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2017 | Book

Kulturgeographie der USA

Eine Nation begreifen

Editors: Prof. Dr. Werner Gamerith, Prof. Dr. Ulrike Gerhard

Publisher: Springer Berlin Heidelberg

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About this book

Dieses Lehrbuch hilft Studierenden der Geographie, das für Prüfungen über die Vereinigten Staaten von Amerika nötige Wissen zu erarbeiten. Statt eines enzyklopädischen Faktenwissens findet sich hier das dafür notwendige exemplarische Wissen über bedeutsame Aspekte Nordamerikas, wie Stadt- und Wirtschaftsentwicklung, aber auch Migration, Armut, Politik.

Table of Contents

Frontmatter

Americana – eine kulturgeographische Annäherung

Frontmatter
1. Americana – eine kulturgeographische Annäherung

In den Sozial- und Kulturwissenschaften besteht weitgehend Einigkeit, dass die USA in vielerlei Hinsicht ein Experiment mit offenem Ausgang darstellen. Das Vorläufige, das Wandelbare, das Versuchsweise – dies alles bildet Grundkonstanten einer relativ jungen staatlichen Entwicklung, die zwar als bewusste Entscheidung einer kolonialen Elite gegen das britische Mutterland begann, deren weiterer Verlauf aber keineswegs von vornherein festgelegt war. Für diese Ungewissheit sorgten allein schon die konkurrierenden europäischen Kolonialmächte, die sich von ihrer Bühne in den beiden Amerikas nicht so schnell verabschieden wollten. Der damals neu formierte Bund der 13 ehemaligen Kolonien trat mit der Unabhängigkeit auch in eine Phase der Unbestimmtheit ein, und die USA wurden im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer Art Laboratorium, in dem Tradition und Moderne, historisches Erbe und zukünftige Entschlossenheit, weiße Vorherrschaft und vielkulturelle Impulse miteinander verschmolzen.

Werner Gamerith, Ulrike Gerhard
2. Go West! Frontier und die „Idee“ Amerika

Die Frontier als Siedlungsgrenze und Fortschrittshorizont, die es beständig vorwärts zu treiben und deren Herausforderungen es immer wieder zu bewältigen gilt, prägt die nationale Identität Amerikas wie kaum ein anderes Grundmotiv. Auf den Begriff gebracht wurde diese Idee Ende des 19. Jahrhunderts von dem Historiker Frederick Jackson Turner. Seither ist vielfach auf die blinden Flecken und problematischen Verkürzungen in Turners Deutung hingewiesen worden. Aus dieser Kritik ist in den vergangenen Jahrzehnten ein neues Bild des Westens entstanden als eines dynamischen, multikulturellen Eldorados, in dem sich von Beginn an die Schicksale der Ureinwohner, Hispanoamerikaner, Euroamerikaner, Afroamerikaner und Asiaten kreuzten und das von wechselhaften Verbindungen zwischen Menschen und Kapital, ihrer Einbindung in den Weltmarkt und den daraus resultierenden Konsequenzen für Natur und Gesellschaft geprägt wurde und wird.

Wilfried Mausbach
3. Reflection: Cultural Forces in the American Landscapes

Like all territory altered by humans, landscapes in America reflect the varying influence of multiple and often conflicting cultural forces. Some extend across the continent, others are highly local, and some, as cultural exports, have come to affect – some would say, infect – landscapes around the world, for worse or for better. What are the human imperatives that have most profoundly shaped American landscapes in their own regional milieux from coast to coast? The following reflections necessarily concern primarily the coterminous forty-eight states of the United States. Hawaii’s mid-Pacific position owes so much to Oceania and Asia, and in Alaska nature keeps human transformation so markedly at bay, that they call for their own distinctive interpretation.

Michael P. Conzen
4. Religionsgeographie der USA: Pluralität zwischen Konfrontation und Kooperation

Nordamerika, insbesondere die heutigen USA, ist von einer erstaunlich mannigfaltigen Gemengelage von Religionen und Konfessionen gekennzeichnet. Diese Vielfalt ist das Ergebnis eines an irritierenden, mitunter gewaltsamen Ereignissen nicht gerade armen, oft aber auch friedlichen historischen Prozesses. In mehreren Migrationswellen und internen Wanderbewegungen traten mithin Religionen miteinander in Beziehung, die sich in anderen Weltregionen gar nicht oder lediglich am Rande berührten.

Michael Hochgeschwender
5. Das politische System der USA – Entwicklung, Strukturen und Widersprüche

Politisch und gesellschaftlich haben sich die USA in den letzten beiden Jahrzehnten immer stärker polarisiert. Dies ist allerdings nicht sehr überraschend, wenn man sich Entwicklung und Grundlagen des politischen Systems vor dem Hintergrund einer ambivalenten politischen Kultur ansieht. Nach einer Skizze der institutionellen und ideologischen Rahmenbedingungen werden aktuelle empirische Befunde zur Polarisierung und ihren Konsequenzen für Politik und Gesellschaft diskutiert.

Winand Gellner
6. Amerika macht Schule: Ausbildungs- und Qualifikationsstrukturen in den USA

Kaum eine andere Institution besitzt ein so weitreichendes Potenzial für einen gesellschaftlichen Wandel wie die Schule – sei sie öffentlich und staatlich finanziert, sei sie privat und von Mäzenen oder Mitteln der Eltern getragen. Ein leistungsfähiges Schulsystem kann ganze Gesellschaften modernisieren und ihnen internationale Anerkennung verschaffen, wie die Beispiele Südkorea oder Finnland zeigen. Das Schulsystem ist aber auch ein „Frühwarnsystem“ für soziale Konflikte und Ungleichheiten. Ein entsprechendes Bildungssystem, das auf den Ausgleich von Interessen abzielt, kann helfen, soziale Ungleichheit abzuschwächen und Konfliktlinien zu entschärfen. In vielen Ländern wurde das Schulwesen aber auch dazu benutzt, Minderheiten auf vielfältige Weisen zu benachteiligen. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, dass man Ungleichheiten im Schulwesen nicht allein durch schulorganisatorische Maßnahmen (in den USA z. B. busing, also den obligatorischen Bustransport von Schulkindern bestimmter ethnischer Herkunft über größere Distanzen, um damit die Schulen ethnisch „bunter“ werden zu lassen) abbauen kann, sondern dass diese Disparitäten ein Spiegelbild der Gesellschaft sind; es braucht also zur Überbrückung der Gegensätze innerhalb des Schulsystems auch gesellschaftliche Veränderungen. Die Resultate des Schulwesens, etwa für die USA, verstehen zu wollen, ohne die kulturellen Dispositionen der verschiedenen ethnischen Gruppen zu berücksichtigen, würde allerdings zu kurz greifen. Die US-amerikanischen Schulen und Universitäten haben eine beträchtliche Vorbildwirkung entfaltet, vor allem in Europa, aber auch in Asien, obwohl sie nicht unbedingt dazu angetan sind, soziale Friktionen zu verhindern, sondern im Gegenteil an der weiteren Akzentuierung der ökonomischen und kulturellen Diskrepanzen innerhalb der USA entscheidenden Anteil haben. Warum erscheint das amerikanische Modell dennoch so attraktiv? Worin liegen seine Stärken? Und warum wird seine polarisierende Wirkung von außen, wenn überhaupt, meist erst auf den zweiten Blick wahrgenommen?

Werner Gamerith, Peter Meusburger
7. USA regional: Mythos und Alltagskultur – der Mittlere Westen

Bereits in der unscharfen Bezeichnung „Mittlerer Westen“ kommen die zumeist eher diffusen und räumlich schwer abgrenzbaren Vorstellungen vom großen Zentralraum der Vereinigten Staaten zum Ausdruck. Zwei unterschiedliche Leiterzählungen werden mit diesem Großraum häufig verknüpft: zum einen die Idee des amerikanischen „Heartland“ als Wiege einer von erfolgreicher Agrarkolonisation und Industrialisierung geprägten, kleinbürgerlichen US-amerikanischen Alltagskultur, zum anderen die stark mit mystifizierenden Vorstellungen aufgeladenen Assoziationen der „Frontier“ und des „Wilden Westens“, der von den Great Plains bis über den Mittleren Westen hinaus in die Bergwelten der Rocky Mountains in Wyoming und Montana ausgreift und ebenfalls Bilder des „typisch Amerikanischen“ erzeugt. Beide Meta-Erzählungen produzieren zwar gegenläufige, jedoch gleichermaßen romantisierende, stereotype Vorstellungswelten eines beschaulichen, gutbürgerlichen und fleißigen, im Herzland verorteten Amerika einerseits und einer rauen, von Freiheit, Selbstbehauptung, der Zähmung der Wildnis und der endlosen Weite der Prärie geprägten Lebenswelt andererseits.Geographisch verorten lassen sich diese Fiktionen in erster Linie in den südlichen und westlichen Teilen des Gebiets der Großen Seen (Great Lakes) und in den westlich anschließenden Great Plains. Genau dort finden sich aber auch die realen Gegenbilder dieser Erzählungen: die stark disparaten räumlichen und ökonomischen Entwicklungen in den Teilregionen des Mittleren Westens (Middle West oder Midwest) und die damit einhergehenden dynamischen Veränderungen der Lebenswelten.

Fred Krüger, Alexandra Titz

Typisch amerikanisch? – Bevölkerungsgeographische Vielfalt

Frontmatter
8. Typisch amerikanisch? – Bevölkerungsgeographische Vielfalt

Als eine der größten gesellschaftlichen Leistungen, welche die USA überhaupt hervorgebracht haben, muss die Fähigkeit gewürdigt werden, aus einem Kosmos von vielen Millionen Einwanderern, deren Herkunft unterschiedlicher nicht sein könnte, die Basis für ein gemeinsames Selbstverständnis geformt zu haben. Diese Grundlage erwies sich in der Folge als stabil genug, einer aufstrebenden Industriemacht Arbeitskräfte wie Konsumenten in einer beeindruckenden Zahl zuzuführen. Somit konnten sich die Vereinigten Staaten auch in der letzten, dem Mutterland verbliebenen Domäne von ihrer ehemaligen Kolonialmacht lossagen und emanzipieren: Dem blühenden viktorianischen Großbritannien folgte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Weltwirtschaftsmacht USA, die nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig zur Supermacht, nunmehr auch im politischen Sinne, aufstieg

Ulrike Gerhard, Werner Gamerith
9. Jenseits von „Black and White“: Die Vereinigten Staaten auf dem Weg in eine multiethnische Gesellschaft

„E pluribus unum – Aus vielen Eines“: Dieser Leitspruch auf dem Siegel der Vereinigten Staaten von Amerika, der sich ursprünglich auf den Zusammenschluss der Einzelstaaten zu einer politischen Union bezog, wird in der Gegenwart zunehmend auch als Metapher für die amerikanische Gesellschaft verstanden, die über den traditionellen Antagonismus zwischen einer weißen Bevölkerungsmehrheit und einer lange Zeit diskriminierten afroamerikanischen Minderheit hinaus seit der Mitte des 20. Jahrhunderts immer mehr einen multiethnischen Charakter mit all den damit verbundenen Problemen und Herausforderungen angenommen hat. Das folgende Kapitel versucht diesen Prozess nachzuvollziehen sowie seine Ursachen und Folgen zu diskutieren.

Günter Thieme (†), Hans Dieter Laux
10. Afroamerika – Der lange Weg zur Emanzipation

Die aktuelle Situation der Afroamerikaner in der US-amerikanischen Gesellschaft ist nur vor dem Hintergrund eines langen und opferreichen Kampfes gegen Unterdrückung und Diskriminierung zu verstehen. Über 200 Jahre lang war die große Mehrheit der Menschen afrikanischer Abstammung versklavt. Auf die Abschaffung der Sklaverei am Ende des Bürgerkrieges folgte zwar die bürgerliche Gleichberechtigung, die jedoch in der Praxis bald einem System des institutionellen Rassismus (Jim Crow-System) weichen musste. Erst die Bürgerrechtsbewegung der 1950er- und 1960er-Jahre konnte Rassentrennung und institutionelle Diskriminierung überwinden. Ob die Afroamerikaner heute im Mainstream der amerikanischen Gesellschaft angekommen und als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger anerkannt sind, bleibt trotz der viel beachteten erstmaligen Wahl eines schwarzen US-Präsidenten umstritten.

Manfred Berg
11. Latino Culture: Kulturelle Produktion und Identität in den Borderlands

Die USA als klassisches Einwanderungsland befinden sich in einer Phase der demographischen Revolution, die mittelfristig dazu führen wird, dass Latinos die größte Bevölkerungsgruppe im Lande sein werden. Dabei hat sich vor allem seit der Jahrtausendwende die geographische Verteilung der spanischsprachigen Bevölkerung ebenso signifikant verändert, wie ihre kulturelle und soziale Heterogenität gewachsen ist. Obwohl die US-Latinos auch in manchen Bereichen des kulturellen und öffentlichen Lebens, so z. B. der Popmusik, in den letzten 15 Jahren eine hohe Sichtbarkeit erreicht haben und angemessen repräsentiert sind, spiegeln andere Bereiche der kulturellen Produktion und des öffentlichen Lebens diese demographischen Trends (noch) nicht wider.

Karsten Fitz
12. Reflection: Gendered Spaces of Work, USA

Since 1950 gendered spaces of work have changed profoundly while old outlines of gender relations have persisted. I explore this conundrum with data on changes in gendered patterns of work and on cultural attitudes toward these changes. The dominance of culture in shaping these patterns is clear in the geography of gendered spaces of work across the U.S.

Susan Hanson
13. American Indians and the Landscape of America

The American Indian landscape is intertwined with the landscape of America. It is a product of a 500-year colonialization of an earlier landscape (see also part one of this book). Colonialization involves basic changes in, frequent destructions of Indigenous peoples. Colonializing changes the colonists as well, and they and the colonized become different, as Euro-Americans have. Multifaceted, colonialization may be seen through many different lenses. I use here a lens of “geodemography”, and consider American Indians as a population relating to land. Processes of “colonial demography” and “colonial geography” decimated and dispossessed American Indians, thereby altering Indian-land relationships. Yet remnants remain of an earlier weltanschauung, the American Indian view of the world and how they relate to it. Today there are Old and New Indians – as I call them in America, each Indian in their own way. Old or New, they struggle with past and present; Old Indians to relate the former to later. New Indians to relate the later to former. However, others might prefer dichotomies such as “traditional” and “contemporary”; “full blood” and “mixed blood”; “real” and “census” (referring to those who only list themselves as Indian); “true” and “false”; or “Indian” and “part Indian” (those of some Indian descent). No matter what dichotomy is used, awareness of the difference is basic to understanding American Indian landscape(s) today.

Russell Thornton
14. Asian Americans – von einer verachteten Minderheit zur Model Minority?

Im Jahre 1985 erschien in einem Sammelband zur jüngeren Einwanderung in die USA eine Arbeit mit dem Titel „Asian Americans: From Pariahs to Paragons“, und in der Tat beschreibt dieser Wandel von „Verachteten“ zu „Vorbildern“ sehr treffend den Weg, den die Einwanderer aus Asien nicht nur in der Wahrnehmung der amerikanischen Öffentlichkeit, sondern auch hinsichtlich ihres sozialen und ökonomischen Status innerhalb der Gesellschaft zurückgelegt haben. So gelten die Asiaten aufgrund ihres zum Teil bemerkenswerten Bildungsstandes und ihres wirtschaftlichen Erfolges heute vielfach als Model Minority, die den „amerikanischen Traum“ exemplarisch zu realisieren vermochte. Das nachfolgende Kapitel soll die Geschichte und die aktuelle Situation der Asiaten in den USA aufzeigen und das Bild der Model Minority einer kritischen Prüfung unterziehen.

Hans Dieter Laux, Günter Thieme (†)
15. USA regional: Der „Alte Süden“

Vielen US-amerikanischen Besucherinnen und Besuchern mutet die kulturelle Vielgestaltigkeit Europas wie ein nostalgisches Relikt aus längst vergangenen Tagen an. Dass man in Europa über kurze Distanz mehrere Sprachgrenzen überqueren kann, religiös-konfessionelle Überlieferungen sich auf kleinem Raum mehrmals ändern und nationalstaatliche Sonderwege sich trotz einer Regulierungspolitik aus Brüssel in der Kulturlandschaft mit spezifischen Eigenschaften abbilden, erfahren US-Bürgerinnen und -Bürger als intensiven Kontrast zur Weitläufigkeit, die den nordamerikanischen Kontinent, insbesondere in seinen zentralen Ebenen, mit nur relativ wenigen Nuancen überzieht. Monotonie kennzeichnet in gewisser Weise auch die materiellen Grundlagen der US-amerikanischen Alltagskultur – von immer gleichen Elementen der automobilen Leitbilder über baugleiche Versatzstücke der Wohnkultur bis zu den praktisch identischen Gestaltungsprinzipien der kommerzialisierten Stadtlandschaften (vgl. Kap. 18 und 19). Dennoch erscheint es als Selbstverständlichkeit, dass ein Staat von so gewaltigen Ausmaßen wie die USA in unterschiedliche kulturelle Großregionen gegliedert werden kann; schon der historische Werdegang und die Besiedlungsphasen mündeten in der Herausbildung regionaler Differenzen und Besonderheiten. In vielen Fällen geschah dies unabhängig von dem ebenfalls starken Einfluss der einzelnen Bundesstaaten, die auf ihre Weise ein wichtiges Identifikationsmoment für die US-amerikanische Bevölkerung bildeten und bis heute bereitstellen. Wie positioniert sich in diesem Kontext der Süden der USA und worauf gründet sich die soziale wie kulturelle Sonderstellung, die dieser Großregion der USA gemeinhin zugestanden wird? Wieso spricht man vom „Alten Süden“ und was ist mit dem „neuen“ gemeint?

Werner Gamerith

In Städten leben – die urbane Gesellschaft

Frontmatter
16. In Städten leben – die urbane Gesellschaft

Mit einem Urbanisierungsgrad von 82 % zählen die USA zu den weltweit am stärksten verstädterten Gesellschaften. Nur wenige andere Staaten, darunter selbstverständlich die Stadtstaaten wie Singapur oder Monaco, aber auch einige europäische und lateinamerikanische Länder, weisen noch höhere Werte auf. Bereits seit den 1920er-Jahren wohnen in den USA mehr Menschen in Städten als auf dem Lande – und dies, obwohl sich seit der Gründungszeit und der Loslösung vom kolonialen Mutterland ein tief verankertes, ideologisch motiviertes Misstrauen gegenüber Städten offenbarte, das auch vom Gründungsvater und dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten, Thomas Jefferson, genährt wurde. So vertrat er die Vision von Amerika als einer Republik „tugendhafter Farmer“, in der auch die Ablehnung organisatorisch notwendiger Autoritätsstrukturen zum Ausdruck kam.

Ulrike Gerhard, Werner Gamerith
17. „From New York to L.A.“: Aufstieg, Blüte und Krise der US-amerikanischen Stadt

Es ist das weite Land mit seinen unermesslich erscheinenden Distanzen, das von außerhalb oft als das charakteristischste Erscheinungsbild der USA erachtet wird und das auch die amerikanische Bevölkerung selbst als tragendes Fundament ihrer Gesellschaft wahrnimmt (vgl. Kap. 3). „The Land“ – ob konkret als „ranch land“, „farm land“ oder Immobilienbesitz, oder symbolisch als Wegmarke der nach Westen vordringenden Siedlungsexpansion – besitzt einen besonderen sozialen Stellenwert und wird bei vielen Gelegenheiten als konstitutiv für das US-amerikanische Selbstverständnis gefeiert und bisweilen moralisch regelrecht überhöht dargestellt. Das Wohnen auf dem eigenen Stück Land gilt als anerkannter Standard, und die klaren Demarkationen auch scheinbar ungenutzten Territoriums („wilderness“) unterstreichen diese Einstellung ebenso wie die alltagssprachliche Verwendung von „land“ bis in den städtischen Kontext hinein: So ist etwa der Vermieter oder Hausbesitzer bis heute ein „landlord“ geblieben. Diese emotionale Nähe zu Land, ländlichem Raum und auch das daraus ableitbare Bemühen, die Natur zu bewahren und zu schützen, läuft seit mindestens eineinhalb Jahrhunderten konträr zur Lebenswelt der Amerikanerinnen und Amerikaner, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch sich immer weiter ausdehnende Städte und Stadtlandschaften geprägt wird, in denen bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt. Die Urbanisierung, also das Wachstum der Städte in Zahl und Fläche, hat Amerika grundlegend transformiert und dem Mythos von „land“ (und „real estate“, also dem „wirklichen, echten Vermögen“) eine komplementäre Welt der Stadt hinzugefügt, die ihrerseits das Bild der USA so erfolgreich steuert, dass oft von einem „Stadtland“ USA die Rede ist. Allerdings ist der Boom dieses „Stadtlands“ mancherorts schon seit längerer Zeit an seine Grenzen gelangt, und in vielerlei Hinsicht sind Amerikas Städte mit Krisen konfrontiert und vom Niedergang betroffen. Wo liegen die eigentlichen Entwicklungsmotoren der Städte, wo die aktuellen Herausforderungen und Strukturprobleme, die das Bild vieler Städte prägen? In diesem Kapitel wird ein Überblick über die Anfänge der Stadtentwicklung in den USA gegeben, der Boom der Industriestadt zur American Metropolis beschrieben und die aktuellen Wandlungen im Kontext von Postfordismus und Postmoderne analysiert, bevor einzelne aktuelle Entwicklungsmuster in den Folgekapiteln weiter vertieft werden.

Ulrike Gerhard, Werner Gamerith
18. Suburban Worlds

Die USA sind ein hochgradig verstädtertes Land, ein Land der Großstädte und Metropolen (Kap. 17): New York, Los Angeles oder Chicago rufen ihre eigene Ikonographie von Wolkenkratzern und Menschenmengen hervor. Dabei gerät jedoch leicht aus dem Blick, dass diese Metropolregionen längst überwiegend aus Vorstädten bestehen, die wenig gemein haben mit den Kernstädten und ihren Downtowns. Ihre Bauformen sind nicht wie die Straßenschluchten Manhattans, ihr städtisches Leben hat nichts von der Urbanität innerstädtischer Viertel San Franciscos. Mehr als die Hälfte der US-Bevölkerung lebt inzwischen in solchen suburbs, in politisch eigenständigen Kommunen außerhalb der Kernstädte. Aber auch aus einem breiteren, multiperspektivischen Begriffsverständnis heraus ist Suburbia schon lange zur Normalform „städtischen“ Lebens in den USA geworden: Die USA insgesamt sind eine durch und durch suburbane Nation. In diesem Beitrag wird Suburbia nicht als ein quasi-natürlich entstandener, physischer Stadtraum verstanden, sondern als das Ergebnis sozialer und kultureller (und damit auch politischer) Praktiken, auf die historisch kontingente, sozial und kulturell vermittelte Deutungen und Wertvorstellungen von Stadt und Suburbia einwirken. Denn: „[S]uburbia is the site of promises, dreams, and fantasies. It is a landscape of the imagination where Americans situate ambitions for upward mobility and economic security, ideals about freedom and private property, and longings for social harmony and spiritual uplift“. Im Folgenden wird dargelegt, wie die USA zu einer suburbanen Nation wurden, welche Faktoren dies maßgeblich beeinflusst haben und welche Wandlungen Suburbia in jüngerer Zeit erfahren hat.

Ludger Basten
19. Reurbanisierung – mehr als ein neoliberaler Diskurs

Lange Zeit galten die US-amerikanischen Innenstädte als wenig attraktiv. Die „Downtown“ wurde entweder als unwirtlicher Bürostandort oder als gefährliches Ghetto angesehen, das durch baulichen Verfall und schleichende Abwanderung gekennzeichnet ist, kaum aber als ein Ort, an dem sich Geschichte, Kultur und Urbanität finden lassen würden. Ursache dafür war neben der im Vergleich zur „Alten Welt“ spät einsetzenden Urbanisierung (Kap. 17) der Prozess der Suburbanisierung (Kap. 18), also die Abwanderung eines Großteils der (zahlungskräftigen) Bevölkerung aus den Innenstädten in die kontinuierlich wachsenden Vororte. Dieser Trend ist seit Jahrzehnten zu beobachten und hält auch heute noch größtenteils an. Dennoch ist bereits seit den 1970er-Jahren, verstärkt aber in den letzten zwei Dekaden eine weitere Entwicklung festzustellen, die sich in einer regen Bautätigkeit in den Innenstädten, einer Aufwertung von (öffentlichen) Plätzen, dem Anstieg von Mieten sowie Bevölkerungsveränderungen in den innerstädtischen Bereichen ausdrückt und als eine „Renaissance der Innenstädte“ oder „Reurbanisierung“ beschrieben werden kann. Inwiefern es sich dabei um eine wirkliche Kehrtwende, einen nachhaltigen Trend, eine quantitativ nachweisbare oder auch erstrebenswerte Attraktivitätssteigerung der Innenstädte handelt, soll im folgenden Kapitel analysiert werden.

Ulrike Gerhard
20. Ghetto-Diskurse

Wie in allen kapitalistischen Gesellschaften existieren auch in den USA neben einem scheinbar unermesslichen Reichtum auf der einen Seite – bzw. gerade deswegen – große Bevölkerungsgruppen, die in bitterer Armut leben. Häufig handelt es sich dabei um Gruppen, deren katastrophale ökonomische Lage durch den vorherrschenden Rassismus hervorgebracht und legitimiert wird. Dies betrifft insbesondere die afroamerikanische Bevölkerung, Latinas und Latinos sowie Native Americans. Unter Rassismus fassen wir Diskurse und Praktiken, die Menschen und Gruppen „als Mängelwesen konstruieren“, um auf diese Weise ihren gesellschaftlichen Ausschluss zu organisieren und zu legitimieren.In diesem Kapitel wird anhand zweier Beispiele dargestellt, wie die Begriffe „Slum“ und „Ghetto“ verwendet werden. Die Begriffe fungieren dabei sowohl als Beschreibung für die räumliche Form, in der der Ausschluss großer Teile der ökonomisch und rassistisch Ausgeschlossenen organisiert ist, als auch als ideologische Legitimierung der moralisierenden Schuldzuschreibungen an die dort Wohnenden. Zentral ist dabei, dass beides stets umkämpft ist.

Bernd Belina, Sabine Horlitz
21. Reflection: Black Ghettoization and Marginalization – The Recent U.S. Experience

U.S. cities in 2016 continue to be haunted by the specter of isolated and disadvantaged African American ghettos. These spaces today exhibit deepened poverty and physical decay, struggling public schools, and heightened stigma. This current trend is exemplified in the likes of Cleveland’s Hough and Kinsman, Chicago’s sprawling South Side Black Belt, Los Angeles’s Watts, and New York’s Bedford Stuyvesant. Set in the shadows of spruced up downtowns and gentrified neighborhoods, these communities feel the ills of systematic neglect. While a new spit-and-polish uneven development provides shiny new “creative-class” residential and play zones, poor black communities are pushed to the margins as undeserving and culturally problematic. As I have suggested elsewhere, we can now think of a new kind of low-income terrain having formed in these cities, what I describe shortly as “glocal ghettos”.

David Wilson, Matthew Wilson
22. Die Renaissance öffentlicher Räume – inszeniert und reglementiert

Öffentliche Räume besitzen in US-amerikanischen Städten aufgrund der spezifischen historischen und kulturellen Entwicklung der USA einen anderen Stellenwert als in mitteleuropäischen Städten. Aufgrund einer hohen Autoorientierung mit einer dispersen und entmischten Siedlungsstruktur ist die amerikanische Gesellschaft stärker auf den Innenraum als auf den Außenraum ausgerichtet – sei es auf das Heim und den Garten, sei es auf das Auto oder auf die geschlossene Shopping Mall. Zudem werden unerwünschte Personen auch in Folge neuer städtebaulicher Instrumente wie etwa Business Improvement Districts häufig ausgegrenzt. Durch den Trend zur Erlebnisgesellschaft ist allerdings in jüngerer Zeit ein Bedeutungsgewinn von urbanen Räumen zu beobachten, die die klassischen öffentlichen Plätze hinsichtlich Gestaltung und gesellschaftlicher Verhaltensweisen nachahmen. Ihnen fehlen jedoch bestimmte konstituierende Eigenschaften und Merkmale, wie in dem folgenden Beitrag dargestellt werden soll.

Claus-Christian Wiegandt
23. Mobilität und die amerikanische Stadt

Seit knapp einem Jahrhundert dominiert das Automobil die Straßen US-amerikanischer Städte. Diese fast vollständige Motorisierung ist als komplexer Prozess mit beträchtlichen sozialen und städtebaulichen Konsequenzen zu betrachten. Allerdings scheint die Motorisierung in den letzten Jahren einen Sättigungspunkt erreicht zu haben, der sogar zu einem möglichen leichten Rückgang überleitet, denn vielerorts werden Straßenbahnen und Fahrradnetze gebaut und auch die Popularität des Zugfahrens nimmt zu. Dennoch kann die Förderung alternativer Verkehrsmittel durch einzelne Städte und Regionen nicht darüber hinwegtäuschen, dass andernorts auch heute noch eine starre Fokussierung auf das Auto besteht.

Gregg Culver
24. USA regional: Die Galerien ziehen weiter – die New Yorker Kunstszene als Stadtentwickler

In New York befinden sich fast doppelt so viele Galerien wie in Paris oder London und fast 15-mal so viele wie in Berlin. Auch in anderen Bereichen des kreativen Sektors wie visueller Kunst, Musik, Mode und Werbung sind die in New York getätigten Umsätze und die Zahl der Beschäftigten außergewöhnlich hoch. Während die Bedeutung New Yorks als globales Finanzzentrum und Standort von Headquarters bei näherer Betrachtung oftmals überschätzt wird, wird der kreative Sektor häufig unterschätzt, obwohl insbesondere der Kunstsektor mit einigen der weltweit besten Museen, nahezu 2000 Galerien, großen Kunstmessen, führenden Auktionshäusern, Hundertausenden Beschäftigten und jährlichen Umsätzen von mehreren Milliarden US$ eine globale Spitzenstellung einnimmt (www.blouinartinfo.com).Museen und Galerien fungieren als Mittler zwischen Kunstschaffenden und Konsumenten. Während die Standorte von Museen aufgrund der großen Investitionssumme langfristig stabil sind, verlagern Galerien ihre Standorte häufig in Abhängigkeit von Mietpreisen, Flächenangebot oder weil bestimmte Viertel als „in“ oder „out“ gelten. In New York haben sich oft binnen weniger Jahre neue Cluster mit Dutzenden oder sogar Hunderten von Galerien gebildet, während gleichzeitig die alten Standorte komplett aufgegeben wurden. Aber warum ziehen die Galerien so oft weiter, welche Standorte bevorzugen sie und wie haben sie einzelne neighborhoods verändert?

Barbara Hahn

Die US-amerikanische Wirtschaft im Wandel

Frontmatter
25. Die US-amerikanische Wirtschaft im Wandel

Lange Zeit galt die Wirtschaftsmacht USA als Schrittmacher der Weltwirtschaft. Hochkonjunktur und Rezession in Amerika traten mit einer gewissen Verzögerung auch in anderen Weltregionen in Erscheinung. Die US-amerikanische Wirtschaft befindet sich seit mehreren Jahrzehnten allerdings in einem tief greifenden Transformationsprozess, der die ehemals führende Funktion der USA in wirtschaftlichen Belangen, insbesondere im produzierenden Sektor, zunehmend relativiert. Mit der Industrialisierung seit dem späten 19. Jahrhundert hatte die US-Wirtschaft noch einen beispiellosen Boom erlebt, der die USA zur wirtschaftsstärksten Weltmacht werden ließ. Diese Erfolgsgeschichte war vor allem den Städten zu verdanken. Dies gilt in Teilen oder bestimmten Branchen auch heute noch; so erreicht das BSP einzelner Metropolregionen allein schon größere Werte als die gesamte Wirtschaftskraft so mancher souveräner Staaten, und einige US-Multis sind mächtiger als kleine oder mittelgroße Staaten.

Ulrike Gerhard, Werner Gamerith
26. Reindustrialisierung der US-amerikanischen Wirtschaft

„Our first priority is making America a magnet for new jobs and manufacturing.“(Präsident Barack Obama, State of the Union Address, 13. Februar 2013)In den USA hat die Industrie seit Mitte des 20. Jahrhunderts kontinuierlich zugunsten des tertiären Sektors an Bedeutung verloren, da das produzierende Gewerbe zunehmend in das Ausland verlagert oder Industrie- und Haushaltswaren von dort importiert wurden. Mit der steigenden Einfuhr von Verbrauchsgütern bei gleichzeitig sinkenden Exporten und dem Outsourcing der Produktion in Länder mit niedrigeren Lohnkosten waren ein Arbeitsplatzverlust in den USA und ein seit 1976 steigendes Außenhandelsdefizit verbunden, das 2006 mit 763 Mrd. US$ das Maximum erreichte. China hat sich seit Beginn der 1980er Jahre zum global größten Produzenten entwickelt und ist für schätzungsweise 44 % der in den USA von 1990 bis 2000 verloren gegangenen Industriearbeitsplätze verantwortlich. 2009, im Jahr des Amtsantritts von Präsident Obama, erreichte die Arbeitslosenquote mit 10,2 % den höchsten Wert seit 26 Jahren. Das große Außenhandelsdefizit und die hohe Arbeitslosenquote veranlassten Barack Obama, die Industriepolitik des Landes zu überdenken. Aufgrund staatlicher Förderung und guter Rahmenbedingungen erlebte das produzierende Gewerbe in den USA in den folgenden Jahren einen Aufschwung. Die Voraussetzungen für eine sogenannte Reindustrialisierung waren aus mehreren Gründen hervorragend.

Barbara Hahn
27. Hightech-Regionen: Silicon Valley & Beyond

Der Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft wirkt sich auch auf die wirtschaftlichen Strukturen und Spezialisierungen der US-amerikanischen Städte und Regionen aus. Gehörten Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts beispielsweise Detroit und Cleveland aufgrund der zu dieser Zeit prosperierenden Industrien wie etwa der Automobil- und der Stahlindustrie zu den wirtschaftlichen Zentren der USA, so sind es heute jene Regionen, die durch wissensintensive Branchen wie z. B. der Computer- und Elektronikindustrie geprägt sind. Zu nennen ist insbesondere das kalifornische Silicon Valley, ein Tal, das sich von San Francisco südöstlich Richtung Palo Alto sowie San José erstreckt. Silicon Valley gilt als Paradebeispiel eines Hightech-Clusters, der für die räumliche Konzentration von Firmen, Universitäten, Risikokapitalgebern etc. bekannt ist. Es gibt aber auch etliche andere US-amerikanische Städte und Regionen, die ebenfalls den Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft vollzogen haben und sich erfolgreich als Hightech-Regionen etablieren konnten. Trotz etlicher wirtschaftlicher Krisen in den vergangenen zwölf bis 15 Jahren stehen diese Hightech-Cluster immer noch für unternehmerische Dynamik und Innovation.

Heike Mayer
28. Reflection: Greening Economies

For a generation governments, non-governmental organizations, and publics around the world have viewed United States as a laggard in contributing to global sustainable development agenda. For many, the US has failed to take a stance or provide any reasonable leadership on issues of sustainable development; indeed it has taken a negative stance rather than even staying neutral in global policy debates. In recent years, this has begun to change, albeit indirectly. Moreover, the actions taken by the US government, firms, and urban developers cannot claim to be “sustainable” in terms of the famous Brundtland tripartite. Rather, the US’s efforts can be seen as “economic greening”. In this chapter, I explore three key “greening” themes that have gained traction in the US in recent years. Each of these efforts, urban regeneration, national policies and investments for promoting the green economy, and clean tech clusters, represent the diverse and often contradictory culture of American politics.

Robert Krueger
29. USA regional: Phoenix – Wirtschaftsboom im Wettstreit mit der Natur

Technologie und Gestaltungswille haben in der Erschließung des US-amerikanischen Westens dabei geholfen, naturräumliche Grenzen des Wirtschaftsbooms und der Stadtentwicklung stets neu zu überwinden. Wohl keine andere Stadt der USA bezeugt dies deutlicher als Phoenix, auch wenn Los Angeles oder Las Vegas im Allgemeinen die bekannteren Beispiele sein mögen. Inmitten der Sonora-Wüste befindet sich eine der am schnellsten wachsenden US-Städte, die eine auf Individualverkehr bauende ausufernde Stadtentwicklung der USA idealtypisch verkörpert und viele der drängenden Umweltprobleme der Urbanisierung auf sich vereint: ungebremster Anstieg der Flächenversiegelung und des urbanen Wasserverbrauchs, flächenhafte Schaffung künstlicher Stadtökosysteme, Luftverschmutzung und thermische Belastung der Stadtbewohner. Der Beitrag analysiert einige dieser Schattenseiten, die mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und dem damit einhergehenden Wachstum der Städte insbesondere im US-amerikanischen Sunbelt verbunden sind, und zeigt Perspektiven für die zukünftige Entwicklung auf.

Angela Hof
30. Zwischen Boom und Bust: Die US-amerikanische Immobilienwirtschaft als Wirtschaftsbarometer

Die baulich-räumliche Entwicklung der USA unterlag in den letzten 60 Jahren weitreichenden Veränderungen, die mit einer Abfolge von Aufstieg und Niedergang der Städte verbunden war (vgl. Kap. 17). Sozialpolitisch hatte diese Entwicklung Sprengkraft, denn die Flucht der weißen Mittel- und Oberschicht aus den Städten ins suburbane Eigenheim hatte in der Nachkriegszeit verarmte Kernstädte zur Folge, in denen Minderheiten mit verschlechterten Infrastrukturbedingungen zu kämpfen hatten. Ab den 1990er-Jahren bis zur Finanzkrise 2008 erlebten einige, aber nicht alle Städte wieder einen Boom, der damit in Zusammenhang steht, dass Eigenheimhypotheken einfach zu erhalten waren. Wer von diesen Entwicklungen profitierte, war und ist die Bau- und Immobilienindustrie sowie der Finanzsektor. Im Folgenden soll die Entwicklung des Immobiliensektors vor dem Hintergrund ökonomischer und politischer Prozesse in den USA betrachtet werden. Dabei zeigt sich, dass die räumlich sehr ungleiche Entwicklung in den USA ein Ergebnis wirtschaftlicher Entwicklungen, aber vor allem politischer Interventionen war und ist. Diese Interventionen strukturier(t)en zu einem hohen Maße die baulichen Prozesse.Im Folgenden sollen zunächst die räumlichen Muster der Siedlungsentwicklung, die sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ergaben, skizziert werden. Anschließend werden die Veränderungen seit den 1970er Jahren im Zusammenhang mit Deindustrialisierung und dem Wachstum neuer Industrien dargestellt. Darauf aufbauend werden die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen analysiert, die zur Finanzkrise und einer historisch bisher unbekannten Anzahl an zwangsversteigerten Häusern führten.

Susanne Heeg, Christina Reithmeier
31. Megafarming und Agrobusiness

Mit einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt der USA von nur etwa 1 % erscheint die Landwirtschaft nahezu bedeutungslos. Sie ist jedoch eng mit anderen Wirtschaftszweigen verflochten, bezieht Vorleistungen wie Landmaschinen, Futtermittel, Saatgut oder Dünger, nimmt diverse Dienstleistungen in Anspruch und dient als Zulieferer für die weiterverarbeitende Industrie (Schlachtereien, Molkereien, Getreidemühlen). Bezieht man diese Verflechtungen mit vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen ein, bildet sie in ländlich geprägten Regionen vielfach eine unentbehrliche wirtschaftliche Basis. Als größter Flächennutzer hat sie im ländlichen Raum landschaftsprägende Wirkung. Die Landwirtschaft der USA gehört bei einigen Produkten (z. B. Weizen, Baumwolle, Sojabohnen, Schweine-, Hühner- und Putenfleisch) zu den weltgrößten Exporteuren, sodass sie auch enorme handelspolitische Bedeutung besitzt. Die US-Landwirtschaft fungierte in vielen Bereichen als Vorreiter der technologischen Entwicklung, beispielsweise bei der Konzeption von Erntemaschinen oder auch bei organisatorischen Neuerungen wie dem Aufbau vertikal integrierter agrarindustrieller Unternehmen, wie sie später auch in Europa aufgekommen sind. Gegenwärtig zeigt sich die Bereitschaft der US-Landwirtschaft, Neuerungen einzusetzen, in der weit verbreiteten Anwendung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen (GVO). So betrugen im Jahr 2014 die Flächenanteile von GVO-Pflanzen bei Baumwolle bemerkenswerte 96 %, bei Sojabohnen 94 % und bei Mais 93 %Aufgrund ihrer weltwirtschaftlichen Verflechtung, ihrer technologischen Ausstrahlung auf andere Regionen und ihrer außerordentlich vielfältigen Strukturen lohnt sich eine Betrachtung der Landwirtschaft der USA auch aus geographischer Sicht.

Werner Klohn

Die USA – Zentrum oder Peripherie?

Frontmatter
32. Die USA – Zentrum oder Peripherie?

Zentrum und Peripherie bilden zwei elementare Begriffe in der Geographie, da sie sowohl räumliche Lagebeziehungen ausdrücken und somit in vielen geographischen Modellen verwendet werden als auch relationale Verhältnisse in sozialer, kultureller, ökonomischer oder ökologischer Perspektive abbilden. Sie beziehen sich deshalb nicht nur auf Räumlichkeit, sondern sind auch als Machtrelation, Abhängigkeitsparameter oder Beziehungsmuster zu verstehen, die etwas über Standpunkt, Wahrnehmung und Selbstreflexion – in diesem Fall der USA – vermitteln. Personen in einem Zentrum, das per se nicht unbedingt räumlich verstanden werden muss, verfügen über bestimmte Instrumente, mit denen sie Menschen an der Peripherie prägen, steuern, bewegen oder sogar dominieren, wie zum Beispiel für das US-amerikanische Ghetto aufgezeigt hat. Doch auch am „Rand“ der Gesellschaft finden sich Chancen und Möglichkeiten, in die Hierarchie zwischen Zentrum und Peripherie einzugreifen, sich zum Beispiel durch Netzwerke zu organisieren und damit Nachteile der Peripherie auszugleichen.

Ulrike Gerhard, Werner Gamerith
33. Die Verletzbarkeit der demokratischen Sphäre: Geopolitik und außenpolitisches Denken der USA

Die im 20. Jahrhundert dominante außenpolitische Strömung der USA war der demokratische Internationalismus (oder „Wilsonianismus“), der im Unterschied zur klassischen Geopolitik räumliche Begrenzungen in der Außenpolitik überwinden will. Er strebt eine Universalisierung der Sphäre der Freiheit an („eine Welt“), wofür die USA seit ihrer Gründung standen. Im 19. Jahrhundert hatten sich die USA zunächst auf die Konsolidierung ihres eigenen Territoriums konzentriert („Isolation“). Seit 1941 dominierten aufgrund der Reichweite moderner Waffen, der Furcht vor Unterwanderung durch „fünfte Kolonnen“ und neuer außenpolitischer Herausforderungen wie im „Krieg gegen den Terror“ Szenarien einer strategischen Verletzbarkeit der freiheitlichen Sphäre.

Philipp Gassert
34. Natur und Umwelt in den USA – ein ambivalentes Verhältnis

Zu den stereotypen Bildern über die USA zählt es, als globaler Umweltsünder Nr. 1 am Pranger zu stehen. Dies wurde mit der hartnäckigen Weigerung, dem Kyoto-Protokoll beizutreten, dem anderswo kritisch gesehenen Adaptieren neuer Technologien wie dem Fracking und einem nach wie vor hohen Ressourcenverbrauch augenscheinlich bestätigt. Und tatsächlich geht laut des in Washington veröffentlichten Berichts des US-amerikanischen Umweltinstitutes Worldwatch ein Viertel des weltweiten Konsums fossiler Ressourcen auf das Konto der US-Amerikaner, die gleichzeitig jedoch nur 5 % der Weltbevölkerung stellen

Rüdiger Glaser, Elke Schliermann-Kraus
35. Reflection: American Imperialism

In July, 2013, Samantha Power appeared before the U.S. Senate Foreign Relations Committee. The Committee was considering whether Power should be confirmed as the U.S. Ambassador to the United Nations. She was perhaps most famous outside the United States as the author of “A Problem from Hell”: America and the Age of Genocide, an excoriating attack on America’s inaction in the face of atrocity. At the hearing, Representative Ron Johnson of Wisconsin pounced, quoting Power as having once called the U.S. the “most important empire in the history of mankind.” He was incredulous: “Do you believe America is an empire?” he asked, implying that the very idea was unthinkable. Power shook her head no, and said: “I believe that we are a great – a great and strong and powerful country, and the most powerful country in the world. Also the most inspirational.” Empire, she said, “is probably not a word choice that I would use today … ”

Don Mitchell
36. Populäre Kulturen – Made in the USA: Zur Erfolgsgeschichte amerikanischer Fernsehserien im 21. Jahrhundert

Auch wenn den USA schon seit geraumer Zeit vorhergesagt wird, dass ihre Vormachtstellung im Bereich des Kulturimports im Zeitalter der Globalisierung geringer würde, zeigen bestimmte Felder kultureller Produktion in Amerika einen dieser These entgegensetzten Trend. Dies trifft neben wesentlichen Zweigen der Musikindustrie prominent auf die in Amerika produzierten Fernsehserien und speziell auf den Bereich des so genannten „Quality-TV“ zu. Die Erfolgsgeschichte populärer Kultur aus Amerika in anderen Kontinenten lässt sich am Beispiel der Fernsehserie durch zwei wesentlichen Mechanismen erklären: erstens durch die Verbindung von nationalen und globalen Zuschauergruppen und sowie zweitens durch die Überblendung von wirtschaftlichen, gewinnorientierten Vermarktungsstrategien mit dem Anspruch ästhetischer und bildungsbürgerlicher Distinktion, wie er beispielsweise noch im 19. Jahrhundert mit dem Gesellschaftsroman oder der Oper in Verbindung gebracht wurde. Der Diskurs um amerikanische Fernsehserien seit den späten 1990er-Jahren spiegelt in diesem Sinne einen strukturellen Wandel auf dem Feld der amerikanischen Kultur, in der nationale und globale, populär- und hochkulturelle Analyse- und Rezeptionskategorien ineinander übergehen.

Philipp Löffler
37. Ground Zero Fiction: Literarische Erinnerungen an 9/11

Auch anderthalb Jahrzehnte nach den Terroranschlägen auf New York und Washington hat 9 und 11 nichts von seiner weitreichenden kulturellen Wirkmacht verloren. Zu diesem kulturellen Gedächtnis leistet die amerikanische Literatur einen bedeutenden Beitrag: Hunderte Romane befassen sich seit 2001 mit den direkten und indirekten Auswirkungen der Angriffe. Während visuelle und dokumentarische Darstellungen recht bald an die Grenzen von Ethik und Repräsentation stießen und weit verbreitete Diskurse von kollektivem Trauma oder einem „Tag, der alles veränderte“ für bestimmte politische Ideologien instrumentalisiert wurden, zeigt die fiktionale Auseinandersetzung mit dem Thema ein breites Spektrum künstlerischer Möglichkeiten. Diese Literatur, die man mit dem Begriff der „Ground Zero Fiction“ treffend beschreiben kann, eignet sich damit hervorragend als Diagnoseinstrument zeitgeschichtlicher, politischer und wirtschaftlicher Zusammenhänge.

Birgit Däwes
38. US regional: The US Policing Crisis and Urban Redevelopment: Tracing the Links in New York

Raw video footage of police aggression circulating online has ignited debates in the US about race and policing with intensity levels not seen in half a century. Digital videos of racialized confrontations in Cincinnati, Prairie View and McKinney, Texas, Baltimore, North Charleston, South Carolina, Cleveland, Ferguson, Missouri, and Staten Island, New York City have prompted mass demonstrations across the country, and widespread demands for reform in police departments. But while critics shed light on the role race plays in police violence, the role of political economy is often neglected. Consequently, many underlying structures of racialized police brutality remain unexamined in public discussions, and demands for reform only scratch the surface of a problem much deeper and complex than video images suggest.The purpose of this chapter is to highlight the role of urban political economy in the present policing crises. Focusing on the New York Police Department (NYPD), the chapter illustrates how these crises are partial products of wider urban redevelopment schemes in the late-1980s and early-1990s ( Kap. 19). The chapter lays stress on the fact that the hyperaggressive policing of devalued groups like poor blacks was in many ways shaped by private actors vested in redeveloping the city in the in the last decades. It follows that a comprehensive understanding of racialized police brutality must take into account the deep connections between the political economic system and law enforcement.

Brian Jordan Jefferson
39. Epilog

Seit der Konzeption dieses Buches bis zu seiner Fertigstellung sind fast drei Jahre vergangen. Viele hunderte Emails sind geschrieben worden, Daten wurden ausgetauscht, analysiert und diskutiert, Ideen formuliert, wieder verworfen oder weiterentwickelt. Denn in dieser Zeit haben sich auch Kultur, Gesellschaft und Politik der USA weiter verändert, und die politische Landkarte der USA sieht heute anders aus als noch vor vier oder acht Jahren: Nach einem vielerorts, vor allem auch im Ausland beliebten Präsidenten Barack Obama – dem ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA – wurde im November 2016 der politische Neuling Donald Trump zum 45. Präsidenten gewählt, der, für viele überraschend, das Mainstream-Amerika zu verkörpern scheint und den nicht nur deutsche Medien lange Zeit eher als Witzfigur oder politisches Schreckgespenst wahrgenommen haben denn als ernstzunehmenden Präsidentschaftskandidaten der Weltmacht USA. Ist dieses Buch durch diesen politischen Wandel überholt oder weniger aktuell geworden?

Ulrike Gerhard, Werner Gamerith
Metadata
Title
Kulturgeographie der USA
Editors
Prof. Dr. Werner Gamerith
Prof. Dr. Ulrike Gerhard
Copyright Year
2017
Publisher
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-48238-4
Print ISBN
978-3-662-48237-7
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-48238-4