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20-08-2015 | Management + Führung | Interview | Article

"Es gibt kein Breitbandantibiotikum gegen Stress"

Author: Andrea Amerland

3:30 min reading time

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Unternehmen verweisen Stressbewältigung oft in die Verantwortung der Mitarbeiter. Noch, meint Springer-Autor Martin-Niels Däfler. Denn weniger stressbedingte Fehler, geringere Fluktuation oder mehr Arbeitnehmerzufriedenheit sind ein Wirtschaftsfaktor.

Springer für Professionals: Keine andere Berufsgruppe hat so hohe Stresswerte wie leitende Angestellte. Doch die so genannte 'Dynaxität‘ nimmt weiter zu. Welches Phänomen beschreibt der Begriff?

Martin-Niels Däfler: 'Dynaxität' ist eine Wortneuschöpfung und setzt sich aus den Bestandteilen Dynamik sowie Komplexität zusammen. Nicht nur, dass die Menge an Arbeit und Aufgaben unaufhörlich wächst; sie verändert sich auch immer schneller und wird immer weniger durchschaubar.

Was können Manager und Mitarbeiter dagegen tun, die Dauerbelastung besser in den Griff zu bekommen? Welche Methode funktioniert nach Ihren Erfahrungen todsicher?

Eine Methode, die todsicher funktioniert, gibt es nicht, denn Stress hat immer individuelle Ursachen und kann dementsprechend auch nur durch individuelle Ansätze vermindert werden. Es gibt kein Breitbandantibiotikum gegen Stress. Nichtsdestotrotz gilt meiner Erfahrung nach für die Mehrheit der Betroffenen: Eine wirksame Anti-Stress-Therapie sollte auf mehreren, gleichberechtigten Säulen beruhen, und zwar auf den Themenbereichen Gesundheit, Lebensziele/Selbstanalyse, Selbstorganisation, Verhalten/Kommunikation sowie Einstellung/Geisteshaltung.

Dabei sollte eines klar sein: Dauerhaft lässt sich Stress nur in die Schranken weisen, wenn man ernsthaft etwas in seinem Leben ändern will und den festen Glauben besitzt, dass man dies auch tun kann. Zudem sollte man die tiefe Einsicht haben, dass man andere nicht ändern kann, sondern nur sich selbst, dass man also bei sich selbst beginnen muss. Dazu sollte man die Bereitschaft mitbringen, loszulassen, eventuell auf Liebgewordenes zu verzichten, manchmal streng zu anderen und oft streng zu sich zu sein.

Die Krankentage durch Burnout haben trotz Stressbewältigungsseminaren durch die Krankenkassen oder umfassender Ratgeberliteratur zum Thema drastisch zugenommen. Stress ist längst zu einem wirtschaftlichen Faktor geworden, der Unternehmen schädigen kann. Auf das erfolgreiche Selbstmanagement der Mitarbeiter allein zu setzen, reicht also nicht aus. Was kann das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) wie beitragen?

Auch die Arbeitgeber haben ihren Anteil zu leisten – sie müssen eine Umgebung schaffen, in der Mitarbeiter weitestgehend stressfrei arbeiten können. Dies ist nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern eine Frage guter Führung. Ein ernst gemeintes BGM, das nicht nur eine Feigenblatt-Funktion hat, ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Doch sind wir ehrlich: Massagen am Arbeitsplatz, Obstkörbe in den Teeküchen und ein jährlicher Gesundheitstag werden das Stressempfinden nur lindern, aber nicht substanziell verringern. Worauf es meiner Ansicht nach vor allem ankommt: Die Mitarbeiter in Ruhe ihre Arbeit machen lassen, sie nicht mit unsinnigen Aufgaben zumüllen und ihnen keine Psychopathen als Chefs zumuten.

Beim Umgang mit Stress werden in der Regel erfolgreiches Selbstmanagement, Entspannungstechniken oder Sport empfohlen. Diese Methoden bekämpfen die Symptome, aber nicht die Ursachen. Arbeitslast und Komplexität zu reduzieren, steht in den Unternehmen nicht auf dem Maßnahmenplan. Und das, obwohl viele Projekte weder in Zeit und Budget noch mit guten Ergebnissen bewältigt werden. Wieso setzen Unternehmen trotz immenser wirtschaftlicher Schäden nicht bei den Ursachen an?

Ich denke, dass es zwei Hauptursachen sind. Erstens: Die meisten Firmen sehen (noch) keine Handlungsnotwendigkeit, weil sie die wirklichen Folgekosten von Stress nicht kennen. Manager handeln auf Grundlage von Tatsachen. Doch im Rechnungswesen beziehungsweise in der Gewinn- und Verlustrechnung gibt es keine Rubrik "Stresskosten". Da zumeist aber nur die Aspekte beachtet und gesteuert werden, die auch (einfach) zu messen sind, ist in etlichen Unternehmen der negative Zusammenhang zwischen Stress und Leistung schlichtweg nicht in seinem vollen quantitativen Ausmaß bekannt.

Zweitens: Solange die Mehrheit der Mitarbeiter das Spiel mitspielt und nicht entschlossen Nein sagt, solange Mitarbeiter aus Angst um ihren Arbeitsplatz oder davor, ihre Karrierechancen zu schmälern, weiter im Hamsterrad rennen, wird kaum ein Arbeitgeber etwas grundlegend ändern.

Und wie könnte ein Maßnahmenkatalog aussehen, um die Dynaxität an der Wurzel zu packen?

Dazu braucht es zunächst entschlossene und mutige Führungskräfte, die erkennen: Wenn wir unseren Mitarbeitern nicht mehr zumuten, als sie leisten können, dann schaden sie nicht ihren Unternehmen, sondern sie helfen ihnen. Weniger Fehler, eine geringere Fluktuation, eine höhere Arbeitnehmerzufriedenheit, eine gesteigerte Attraktivität für Bewerber sowie eine bessere Kundenorientierung sind die unmittelbare Folge. Konkrete Maßnahmen müssten aus verschiedensten Bereichen kommen: der Unternehmenskultur, Führungsrichtlinien, Organisation, Betrieblicher Gesundheitsschutz/Sozialleistungen, Kommunikations- und Informationspolitik und Arbeitszeit-, Entlohnungs- sowie Anreizsysteme.  

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