Skip to main content
Top

29-04-2020 | Materialentwicklung | Schwerpunkt | Article

Was geschieht am Glasübergang?

Author: Dieter Beste

4 min reading time

Activate our intelligent search to find suitable subject content or patents.

search-config
print
PRINT
insite
SEARCH
loading …

Metallische Gläser sind Legierungen, die bei schnellem Abkühlen nicht kristallisieren; ihre Atome erstarren in relativer Unordnung. Forscher haben jetzt herausgefunden, was genau an diesem Glasübergang passiert.

Amorphe Metalle oder metallische Gläser sind im Vergleich zum Werkstoff Glas, der seit mehr als 5000 Jahren technisch genutzt wird, Neulinge auf dem Gebiet der amorphen Materialien. Mitte des 20. Jahrhunderts habe es zwar vereinzelt Berichte von amorphen Dünnschichten durch Metallabscheidung auf sehr kalten Substraten gegeben, berichten Michael Miller und Peter Liaw in ihren Vorwort zu "Bulk Metallic Glasses", aber erst im Jahr 1960 sei am California Institute of Technology die Synthese eines amorphen Metalls durch rasches Abschrecken einer Au-Si-Legierung von etwa 1.300 °C auf Raumtemperatur gelungen. 

Editor's recommendation

01-12-2019 | Werkstoffe

Amorphe Metalle für die Serienfertigung

Amorphe Metalle eignen sich für extrem stabile und dennoch hochelastische Leichtbauelemente in E-Mobilität, Luft- und Raumfahrt oder Medizintechnik. Heraeus Amloy und Engel haben nun einen Prozess entwickelt, mit dem sich die Bauteile aus amorphen …

Seither wird in den Laboren weltweit an der Entwicklung metallischer Gläser gearbeitet, denn amorphe Metalle zeigen bemerkenswerte Eigenschaften auf verschiedenen Gebieten, wie Erhard Hornbogen, Gunther Eggeler und Ewald Werner auf Seite 366 in "Werkstoffe" berichten:

  • Eine Streckgrenze in der Nähe der oberen theoretischen Grenze, ohne dass die Legierung spröde bricht, 
  • ein gutes weichmagnetisches Verhalten und eine 
  • gute Korrosionsbeständigkeit als Folge der Homogenität der Struktur.

Massive metallische Gläser

Seit es gelang, massive metallische Gläser herzustellen, beispielsweise Zylinder mit mehreren Zentimetern Durchmesser, wandelte sich das akademische Interesse in handfeste industrielle Materialentwicklung, um aus diesen exotischen Materialien Bauteile für technische Anwendungen zu fertigen. So eignen sich amorphe Metalle beispielsweise für einen extrem stabilen und dennoch hochelastischen Leichtbau, wie Valeska Melde in der Zeitschrift "lightweight.design", Ausgabe 6/2019 aus der Praxis berichtet: "Mit einem Elastizitätsmodul zwischen 75 und 85 MPa erreichen sie Streckgrenzen von 2 %. Vergleichbare kristalline Werkstoffe, wie zum Beispiel Stahl, kommen nur auf 0,2 %. Gleichzeitig weisen amorphe Metalle eine Dauerfestigkeit von 400 N/mm2 auf und sind mit einer Biegewechselfestigkeit von 2500 MPa doppelt so fest wie Stahl" (Seite 34).

Es ist nicht möglich, reine Metalle in einen gläsernen Zustand zu bringen; es handelt sich bei den amorphen Metallen immer um ein Gemisch aus mehreren Atomarten. Die Herausforderung ihrer Herstellung und Verarbeitung besteht nun darin, dass die Atome in der Schmelze beim Erstarren ihre amorphe Anordnung beibehalten, bringt es Melde auf den Punkt. Die Entwicklung massiver metallischer Gläser beruht auf der Erkenntnis, dass die Keimbildung der Kristallisation einen Diffusionsvorgang zur Herstellung der kristallinen Phase voraussetzt, erklärt Springer-Autor Günter Gottstein in "Materialwissenschaft und Werkstofftechnik": "In Legierungssystemen mit sehr komplexer Struktur der Elementarzelle ist daher die Kristallisation erschwert, so dass man bereits bei geringen Abkühlungsraten die Schmelze unterkühlen und schließlich zum Glas erstarren lassen kann" (Seite 403). Anfangs habe man metallische Gläser noch bei extrem hohen Abkühlungsraten von 1.000.000 K/s schockgefrieren müssen, berichtet Valeska Melde in lightweight.design. "Dank Materialoptimierungen sind mittlerweile jedoch Kühlraten von rund 100 K/s ausreichend."

Forschungserfolg am ESRF

Doch trotz all dieser praktischen Erfolge in der Materialentwicklung war bislang immer noch nicht bekannt, was genau auf atomarer Ebene beim Glasübergang passiert. Ein internationales Team um Isabella Gallino von der Universität des Saarlandes berichtet jetzt in der Zeitschrift "Science Advances" von Erkenntnisfortschritten – und räumt mit einem jahrzehntealten Paradigma auf. 

Am European Synchrotron Research Facility (ESRF) in Grenoble durchleuchteten Gallino und ihre Kollegen die unterkühlte Schmelze der Goldlegierung Au49Cu26.9Si16.3Ag5.5Pd2.3 mit hochenergetischem, harten Röntgenlicht, während die Probe von rund 150 Grad Celsius (flüssig) auf etwa 115 Grad Celsius (glasartig) einfror. Die Verglasungskinetik verfolgten sie unterdessen mit der Fast Scanning Calorimetry (FSC). Dabei handelt es sich um eine Kalorimetrie, die erst in den letzten Jahren auf Basis der MEMS-Technologie möglich wurde und mit der sich sowohl beim schnellen Heizen, aber noch wichtiger, beim schnellen Kühlen Nichtgleichgewichtszustände von Materialien erzeugen und untersuchen lassen.

Unterschiedliche Atome ruckeln sich zurecht

"Bisher ist man immer davon ausgegangen, dass mit der Abnahme der atomaren Beweglichkeit in gleichem Maße die Eigenschaften der Flüssigkeit ab- und die des Feststoffes zunehmen", berichtet Isabella Gallino. "Diese Eins-zu-eins-Korrelation ist allerdings nicht ganz korrekt", so die Untersuchungsergebnisse. Das liege daran, dass die Schmelze aus unterschiedlich großen Atomen bestehe. "Während die großen Atome wie die Goldatome schon eingefroren sind, können sich die kleinen Atome wie Silizium noch bewegen und sich ‚zurechtruckeln‘." Dieses kollektive Fließen führe dazu, dass die globale Beweglichkeit zu diesem Zeitpunkt immer noch vorhanden sei, sodass sich das Material noch wie eine Flüssigkeit verhalte. Erst wenn auch die kleineren Atome einfrieren, erstarrt die Flüssigkeit schließlich vollends zu einem Glas, fanden die Forscher heraus. 
 

print
PRINT

Related topics

Background information for this content

Related content

Premium Partners