Der Beitrag thematisiert Eckpunkte des automobilkritischen, sozialwissenschaftlichen Mobilitätsdiskurses der letzten drei Dekaden. Dabei stehen folgende Fragen im Zentrum: Mit welchen zentralen Konzepten hat die sozialwissenschaftliche Mobilitätsforschung einen echten Mehrwert für das Verständnis von Mobilität und deren Veränderbarkeit geschaffen? Was an dieser Forschung hat konzeptuell und begrifflich eine Wirkung in Richtung eines innovativen Verständnisses von Mobilität geschaffen, das dazu beiträgt, die Hegemonie des automobilen Leitbildes zu überwinden? Dabei wird zunächst die Diskussion um unterschiedliche Definitionen von Mobilität und Verkehr rekonstruiert. Es wird auf den bis heute wirkmächtigen Begriff der Verkehrswende eingegangen, ebenso auf den techniksoziologischen Schlüsselbegriff Rennreiselimousine. Mit den Konzepten der Mobilitätskultur und der Mobilitätsstile sowie Folgerungen hinsichtlich einer zukünftigen transdisziplinären, die materielle Dimension stärker einbeziehenden Mobilitätsforschung schließt der Beitrag.
1 Einleitung
„Die Risikogesellschaft ist eine katastrophale Gesellschaft. In ihr droht der Ausnahmezustand zum Normalzustand zu werden“, schreibt Ulrich Beck (1986, S. 31). Mit seinem Risikoverständnis stellt er ins Zentrum, was einst als „latente Nebenfolge“ der Modernisierung der Industriegesellschaft externalisiert und damit als „Um-Welt da draußen“ verharmlost werden konnte.
Nahezu vier Dekaden später erfahren wir in einer multiplen Krise von Corona, Krieg und Klimawandel, wie vorausschauend diese „projektive Gesellschaftstheorie“ war und ist. Der Krieg in der Ukraine und die erpresserische Energieverknappung durch den russischen Staat 2022 decken auf, dass die Energiekrise eigentlich nur verschleppt und verschleiert worden war. Sie entpuppt sich als eine über Jahrzehnte nicht wahrgenommene Nebenfolge einer Kette politischer Entscheidungen verschiedener Bundesregierungen, für die jetzt niemand wirklich die Verantwortung übernimmt. Eine von vielen Nebenfolgen der Nebenfolge ist die Kontroverse ums Automobil und ihre innenpolitische Instrumentalisierung. Wir erleben eine durchaus tatkräftige Politik, wenn es um das Erschließen neuer Energielieferanten und um das Schnüren von Hilfspaketen geht. Sobald es aber um das ressourcenverschleudernde Auto geht, werden Blockadepflöcke eingerammt. Der Komplex Automobilität wird nicht angetastet. Trotz Akzeptanz in der Bevölkerung ist es in Deutschland als einzigem europäischem Land politisch nicht möglich, eine energie- und emissionssparende allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen durchzusetzen. Wieder einmal wird – wie schon 1974 mit dem Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ – eine Freiheitsvorstellung bemüht, die sich am unbegrenzt schnellen Autofahren festmacht. Wieder wird Mobilität mit Automobilität und diese wiederum mit Freiheit gleichgesetzt. Eine Automobilität, deren Schadwirkungen nicht nur wissenschaftlich, sondern gesamtgesellschaftlich spürbar sind und die als „Nebenfolge der Nebenfolge“ externalisiert und verharmlost wird (ebda.). Aus der gewollten Massenmotorisierung der Wirtschaftswunderzeit ist eine ungeplante Massen-Übermotorisierung geworden, die verkehrlich dysfunktional und für den nicht mehr trennbaren Natur-Gesellschaft-Zusammenhang zerstörerisch geworden ist.1
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Zugleich wird mit „Nebenfolgen der Nebenfolgen“ benannt, wie die neuen Konflikte innerhalb der gesellschaftlichen Institutionen Turbulenzen erzeugen, Gewissheiten in Frage stellen und Gesellschaften von innen her politisieren (Beck 1996: S. 679).
Angesichts des Risikopotenzials der vorherrschenden Automobilität ist es naheliegend, dass sich die folgenden Ausführungen nicht auf das gesamte Feld der sozialwissenschaftlichen Mobilitätsforschung beziehen, sondern auf ausgewählte Beiträge, die sich der Überwindung und der kritischen Analyse des dominierenden soziotechnischen Systems Automobilität widmen.
Alle Konzepte, um die es nachfolgend geht, zeichnen sich durch Ganzheitlichkeit und durch Berücksichtigung der sozialen Dimension aus. Sie sind von der Überzeugung getragen, dass die Probleme von Mobilität und Verkehr nicht allein mit technischen, infrastrukturellen und regulativen Maßnahmen angegangen werden können.
Es geht also um die kritische Würdigung einer Auswahl sozialwissenschaftlicher Konzepte, die mit integrativem Blick häufig im Rahmen transdisziplinärer Projekte erarbeitet wurden (vgl. dazu Bergmann et al. 2010). Sie haben früh Erkenntnisse hervorgebracht, die deutlich machen, dass eine Kritik des Automobilismus nicht ohne Berücksichtigung sozialer, soziotechnischer, soziokultureller und gesamtgesellschaftlicher Faktoren auskommt. Allen Konzepten ist somit gemeinsam, dass die Mobilitätsproblematik mit einer auf gesellschaftliche Prozesse bezogenen Fragestellung bearbeitet wird, weiterhin, dass dieser Blick auf Mobilität und Gesellschaft ein kritischer ist, schließlich, dass die Konzepte einen entscheidenden Beitrag zur Erklärung bzw. zur Überwindung des kritisierten Mobilität-Gesellschaft-Zusammenhangs leisten. Dazu ist immer eine Überschreitung der Disziplingrenzen nötig.
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Als erstes wird auf das schon sehr früh entworfene Konzept und die Vision einer Verkehrswende eingegangen, danach auf den fruchtbaren Begriff „Rennreiselimousine“, der bis heute die Eckpunkte des Leitbildes privat nutzbarer Automobilität auf den Punkt bringt. Es handelt sich um ein Leitbild, das durch einen systemischen Mechanismus dazu in der Lage ist, Kritik zu verarbeiten und das Konzept der Rennreiselimousine immer wieder zu optimieren. Der dabei entstehende Komplex aus Technik, Akzeptanz und Institutionen wird von der System- bzw. Differenzierungstheorie als soziotechnisches System charakterisiert.
Bei den Konzepten, die sich auf Verkehrshandeln und Mobilitätsverhalten beziehen, sind die Erkenntnisse der Strukturierungs- bzw. Praxistheorie wichtig, die besagen, dass Praxisformen nur als Routinen ihre große Stabilität entfalten können (vgl. Giddens 1995) und dass diese routinemäßigen Mobilitätspraktiken in Alltagsarrangements eingebettet sind, die einen Routinebruch erst wahrscheinlich machen, wenn auch weitere Praktiken des Lebensumfelds jenseits des Verkehrshandelns in Frage gestellt und neu konstituiert werden (vgl. Stein et al. 2023, S. 8).
Dass Handeln im Verkehr mit differierenden Mobilitätsorientierungen (Götz und Sunderer 2020) und lebensstilspezifischen Einstellungen verbunden ist, belegt die Forschung zu Mobilitätsstilen empirisch. Abschließend wird auf das Konzept der Mobilitätskultur eingegangen, das – ähnlich wie die Praxistheorie – behauptet, dass materielle und symbolische, räumliche und diskursive Faktoren integrativ betrachtet werden müssen, wenn eine Transformation zu multioptionalen Mobilitätspraktiken möglich werden soll.
2 Zentrale Konzepte
2.1 Die Verkehrswende, die fast alle wollen
Die ökologische Kritik am Automobil beginnt in den 1970er-Jahren, als der Club of Rome in seiner Studie zu den Grenzen des Wachstums die giftigen Emissionen des Individualverkehrs in seine Zukunftsbetrachtungen miteinbezieht (Meadows et al. 1972). In das Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit gerät die Problematik jedoch erst in den 1980er-Jahren, als klar wird, dass Automobil-Abgase den sauren Regen mitverursachen, der das Waldsterben auslöst. Ein Gutachten des Umweltbundesamtes zum Nutzen einer Geschwindigkeitsbegrenzung und ein Beitrag von Franz Alt im Fernsehmagazin „Report“ zeigen, dass beim Thema Tempolimit ein Meinungsumschwung in Gang ist. In einer Emnid-Umfrage sprechen sich 66 % der Deutschen (Männer 58 %, Frauen 72 %) und 57 % der Autofahrer*innen für eine Geschwindigkeitsbegrenzung von einhundert (!) Stundenkilometern auf Autobahnen aus (Schöppner 1984). Um die damalige Diskussion zu verstehen, muss in Erinnerung gerufen werden, dass 1984 10.199 Menschen auf deutschen Straßen starben.2 „Mord und Totschlag“ hieß dann auch ein Teil einer Stuttgarter Ausstellung mit dem Titel „Alptraum Auto“, die mit aufrüttelnden Fotos und Texten eine Schadensbilanz des Automobils zieht (Katalog: Bode et al. 1986). Rund um die Kritik am Automobil entsteht in dieser Zeit ein Diskurs aus Wissenschaft, Praxis und Zivilgesellschaft, der heute transdisziplinär genannt werden würde. 1987 treffen sich in der Evangelischen Begegnungsstätte Hohenwart bei Pforzheim feministische Techniksoziolog*innen, Arbeiter*innen, Ökolog*innen, außerdem sind verkehrsplanerische, theologische, forstwissenschaftliche und weitere Kompetenzen vertreten. Auch Betriebsräte von Daimler und Opel sind dabei. Willi Hoss, der spätere grüne Bundestagsabgeordnete, ist zu dieser Zeit noch Mitglied der „Plakatgruppe“, einem Zusammenschluss oppositioneller Betriebsräte, die es sich herausnehmen, die ökologische, rüstungspolitische und Nazivergangenheits-Problematik des Daimler-Konzerns öffentlich anzusprechen und deshalb aus der IG-Metall ausgeschlossen werden. Die Veranstalter der Tagung, darunter der noch heute verkehrspolitisch aktive Jobst Kraus, nehmen den 100-jährigen Geburtstag des Automobils zum Anlass, ihm „nachdenkliche Grüße“ in Form einer radikalen Kritik zu senden (Kraus et al. 1987). Die Beiträge thematisieren ökologische Fragen ebenso wie Probleme der Menschenrechte und der sozialen Situation der Frauen in der Automobilindustrie. Es geht um Zwangsarbeit im Daimlerwerk 1944/45, um den Wiedereinstieg ins Rüstungsgeschäft, um Geschäfte mit dem Apartheitsstaat Südafrika und um die Arbeit am Fließband. Die Tagung bleibt aber nicht bei der Kritik des Automobilismus stehen, sondern zieht auch Schlüsse für ein zukunftsorientiertes Verkehrskonzept. In einem programmatischen Text wird vorgeschlagen, ein Forschungsprojekt vorzubereiten und durchzuführen, das „vergleichbar zum Öko-Instituts-Projekt der Energiewende (…) versucht, unter Einbezug der wesentlichen wirtschaftspolitischen, beschäftigungspolitischen Faktoren, ökonomisch fundierte Szenarien zu entwickeln, mit denen die Option auf eine Verkehrswende (…) argumentativ abgestützt werden kann“ (Hoss und Pfriem 1987, S. 133). Am Ende heißt es: „Es ist höchste Zeit – betrachtet man die Folgen des Automobilismus und dessen gesellschaftliche Kosten – auch für künftige Generationen – mit fundierten Szenarien im angedeuteten Sinne eine VERKEHRSWENDE3 zu ermöglichen“ (Hoss und Pfriem 1987, S. 135). Damit ist ein Begriff in der Welt, der eine erstaunliche Karriere machen wird. Später wird er in einem Buch des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) mit gleichnamigem Titel aus ökonomischer, raumplanerischer und sozialgeografischer Perspektive durchaus komplex entfaltet (Hesse 1993). In einem selbstkritischen Rückblick wird der Autor das Werk später als „konzeptionellen Rundumschlag“ bezeichnen. Dieser sei zwar grundsätzlich berechtigt gewesen, Rundumschläge hätten aber den Nachteil, kaum „en bloc“ in tragfähige Strategien verwandelt werden zu können (Hesse 2018). Innovativ ist jedenfalls – wie schon bei Hoss und Pfriem – der gesamtgesellschaftliche Zugang und die inhaltliche Parallele zur Energiewende. So wie es bei Energie nicht um Erzeugungsmengen, sondern um Energiedienstleistungen gehe (etwa Raumwärme oder Helligkeit), gehe es beim Verkehr nicht um eine Erhöhung des Verkehrsvolumens und nicht um die Beschleunigung des Verkehrswachstums, sondern um eine für die Nutzer*innen optimale und das Umfeld verträgliche Bereitstellung von Verkehrsdienstleistungen (Hesse 1993, S. 87). Dass diese allzu rationalistische Analogie ihre Grenzen hat, darauf weisen zu Recht nicht nur Canzler und Knie (1994a, S. 176), sondern auch Sachs hin: „Im Gegensatz zur Energie, bei der nur das Ergebnis zählt (…), ist bei der personalen Mobilität auch der Prozess der Ortsveränderung selbst von Interesse. Gerade das Auto ist viel mehr als nur ein Transportmittel, es ist zugleich der Projektionsraum für ‚Lebensentwürfe und Weltbilder, Bedürfnisse und Hoffnungen‘“ (Sachs 1984). Dennoch – der Begriff „Verkehrswende“ setzt sich durch. Um eine genauere Bestimmung bemüht sich Agora Verkehrswende, die den Begriff in ihrem Namen trägt. Sie veröffentlicht 12 Thesen mit dem Tenor, dass sich Verkehrs-, Mobilitäts- und Energiewende gegenseitig ergänzen und dass Verkehrswende mehr ist als nur die Antriebswende (vgl. Agora Verkehrswende 2017). Und in einem sozialwissenschaftlichen Beitrag macht die gleiche Institution deutlich, dass bei der Verkehrswende auch Verhaltensveränderungen und die dazu notwendige Kommunikation mitgedacht werden müssen (vgl. Agora Verkehrswende 2019).
Was auffällt, ist, dass der Begriff 35 Jahre nach seiner erstmaligen Publikation immer noch Teil der politischen Auseinandersetzung ist und bis hinein ins konservative Spektrum Veränderungsbereitschaft in Richtung Klimaschutz signalisiert (vgl. etwa die Headline „Ohne Verkehrswende keine Klimawende“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 13.09.2019 https://www.cducsu.de/themen/ohne-verkehrswende-keine-klimawende). Auch für die Presse ist der Begriff ausreichend kurz und prägnant (vgl. z. B. Steffens und Reiber 2023). Zuweilen ist statt von „Verkehrswende“ auch von „Mobilitätswende“ die Rede (vgl. oekom 2021). Das weist darauf hin, dass es zwischen Mobilität und Verkehr einen Unterschied gibt.
2.2 Mobilität und Verkehr
In Publikationen, die sich an eine breite Öffentlichkeit und nicht an ein Fachpublikum wenden, werden die Kategorien Verkehr und Mobilität zumeist unscharf verwendet oder gleichgesetzt (wer auf Presseportalen das Stichwort Mobilität eingibt, erhält überwiegend Berichterstattung zu neuen Automobilen und zur Kraftfahrzeugindustrie, aber auch zu Stadtplanungsthemen und zur Verkehrsinfrastruktur). Zur wissenschaftlichen Bearbeitung der Frage, ob und wie das soziotechnische Großsystem Automobilität überwunden werden kann, ist es aber wichtig, Mobilität und Verkehr zu unterscheiden. Die Sozialwissenschaften bemühen sich deshalb intensiv um eine brauchbare Unterscheidung, als sie in den 1990er-Jahren beginnen, in den neu aufgelegten Forschungsprogrammen des BMBF mitzuarbeiten (vgl. Knie 2016). Der Forschungsverbund CITY:mobil legt einen mehrdimensionalen Mobilitätsbegriff vor, der besagt, Mobilität bestehe aus drei Dimensionen: a) aus räumlicher Mobilität als Bewegung und Beweglichkeit im physischen Raum, b) aus sozialräumlicher Mobilität als Bewegung und Beweglichkeit zu Orten mit zweckbezogenen Aktivitäten wie Arbeit, Versorgung, Freizeit usw.4 und c) aus soziokultureller Mobilität als Bewegung und Beweglichkeit zwischen Positionen im Raum der sozialen Unterschiede und lebensstilspezifischen Differenzierungen (vgl. Jahn und Wehling 1999, S. 127–130). Fortbewegung sei als Zusammenspiel dieser drei Dimensionen von Mobilität zu beschreiben. Verkehr und Mobilität müssten unterschieden werden.
Letzteres leistet Rammler, wenn er schreibt, Mobilität leite sich aus dem lateinischen Mobilitas bzw. mobilis = beweglich ab und könne als „Seins-Zustand der Beweglichkeit“ bezeichnet werden (Rammler 2000, S. 41).5 Diese Beweglichkeit ist notwendig, weil sich viele Bedürfnisse nicht an Ort und Stelle, etwa zu Hause, befriedigen lassen und deshalb nach Ortsveränderung verlangen. „Schon der Erwerb der Nahrung macht in den meisten Fällen eine Ortsveränderung nötig“ (Becker 2016, S. 17). Mobilität im Sinne des „Seins-Zustandes der Beweglichkeit“ ist in diesem Fall also Bedingung der Nahrungsbeschaffung an einem anderen Ort.6 Verdichtet in einem Satz bedeutet das: Mobilität ist Beweglichkeit zur Bedürfniserfüllung an einem anderen Ort. Diese Definition impliziert keine Festlegung auf ein Verkehrsmittel oder eine bestimmte Fortbewegungsform. Wenn Bedürfnisse und Wünsche an einem anderen Ort erfüllt werden müssen, setzt es ganz allgemein Mobilität voraus, egal ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem E-Bike, dem Elektroroller, dem öffentlichen Verkehr, dem Motorrad, dem Auto oder gebeamt.
Wenn dann die Ortsveränderung stattgefunden hat, ist eine Verkehrsleistung erbracht worden. Verkehr bezeichnet somit die realisierte Bedürfniserfüllung durch Fortbewegung bzw. Transport von Personen und Gütern mit Hilfe von Transportmitteln, Infrastrukturen und Handlungen im physischen Raum. Es handelt sich um eine aggregierte Perspektive. Die entsprechenden Leistungen werden in Personen- und Tonnenkilometer gemessen und als solche bezeichnet (BMVDI 2021; Becker 2016, S. 18). Und seit es eine Umweltberichterstattung gibt, sind mit den Kennzahlen des Verkehrs Umweltbelastungen verbunden: Treibhausgasemissionen, Feinstaub, Lärm, Ressourcenverbrauch, Flächeninanspruchnahme. Die entsprechenden Messungen liefern die Umwelt-, Natur- und Ingenieurswissenschaften, mit denen deshalb eine kritische sozialwissenschaftliche Mobilitäts- und Verkehrsforschung interdisziplinär zusammenarbeiten muss.
Wenn somit Mobilität als Beweglichkeit zur Bedürfniserfüllung definiert wird (Ernährung, Arbeit, Freizeit, Versorgung, soziale Kontakte usw.) und Verkehr als die mit Hilfe von Verkehrsmitteln, Infrastrukturen und Handlungen realisierte Fortbewegung im physischen Raum, dann ist offenkundig, dass Bedürfniserfüllung mit mehr oder weniger Verkehr, mit mehr oder weniger schädlichen Wirkungen für Mensch und Umwelt verbunden sein kann. Damit entsteht ein brauchbarer normativer Rahmen zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Mobilität: Es geht darum, die Beweglichkeit der Menschen zu sichern – dies jedoch mit möglichst wenig Ressourcenverbrauch, wenig schädlichen Wirkungen für Mensch, Gesellschaft und Natur. Kurz und medientauglich wird das mit dem Satz auf den Punkt gebracht: „Mobilität mit weniger Verkehr“ (Agora Verkehrswende 2017). Was wie eine unzulässige Vereinfachung klingt, führt bei praktischer Anwendung zu einer grundlegenden Veränderung der Ziele, die eine zukunftsfähige Stadt-, Mobilitäts- und Verkehrsplanung anstrebt. Im Zentrum der Betrachtungen steht nicht mehr der möglichst ungehinderte und schnelle Fluss von Verkehr, sondern, dass Menschen die Orte ihrer Bedürfniserfüllung einfach und in kurzer Zeit erreichen. Das einstige Planungsprinzip, das aus ökonomischen Prognosen einen Anstieg der Verkehrsmenge ableitet und diesen mit immer mehr Verkehrsinfrastruktur beantwortet, gilt nicht mehr. Stattdessen geht es um Effizienz, was bedeutet, dass „ein definiertes Ziel mit möglichst geringem Mitteleinsatz erreicht“ wird (Becker 2018, S. 76). Logische Konsequenz sind Konzepte wie Superblocks. Auch wenn diese primär mit Verkehrsberuhigung und Aufenthaltsqualität begründet werden, können sie als Anwendungsfälle des geschilderten Mobilitätsverständnisses gesehen werden: Beweglichkeit zur Bedürfniserfüllung im Stadtteil wird auf kurzen Wegen mit umweltfreundlicher Fortbewegung optimal erfüllt – der belästigende PKW-Verkehr fährt außen vorbei (vgl. das Beispiel Frankfurt am Main-Bockenheim bei VCD 2023).
2.3 Die widersprüchliche Rennreiselimousine
Vor über 50 Jahren erschien die erste gesellschafts- und automobilkritische sozialwissenschaftliche Analyse „Zur sozio-ökonomischen Bedeutung des Automobils“ (Krämer-Badoni et al. 1971). Manche Erkenntnisse der Arbeit sind heute Allgemeingut: Das Automobil ist Symbol von Prestige und Träger von Bedeutungen, die auf den Besitzer übertragen werden. Es hat Potenzial zur Steigerung des Selbstwertgefühls und der Identitätsgewinnung und es liefert Möglichkeiten, Aggression auszuleben (vgl. dazu der Typus der „aggressiven Autofahrer*innen“ in den Analysen des Projekts CITY:mobil1999). Die Autor*innen arbeiten auch heraus, was den emanzipativen und faszinierenden Gebrauchswert-Kern des Konzepts Auto ausmacht: Es ist der private Charakter seiner Nutzung und seine ständige Verfügbarkeit. „Einmal gekauft ist das Auto ein gleichsam wartendes Ding, das für den Besitzer und nur für ihn zur Verfügung steht. Es provoziert schnelle und spontane Ortsveränderung zu jeder Zeit und bietet sich zum Gebrauch an, weil es als stehendes Ding seinen eklatanten Zweck nicht erfüllt“ (Krämer-Badoni et al. 1971, S. 52). Bis heute gilt, dass ein Auto in privatem Eigentum eine ständige Nutzungsaufforderung darstellt, da es auch im Stand Geld kostet und sich erst rentiert, wenn es auch gefahren wird. Das hat zur Folge, dass in Haushalten mit privatem Auto deutlich weitere Wege zurückgelegt werden (vgl. Infas 2018, S. 48). Die „Mobilitätsmaschine“ (Projektgruppe Mobilität 2004) sorgt selbst dafür, dass sie extensiv genutzt wird.
Es ist das Verdienst der Techniksoziolog*innen des WZB, die Widersprüchlichkeit der eigentümlichen privaten Fahrmaschine genauer zu untersuchen. Sie sehen einerseits „das Automobil in der Krise“ (Canzler und Knie 1994a) und sogar schon „das Ende des Automobils“ (Canzler und Knie 1994b). Andererseits wissen sie um dessen eigentümliche Attraktivität und leisten eine erhellende Analyse der Stabilität des automobilen Leitbildes. Sie zerlegen das faszinierende Objekt in seine weltweit gültigen Kerneigenschaften „hohe Reichweite, Leistungsstärke, Höchstgeschwindigkeit, Platzangebot und Beschleunigungswerte“ (Canzler und Knie 1994b, S. 10) – ein Standardkonzept, „das ganz unterschiedliche Transportbedürfnisse, ob kurze Wege in der Stadt, Überlandfahrten oder Fernverkehrsbedürfnisse, ob allein, mit mehreren Personen und viel Gepäck oder gar mit Transportgut oder ganz alleine universell abzudecken beansprucht“ (ebda., S. 41). Danach handelt es sich im Normalfall um einen „Personenkraftwagen mit geschlossenem Aufbau zur Beförderung von 4 oder mehr Personen sowie Gepäck. Die (…) Ausstattung solch eines Wagens mit einem leistungsstarken Motor, der hohe Fahrgeschwindigkeiten ermöglicht, sowie das Potenzial, ausreichenden Kraftstoff mitführen zu können, um mehrere hundert Reisekilometer zurückzulegen, führt zu einer Präzisierung im Begriff Rennreiselimousine“ (ebda., S. 140). Das könnte noch ergänzt werden um das Adjektiv „privat“, denn der private Zugriff garantiert erst die ständige Verfügbarkeit und erzeugt eine zusätzliche emotionale Bindewirkung.
Die Verdichtung im Begriff Rennreiselimousine hat in seiner analytischen Kraft und in der darin angelegten Möglichkeit, darüber hinaus zu denken, zugleich erklärendes und visionäres Potenzial und kann bis heute auch in praktischen Kontexten immer wieder argumentativ eingesetzt werden. Denn was wir in der erneuten Rekonstruktion der Rennreiselimousine erleben, macht deutlich, dass der Begriff noch weiterreicht, als es sich die Wissenschaftler des WZB vorstellten. Während sie meinten, der „Hubkolben-Verbrennungsmotor“ (Canzler und Knie 1994a, S. 172) sei notwendiges Element der Rennreiselimousine, erleben wir aktuell, dass der Austausch eben dieser Antriebsart gegen eine Elektromaschine die Fortsetzung der Spiralendynamik aus Gewicht, Leistung, Beschleunigung, Sicherheitsfeatures, noch mehr Gewicht, noch mehr Leistung, also die weitere Expansion der Rennreiselimousine bedeutet. Das vorläufige Ergebnis ist, dass der US-amerikanische Marktführer eine elektrisch betriebene Rennreiselimousine anbietet, welche die Familie und den Sprudelkasten mit rennsporttauglichen 1024 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von 348 km/h befördert.
Immer wieder wird also ihr Ende beschworen, aber stets gelingt es, das Konzept der Rennreiselimousine auf neuem Niveau der technischen Optimierung zu rekonstruieren. Wie das gelingen kann, darauf gehen die differenzierungstheoretischen Analysen des soziotechnischen Systems der Automobilität ein, die nachfolgend behandelt werden.
2.4 Das soziotechnische System schafft seine Akzeptanz selbst
Anschließend an Arbeiten über andere vernetzte Großtechnologien beschreibt Kuhm (1997) differenzierungstheoretisch den Prozess der Herausbildung eines automobilen Subsystems als einen spiralförmigen, sich selbst verstärkenden Prozess. Aus dieser Systemdynamik entstehen immer wieder Probleme und „Nebenfolgen“, die durch Optimierungen jeweils überwunden zu sein scheinen, was aber nur zu neuen Nebenfolgen führt, die dann wieder durch Optimierungen angegangen werden usw. Beispiel sind die durch den Automobilismus hervorgebrachten Emissionsprobleme, die öffentlich thematisiert, dann mit Hilfe verschiedener Stufen der Abgasreinigung und deren Verrechtlichung in einem EU-Rahmen bis hin zu „Euro 7“ beantwortet werden. Auch diese Optimierungen reichen nicht aus und es wird – nach dem Versuch, die Probleme außerrechtlich durch Abgas-Betrug zu „lösen“ – gesamtgesellschaftlich und EU-weit der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotorzeitalter eingeleitet. Aber auch die Elektromobilität erzeugt Nebenfolgen mit internationalen Umwelt- und Menschenrechtsproblemen.7
Bei den immer wieder durchgeführten Optimierungen handelt es sich nicht nur um technische, sondern um systemische: Entscheidend ist die „Rückkoppelung der ‚harten‘ technisch-materiellen Komponenten zu den sozialen Systemen von Politik, Ökonomie, Recht, Wissenschaft und Erziehung in den Industriegesellschaften sowie zu Institutionen dieser Systeme“ (Kuhm 1997, S. 177). Das erst führt zu dem spiralenförmigen Wachstumsprozess, der, einmal initiiert, sich solange behaupten kann, wie „veränderte kulturelle Praktiken an ‚bessere‘ Autos – und umgekehrt – anschließbar bleiben und solange genügend Raum für Weiterentwicklung und Expansion des Automobilverkehrs zur Verfügung steht“ (ebda., S. 176–177). Kennzeichnend für derartige eigendynamische Prozesse sei „die Erzeugung der den Prozess tragenden Handlungsmotivationen in und durch den Prozess selbst“ (Mayntz und Nedelmann 1987, S. 657). Es werden durch die mit der Gesellschaft verwobene Technik neue Wirklichkeiten hergestellt, die ein Sich-außerhalb-Stellen nicht mehr ermöglichen.8 Wer zugehörig sein will, muss und will dann auch Teil der „modernen“ gesellschaftlichen Prozesse sein. Partizipation und Beherrschung der Technik – egal ob Auto oder Handy – wird dann nicht nur akzeptiert, sondern wird zum Spaßfaktor. Umso schwieriger ist der Ausstieg aus derartigen spiralen-dynamischen Großtechniksystemen. Da – wie die Differenzierungstheorie nahelegt – das System der Automobilität mit den rechtlichen, wissenschaftlichen, pädagogischen, psychischen und vor allem wirtschaftlichen Systemen verkoppelt ist, kann die Lösung nicht isoliert in der Umgestaltung der Automobilität gesucht werden. Vielmehr liegt es dann nahe, eine integrierte Verkehrspolitik als „gesamtgesellschaftliche Transformation“ (Schwedes 2018, S. 22) oder sogar als „Weltdesign“ (Rammler 2018, S. 37) zu verstehen. Ein solch umfassender Zugriff ist einerseits einleuchtend, weil damit die Einbettung des Systems der Rennreiselimousine in Kultur, Ökonomie, Wunsch- und Nachfrageproduktion der Gesellschaft ernst genommen wird. Andererseits ist ein solch ganzheitlicher Zugriff nicht immer leicht vermittelbar, wenn in transdisziplinären Projekten mit Praxispartnern an Problemlösungen zur schrittweisen Veränderung des Verkehrssystems gearbeitet wird. Es können ja nicht bei jedem Schritt alle damit verbundenen gesellschaftlichen Prozesse zugleich angegangen werden. Wahrscheinlicher sind Prozesse der schrittweisen, partiellen Entkoppelung: Entkoppelung wirtschaftlicher Prosperität von der Automobilproduktion, Entkoppelung der Raumnutzung von einer auf automobile Höchstgeschwindigkeiten ausgelegten Infrastruktur, Entkoppelung der Mobilität von Automobilität hin zu einer multioptionalen Beweglichkeit (vgl. Götz et al. 1998, S. 145). Es sind die verdichteten Räume der Großstädte, in denen mit wachsendem Erfolg ein Verkehrsmittelmix jenseits des Automobils ausprobiert wird. Wer beispielsweise in Dijon, ohne ein Ticket zu benötigen, in einen kostenlosen Elektrobus einsteigt und die Kernstadt erkundet, bemerkt gar nicht, wie selbstverständlich private Autos einfach abwesend sind.
2.5 Nicht Einzelentscheidungen, sondern Routinen müssen verändert werden
Hat ein solcher Umbau des städtischen Verkehrssystems stattgefunden und wollen die Menschen die neuen Möglichkeiten nutzen, geschieht das nicht dadurch, dass sie einzelne neue Verhaltensweisen ausüben. Vielmehr werden sie durch eine nutzernahe Gestaltung dazu eingeladen, ganze Handlungsketten neu zu lernen und als Verhaltensroutinen zu verinnerlichen. Verändertes Verkehrsverhalten entsteht nicht durch immer neu getroffene Entscheidungen, sondern wird mit zunehmender Erfahrung automatisiert und als Gewohnheit abgespeichert. Das gilt im Bereich der Mobilität insbesondere für die immer gleichen Wege zur Arbeit, das Pendeln (vgl. Nitschke et al. 2022). Die Rational-Choice-Theorie nennt solche seriellen Verhaltensweisen „Habits“ (Esser 1996), die soziologische Strukturierungstheorie spricht von Routinen (vgl. Giddens 1995) und Reckwitz setzt in seiner Version der Praxistheorie Praktiken und Routinen sogar gleich. Praktiken seien ein „routinized type of behaviour which consists of several elements, interconnected to one other: forms of bodily activities, forms of mental activities, ‚things‘ and their use, a background knowledge in the form of understanding, know-how, states of emotion and motivational knowledge. A practice (…) forms so to speak a ‚block‘ whose existence necessarily depends on the existence and specific interconnectedness of these elements, and which cannot be reduced to any one of these single elements“ (Reckwitz 2002, S. 249–250). Wenn Praktiken tatsächlich als Block heterogener Elemente zu verstehen sind, dann können nicht einzelne Elemente, z. B. allein das Verkehrsmittel, sondern müssten miteinander gekoppelte Elemente verändert werden.
Diese Erkenntnis macht sich auch die biografisch orientierte Mobilitätsforschung zunutze. Chancen zur Veränderung des Verkehrsverhaltens bestehen aus dieser Perspektive dann, wenn sich bei Individuen zwar nicht der ganze „Block“, aber vieles in sogenannten Life Events ändert (vgl. Lanzendorf und Tomfort 2010; Scheiner und Holz-Rau 2015). Solche Ereignisse sind zum Beispiel die Familiengründung, das erste Kind, der erste Beruf und Umzüge in eine andere Stadt. Hier setzt das Neubürgermarketing an: Da sich in der Phase des Umzugs an einen neuen Wohnort große Teile des Alltagsarrangements lockern, besteht die Chance einer zielgruppen- und situationsspezifischen Kommunikation mit der Folge, dass bis zu einem gewissen Grad Veränderungen des Verkehrsmittelwahlverhaltens erreicht werden. Die entsprechenden Veränderungen des Modal Split (Erhöhung ÖV: 7,6 %, Reduktion MIV: 3,3 %) wurden empirisch evaluiert und machen deutlich, dass hier graduelle Erfolge erreicht werden, aber das System des Individualverkehrs nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird (Bamberg et al. 2008; Wappelhorst 2009). Auch Übergänge in der Ausbildungs- bzw. Berufsbiografie können Lebensereignisse sein, die die An- bzw. Abschaffung eines privaten Autos und dessen Nutzung beeinflussen. Daraus wurde der Schluss gezogen, dass auch in dieser Phase zielgruppenspezifisch interveniert werden könne (Müggenburg und Lanzendorf 2015).
2.6 Mobilitätsstile als Anwendung des Lebensstilkonzepts auf die Mobilitätsforschung
Ebenfalls auf Lebensereignisse beziehen sich die ersten Forschungen zu Mobilität und Lebensstilen. Letztere werden hier zunächst als Orientierungen in Bezug auf große Lebensentscheidungen verstanden (Salomon und Ben-Akiva 1983). Im Unterschied dazu bezieht sich die Mobilitätsstilforschung des Instituts für sozial-ökologische Forschung auf Erkenntnisse zu Individualisierung (Beck 1986), soziokultureller Distinktion (Bourdieu 1991) und Milieudifferenzierung (vgl. Hradil 1987; Barth et al. 2017; Sinus 2024). Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile führen aus dieser Perspektive aber nicht zu einer Auflösung horizontaler Gesellschaftsmodelle, wie es Hradil (1987) mit der Formulierung „von Klassen und Schichten zu Lagen und Milieus“ nahelegt, sondern zu einer Doppelstruktur aus Lebensstildifferenzierung und neuer sozialer Ungleichheit. Diese mündet in die Rekonstruktion einer neuen Klassenbildung, bestehend aus neuer Mittelklasse, neuer Unterklasse/prekärer Klasse und Oberklasse, „hinzu kommt on top die kleine Oberklasse der Superreichen“ (Reckwitz 2021, S. 86, und grafisch als Synthese aus Klassen- und Sinus-Milieumodell, S. 124). Die Mobilitätsstilforschung hält es für wahrscheinlich, dass sich die Strukturen von Individualisierung und Pluralisierung auch in den Orientierungen und Praktiken der Mobilität und Fortbewegung finden lassen. Das kann in unterschiedlichen Projekten zu Stadtverkehr, ländlicher Mobilität, Freizeitmobilität und Tourismus nachgewiesen werden. Dabei wird mit verschiedenen Annahmen und Modellen zum Zusammenhang von Lebensstilen und Verhalten gearbeitet (mit übergreifenden Lebensstilmustern in Götz et al. 2003, mit bereichsspezifischen Orientierungen in Götz et al. 2011, 2016). Letztlich kommen die Forscher*innen (mit Otte 2011) zu dem Ergebnis, dass Modelle übergreifender Lebensstilmuster Verhalten weniger gut erklären als bereichsspezifische Orientierungen. Bei diesen handelt es sich um generalisierte Haltungen, die soziale Gruppen zu unterschiedlichen Bedürfnisfeldern ausbilden und die zu typischen Handlungsmustern im spezifischen Praxisfeld führen. Das gilt zum Beispiel für den Bereich Ernährung (Stieß und Hayn 2005), für Freizeit und Tourismus (Götz 2007; Schmied et al. 2009; Götz et al. 2011) und eben auch für Mobilität und Verkehr (vgl. Götz et al. 2016).
Erstmals durchgeführt werden die empirischen Forschungen zu Mobilitätsstilen in den Städten Freiburg und Schwerin in einem BMBF-geförderten Projekt „Mobilitätsleitbilder und Verkehrsverhalten“ im Forschungsverbund CITY:mobil (vgl. Götz et al. 1998). Im Zentrum stehen Mobilitätsorientierungen, deren Ausprägungen mit qualitativen und standardisierten Methoden erhoben werden (Götz und Sunderer 2020). Einer der wichtigsten Befunde ist, dass ein Verzicht auf das eigene Auto weniger als Statusverlust als vielmehr ein Zeichen des Nicht-mehr-Dazugehörens, also der sozialen Desintegration wahrgenommen wird (Götz et al. 2003, S. 42).9 Typische Äußerung aus den qualitativen Interviews: „Die Frauen, die ich kenne, die Auto fahren, sind selbständiger, mehr im Leben drin“ (ebd.). Automobilität ist somit Symbol und Mittel der sozialen Integration.
In den Clusteranalysen werden die Faktoren der Mobilitätsorientierungen zu einer Typologie verarbeitet, bestehend aus „Risikoorientierten Autofans“, „Statusorientierten Automobilen“, „Traditionell Naturorientierten“, „Ökologisch Entschiedenen“ und „Traditionell Häuslichen“. Die Unterschiedlichkeit und Trennschärfe der Segmente wird nicht nur anhand der deutlich unterschiedlichen Mobilitätsorientierungen berechnet, sondern zusätzlich anhand des methodisch getrennt erhobenen Kriteriums Verkehrsverhalten (nach der Stichtagsmethode). Das Ergebnis zeigt einen erstaunlichen Zusammenhang zwischen Orientierungen und Verhalten: So sitzen die „Ökologisch Engagierten“ nur bei 10 % aller Wege am Steuer eines Autos, die „Risikoorientierten Autofahrer“ dagegen bei 56 %. Die „Traditionell Naturorientierten“ gehen bei 43 % aller Wege zu Fuß, während die „Statusorientierten Automobilen“ dies nur bei 4 % aller Wege praktizieren (vgl. Götz et al. 2016). In einem Forschungsprojekt zur Freizeitmobilität gehen die isoe- und die Öko-Institutsforscher*innen dann einen Schritt weiter: Anhand der Verhaltensdimension kann die bislang vernachlässigte materielle Dimension in Form von lebensstilspezifischen Berechnungen von Treibhausgasemissionen der unterschiedlichen Mobilitätsstile ausgewiesen werden (vgl. Götz et al. 2003, S. 144).
In einem umsetzungsorientierten Zusammenhang werden derartige Typologien der Mobilitätsstile als Zielgruppenmodelle für Maßnahmen zur Entkoppelung der Mobilität von Automobilität interpretiert. Die Erkenntnis, dass Pluralisierung und Individualisierung sich auch in den Mobilitätsorientierungen wiederfinden, wird so verstanden, dass ein künftiges Mobilitätssystem eine Pluralität der Angebote sicherstellen, also eine multioptionale Verkehrsmittelwahl bieten müsse. Stadtverträgliche Mobilität würde dann bedeuten, Mobilität von der festen Verkoppelung mit Automobilität zu lösen, also die Hegemonie des automobilen Leitbildes zurückzudrängen, aber innerhalb einer neuen multioptionalen Mobilität die sporadische Nutzung des Automobils als Option einzubeziehen.
Diese und die weiteren Forschungen zu Mobilitätsstilen fordern durchaus Kritik heraus. Sie bezieht sich auf den mangelnden Raumbezug, die unklare Theoretisierung von Lebensstilen und die Art der Ableitung von Maßnahmen (vgl. z. B. Hunecke 2000; Otte 2011; Götz et al. 2016). Dennoch, die sogenannten weichen Dimensionen – Lebensstile bzw. Mobilitätsorientierungen – gelten von nun an als Faktoren, die bei der Transformation in Richtung nachhaltiger Mobilität berücksichtigt werden müssen. In der Nachfolge wurden zahlreiche typologisierende oder Lebensstile einbeziehende Mobilitätsforschungsprojekte vorgelegt (z. B. Hunecke 2000; Lanzendorf 2000; Fliegner 2002; Beckmann et al. 2006; Hunecke und Haustein 2007; Goal 2013; Herget 2013; Oostendorp et al. 2019; Dangschat 2020).
Auch der nachfolgende Ansatz der Mobilitätskultur bezieht „weiche“ Faktoren mit ein, betrachtet sie aber integrativ in ihrem Zusammenwirken mit „harten“ Faktoren.
2.7 Mobilitätskultur: Integrierte Betrachtung der symbolischen und der materiellen Seite
„Wenn wir in Dortmund oder Palermo, in Frankfurt am Main oder Kopenhagen unterwegs sind, nehmen wir deutliche Unterschiede wahr: Der Verkehr (…) funktioniert irgendwie anders. Dieses Gesamte, das wir intuitiv in jeder Stadt wahrnehmen, in der wir mobil sind, und das aus objektiven und subjektiven Faktoren besteht, nennen wir Mobilitätskultur“ (Deffner et al. 2021, S. 2). Der Mobilitätskulturansatz vertritt, ähnlich wie die Praxistheorie, die These, dass deterministisch wirkende, „harte“ Faktoren wie Infrastruktur, gebauter Raum, Technik und eher symbolisch-mental wirkende, also „weiche“ Einflussgrößen wie Kommunikation, Diskurse, Lebensstile und Milieus integrativ zu betrachten seien. In der Anwendung für nachhaltige Mobilität wurden in einer internationalen Studie die Städte Bozen, Freiburg, Salzburg, Zürich und Frankfurt am Main verglichen, um voneinander zu lernen und den Stand hinsichtlich einer multioptionalen, nachhaltigen Mobilitätskultur zu bewerten (vgl. Deffner et al. 2007). Dabei wurden mit empirischen Methoden der qualitativen Sozialforschung hemmende und ermöglichende Schlüsselfaktoren der Transformation in den Städten identifiziert und verglichen (Deffner et al. 2021) (Abb. 1).
Abb. 1
Elemente von Mobilitätskultur. (Quelle: Deffner et al. 2021)
In weiteren Anwendungen verknüpft Klinger (2017) das Mobilitätskulturkonzept mit der Forschung über Mobilitätsbiografien und untersucht den Einfluss von Mobilitätskulturen auf Personen, die umgezogen sind. In einer Studie des Instituts für Mobilitätsforschung (IFMO) zu Megacity Mobility Cultures untersuchen Wissenschaftler*innen Mobilitätskulturen in acht Großstädten in Asien, Europa, Südamerika und den USA (IFMO 2013). Und im Verständnis von Hoor (2021) werden die Begriffe „neue“ oder „öffentliche Mobilitätskultur“ als offene Transformationskategorien verstanden, die mit auf das Symbolische und Materielle zielenden Maßnahmen zur Zurückdrängung des Autosystems und Privilegierung von Fahrrad und ÖV inhaltlich ausgestaltet werden können.
Zusammenfassend wird deutlich: Auch der Ansatz der Mobilitätskultur stellt die Integrationsnotwendigkeiten ins Zentrum und geht davon aus, dass soziale und soziokulturelle Faktoren miteinbezogen werden müssen, wenn das System und die Verhaltensweisen rund um Mobilität in Richtung Nachhaltigkeit verändert werden soll.
3 Lessons Learned und wo geht’s hin?
3.1 Fazit
Die kritische sozialwissenschaftliche Mobilitätsforschung der letzten Jahrzehnte hat wichtige Beiträge zur Erklärung des vorherrschenden Verkehrsverhaltens, von Praktiken und Handlungen im Bereich des Verkehrs und zur Frage der Stabilität bzw. Überwindung des vorherrschenden automobilen Leitbildes geleistet. Erkundungen in diese Richtung waren bereits früh von einer gesellschaftskritischen Soziologie (Krämer-Badoni et al. 1971) und einer sozialstrukturell aufgeklärten Raumplanung unternommen worden (vgl. Holz-Rau 1997 oder Stete 1996). Aber erst mit der Einbeziehung von originär sozialwissenschaftlichen Ansätzen und deren transdisziplinärer Verknüpfung wird deutlich, dass die Überwindung des hegemonialen automobilen Leitbildes nur möglich ist, wenn subjektive, soziale und soziokulturelle Einflüsse miteinbezogen werden. Es gilt also – kritisch und selektiv –, Handlungstheorien, Routinen, Praktiken, aber auch gesellschaftliche Mobilitätsleitbilder und soziokulturelle Orientierungen sowie emotionale Bindungen zu berücksichtigen. Darüber hinaus gilt es, Probleme und Chancen der sozialen Integration, geschlechts- bzw. genderspezifische und soziokulturelle Differenzen in die Analysen, die eine Transformation des Verkehrssystems begleiten, einzubeziehen. Damit kann abgeschätzt werden, ob und wodurch verkehrspolitische Maßnahmen sozial desintegrierend wirken oder wahrgenommen werden, was Akzeptanz untergraben und sich auf die politische Sphäre außerhalb des Verkehrssystems auswirken kann.
Die Sozialwissenschaften haben ihr Instrumentarium gut auf das Thema Mobilität angewandt. Und einige der wichtigsten Erkenntnisse wurden bereits vor mehreren Dekaden vorgelegt. Aber heute stehen wir vor einer völlig veränderten Weltlage. Die sozialwissenschaftliche Mobilitätsforschung muss sich als Teil einer transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung an die neuen Herausforderungen und Fragestellungen heranwagen.
3.2 Folgerung1: Stärkere Einbeziehung stofflicher und natürlicher Nutzungs- und Schadenszusammenhänge
Spätestens mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine und den damit verbundenen Rohstoffproblemen ist klargeworden, dass materielle Ressourcen, Stoffströme und Ökosystemdienstleistungen der Natur direkt mit den Mobilitätssystemen verkoppelt sind. Eine integrative Mobilitätsforschung, die politisch ernst genommen werden will, muss diese Themen nicht nur konzeptionell, wie es verschiedene praxistheoretische Ansätze leisten, sondern auch quantitativ-empirisch in den Blick nehmen, sodass mit Wirtschafts-, Ingenieurs- und Naturwissenschaften zusammengearbeitet werden kann. Die Nachhaltigkeitsforschung hat zurecht in den letzten Jahren den Klimaschutz in den Mittelpunkt gestellt. Aber eine transdisziplinäre, gestaltungsorientierte Forschung zu nachhaltiger Mobilität muss stärker auch den Ressourcen- und Materialverbrauch und die Schädigung der Natur beachten. Das gilt nicht nur in Bezug auf den weltweit sicherlich noch lange weiter vorherrschenden Verbrennungsmotor, sondern auch hinsichtlich der Rohstoffe für Elektromobilität. Die Ergebnisse müssen direkt in den politischen und medialen Diskurs einspeist werden. Es würde um Szenarien unterschiedlicher Mobilitätskulturen und -systeme in ihrer Wirkung auf Biodiversität, Naturschutz, Boden, Wasser, Erde, Luft und um Menschenrechte gehen.
Wir haben gelernt, dass das soziotechnische System Automobilität nicht nur bei der Produktion und hinsichtlich der Lieferketten, sondern auch stofflich und bezüglich der Naturressourcen hochgradig international abhängig ist. Unsere Gesellschaft hat sich in jüngster Zeit als nicht besonders resilient erwiesen, wie etwa die Erpressbarkeit durch Energieverknappung zeigt. Aber in umgekehrter Richtung sind auch die westlichen Gesellschaften Krisenauslöser in anderen Regionen. Die stetige Perpetuierung des Konzepts der Rennreiselimousine – jetzt als Elektroauto und als autonomes Robotaxi – ist eingebettet in Nutzungs- und Schadenszusammenhänge von Naturressourcen anderer Kontinente und in Menschenrechtsverletzungen. Eine integrative Mobilitätsforschung muss diese Interdependenzen berücksichtigen und dazu beitragen, dass die Schädigungen von Menschen und Natur bilanziert und bei den Entwürfen neuer Mobilitätssysteme verhindert werden.
Eine solche sozial-ökologische Mobilitätsforschung würde Fragen der Verkoppelung von gesellschaftlichen und natürlichen Prozessen, deren Verbindung mit alltäglichen Praktiken und Symboliken sowie erfolgversprechenden Formen der Regulation thematisieren und als Ausdruck gesellschaftlicher Naturverhältnisse verstehen (Becker und Jahn 2006; Becker et al. 2011). Zu gestalten wäre eine Mobilitätskultur, die den Menschen dient und der Natur Raum gibt. Dabei wird Natur nicht als unberührte Um-Welt, sondern mit Beck als „gefährdete Innenausstattung der zivilisatorischen Welt“ verstanden (Beck 1986, S. 107).10
3.3 Folgerung 2: Zukunftsgestaltungsanspruch
Eine kritische sozialwissenschaftliche Mobilitätsforschung wird sich viel stärker als bisher an der Gestaltung zukunftsfähiger Mobilitätskulturen beteiligen. Sie wird weiterhin begleitend und evaluierend, aber viel stärker vorausschauend und offensiv mit klar formulierten Prinzipien (vgl. Jahn et al. 2020) an der Gestaltung von Mobilitätszukünften mitarbeiten. Dabei sollte sie mit einer Zukunftsforschung, die Ungewissheit systematisch in den Blick nimmt, zusammenarbeiten (vgl. Kollosche 2016). Die sozialwissenschaftliche Mobilitätsforschung darf sich in ihrer Nische nicht auf den Erkenntnissen der letzten Dekaden ausruhen, sondern muss – zusammen mit einer behäbig gewordenen Automobilindustrie und einem risikoscheuen Mobilitätsgewerbe (vgl. Webb 2024) – in Gang kommen, um die verschiedenen Dimensionen der notwendigen großen Transformation zu gestalten. Im Zentrum dieser gemeinsamen gesellschaftlichen Anstrengung muss dabei die Lösung des großen Zielkonflikts stehen: Der zwischen ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit auf der einen und den „mobilitätswirtschaftlichen Interessenkonstellationen“ auf der anderen Seite (Rammler 2016, S. 916).
3.4 Mobilitätsgerechtigkeit und neue soziale Spaltungen
In Krisen erleben wir, dass zur Kompensation von Mobilitätskostenbelastungen kurzfristig Hilfspakete geschnürt werden: Das 9-Euro-Ticket wurde am 1. Juni 2022 eingeführt und am 31. August 2022 wieder abgeschafft. Die Verkehrsverhaltensforschung hat die Effekte dieses Angebots evaluiert und unter anderem herausgefunden, dass das Ticket überwiegend für den Freizeitverkehr genutzt wurde (vgl. DLR 2022). Am 1. Mai 2023 wurde das „Deutschlandticket“ zum Preis von 49 € pro Monat, das für den gesamten deutschen ÖPNV mit Ausnahme von Fernbussen, IC und ICE gilt, eingeführt. Mit diesen Angeboten wird versucht, das Problem besonderer sozialer Belastungen im Verkehrsbereich partiell anzugehen. Diese unter Zeitdruck entwickelten Maßnahmen ändern nichts daran, dass insgesamt „die soziale Frage in der verkehrspolitischen und verkehrsplanerischen Praxis immer noch vernachlässigt“ wird (Daubitz 2018, S. 210). Zwar wurden – außer den genannten – zahlreiche weitere Maßnahmen wie entgeltfreie Beförderung („Nulltarif“) oder Sozialtickets erprobt und evaluiert und mit den „Vancouver-Prinzipien“ wurden auch Begrifflichkeiten wie Access, Equity, Health and Safety usw. entwickelt (vgl. Daubitz 2018, S. 211–212). Aber bei den Themen Mobilitätsgerechtigkeit, Mobilitätsarmut und mobilitätsbezogene Exklusion (Daubitz 2016) gibt es Nachholbedarf. Insbesondere bei der Frage nach dem Ineinanderwirken der sozialstrukturellen und der symbolisch-kulturellen Dimensionen. Teilt man die Ansicht von Reckwitz (2021), dass sich in der spätmodernen Gesellschaft die Mittelklasse in eine traditionelle und eine neue urban-kosmopolitische nicht nur geteilt, sondern gespalten hat, dann wäre es Aufgabe der sozialwissenschaftlichen Mobilitäts- und Lebensstilforschung, dieser Spaltung im Bereich der Mobilität nachzugehen und Vorschläge für deren Überbrückung zu machen. Es wird immer deutlicher, dass kreative, multioptionale Milieus, die eine Entkopplung der Mobilität von Automobilität praktizieren und politisch einfordern, zum Feindbild der von Abstiegsängsten geprägten traditionellen Mittelklasse geworden sind - so wurde das Ergebnis der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2023, das mit dem Sieg der traditionell geprägten Außenbezirke gegen die „grüne Mitte“ endete, als Ergebnis eines autofreundlichen Wahlkampfs interpretiert, (vgl. z. B. https://www.rbb24.de/politik/wahl/abgeordnetenhaus/agh-2023/beitraege/berlin-wahl-cdu-erfolg-gruende-verkehr-alte-waehler-bezirke.html).
Eine aktuelle Forschung über Mobilitätsstile müsste erforschen, wie nachhaltige Mobilität so gestaltet werden kann, dass sie auch aus Sicht traditioneller und ländlicher Bevölkerungsgruppen attraktiv ist und nicht den Milieugeruch der urbanen Eliten hat. Das würde eine sozialwissenschaftlich angeleitete Kommunikation verlangen, der es gelingt, der populistischen Umdeutung von realen Risiken und Krisen eine Erzählung entgegenzusetzen, die dem Gefühl der sozialen Desintegration entgegenarbeitet und die neue Mobilität attraktiv macht.
Danksagung
Herzlich danke ich Weert Canzler, Andreas Knie, Lisa Ruhrort und Holger Straßheim, die mir wertvolle Hinweise zur Optimierung dieses Beitrages gegeben haben.
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Becks „Überlegungen bedeuten in ihrer Summe: das Ende der Gegenüberstellung von Natur und Gesellschaft. Das heißt: Natur kann nicht mehr ohne Gesellschaft, Gesellschaft nicht mehr ohne Natur begriffen werden“ (Beck 1986, S. 107, Hervorhebungen vom Verfasser). Es handelt sich also – ausgedrückt in der Sprache der Sozialen Ökologie – um gesellschaftliche Naturverhältnisse (vgl. Becker und Jahn 2006).
Im Jahr 1970 starben 19.200, im Jahr 2019, dem letzten Vor-Corona-Jahr, 3046 Personen auf den Straßen in Deutschland (BMVDI 2021; Statistisches Bundesamt 2022).
Rammler (2000) entwickelt diese Definition im Rahmen seiner These der Wahlverwandtschaft von Moderne und Mobilität. Ähnlich Kesselring (2019), der Mobilität als „Basisprinzip der Moderne“ bezeichnet. Sein an Becks Risikogesellschaft anknüpfendes Verständnis „reflexiver Mobilitäten“ verbindet Bedeutungen der sozialen, geografischen, räumlichen Mobilität/Flexibilität/Fluidität miteinander und nähert sich damit dem umfassenden Verständnis des „new mobilities paradigm“ an, das Sheller und Urry (2006) vorgelegt haben und welches alles umfasst, was „on the move“ ist.
Das Gleiche gilt für die digitale Partizipation: Wer versucht, sich außerhalb der Digitalisierungsprozesse zu stellen und beispielsweise bewusst auf ein Smartphone verzichtet, muss nicht nur hinnehmen, als Sonderling zu gelten, sondern wird auch von offiziellen Services ausgeschlossen.
In der standardisierten Erhebungsphase des Projekts (N = 2 × 1000) wird diese Erkenntnis mit den Statements „Ohne Auto ist man nicht Teil der Gesellschaft“ und „Das Auto gehört zum Leben einfach dazu“ operationalisiert. Eine Faktorenanalyse zeigt, dass diese Einstellungsdimensionen miteinander korrelieren. Der Besitz eines Autos wird hier als Bedingung des Dazugehörens wahrgenommen. Ein weiteres Element des herrschenden automobilen Leitbildes repräsentiert der Faktor „Bekenntnis zu Risiko und Aggression beim Autofahren“. Er bezeichnet einen Variablenzusammenhang aus Begeisterung für hohe Geschwindigkeiten, Aggression gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern*innen und dem gewollten Ausleben von Affekten im Straßenverkehr.