Was tun, wenn die Traditionsmarke altbacken daherkommt und neue Kundschaft ausbleibt? Das erlebt der 110 Jahre alte Pralinen- und Schokoladenhersteller Leysieffer und hat Insolvenz angemeldet. Was ist da schief gelaufen?
Die Wahrnehmung von Restrukturierungen ist in vielen Unternehmen sehr eingeschränkt. Das Geschäft muss an die Wand gefahren worden sein und sich in finanzieller Schieflage befinden, um die Notwendigkeit einer Restrukturierung zu erkennen. Das ist ein sehr eingeengtes Bild. Denn: Im Grunde ist Restrukturierung ein immerwährender Prozess. Unternehmen, die sich in Teilen kontinuierlich restrukturieren, müssen gar nicht erst in eine wirtschaftliche Krise geraten. Im Gegenteil sollten sich Unternehmen eigentlich immer dann restrukturieren, wenn es ihnen besonders gut geht.
Der Intel-Mitgründer Andrew Grove sagte in den Neunzigern, "nur die Paranoiden überleben". Eine gesunde Paranoia hilft Unternehmen, sich regelmäßig neu zu erfinden. Immer dann, wenn ein Bereich besonders gut läuft, sollte die paranoide Alarmglocke bei den Verantwortlichen schrillen, um diesen Bereich zu restrukturieren. Ein erster Blick auf das Traditionsunternehmen Leysieffer zeigt: Die Produkte sind hochwertig, die Historie passt, die Standorte sind strategisch gut gewählt, die Preispolitik ist in Ordnung. Aber wie sagte Karl Valentin so treffend: "Gar nicht krank ist auch nicht gesund". Bei Leysieffer fehlte schlichtweg die gesunde Paranoia.
Neue Denkmuster als Krisenprävention
Die Verantwortlichen haben sich ganz einfach nicht aus ihrer Komfortzone herausgewagt. Sie haben ihre alten Denkmuster nicht durchbrochen und keine neue Herangehensweise an das Geschäft entwickelt. Wahrscheinlich hat ihnen der Mut oder der innere paranoide Antrieb gefehlt. Was der Osnabrücker Chocolaterie aus diesem Grund auch noch fehlt, ist Sexappeal. Die Produkte sehen aus, wie Schokolade und Pralinen. Doch Leute kaufen sich keine Rolex, weil sie eine Uhr haben möchten. Sie kaufen sich ein Lebensgefühl, ein Lifestyle, eine Emotion.
Wenn die Traditionsmarke Leysieffer überleben möchte, muss sie ihr Erscheinungsbild restrukturieren und ein Storytelling kreieren, das Lust auf mehr macht. "Romance the product", sagen die Amerikaner dazu, romantisiere dein Product. Dafür ist ein neues Mindset nötig. Der Pralinenhersteller muss aus seiner eigenen Welt ausbrechen und sein Gesamtbild neu erfinden.
Neupositionierung mit Erlebniswelten wie Ladurée
Ein Pralinenhersteller, der eine unvergleichbare Erlebniswelt geschaffen hat, ist das französische Unternehmen Ladurée. Das Produkt ist genauso ungesund süß, wie bei Leysieffer, vielleicht etwas bunter. Allerdings ist das Erscheinungsbild Welten von den Osnabrückern entfernt. Die Geschäfte gleichen Museen oder Schmuckgeschäfte. Die Verpackungen sind verführerische Erotik-Boxen. Auf der Website wird die Frühlingskollektion der typisch französischen, bunten Macarons angepriesen mit dem Satz "La vie en rose". Es gibt sogar Merchandising im Onlineshop. Und Duftkerzen für 60 Euro. Ladurée ist kein Gebäck – Ladurée ist ein Eintauchen in eine fabulöse Fantasiewelt voller Reize. Eine gute Story und eine emotional aufgeladene Marke locken Alt und Jung in die Läden. Das Kaffeehaus-Interior von Leysieffer kann da nicht mithalten. Verpackung und Innendesign sind, neben dem Produkt, ganz wichtige Kundenkontaktpunkte.
Markenrestrukturierung für Leysieffer
Leysieffer sollte also an seinem Erscheinungsbild arbeiten und seine Marke restrukturieren. Dabei sollten sich die Verantwortlichen fragen: Was wollen wir? Wollen wir in 100 Jahren noch existieren? Wenn ja, in welcher Form? Wollen wir eine Marke oder ein Produkt sein? "Mehr Umsatz" ist keine vernünftige Antwort. Denn Umsatz ist das Resultat aus vorherigen Handlungen. Der Deckungsbeitrag, das Lebenselixier eines Unternehmens, entsteht nur dann, wenn Kunden in den Laden kommen und zahlen. Ladurée ist in Deutschland nicht stark verbreitet. Am Erscheinungsbild von Ladurée kann sich Leysieffer daher orientieren, um sich erfolgreich zu restrukturieren und Kunden mit Sinnlichkeit zu locken. Es bleibt zu wünschen, dass der Turnaround in Osnabrück gelingt.