Wenn es um die Kundenbindung geht, wird oft auf eine Faustformel verwiesen: Einen Neukunden zu akquirieren ist fünfmal so teuer, als einen Bestandskunden zu halten. Warum ist das so? fragt sich Gastautor Philip Rürup.
Obwohl Verbraucher mehr Geld in der Tasche haben, zahlen viele unpünktlich oder manchmal auch gar nicht ihre Rechnungen.
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Bestandskunden bringen Geld, Neukunden wiederum bringen zunächst Kosten. Potenzielle neue Kunden gilt es mit viel Aufwand zu umwerben. Mit treuen Bestandskunden gibt es hingegen bereits eine funktionierende Beziehung. Sie kaufen tendenziell öfter und sind meist auch weniger preissensibel. Loyale Stammkunden sind auf lange Sicht gesehen also in jedem Fall profitabler und sorgen zugleich für eine höhere Planungssicherheit. Diesen Umständen sind sich mittlerweile immer mehr Unternehmen bewusst. Vertriebs- und Marketingmanager rücken enger zusammen, da der persönliche Kontakt innerhalb der Customer Journey nicht mehr unbedingt üblich ist.
Dass eine Kaufentscheidung gefällt wird, ohne je mit einem Vertriebsmitarbeiter gesprochen zu haben, ist nicht mehr so selten. Umso wichtiger ist es, neuen wie bestehenden Kunden entlang der gesamten Customer Journey ein positives Gefühl zu vermitteln. Diese positive Customer Experience zahlt letztlich auf die Kundenbindung ein. Eine negative Erfahrung wiegt selbst für Bestandskunden oft schwerer als eine positive, wie die nachfolgende Abbildung verdeutlicht:
Troy GmbH
Bedeutung der Kundenkontaktpunkte verstehen
Daher ist es wichtig zu verstehen, an welchen wichtigen Kontaktpunkten man mit Kunden interagiert – bewusst oder unbewusst. Doch selbst wenn sich Vertrieb und Marketing gemeinsam darauf konzentrieren, die bestehende Beziehung zu verbessern und die Loyalität weiter zu steigern, wird ein besonderer Touchpoint mit Bestandskunden selbst in der ausgefeiltesten Customer-Journey-Strategie oft übersehen: der Zahlungsrückstand.
Jeder zehnte Kunde zahlt nicht pünktlich
Denn sind Kunden erstmal säumig und sei es mit einer einzelnen Rate, endet die Customer Journey und aus Kunden werden Schuldner. Dabei ist das ein fataler Moment, denn statistisch sind Bestandskunden nur selten bewusst oder gern Schuldner. Laut Statistik des Bundesverbands deutscher Inkasso-Unternehmen zahlte zum Beispiel
- jeder zehnte Befragte nicht pünktlich aufgrund von Vergesslichkeit oder unvorhergesehen Lebensereignissen, wie dem Tod eines Angehörigen oder Krankheit.
- In zwei von drei Fällen sind solche und ähnliche Gründe oder
- ein vorübergehender finanzieller Engpass für eine nicht bezahlte Rechnung verantwortlich.
- Das bewusste Säumnis ohne Zahlungsabsicht hingegen ist selten.
Verständlicherweise ist den allermeisten Vertriebs- und Finanzabteilungen das Inkasso-Management ein Dorn im Auge. Keiner treibt gern Geld ein, und in aller Regel wird diese Leistung externen Dienstleistern überlassen. Das führt jedoch oft dazu, dass die dortigen Prozesse und die Kommunikation sich bürokratisch gestalten und für Kunden im schlimmsten Fall ein bedrohliches Gefühl entsteht. Kurz gesagt, das Gegenteil einer positiven Customer Experience, deren Ziel es eigentlich ist, Kunden an jedem Touchpoint spüren zu lassen, dass ihre Bedürfnisse im Vordergrund stehen.
Inkasso für die Kundenbindung nutzen
Dabei kann auch das Inkasso als Kundenbindungsinstrument verstanden werden. Wie an vielen Stellen des Kundenmanagements kann auch hier digital nachgebessert werden. So einfach jedoch das Ziel formuliert ist – Zahlung bewirken und gleichzeitig Kunden halten – so schwierig gestaltet sich die Umsetzung. Dabei kennen Unternehmen die wichtigste Voraussetzung für ein kundenorientiertes Forderungsmanagement bereits. Es ist das Wissen über ihre Kunden. Wenn man dieses im Marketing nutzt, um zu zeigen, dass man seine Kunden wertschätzt, wieso dann nicht auch im Inkasso? Smarte Tools basierend auf Künstlicher Intelligenz und Machine Learning können auch Inkasso mit Customer Experience verbinden.
Kontaktkanäle sorgsam auswählen
Bestes Beispiel ist die Kommunikation mit dem Kunden. Wieso jeden Kunden auf die gleiche Weise über das Säumnis informieren, wenn die Erfolgschancen viel höher sind, wenn ich auf die individuellen Kommunikations-Vorlieben der Kunden eingehe? Wenn der Kunde lieber Brief statt Mail nutzt, wozu dann eine Mail? Wenn der Kunde statt persönlichem Kontakt lieber Self-Service nutzen will, wieso nicht? Hier hilft smarte Technologie, den richtigen Weg zu finden. Ziel muss letztlich sein, dass Kommunikation ankommt. Das gilt nicht nur im Marketing.
Und noch etwas lässt sich vom Marketing abschauen, die richtige Wortwahl. Wozu Worte wie Schuld verwenden, wenn Sie bei jemanden, der schlicht vergessen hat zu zahlen, eine negative Atmosphäre schaffen? Wozu Kunden zu Schuldnern machen, wenn ich die Kunden halten will? Kunden bedroht man nicht, man gibt ihnen Hilfestellung und Orientierung.
KI-zentrierte Software wird bereits an vielen Stellen des Kundenmanagements eingesetzt. Das geht auch für Finanzprozesse wie das Forderungsmanagement. Denn ob ich einem Bestandskunden einen Loyalitäts-Rabatt gewähre oder ich ihm ein nettes Feedback gebe, wenn er gezahlt hat - beides wird als positives Erlebnis bei ihm abgespeichert.
Von ihren Bestandskunden leben die meisten Unternehmen. Deshalb sollte es kein "nice to have" sein, die Customer Experience ernst zu nehmen und auch bei Finanzprozessen wie dem Inkasso mitzudenken. Das schafft einen soliden Baustein für die Loyalität der eigenen Kunden. Selbst bei denen, die einmal die Rechnung vergessen haben.