Die präventive Restrukturierung eröffnet Unternehmen neue Möglichkeiten. Im Interview spricht Beraterin Charlotte Schildt über die Chancen der neuen Insolvenzordnung und der reformierten ESUG-Regelungen.
Thorsten Garber: Frau Schildt, sehnen Sie auch neue Chancen durch die präventive Restrukturierung herbei?
Charlotte Schildt: Es wird, denke ich, neue Chancen für die Berater geben. Denn der rechtliche Rahmen verändert sich. Die anwaltliche Tätigkeit wird vielseitiger werden.
Was fehlte bislang in der Insolvenzordnung und bei den ESUG-Regelungen rund um die erweiterte Sanierung von Unternehmen?
Anders als etwa der britischen Restrukturierungspraxis, die die Möglichkeit des Scheme of Arrangement beinhaltet, ist dem deutschen Recht eine Sanierung ohne Insolvenzeröffnung grundsätzlich fremd. Insbesondere ist auch das mit dem ESUG in die Insolvenzordnung gekommene Schutzschirmverfahren unter Beteiligung des Insolvenzgerichts auf eine Insolvenzeröffnung angelegt. Eine Restrukturierung ohne Insolvenzmakel kommt nach der deutschen Insolvenzordnung bisher also nicht in Betracht.
Welche direkten Schäden verursachen Insolvenzen?
Die Insolvenzeröffnung bedeutet für Unternehmen zunächst vor allem, dass sie mit dem Stigma Insolvenz umgehen müssen. Eine Insolvenz wird zumindest am deutschen Markt seit jeher als Folge einer unternehmerischen Fehlleistung gewertet, sodass die Insolvenz eines Unternehmens insbesondere mit Vertrauensverlusten einhergeht. Dies hat gravierende Folgen für das Unternehmen, da heute vor allem die geringe Eigenkapitalausstattung und der damit zwangsläufig verbundene hohe Fremdkapitalbedarf zeigt, wie sehr Unternehmen von Krediten abhängig sind. Dabei ist Vertrauen die Grundlage einer jeden Kreditwirtschaft.
Welche Kollateralschäden für die Volkswirtschaft kommen hinzu?
Diese zeigen sich insbesondere bei Insolvenzen von Unternehmen des Finanzsektors, da diese in besonderer Weise miteinander und mit den Unternehmen der Real- und Dienstleistungswirtschaft verbunden und integriert sind. Damit bergen Bankeninsolvenzen große Ansteckungsrisiken für die gesamte Volkswirtschaft. Aufgrund der immer stärkeren internationalen Verflechtung von Unternehmen in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht, kann die Insolvenz einer systemrelevanten Bank zudem Auswirkungen auf andere Volkswirtschaften haben, sodass das Ansteckungsrisiko auch über nationale Grenzen hinweg besteht.
Wo erwarten Sie weniger Schäden durch die Einführung der präventiven Restrukturierung?
Zunächst besteht die Chance, dass durch ein präventives Reorganisationsverfahren das Stigma der Insolvenz vermieden oder zumindest abgeschwächt wird. Ob dies eine florierende Volkswirtschaft zur Folge hat, darf aber bezweifelt werden. Das Insolvenzrecht hat als Reaktion auf unternehmerische Fehlleistungen volkswirtschaftlich auch eine wettbewerbsregelnde Funktion. Suspendiert man im Rahmen eines Moratoriums etwa Insolvenzantragspflichten oder blockiert die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch einen Fremdantrag, besteht die Gefahr, dass nicht bestandsfähige Unternehmen weiter am Markt agieren. Dies dürfte langfristig insgesamt zu einer Verunsicherung der Marktteilnehmer führen, zumal die Anordnung eines Moratoriums die Durchsetzung fälliger Ansprüche ausschließt. Es ist also nicht anzunehmen, dass das Instrumentarium eines präventiven Restrukturierungsverfahrens das Vertrauen als Grundlage der Kreditwirtschaft dauerhaft ersetzen kann.
Charlotte Schildt, Partnerin in der CMS Hasche Sigle Insolvenzberatung und -verwaltung, wird beim 1. return-Unternehmerforum eine volkswirtschaftliche Schadensbilanz vorlegen.
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