Journalismus und Social Media sind im Netz keine Wettbewerber mehr. Soziale Medien sind Partner bei Themenfindung und -recherche, generiert Aufmerksamkeit und gibt dem Journalisten sein "Ich" zurück. Damit lässt sich so einiges anfangen.
Dialog, Interaktion, Partizipation sind die Trümpfe der Sozialen Medien, die die so genannten neuen Amateure, also Blogger und Youtuber bestens auszuspielen verstehen. Klassische Journalisten sind diese Unmittelbarkeit zwischen Sender und Empfänger nicht gewöhnt. Ein traditionell auf Distanz getrimmtes Berufsverständnis, Autorenkürzel und Leserbriefredaktionen waren bislang die Abstandhalter zwischen dem Journalismus und seinem Publikum. Was es bedeutet, zu Lob und Kritik von Angesicht zu Angesicht in Diskussion zu treten, erleben am ehesten freie Lokaljournalisten. Das Internet hat den Journalismus verändert. Vom Web 2.0 könnten Journalisten jedoch schon lange geträumt haben. Das jedenfalls findet Journalist, Medientrainer und Springer-Autor Stefan Primbs.
Wo Journalisten noch Marke sein können
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Denn in Blogs, Videos und Podcast können sich Journalisten als professionelle Marke präsentieren, ohne Redaktionsvorgaben und verlegerische Zwänge. Auf Augenhöhe tauschen sie sich mit der Gemeinschaft aus – und verteidigen sich, falls gefordert. Die Betriebskosten in den Sozialen Netzwerken sind ausgesprochen niedrig: Was es braucht sind Zeit, Lust auf Facebook, Twitter und Co., eine Gefolgschaft und eine Haltung. Die Journalistin und Bloggerin Anna Aridzanjan schreibt auf Socialmediawatchblog unter "Was Social Media mit der Vertrauenskrise der Journalismus zu tun hat" dazu: "Dass wir uns vor unseren Lesern, Zuschauern und Hörern rechtfertigen müssen, ist das Beste, was uns passieren konnte. (...) Eine Haltung ist immer noch wichtig. Das Internet und soziale Netzwerke bieten uns die Möglichkeit diese transparent zu machen. Ich fände es richtig, diese Chance zu nutzen."
Moderner Journalismus ist "Social"
Eine Reihe namhafter Journalisten hat diese Chancen in den ersten Stunden ergriffen. In seinem Buchkapitel "Fünf Blogs für Social-Media-Journalisten" stellt Springer-Autor Primbs etwa den multimedial bloggenden Journalisten Richard Gutjahr als "Prototyp des modernen Journalisten" vor (Seite 175). Gutjahr, Arizanjan oder Stefan Niggemeier sind klassisch ausgebildet. Mit ihrer Teilhabe treiben sie die Professionalisierung der Netzwelt voran. Das Netz revanchiert sich, indem es ihnen gestattet, das im Print bis auf Sonderformen tabuisierte "Ich" auszuschreiben. "Die Blogger gaben dem Journalisten das "Ich" zurück", schreibt Primbs im Buchkapitel "Social Media verstehen" (Seite 53). Dieses "Ich" bewahre davor, die eigene Haltung "mit (vorgeschobener) Neutralität zu tarnen" (Seite 53).
Viralität als oberstes Motto
Doch wer in den Sozialen Netzwerken als meinungsbildende Persönlichkeit Aufmerksamkeit generieren will, muss sich Gefolgschaft sichern. Dazu heißt es, sich von journalistischen Vorstellungen zu verabschieden und die Logiken des Internets zu adaptieren. Mit einer exklusiven Nachricht lässt sich beispielsweise auf Facebook nur solange punkten, bis in der Timeline des Nutzers neuere Posts auftauchen. Exklusive Inhalte müssen also an das jeweilige Netzwerk angepasst werden, rät Primbs in "Publizistische Phänomene in sozialen Netzwerken nutzen" und sich dort wie eine Epidemie verbreiten (Seite 66). Dazu sollten sie (Seite 66):
- auf einen Blick erfassbar sein
- eine subjektive und individuelle Note aufweisen
- für eine Special-Interest-Gruppe geeignet sein
- einen hohen Nutzwert aufweisen
- leicht teilbar sein
- gut diskutieren lassen
Journalistische Formate, mit denen virale Hits gelandet werden können sind (Seite 66ff): | |
Tutorial | Video, das Schritt für Schritt erklärt und Störendes oder Verzögerndes auslässt |
Listen (Listicles) | Versprechen schnelle Information ohne Mühe |
Infografik | Ist leicht teilbar wie ein Foto und bringt komplexe Zusammenhänge auf den Punkt |
Besprechung | Eignet sich als Kernformat für einen Blog |
Unboxing Video | Zeigt das Auspacken eines Gegenstandes, der neu auf dem Markt ist |
Haul-Video | Begründet jüngste Einkäufe |
Rant | Kommentar, der wegen klarer Richtung und ausgeprägter Subjektivität hohe Authentizität aufweist |
Twieeds | Zugespitzte Sätze und Aphorismen sind über Twitter besonders erfolgreich und reichweitenstark |
Making of | Beweisen Authentizität und Medienkompetenz |
Fazit: Ziel für Journalisten in den Sozialen Medien ist, Aufmerksamkeit und Markenbildung über Qualität, Authentizität und den Austausch auf Augenhöhe zu erreichen. Dazu benötigen sie neben Inhalten nach journalistischen Grundregeln, Fans und virale Highlights. Denn: "Posts, die nur auf lineare Reichweite zielen, sind also allenfalls dazu geeignet, bereits gewonnene Fans zu informieren oder zu unterhalten" (Seite 62).