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11-06-2018 | Logistik | Interview | Article

"Im Einkauf erwarte ich für KI noch einen großen Schub"

Author: Thorsten Garber

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Die Wolf GmbH hat die digitale Transformation im Einkauf stark vorangetrieben. Der Systemanbieter für Heiz-, Klima- und Lüftungstechnik fördert schnelle Prozesse durch technologischen und organisatorischen Fortschritt, so Purchasing Director Ernst Kranert im Interview.

Springer Professional: Herr Kranert, zur Risikominimierung in der Supply Chain setzt Wolf auf eine Zweilieferantenpolitik. Nach welchen Aspekten suchen Sie die beiden aus?

Ernst Kranert: Zunächst suchen wir für jede Warengruppe einen strategischen Lieferanten mit hohen Skills. Der zweite Lieferant soll auf Augenhöhe mit dem ersten stehen. Unsere Quote für second source (Zweitlieferant; Anm. d. Red.) liegt bei 32 Prozent ohne technische Qualifizierungsmaßnamen, was in der Maschinenbaubranche ein ausgesprochen guter Wert ist. In unserer Bewertung gibt es ein Ranking aus erstens strategischen Lieferanten, zweitens Schlüssellieferanten und drittens Lieferanten. Unser Ideal gehört zur ersten oder zweiten Gruppe. Auf Lieferanten greifen wir eigentlich nur bei Euro-Paletten oder Schrauben zurück. Aber, Vorsicht! Auch bei Paletten kann der technische Anspruch hoch sein, wenn wir etwa über Luftfracht reden.

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Zur Vorbereitung Ihrer Entscheidungen dienen in der Beschaffung die Bewertungen der Gesamtkosten des Betriebs. Welche Kriterien stehen dahinter?

Bei unserer Methodik zu "Total Cost of Ownership", kurz: TCO, schauen wir auf Qualität, Preis, Service, Innovationskraft und Haftungsaspekte. In der Heizgeräte-Branche sprechen wir über Innovationszyklen von circa sechs Jahren. Bei Ersatzteilen, die wir noch in 15 oder 20 Jahren bekommen wollen, müssen wir beispielsweise vorausschauen wie wir das sicherstellen. Dies zählt zu den wichtigen Entscheidungskriterien. Aber auch die künftige Kostenentwicklung ist ein zentraler Punkt. 

Als wichtiger Baustein ihrer sechs Säulen-Strategie im Fundament für den Einkauf ist explizit die "intensive Lieferantenkommunikation auf allen Fachebenen" genannt. Wer kommuniziert welchen Content über welche Kanäle?

Jeder auf seiner Fachebene. Früher hatte hier der Einkauf die Hoheit, so dass jede Kommunikation über diesen Unternehmensbereich lief. Heute hat auch jeder Entwicklungsingenieur oder jeder Qualitätsmanagement-Verantwortlicher die Pflicht, zu kommunizieren und bei Wolf intern über die Ergebnisse von Vereinbarungen zu informieren. Diesen Prozess halte ich permanent nach, denn Mitarbeiter wechseln ja auch. Der Austausch nur zwischen Beschaffung und Zulieferern ist nicht mehr State of the Art. Wenn unsere Buchhaltung etwa Fragen zur Kontosicherung hat, sollte sie direkt mit dem betreffenden Lieferanten telefonieren.

Welche Verbesserungen in den Prozessen streben Sie mit Lieferanten an?

Verbesserungen zielen vor allem auf die Logistik und auf den Service. Schrittweise wollen wir auch in den Lieferzeiten besser werden, etwa die Flexibilität erhöhen, Bestände abbauen und die Prozessqualität steigern. Wir sind hier schon ziemlich weit, aber durch weitere wichtige Schritte in der Digitalisierung schauen wir, wo wir in fünf Jahren stehen wollen. Dazu beginnen wir den Weg erst mit größeren Zulieferern zu beschreiten.

Wolf war vor sechs Jahren der Preisträger der erstmals ausgeschriebenen Auszeichnung "Excellence in eSolutions" des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME). Über die integrierte elektronische Lieferantenanbindung hatten Sie rund 300 Supplier und damit 90 Prozent des Einkaufsvolumens zusammengeführt sowie unter anderem die Liefertreue um 18 Prozent gesteigert und die Kosten um 19 Prozent reduziert. Was ist seitdem passiert?

Mittlerweile sind 94 Prozent des Einkaufsvolumens zusammengeführt, aber immer noch 300 Lieferanten angebunden, was auf veränderte Strukturen hinweist. Wir haben das Portal ausgebaut um mehrere Module. Damals starteten wir mit Bestellwesen und Auftragsbestätigung, Bewertung und Kanban-Tafel. Heute laufen darüber zusätzlich der Reklamationsprozess und die Transportüberwachung, um beispielsweise bei chinesischen Lieferanten frühzeitig Versorgungslücken zu entdecken, wodurch wir kaum noch Flugkosten für kurzfristig eingeleitete Luftfrachttransporte produzieren. Über unser Lieferanten-Forecast lassen sich Entwicklungen über zwölf Monate mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussehen. Und unsere technischen Schnittstellen zu Lieferanten haben wir für unterschiedliche ERP-Systeme erweitert, um damit Medienbrüche und Fehler zu vermeiden.

 Sind weitere Bausteine in Planung?

Ja, für 2018 nehmen wir uns die elektronische Wareneingangsbuchung vor. Und in sechs Jahren wollen wir sehr viele Prozesse mit den Lieferanten über Cloud-Lösungen abbilden.

An welchen Instrumenten der Automatisierung im Datenaustausch für Industrie 4.0 arbeitet Wolf, um auch zum Einkauf 4.0 zu kommen?

Wir arbeiten seit einem Jahr mit einem elektronischen Katalog-Managementsystem und mit elektronischer Rechnungsprüfung. Unser Ziel lautet, künftig alle Rechnung digital zu buchen. Derzeit sind es erst zehn bis 15 Prozent. Wir wollen die Zahl der automatischen Zahlungsanweisungen steigern. Für den Wareneingang wollen wir, dass Spediteure ein Anliefer-Fenster buchen können, so dass sie bevorzugt entladen werden. Dann gehörten Staus in Stoßzeiten bis zur Bundesstraße der Vergangenheit an.

Welche Rolle spielen bei ihrer digitalen Transformation beispielsweise Roboter und Künstliche Intelligenz (KI)?

Roboter arbeiten bei Wolf vor allem zur besseren Wertschöpfung in der Produktion. In der Logistik probieren wir derzeit ein fahrerloses Transportsystem aus. Für Industrie 4.0 wird sich Wolf stärker mit der Vernetzung aller relevanten Systeme beschäftigen. Mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen wir uns vor allem im Vertrieb und im Marketing, um das Verhalten im Markt besser zu analysieren. Daraus lässt sich direkt Kundennutzen umsetzen, denn dann klingelt gleich Geld in der Kasse. Aber auch in Einkaufsprozessen erwarte ich für Künstliche Intelligenz noch einen großen Schub.

Und zwar auf welchen Anwendungsgebieten?

Bei der Suche und Prüfung von Lieferanten zum Beispiel. In der Vorabauswertung könnte KI für das Risikomanagement eine große Rolle in der Qualifizierung der Lieferanten spielen. Der Trend zum Einsatz lernender Systeme ist hier eindeutig erkennbar. Früher hat sich der Einkauf nur die Bilanz angeschaut. Der wirtschaftliche Rahmen ist aber nur ein Aspekt unter vielen anderen. Der Sitz des Zulieferers ist auch zu bewerten. Oder das politische Umfeld.

Angesichts der Komplexität ganzheitlicher Ablaufketten: Inwieweit verändert sich der Beruf des Einkäufers vom Wertschöpfungsmanager zum Prozessmanager?

Oh, diese Transformation hat schon stark stattgefunden und wird sich fortsetzen. Prozessmanager werden im Einkauf vermehrt gefragt sein; Wertschöpfungsmanager perspektivisch entsprechend weniger. Einkäufer müssen heute gut im Bewerten kompletter und komplexer Abläufe sein.

Welche alten und neuen Fähigkeiten benötigen heute Einkäufer vor allem?

Das ausgeprägte Prozessdenken auch hier. Im Grund geht es auch im Einkauf darum, Unternehmer im Unternehmen zu entwickeln. Er muss über das gesamte Unternehmen den Prozess lenken. Studien prognostizieren, dass Einkäufer zu den wichtigsten Managern in Unternehmen werden. Schnelligkeit und Zuverlässigkeit treten nämlich angesichts von Prozesskosten in den Vordergrund. 

"Der Einkaufsleiter muss gar nicht der beste Einkäufer sein", sagten Sie in einem Interview mit Blick auf die Führungsaufgabe. Worauf legen Sie dabei besonders wert?

Ich lege Wert auf Mitarbeiter mit Top-Fähigkeiten, die mir Anregungen als Bereichsleiter für den Einkauf geben. Dabei halte ich gute Ideen für wichtig, die das Unternehmen insgesamt voranbringen. Mich selbst sehe ich in Führungsverantwortung als Roadblock Remover, also jemanden, der Steine aus dem Weg räumt, um Freiräume dafür zu schaffen.

Welche Erfahrungen aus Ihrer Bundeswehr-Offizierslaufbahn sind übertragbar auf Ihren Job in Leadership für die Industrie?

Gute Führung kennt keinen Unterschied zwischen militärischer und industrieller Anwendung. Die Führungs-Akademien der Bundeswehr sind für ihr Vermittlung von Kompetenz anerkannt. Und ihre Absolventen sind von Firmen wertgeschätzt. Das Militärische nur mit Hierarchischem gleichzusetzen, stimmt so nicht. Klar gibt es eine Befehlstaktik, in der die Anweisung "Tu das!" zentraler Bestandteil ist. Aber es gibt nun mal auch die Auftragstaktik, die in Unternehmen angewendet vor allem greift und bedeutet: "Ich stelle Dir die Mittel zur Verfügung und dann mach!" Natürlich höre ich manchmal ein Frotzeln über meine angeblichen Offiziersallüren. Aber nach meiner Erfahrung anerkennen Mitarbeiter durchaus, wenn klar kommuniziert und entschieden wird.        

Apropos Werte: Im Einkauf scheint die Einhaltung von Compliance in Rückbesinnung auf Skandale die herausragende Herausforderung zu sein, um nachhaltig, konsequent und glaubwürdig aufzutreten. Wie stellt Wolf dies sicher?

Rein formal mit unseren Compliance-Regeln, die wir mindestens einmal im Jahr eigens für Mitarbeiter in Erinnerung rufen, damit sie diese unterschreiben – mit ihrem Blut. Nein, natürlich nur mit Kugelschreiber! Im Einkauf muss jeder die eigenen Verhältnisse zu seinen Lieferanten offenlegen. Einen rollierenden Wechsel von Mitarbeitern lehne ich ab, weil damit jedes Mal zu viel spezielles Know-how verloren geht. Bisher einmal habe ich in der Vergangenheit zwei Einkäufer ausgetauscht, weil sie für mein Empfinden zu nah an Lieferanten herangerutscht waren. Ich beobachte das Verhalten sehr genau.  

Im Leitfaden für Lieferanten weist Wolf auf die "geforderte Null-Fehler-Strategie" hin, nach der es darum geht, Fehler "nicht zu akzeptieren, sichtbar zu machen und zu vermeiden". Andererseits setzen innovative Unternehmen auch auf eine Fehlerkultur. Welche Fehler verzeihen Sie auch Lieferanten, welche führen zum Ausschluss?

Fehlerkultur im Einkauf? Oh, doch, die gehört dazu! Wir bevorzugen mit Lieferanten im offenen Umgang über Fehler zu reden. Eine beliebte Behauptung von Zulieferern lautet: "Diese Mängel gehen nicht auf mich zurück!“ Also zählt jedes Mal die Ursachen zu erforschen und zu beseitigen. Rein statistisch tritt immer mal ein Fehler ein. Wichtig ist der Umgang damit, um ihn nicht zu wiederholen. Bei bestimmten Materialspezifikationen ist sogar eine akzeptierte Fehlerrate festgeschrieben. Kein Zulieferer hat Maßnahmen zu befürchten, wenn seine Rate im Rahmen bleibt. Gleichwohl soll jeder seine Fehler permanent verringern. In der Elektronik gewähren wir zum Beispiel eine Fehlerrate wie sie auch für Automobilzulieferer üblich ist.

Ein noch ausführliches Interview mit Einkaufschef Ernst Kranert von der Wolf GmbH können Sie in der Management-Zeitschrift "return" | Ausgabe 02/18 lesen.

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