protective Coatings Guided by Modelling and Optimization".
Derzeit gibt es noch keine Plattform, die die Entwicklung innovativer Technologien für den Korrosionsschutz entlang von Produktionsketten unterstützt. Diese Lücke soll Vipcoat schließen: Gemeinsam mit Partnern aus Deutschland, Belgien, Luxemburg, Norwegen, Portugal, Großbritannien und den Niederlanden hat das Helmholtz-Zentrum Hereon, hervorgegangen aus dem Helmholtz-Zentrum Geesthacht – Zentrum für Material- und Küstenforschung, das Projekt auf den Weg gebracht. Das dort neu angesiedelte Institut für Oberflächenforschung übernimmt hierbei eine zentrale Rolle.
Offene Innovationsplattform
"Unser Ziel ist es, eine offene Innovationsplattform zu erstellen, die von Forschung, Industrie, Politik und öffentlichen Einrichtungen gleichermaßen genutzt werden kann", sagt Natalia Konchakova, Koordinatorin des Projekts und Wissenschaftlerin im Hereon-Institut für Oberflächenforschung. Der gewählte Ansatz ermögliche einen effektiven Wissenstransfer und Kommunikation zwischen allen Beteiligten. So solle die Plattform zugleich Datenbank (für experimentelle, industrierelevante und Modellierungsdaten), Wissensinfrastruktur und Simulationsbasis sein. Dabei, so Konchakova, werden maschinelles Lernen und physikbasierte Modellierungen gekoppelt, um industriell relevante Materialentwicklungsprozesse zu optimieren: "Die beste Rezeptur für die Beschichtung zu finden, ist nicht leicht. Deshalb möchten wir die Industrie durch die Bereitstellung von Modellen und der Innovationsplattform bestmöglich unterstützen."
Materialmodellierungen und Simulationen
Um Korrosionsprozesse zu unterbinden, kamen etwa in der Flugzeug- und Automobilindustrie über Jahre hinweg Substanzen zur Anwendung, welche inzwischen nicht mehr den aktuellen EU-Umweltstandards entsprechen. Vipcoat setzt genau hier an: Mithilfe von Modellierungen und der Innovationsplattform treiben die Partner die Entwicklung und Optimierung umweltfreundlicher Alternativen voran. "Vipcoat liefert einen wertvollen Beitrag zum digitalen Materialdesign und der Vorhersage der Alterungsbeständigkeit", sagt Theodor Hack, Experte für Korrosion und Korrosionsschutz bei Airbus, Central Research and Technology. "Anschließend soll die Plattform auch auf andere Industriesektoren wie die Automobilbranche, Maritime Industrie, Infrastrukturen zur Energieerzeugung, aber auch für medizinische Geräte oder das Bauingenieurwesen anwendbar sein", sagt Peter Klein, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM). Der offene Innovationsansatz solle so zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil der Sektoren beitragen und den Technologietransfer stärken.