Europäische Automobilhersteller statten ihre Fahrzeuge mit einer Vielzahl an Sensoren aus und verfügen deshalb über große Datenmengen. Allerdings haben viele Unternehmen der Branche Schwierigkeiten bei der wirtschaftlichen Nutzung dieser Ressource. Um trotzdem im globalen Wettbewerb bestehen zu können, müssen Produzenten und Zulieferer die Entwicklung von datengetriebenen Geschäftsmodellen beherrschen. Vor diesem Hintergrund präsentieren wir ein Reifegradmodell, welches Unternehmen bei der wirtschaftlichen Verwendung von Fahrzeugdaten unterstützt. Es dient als Orientierungshilfe, um den Reifegrad eines datengetriebenen Geschäftsmodells in der Automobilindustrie bewerten sowie Verbesserungspotentiale ableiten zu können.
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1 Einleitung
Die wachsende Bedeutung digitaler Technologien zwingt die Automobilindustrie zur Neukonfiguration bestehender Geschäftsmodelle (GM). Fahrzeughersteller mit einer Tradition physischer Wertschöpfungsstrukturen müssen jedoch zugleich ihr Portfolio transformieren, um in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben (Bernhart und Alexander 2020). Insbesondere die Verarbeitung von Fahrzeugdaten erscheint in diesem Kontext von hoher ökonomischer Relevanz. Folgt man beispielsweise McKinsey, so wird der Markt für Fahrzeugdaten bis 2030 ein Volumen von 400 Mrd. USD umfassen (Baule et al. 2024). Die Grundlage für diese neue Datenökonomie bilden vernetzte Fahrzeuge, die nicht mehr nur der Fortbewegung dienen, sondern als vernetzte Mobilitätsobjekte im Internet der Dinge mehrere Gigabyte an Daten pro Tag produzieren (Hood et al. 2019). Der Automobilsektor hat diesen Trend der Datafizierung erkannt und stellt die wirtschaftliche Verwendung von Daten in den Vordergrund. Insbesondere datengetriebene Geschäftsmodelle (DGGM) nehmen hierbei eine wichtige Stellung ein, da sie die Art und Weise beschreiben, nach der ein Unternehmen Wert auf Basis von Daten schafft und erfasst (Hartmann et al. 2016; Strahringer und Wiener 2021; Sterk et al. 2024).
Trotz vernetzter Fahrzeuge, die täglich riesige Datenmenge produzieren, konnten die hohen Umsatzerwartungen bislang nicht erreicht werden. Die Entwicklung und Implementierung von datengetriebenen Geschäftsmodellen weißt viele Hürden auf und der europäische Automobilsektor tut sich schwer damit, echten Wert auf Basis von Fahrzeugdaten zu generieren (Baule et al. 2024; Bertoncello et al. 2021). Selbst weniger tradierte Unternehmen der Automobilbranche scheitern daran, Fahrzeugdaten in Wert umzuwandeln und diesen nachhaltig abzuschöpfen. Beispielsweise wurde das Startup Otonomo noch 2021 mit 657 Mio. US-Dollar bewertet. Doch das Wachstum des Unicorns blieb hinter den Markterwartungen zurück: 2022 generierte Otonomo lediglich 7 Mio. US-Dollar Umsatz, bei operativen Ausgaben von über 130 Mio. US-Dollar. Als Konsequenz wurde das Unternehmen im darauffolgenden Jahr von der Konkurrenz für nur 270 Mio. US-Dollar übernommen (Lunden 2023).
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Vor dem Hintergrund der Herausforderungen zeigt sich, dass die Automobilindustrie das Potenzial von Fahrzeugdaten bislang noch nicht vollständig nutzt. Bislang hat die angewandte Forschung diese Potenziale nicht ausreichend adressiert, weshalb Werkzeuge erforderlich sind, die Praktiker bei der Nutzung von Fahrzeugdaten und der Definition realistischer Zielbilder unterstützen. In diesem Beitrag wird daher ein Reifegradmodell für datengetriebene Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie vorgeschlagen, das Fahrzeugdaten und nicht einen bestimmten Unternehmenstyp als Voraussetzung hat. Das Modell beschreibt die fünf Reifegradstufen 1) Kein DGGM, 2) Rohdaten, 3) vertikales DGGM, 4) horizontales DGGM sowie 5) skaliertes DGGM und beschreibt diese Stufen in den Dimensionen Wertangebot, Wertarchitektur, Wertnetzwerk und Wertfinanzierung. Als Grundlage für die Entwicklung dient eine systematische Literaturrecherche, Sekundärdaten sowie zwei Fallstudien von Unternehmen aus der Automobilbranche (Becker et al. 2009). Die Interviews aus den Fallstudien umfassen die Perspektive von Automobilherstellern, Zulieferern und KMUs, die an der Entwicklung von datengetriebenen Geschäftsmodellen beteiligt sind.
In Stufe 1 des Reifegradmodells weißt ein Unternehmen der Automobilbranche keine datengetriebene Geschäftsmodelle auf. Daten sind vorhanden, allerdings erfolgt keine wirtschaftliche Verwendung. In Stufe 2 werden die Rohdaten aus den Fahrzeugen ausschließlich direkt verkauft. Stufe 3 umfasst die prototypische Entwicklung eines vertikalen DGGMs, wobei mit Lead Usern zusammengearbeitet wird, um Daten in einem kontrollierten Rahmen zu monetarisieren. In Stufe 4 erfolgt die Stabilisierung sowie Markteinführung eines horizontalen DGGMs, wobei der Schwerpunkt auf den operativen Prozessen sowie der Anpassung an die Bedürfnisse der Kunden liegt. Stufe 5 markiert die Skalierung datengetriebener Geschäftsmodelle innerhalb der Automobilbranche. In dieser Phase werden DGGMs profitabel.
Der Artikel ist wie folgt strukturiert: Kap. 2 und 3 führen in den Kontext der Automobilindustrie, in datengetriebene Geschäftsmodelle und Reifegradmodelle ein. Kap. 4 erläutert das entwickelte Modell und seine Stufen. Kap. 5 demonstriert das Reifegradmodell anhand der beiden Fallstudien Car AG und Mamo Insights. Kap. 6 schließt mit einer Zusammenfassung ab. Der Anhang umfasst die methodischen Überlegungen sowie eine erweiterte Problematisierung.
2 Die Automobilindustrie und datengetriebene Geschäftsmodelle
Seit zwei Jahrhunderten fokussiert sich die europäische Automobilindustrie auf die Fahrzeugproduktion und ragt dabei global als Marktführer heraus. Trotz unangefochtener Ingenieurskunst steht die Branche vor der Aufgabe, neue Kompetenzen zu entwickeln, denn seit einigen Jahren stellt die digitale Transformation bestehende Wettbewerbspositionen in Frage. Damit Fahrzeughersteller und Zulieferer auch in Zukunft wettbewerbsfähig sind, müssen technologische Innovationen durch die Autobauer wirtschaftlich genutzt werden – anderenfalls droht das Zurückfallen hinter die Konkurrenten aus China oder den USA (Cornet et al. 2023). Im Rahmen dieser digitalen Umbrüche ist vor allem die Verarbeitung von großen Datenmengen entscheidend – verkörpert durch Schlagwörter wie Big Data oder Künstliche Intelligenz. Diese Datafizierung wird maßgeblich durch vernetzte Fahrzeuge vorangetrieben (Stocker et al. 2017). So ist ein aktueller Pkw ist mit mehr als 40 Sensoren ausgestattet und generiert pro Stunde mehrere Gigabyte an Daten. Diese Daten werden einerseits für den Betrieb des Autos genutzt, andererseits für innovative Geschäftsmodelle ausgeleitet (Kaiser et al. 2021). Europäische Fahrzeughersteller haben das wirtschaftliche Potenzial von Fahrzeugdaten erkannt und bieten erste Dienstleistungen an. Als zentrale Datenquelle bildet das quantifizierte Auto somit die Grundlage für eine Vielzahl datengetriebener Geschäftsmodelle (Sterk et al. 2024; Kaiser et al. 2021).
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Datengetriebene Geschäftsmodelle (DGGM) basieren auf dem übergeordneten Konzept des Geschäftsmodells, welches beschreibt, wie Mehrwerte für Kunden geschaffen und bereitgestellt werden (Osterwalder et al. 2005; Homner et al. 2024). DGGM sind Ausprägungen des Geschäftsmodell-Konzepts, bei denen Daten als zentrale Ressource fungieren und die Wertschöpfung auf daten- oder analytikbasierten Produkten bzw. Dienstleistungen beruht (Osterwalder et al. 2005; Fielt 2013). Der Siegeszug von IoT-Artefakten lässt enorme Datenvolumina entstehen, die als Big Data neue Möglichkeiten zur Geschäftsmodellinnovation eröffnen (Loebbecke und Picot 2015; Zolnowski et al. 2016). Ein DGGM benötigt – erstens – eine klar spezifizierte Datenbasis, deren Herkunft, Kontext und Relevanz nachvollziehbar sind; zweitens transparente Datenprozesse (z. B. Aggregation, Analytics, Visualisierung); drittens ein marktfähiges Leistungsbündel, das von Rohdaten bis zu maßgeschneiderten Services reichen kann; viertens eine definierte Kundengruppe (B2B, B2C, B2G); fünftens ein passendes Erlösmodell (etwa Abonnements, Usage Fees oder Pay-with-Data) und – sechstens – eine erläuterte Kosten- und Nutzenstruktur (Hartmann et al. 2016). Die Wertschöpfung entsteht dabei sowohl durch Prozessoptimierung als auch durch völlig neue Angebote; ihr Gelingen hängt maßgeblich von der Datenqualität und der Zusammenarbeit dreier Akteursrollen ab: Datenanbieter, Datenvermittler und Datennutzer (Schroeder 2016; Wiener et al. 2020). Entwicklungsseitig durchlaufen DGGMs typische Reifephasen von der Experimentierung über MVP und Markteintritt bis zur Skalierung, wobei jede Phase technische, rechtliche und monetäre Spannungsfelder adressieren muss (Lange et al. 2021). Anwendungen reichen von kreditrisikobasierten Finanzservices bis zu fahrverhaltensabhängigen Kfz-Versicherungen, was das breite Innovations- und Wertschöpfungspotenzial datengetriebener Geschäftsmodelle verdeutlicht.
Laut Strahringer und Wiener (2021), sowie im weiteren Sinne nach Al-Debei und Avison (2010), sind datengetriebene Geschäftsmodelle zwischen der Strategie und dem Betrieb eines Unternehmens zu verorten und bestehen aus vier Hauptkategorien: dem Wertversprechen, der Wertarchitektur, dem Wertnetzwerk und der Wertfinanzierung. In der Dimension des Wertversprechens wird der Nutzen sowie die Marktsegmente eines Produktes oder einer Dienstleistung definiert. Die Wertarchitektur beschreibt, wie Ressourcen und Kompetenzen eines Unternehmens organisiert werden, um das Wertversprechen bereitzustellen. Innerhalb des Wertnetzwerks arbeiten Unternehmen mit verschiedenen Interessengruppen zusammen, sodass definiert ist, welche Zulieferer oder Kunden zur Wertschöpfung beitragen. Schließlich befasst sich die Kategorie der Wertfinanzierung mit den finanziellen Aspekten des Geschäftsmodells, einschließlich der Einnahmequellen und Kostenstruktur.
Wie bereits skizziert, macht sich die Automobilindustrie die Kombination von Daten und Geschäftsmodellen zunutze. Unter anderem kann die Integration von Daten zu einer maßgeblichen Veränderung der Wertschöpfung führen, sodass eine Neugestaltung des Wertversprechens resultiert (Sorescu 2017). Ein Beispiel hierfür sind Connected-Car-Dienste, wie sie von vielen Herstellern angeboten werden: Ein Automobilhersteller nutzt Fahrzeug- und Umweltdaten, um Echtzeit-Verkehrsinformationen anzuzeigen oder Hinweise auf freie Parkplätze in der Nähe zu geben (Bosler et al. 2017). Darüber hinaus nutzen Unternehmen der Automobilbranche Daten, um neue Einnahmequellen zu erschließen – entweder durch verbesserte Monetarisierungsstrategien oder durch den Zugang zu bislang unerschlossenen Märkten (Woerner und Wixom 2015). Z. B. verarbeitet ein automobiler Zulieferer in seiner digitalen Plattform für Connected Vehicles das Fahrverhalten, Sensordaten oder Standortinformationen, um vorausschauende Wartungsleistungen für KfZ anzubieten. Die Hauptressource dieser Geschäftsmodelle – Daten – stammt aus einer Vielzahl von Quellen. Interne Fahrzeugdaten umfassen beispielsweise die Geschwindigkeit oder das Fahrmuster. Im Gegensatz dazu sind kontextuelle oder „Vehicle-to-Everything“-Daten vielfältiger und umfassen beispielsweise bevorstehende Gefahren oder Ampelsignale (Soley et al. 2018).
Die Beispiele demonstrieren, dass die europäische Automobilindustrie erste Schritte in Richtung datengetriebener Geschäftsmodelle macht. So nehmen die Autobauer eine Vorreiterrolle bei der Ausstattung von Fahrzeugen mit Sensoren ein und haben, wie skizziert, Zugang zu einer Fülle von Daten (Siegel et al. 2017). Trotz dieser positiven Vorzeichen steht die europäische Automobilindustrie aktuell vor der Herausforderung, wirtschaftlich tragfähige Geschäftsmodelle auf Basis dieser Daten zu entwickeln (Sterk et al. 2022). Die Gründe hierfür sind vielfältig: Mangelnde Kompetenzen für Datenanalyse, proprietäre Datenstandards oder fehlende Methoden zur Preisbestimmung sind nur als examplarische Gründe zu nennen.
3 Bestehende Reifegradmodelle
Zusammenfassend halten wir fest, dass die europäische Automobilindustrie zwar über Fahrzeugdaten verfügt, jedoch deren wirtschaftliches Potenzial bisher ungenutzt bleibt. Während die Forschung erste konzeptionelle Beiträge zur Datennutzung in der Automobilindustrie hervorbringt (vgl. Kaiser et al. 2021; Soley et al. 2018; Sterk et al. 2024; Stocker et al. 2017), fehlt es in der wissenschaftlichen Diskussion an praktischen Ansätzen und Modellen. Obwohl es an Werkzeugen für die Entwicklung und Bewertung von datengetriebenen Geschäftsmodellen mangelt, haben insbesondere Reifegradmodelle seit Jahrzehnten einen hohen Stellenwert in der Automobilindustrie.
Reifegradmodelle haben sich als verbreitetes Instrument etabliert, um den Status quo von Organisationen zu bestimmen, Entwicklungspfade aufzuzeigen und priorisierte Verbesserungsmaßnahmen abzuleiten (Becker et al. 2009, S. 213 f.). Die in der Literatur diskutierten Leitlinien lassen sich insgesamt drei Kategorien zuordnen: erstens Gestaltungsleitlinien für die Modellkonstruktion (z. B. Becker et al. 2009; De Bruin et al. 2005; Lasrado et al. 2016), zweitens Leitlinien für Planung, Einführung und organisationales Lernen mit Reifegradmodellen (z. B. Ahern et al. 2004; Kulkarni und St. Louis 2003) und drittens hybride Ansätze, die beide Aspekte verbinden (z. B. Mettler 2011; Pöppelbuß und Röglinger 2011). Dieser Beitrag fokussiert auf die vielfach zitierten Gestaltungsempfehlungen für Reifegradmodelle von Becker et al. (2009), da sie in der Wirtschaftsinformatik als de-facto-Standard gelten. Das dort vorgestellte Prozedurmodell fordert unter anderem den problemorientierten Entwurf, den systematischen Vergleich mit bestehenden Modellen, iterative Entwicklungs- und Evaluationszyklen, die Anwendung mehrerer empirischer Methoden, sowie eine zielgruppengerechte Ergebnisaufbereitung und wissenschaftliche Dokumentation.
Beispielhaft für Automobilindustrie ist das Modell Software Process Improvement and Capability Determination (SPICE) zu nennen, welches seine Anfänge im Jahr 2001 findet und die Bewertung von Entwicklungsprozessen für Software- und Elektronik-Systeme ermöglicht. Mittlerweile existiert das Model in der Version 4.0 und findet breite Anwendung, beispielsweise wenn Automobilhersteller sicherstellen wollen, dass die Entwicklungsprozesse ihrer Zulieferer gewisse Anforderungen an Sicherheit oder Effizienz erfüllen (Levin et al. 2024). Mit Blick auf Reifegradmodelle in der Automobilindustrie müssen auch die fünf Stufen für autonomes Fahren erwähnt werden. Entwickelt durch die Society of Automotive Engineers (SAE) International und anschließend von der United Nations Economic Commission for Europe (UNECE) übernommen, findet dieses Reifegradmodell industrieweit Anwendung, denn es dient als Maßstab und Orientierung für das langfristige Ziel des autonomen Fahrens. Von keinen autonomen Funktionen (Level 0), über dynamische Fahraufgaben (Level 3), sollen sich Fahrzeuge in Zukunft auch ohne Intervention und Anwesenheit von Personen bewegen können (Level 5). Aktuell sind die Autos führender Herstellter in Stufe 3 einzuordnen (Society of Automotive Engineers International 2021; United Nations Economic Commission for Europe 2018). SPICE und die fünf Level für autonomes Fahren unterstreichen die historische und aktuelle Bedeutung von Reifegradmodellen für die Automobilindustrie. Manager richten ihre strategischen Aktivitäten nach UNECE aus und Einkäufer verwenden SPICE, um die Effizienz von Zulieferern zu bewerten. Trotz der hohen Nützlichkeit für Praktiker und entgegen der hohen wirtschaftlichen Relevanz von Daten, lassen sich in der Forschung fast keine Reifegradmodelle zu Fahrzeugdaten in der Automobilbranche identifizieren.
Eine wichtige Ausnahme lässt sich in Pörtner et al. (2023) finden. Die Autoren kombinieren SPICE sowie Ansätze der Datenverwaltung und entwickeln das Reifegradmodell Data Management SPICE. Das Modell eignet sich für die Definition grundlegender Geschäftsprozesse rund um Datenverwaltung in der Automobilindustrie und ähnelt stark dem bestehenden Reifegradmodell SPICE. Das Modell stellt einen ersten und damit sehr wichtigen Beitrag zur Diskussion um Werkzeuge für den Einsatz und die Verarbeitung von Fahrzeugdaten dar. Vor dieser Folie halten wir fest, dass neben Pörtner et al. (2023) keine weiteren Reifegradmodelle existieren, die explizit die Verwendung von Fahrzeugdaten in der Automobilindustrie betrachten.1 Dem Ruf aus der Praxis wird die bisherige Forschung somit nicht gerecht. Es braucht Werkzeuge wie Reifegradmodelle, die Praktiker unterstützen, die Verwendung von Fahrzeugdaten angemessen einzuordnen (Ist-Zustand) und gleichzeitig realistische Zielbilder (Soll-Zustand) zu definieren. Da die angewandte Forschung erst beginnt, sich diesen Herausforderungen zu widmen, zielt dieses Praxispapier darauf ab, eine erste Orientierungshilfe zu bieten. Vor dem Hintergrund des skizzierten Problemraums, schlagen wir in diesem Artikel deshalb ein Reifegradmodell für datengetriebene Geschäftsmodelle vor. Ob Hersteller, Zulieferer oder Ausrüster, das Modell liefert für die Automobilindustrie folgende Vorteile: Erstens, es unterstützt Unternehmen dabei, ihren Entwicklungsstand bei der wirtschaftlichen Verwendung von Fahrzeugdaten zu bewerten. Somit dient es als Maßstab, um die aktuelle Position eines datengetriebenen Geschäftsmodellen zu bewerten. Zweitens, mithilfe der Reifegradstufen können bestehende Schwächen oder Lücken sowie Verbesserungspoteniziale gezielt identifiziert werden. Drittens, auf Grundlage der Bewertungsergebnisse können systematisch Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, um höhere Reifegradstufen zu erreichen.
4 Ein Reifegradmodell für datengetriebene Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie
Nachfolgend wird das Reifegradmodell für datengetriebene Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie präsentiert. Das Reifegradmodell wurde innerhalb von vier Phasen entwickelt, denen der Prozess nach Becker et al. (2009) zugrunde liegt (s. Anhang).1 Die abgeleiteten Stufen, die einen Entwicklungspfad darstellen, umfassen: 1) Kein DGGM, 2) Rohdaten, 3) vertikales DGGM, 4) horizontales DGGM und 5) skaliertes DGGM (Stahl et al. 2023). Die vier Dimensionen des Reifegradmodells beziehen sich auf datengetriebene Geschäftsmodelle und orientieren sich an Strahringer und Wiener (2021) bzw. im weiteren Sinne an Al-Debei und Avison (2010). Es ist wichtig zu betonen, dass das Reifegradmodell die Verfügbarkeit von Ressourcen voraussetzt und nicht auf eine bestimmte Art von Unternehmen (z. B. OEMs) ausgerichtet ist. Denn auch kleinere Unternehmen kaufen Fahrzeugdaten ein und entwickeln dann DGGMs im Gegensatz zu Fahrzeugherstellern, die die Daten direkt generieren. Zudem ist das Modell einsatzzentriert konzipiert und nicht technologiezentriert: Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Edge Computing verändern zwar die Umsetzungsmöglichkeiten innerhalb der Stufen, wirken sich jedoch nicht grundlegend auf die Struktur oder Abfolge der Reifegrade aus. Auch betrachtet das Reifegradmodell datengetriebene Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie unabhängig von der Art der Kundenbeziehung. Um die Unterschiede zwischen direkten (B2C) und indirekten (B2B) Absatzmodellen zu berücksichtigen, wird empfohlen, Kundengruppen im Rahmen der Anwendung differenziert zu analysieren. Einige Merkmale, wie etwa Zahlungsbereitschaft, Datenbereitstellung oder Wertnetzwerke, können je nach Geschäftsbeziehung unterschiedlich ausgeprägt sein. Darüber hinaus sehen wir die Einhaltung der DSGVO als Grundvoraussetzung für die ordnungsgemäße Entwicklung datengetriebener Geschäftsmodelle – auch bei der Verarbeitung von Rohdaten. Eine Zusammenfassung des Modells ist in Tab. 1 zu finden (für das gesamte Modell s. Tab. A1 im Anhang).
4.1 Reifegrad 1: Geschäftsmodell ohne Daten
In Reifegradstufe 1 verfügt ein Unternehmen der Automobilbranche über keine datengetriebenen Geschäftsmodelle. Zwar sind Daten vorhanden, doch werden sie nicht wirtschaftlich genutzt, da der betriebliche Fokus auf dem Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen liegt. Es wird kein datenbasiertes Wertversprechen angeboten; stattdessen schaffen herkömmliche Angebote wie die Wartung eines Fahrzeugs Mehrwerte und prägen die Beziehung zwischen Kunden und Anbietern.
Die Wertarchitektur ist auf das fahrzeugbezogene Produkt oder die Dienstleistung ausgerichtet, sodass datenbezogene Aktivitäten und Ressourcen in dieser Stufe keine Rolle spielen. Ebenso konzentrieren sich die Beziehungen zu Schlüsselpartnern ausschließlich auf das fahrzeugbezogene Produkt oder die Dienstleistung, wodurch ein datenbezogenes Wertnetzwerk nicht existiert. Auch die Preisgestaltung und Monetarisierung sind in dieser Stufe stark vom Produkt, der Dienstleistung und dem direkten Wettbewerb abhängig.
Tab. 1
Zusammengefasstes Reifegradmodell für datengetriebene Geschäftsmodelle (DGGM) in der Automobilindustrie
1/Kein DGGM
2/Rohdaten
3/Vertikales DGGM
4/Horizontales DGGM
5/Skaliertes DGGM
Definition
Keine wirtschaftliche Datennutzung
Verkauf von Daten
Prototypisches DGGM mit vertikalem Charakter
Marktfähiges DGGM mit horizontalem Charakter
Skaliertes, profitables DGGM
Wertversprechen
Fahrzeugbezogenes Produkt oder Dienstleistung
Vertrieb fahrzeugbezogener Daten
Verprobung von Prototypen mit ausgewählten Kundengruppen
Mehrheitsfähiges Angebot, breitere Kundenbasis
Skalierte Verarbeitung von Fahrzeugdaten, große Kundenbasis
Hohe Kosten bei der Entwicklung, Preismodell berücksichtigt kontrollierten Rahmen
Kosten für Weiterentwicklung, Kosten- und nutzenbasierte Preisgestaltung
Kosten für Skalierung, nutzenbasiertes Preismodell
4.2 Reifegrad 2: Rohdaten
In Reifegradstufe 2 werden Rohdaten aus Fahrzeugen oder Sensoren ausschließlich direkt verkauft, sodass das Wertversprechen durch den Vertrieb generiert wird. Dafür stehen verschiedene Kanäle zur Verfügung, wie etwa der Verkauf eines Produkts (Datensatz) oder die Nutzung einer Schnittstelle (Streaming). Das Geschäftsmodell richtet sich typischerweise an Geschäftskunden (B2B), wie Datenmarktplätze. Eine direkte Ansprache von Endkunden (B2C) erfolgt in dieser frühen Stufe in der Regel nicht. Die verkauften Daten haben einen lokalen Ursprung und werden von Menschen, Objekten oder Prozessen erzeugt. Ein Zukauf von Daten durch Dritte erfolgt nicht. Eine lokale Infrastruktur innerhalb der Organisation ermöglicht die Speicherung, limitierte Aufbereitung sowie die Bereitstellung der Daten, beispielsweise durch den Import oder Export von Datensätzen aus lokalen Datenbanken. Die Datenverwaltung orientiert sich an der regionalen Rechtsprechung.
Für dieses Geschäftsmodell lassen sich zwei Schlüsselpartner identifizieren: Erstens, Produktanbieter stellen physische Geräte zur Datensammlung bereit und schaffen damit die Grundlage für den Datenverkauf. Ein Beispiel wäre ein Modullieferant, der ABS-Sensoren bei einem Teillieferanten erwirbt. Zweitens, Infrastrukturanbieter sorgen für die notwendige technische Infrastruktur und die Werkzeuge zur Datenverwaltung, beispielsweise ein Netzwerkbetreiber für die Übertragung der Daten.
Die Generierung und Bereitstellung der Daten verursacht Kosten, etwa durch den Einkauf von Sensoren oder technischer Infrastruktur. Die Preismodelle können sowohl kosten- als auch nutzenbasiert gestaltet sein, müssen allerdings berücksichtigen, dass Rohdaten direkt übermittelt werden, z. B. in Form von Subskriptionsmodellen oder einmaligen Zahlungen für vordefinierte Datensätze. In Fällen, in denen kein Marktpreis existiert, muss eine individuelle Preisbestimmung in Zusammenarbeit mit dem Kunden erfolgen, etwa auf Basis des Anwendungsfalls oder einer kostenbasierten Kalkulation. Obwohl es sich um eine frühe Reifegradstufe handelt, kann ein datenbasierter Direktverkauf – insbesondere im B2B-Bereich – bereits profitabel sein, etwa bei standardisierten Rohdatensätzen mit geringem Aufwand für Aufbereitung und Distribution. Profitabilität hängt in dieser Phase jedoch stark von der Effizienz der Infrastruktur und der Zahlungsbereitschaft einzelner Nischenmärkte ab.
Die prototypische Entwicklung datengetriebener Geschäftsmodelle mit vertikalem Charakter ist der Stufe 3 zuzuordnen. In dieser Phase wird mit ausgewählten Kundengruppen zusammengearbeitet, um Daten in einem kontrollierten Rahmen wirtschaftlich zu nutzen. Durch die Verarbeitung fahrzeugbezogener und ergänzender Daten entsteht ein prototypisches Wertversprechen, wie die Bereitstellung rudimentärer Informationen oder erster Handlungsempfehlungen. Demonstratoren dienen dazu, vielfältige Ideen gemeinsam mit ausgewählten Kundengruppen zu verproben. Aufgrund des vertikalen Charakters wird das DGGM etwa mit Lead Usern, Besitzern bestimmter Fahrzeugmodelle oder einzelnen Automobilherstellern getestet. Dabei werden sowohl B2C-Kunden (z. B. Lead User) als auch B2B-Partner (z. B. OEMs) angesprochen. Diese Mischung spiegelt die Vielfalt vertikaler Anwendungsfälle wider und erfordert eine situationsabhängige Differenzierung. Je nach Kundentyp werden digitale Kanäle wie Webdienste, APIs oder Benachrichtigungen genutzt, um Erkenntnisse aus den Daten bereitzustellen.
Die für das Geschäftsmodell verwendeten Daten stammen aus internen, heterogenen und unstrukturierten Quellen, was zu einem hohen Aufwand bei der Identifikation, Verwaltung und Aufbereitung führt. Die vorhandene Infrastruktur ist oft rudimentär, und die Unternehmenskultur ist stärker auf bestehende als auf datengetriebene Geschäftsmodelle ausgerichtet. Daher ist Unterstützung durch externe Spezialisten erforderlich. Da es sich in dieser Phase um einzelne datenbasierte Innovationen handelt, erfolgt die Entwicklung häufig in einem experimentellen rechtlichen Rahmen, etwa in einem Reallabor (engl. „regulatory sandbox“). Obwohl die DSGVO bereits in der vorherigen und dieser Phase als Grundvoraussetzung berücksichtigt wird, erfolgt die Entwicklung häufig in einem geschützten, noch nicht marktreifen Umfeld – etwa einem Reallabor –, in dem angepasste oder vorbereitende Datenschutzmaßnahmen angewendet werden.
Für die prototypische Entwicklung ist die aktive Einbindung ausgewählter Kundengruppen entscheidend. Diese fungieren nicht nur als Nutzer des Wertangebotes, sondern tragen durch Co-Creation aktiv zur Entwicklung des DGGMs bei. Ein interner Sponsor stellt finanzielle Ressourcen bereit, wodurch die frühe Entwicklung und Erprobung des Geschäftsmodells ermöglicht wird. Externe Spezialisten, wie Berater oder Forschungseinrichtungen, unterstützen durch die Bereitstellung von Expertise, beispielsweise im Bereich der Datenverarbeitung.
Die Entwicklung eines DGGMs erfordert hohe Anfangsinvestitionen, etwa für die Funktionsentwicklung oder den Einsatz externer Berater. Diese Kosten werden nicht direkt auf die Kunden umgelegt. Stattdessen wird ein kontrollierter Rahmen geschaffen, in dem die eingebundenen Kunden mit ihren Daten bezahlen und so Zugang zum Wertangebot erhalten (Pay-with-Data). Eine nutzenbasierte Preisgestaltung ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich, da die Zahlungsbereitschaft der Kunden erst durch die prototypische Erprobung und Co-Creation ermittelt wird.
Nach der erfolgreichen prototypischen, vertikalen Verprobung beginnt mit der Reifegradstufe 4 die Stufe der Stabilisierung und Markteinführung. Aufgrund dieser Ausdehnung erhält das datengetriebene Geschäftsmodell einen horizontalen Charakter. In dieser Phase liegt der Fokus auf der Optimierung operativer Prozesse und der Anpassung an spezifische Kundenbedürfnisse.
Das Wertversprechen ist nun marktfähig und basiert auf der Verarbeitung fahrzeugbezogener sowie ergänzender Daten, beispielsweise in Form von Informationen oder Handlungsempfehlungen. Gleichzeitig wurde die Zielgruppe erweitert: Mit dem Go-live richtet sich das Angebot an eine breitere, horizontale Kundenbasis, darunter die Early Majority, verschiedene Fahrzeugmodelle oder ausgewählte Regionen. Diese Kundenbasis kann B2C- und/oder B2B-Kunden umfassen. Je nach Ausgestaltung des Geschäftsmodells erfolgt die Ansprache entweder an Privatkunden, Geschäftskunden oder beide Zielgruppen parallel. Dieses Wachstum erfordert ein fundiertes Verständnis der Kundenintegration in den Wertschöpfungsprozess. Resultat dessen sind erste Individualisierungsoptionen sowie ausgebaute Vertriebskanäle sind – etwa die dauerhafte Integration in bestehende Kundensysteme.
Die Kerndaten des Geschäftsmodells wurden als zentrale Ressource identifiziert, z. B. Verbrauchswerte von Fahrzeugen. Die Datenqualität spielt dabei eine entscheidende Rolle und muss ein Mindestniveau erfüllen, um eine zuverlässige Leistungserbringung sicherzustellen. Im Vergleich zur vorherigen Stufe werden nun ergänzend externe Daten von Partnern oder Anbietern genutzt. Um umfassendere Datenauswertungen zu ermöglichen, wird Software auf Team- oder Abteilungsebene implementiert, beispielsweise Datenhubs. Diese Einführung führt jedoch zu einer heterogenen IT-Infrastruktur innerhalb des Unternehmens. Gleichzeitig wurden flexible, unabhängige Teams gegründet, um einzelne datengetriebene Geschäftsmodelle am Markt zu testen. Während erste Prozesse für die Datenverarbeitung etabliert sind, besteht weiterhin Bedarf an unternehmensweiten Kompetenzen zur Datenanalyse. Die Datenverwaltung erfolgt im Einklang mit regionalen Rechtssystemen, wie etwa der DSGVO, was spezifisches Wissen über die jeweilige Rechtslage erfordert.
Externe Datenzulieferer treten in dieser Phase als Schlüsselpartner auf, da sie vorab gesammelte und verarbeitete Daten für das datengetriebene Geschäftsmodell bereitstellen (siehe Stufe „Rohdaten“).
Die Kosten dieser Phase ergeben sich aus der Weiterentwicklung des Geschäftsmodells zur Marktreife, dem Ausbau der Infrastruktur und dem Bezug externer Daten. In dieser Stufe des DGGMs wird eine hybride Preisstrategie verfolgt: Mit der wachsenden Kundenbasis erfolgt der Übergang von einer kostenbasierten zu einer nutzenbasierten Preisgestaltung. Kundenpräferenzen, Zahlungsbereitschaft und verschiedene Preismodelle werden anhand erweiterter Kundendaten validiert. Marktpreise können dabei als Referenz dienen. Die Umsetzung von kurzfristig umsetzbaren Lösungen für offensichtliche Kundenprobleme, trägt zur Stabilisierung der Marktposition und der Umsätze bei.
Reifegradstufe 5 markiert die Skalierung eines datengetrieben Geschäftsmodells sowohl innerhalb der Automobilbranche als auch sektorenübergreifend. Erst in dieser Phase werden DGGMs profitabel. Dies entspricht der Effizienzphase nach Christensen et al. (2016), in der sich Geschäftsmodelle durch klare Prioritäten, standardisierte Prozesse und abgestimmte Komponenten erstmals wirtschaftlich tragen. Frühere Stufen – insbesondere Stufe 3 – bleiben laut Studie oft defizitär, da sie noch nicht effizient oder konsistent genug sind.
Das Wertversprechen basiert auf der skalierbaren Verarbeitung fahrzeugbezogener und ergänzender Daten, beispielsweise durch die Implementierung zusätzlicher Funktionen. Die Kundenbasis wächst und umfasst nun Late Adopter, gesamte Fahrzeugflotten oder mehrere Regionen (z. B. die Europäische Union). Deshalb wird in dieser Phase das Wertangebot auch klar kommuniziert: Es bietet verschiedene Funktionen, ist individualisierbar und wird an regionale oder kulturelle Gegebenheiten angepasst. Die Kunden können dabei aus dem B2C- und/oder B2B-Bereich stammen. Je nach Anwendungsfeld werden Privatkunden, Geschäftskunden oder Institutionen adressiert. Der Vertrieb erfolgt über diverse Kanäle wie Händlernetzwerke, digitale Plattformen, Webanwendungen, integrierte Services oder Schnittstellen. Durch die Vielzahl an Kunden und Partnern entsteht ein umfassendes Datenökosystem (Kari et al. 2025).
Die Skalierung des Geschäftsmodells zeigt sich auch in der Wertarchitektur. Die Qualität der Daten – sowohl intern als auch extern – wird durch Industriestandards und eine einheitliche Datengovernance sichergestellt. Gleichzeitig werden verschiedene interne und externe Datenquellen genutzt, was zu einer erhöhten Datenmenge führt. Innerhalb der Organisation wurde ein zentraler, unternehmensweiter Datenzugang geschaffen. Redundante und heterogene IT-Systeme sind vereinheitlicht und werden in einer skalierbaren, oft cloudbasierten Umgebung betrieben. Um die langfristige Entwicklung und den Betrieb von DGGMs zu sichern, werden sowohl externes Recruiting als auch interne Weiterbildungsprogramme eingesetzt. Zudem ermöglicht überregionales Wissen zu Datenrecht und -schutz (z. B. DSGVO) eine multinationale Skalierung.
Das entstehende Datenökosystem umfasst zahlreiche Stakeholder-Beziehungen und wird durch Partnerschaftsprogramme oder digitale Plattformen orchestriert. Outsourcing an externe Anbieter, definierte Prozesse und strategische Partnerschaften unterstützen die Skalierung. Dabei spielen neue Akteure eine zentrale Rolle: 1) Standardisierungsinitiativen entwickeln und verbreiten einheitliche Datenstandards und fördern so die Skalierung. 2) Strategische Partnerschaften bilden die Grundlage für die Optimierung und den Zugang zu Ressourcen. 3) Externe Zulieferer übernehmen Teile des DGGMs und betreiben diese. 4) Bei der sektorübergreifenden Ausweitung werden neue Endnutzer, wie z. B. Straßenverkehrsämter bei infrastrukturellen DGGMs, zu Schlüsselpartnern und aktiv in die Weiterentwicklung eingebunden.
Die Skalierung und der erweiterte Betrieb verursachen zusätzliche Kosten, z. B. für Marketing, Wartung, Weiterentwicklung, Service, Datenerwerb und technische Infrastruktur. Auch Outsourcing ist ein relevanter Kostenpunkt. Ein nutzenbasiertes Preismodell wird nun eingesetzt, da die Zahlungsbereitschaft der Kunden genau erfasst ist. Einmalige Verkäufe werden zugunsten von Subskriptionsmodellen vermieden, um langfristige Einnahmeströme zu sichern. Das DGGM wird durch umsatzsteigernde Funktionen, das Wachstum der Kundenbasis, Preisanpassungen und Markterweiterungen skaliert. Die Einnahmen dienen als Investitionen für neue Funktionen oder die sektorübergreifende Skalierung des DGGMs.
5 Demonstration des Reifegradmodells anhand von zwei Beispielen
Im Anschluss an die Vorstellung des Reifegradmodells für datengetriebene Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie, folgt nun die Demonstration anhand zweier Beispiele. Zum einen wird das DGGM „Connected Traffic“ der Car AG diskutiert, zum anderen „Smart Infrastructure“ von Mamo Insights. Zur Illustration wurden die beiden Fallstudien in Abb. 1 normiert und eingeordnet. Die Einordnung erfolgt anhand eines nach dem arithmetischen Mittel normierten Wertes:
$$\frac{1}{n}\sum \limits_{i=1}^{n}x_{i}$$
Abb. 1
Anwendung des Reifegradmodells an zwei Beispielen (Mamo Insights und Car AG)
Wobei n die Gesamtanzahl der Elemente x der Dimensionen darstellt (z. B. „Kundensegmente“ für die Dimension „Wertversprechen“) und somit gilt n=8, da es acht Elemente gibt (s. Abb. 1). Der Wert der Elemente x ist abhängig von der jeweiligen Stufe innerhalb des Reifegradmodells, somit gilt:
„Connected Traffic“ ist ein datenbasiertes Geschäftsmodell, das Fahrern hilft, Stop-and-Go-Verkehr zu vermeiden. Hierfür wird im Cockpit die optimale Geschwindigkeit angezeigt, um die nächste Ampel bei Grün zu passieren. Auch können Empfehlungen gegeben werden, z. B. die geltende Höchstgeschwindigkeit einzuhalten oder die Geschwindigkeit 250 m vor der nächsten Ampel langsam zu reduzieren, um ein Anhalten zu vermeiden. Laut dem vorgestellten Reifegradmodell befindet sich das Geschäftsmodell in Phase 3. Connected Traffic wurde bereits auf dem Markt eingeführt und ist für Kunden nutzbar.
Reifegrad
Das datengetriebene Geschäftsmodell wird der Phase 3, dem vertikalen DGGM, zugeordnet. Es handelt sich um ein herstellerspezifisches Geschäftsmodell, das ausschließlich von einem einzelnen Hersteller implementiert wird.
Wertversprechen
Aufgrund der Begrenzung auf einen einzigen Hersteller wird das DGGM nur von einer spezifischen Kundengruppe genutzt. Die hierfür verwendeten Daten basieren sowohl auf fahrzeugbezogenen Informationen (z. B. Fahrzeugposition) als auch auf der Onlinevernetzung mit der Infrastruktur (sog. Vehicle-to-Everything).
Wertearchitektur
Die technische Infrastruktur des DGGMs konzentriert sich auf die Verarbeitung der gesammelten Daten. Verfügbare Datenstandards werden genutzt und werden in strategischen Partnerschaften weiterentwickelt. Obwohl die Unternehmenskultur von Car AG auf das DGGM abgestimmt ist, steht die Datenverwendung nicht im Mittelpunkt der geschäftlichen Ausrichtung.
Wertnetzwerk
Die Kundengruppen des Herstellers agieren nicht nur als Nutzer des Wertangebots, sondern tragen aktiv zur Weiterentwicklung des Produkts bei. Über die verschiedene Kanäle, wie eine App, können sie direkt Feedback geben, welches sowohl aktuelle als auch zukünftige Produktgenerationen beeinflusst.
Wertfinanzen
Der Vertrieb des DGGM erfolgt derzeit über eine digitale Plattform. Da der Service bislang nur in ausgewählten Städten verfügbar ist, ist eine nutzenbasierte Preisgestaltung noch nicht umsetzbar. Die Zahlungsbereitschaft der Kunden kann aufgrund der eingeschränkten Marktabdeckung derzeit nicht ausreichend evaluiert werden.
5.2 Mamo Insights: Smart Infrastructure
Seit der Gründung als Technologieunternehmen fokussiert sich Mamo Insights auf die Softwareentwicklung für die Automobilbranche und im Speziellen auf virtuelle Sensorik. In den letzten Jahren konnte Mamo Insights sein Tätigkeitsfeld um Infrastrukturlösungen erweitern: Das Unternehmen bietet nun datengetriebene Geschäftsmodelle für den öffentlichen Sektor an und nutzt dabei Fahrzeugdaten als Kernressource. Im Folgenden wird „Smart Infrastructure“ betrachtet, ein datengetriebenes Geschäftsmodell für die Infrastrukturanalyse.
Reifegrad
Smart Infrastructure ist in Stufe 5 einzuordnen, denn Mamo Insights hat sein DGGM aus der Automobilindustrie in eine neue Domäne überführen können. Das Geschäftsmodell basiert auf Fahrzeugdaten und findet Anwendung im öffentlichen Sektor.
Wertversprechen
Im Vergleich zum ursprünglichen DGGM verwendet Mamo Insights für seine Infrastrukturlösung eine skalierte Menge an Daten. Durch den Wechsel in einen neuen Sektor erweiterte sich die Kundenbasis, sodass die Abnehmer nicht nur OEMs und Zulieferer umfassen, sondern auch öffentliche Behörden, Auftragnehmer oder Systemlieferanten.
Wertarchitektur
Mamo Insights integriert in seinem Geschäftsmodell drei zentrale Datenquellen, die jedoch keinen Industriestandards unterliegen. Die Hauptdatenquelle sind Flottendaten von verschiedenen Fahrzeugherstellern, ergänzt durch Kartendaten sowie Wetterdaten. Die Daten sind identisch mit denen aus dem ursprünglichen Geschäftsmodell, sodass eine Zweitverwertung erfolgt. Da die Rekontextualisierung allerdings neues Domänenwissen erfordert, stellte Mamo Insights zusätzliches Personal mit spezifischem Infrastruktur-Know-How ein.
Wertnetzwerk
Um eine zuverlässige sowie standardisierte Datengrundlage sicherzustellen, ist Mamo Insights eine strategische Partnerschaft mit einem Fahrzeughersteller eingegangen. Das Geschäftsmodell basiert somit auf dieser langfristigen Zusammenarbeit, wird jedoch erst durch die Beziehung zu zwei externen Datenzulieferern ermöglicht. Für die Entwicklung und Bereitstellung seines Infrastruktur-Geschäftsmodells arbeitet das Unternehmen auch mit öffentlichen Behörden, Auftragnehmern sowie unterstützenden Akteuren (Beratern, Systemanbietern) zusammen.
Wertfinanzen
Durch die Skalierung des Geschäftsmodells werden die Einnahmequellen vielfältiger, da das Angebot nun für weitere Kunden aus dem öffentlichen Sektor von Relevanz Wert schafft. Mamo Insights schafft es deshalb, mit das gleichen Datenquellen zusätzliche Umsätze zu generieren.
6 Zusammenfassung
Automobilhersteller statten ihre Fahrzeuge mit einer Vielzahl an Sensoren aus und verfügen deshalb über große Datenmengen. Allerdings hat die europäische Automobilindustrie Schwierigkeiten bei der wirtschaftlichen Nutzung dieser Resource. Um trotzdem im globalen Wettbewerb bestehen zu können, müssen Produzenten, Zulieferer und Ausrüster die Entwicklung von datengetriebenen Geschäftsmodellen beherrschen. Vor diesem Hintergrund wurde in dem vorliegenden Beitrag ein Reifegradmodell präsentiert, welches Unternehmen dabei unterstützt, ihren Entwicklungsstand bei der Verwendung von Fahrzeugdaten zu bewerten. Somit dient es als Maßstab, um den Reifegrad eines datengetriebenen Geschäftsmodells zu bewerten. Auf Grundlage der Bewertungsergebnisse können systematisch Lücken, Verbesserungspotenziale sowie Handlungsempfehlungen identifiziert werden.
Das Reifegradmodell ist in vier Geschäftsmodelldimensionen eingeteilt: Wertangebot, Wertarchitektur, Wertnetzwerk und Wertfinanzen. Weiterhin sieht das Reifegradmodel fünf Stufen vor. In Stufe 1 weißt ein Unternehmen der Automobilbranche keine datengetriebene Geschäftsmodelle auf. Daten sind vorhanden, allerdings erfolgt keine wirtschaftliche Verwendung. In Stufe 2 werden die Rohdaten aus den Fahrzeugen ausschließlich direkt verkauft. Stufe 3 umfasst die prototypische Entwicklung eines DGGMs, wobei mit Lead Usern zusammengearbeitet wird, um Daten in einem kontrollierten Rahmen zu monetarisieren. In Stufe 4 erfolgt die Stabilisierung sowie Markteinführung eines datengetriebenen Geschäftsmodells, wobei der Schwerpunkt auf den operativen Prozessen sowie der Anpassung an die Bedürfnisse der Kunden liegt. Stufe 5 markiert die Skalierung datengetriebenen Geschäftsmodelle innerhalb der Automobilbranche. In dieser Phase werden DGGMs profitabel.
Obwohl das Reifegradmodell praxisorientierte Entwicklungspfade für datengetriebene Geschäftsmodelle aufzeigt, adressiert es nicht alle strukturellen Voraussetzungen, die ihrer Umsetzung vorgelagert sind. Insbesondere bleibt offen, wer überhaupt Zugriff auf relevante Fahrzeugdaten hat, wie dieser Zugang organisiert ist und unter welchen Bedingungen Daten Dritten zur Verfügung gestellt werden können. Diese Fragen nach Datenverfügbarkeit und -kontrolle sind von zentraler Bedeutung, da sie maßgeblich darüber entscheiden, ob ein datengetriebenes Geschäftsmodell in der Praxis realisierbar ist. Zukünftige Forschung sollte diese vorgelagerten Aspekte stärker einbeziehen, um den Rahmenbedingungen der Datenökonomie in der Automobilindustrie umfassender gerecht zu werden.
Neben dieser strukturellen Perspektive ergeben sich auch methodische Weiterentwicklungsbedarfe. So könnte das Modell künftig um definierte Kennzahlen auf Ebene der einzelnen Dimensionen ergänzt werden. Diese würden nicht nur die Vergleichbarkeit erhöhen, sondern auch die Orientierung in der praktischen Anwendung erleichtern. Darüber hinaus sehen wir Anwendungspotenzial über die Automobilindustrie hinaus. Zwar sind bestimmte Rahmenbedingungen – etwa die Rolle von Fahrzeugdaten, Zuliefernetzwerken oder regulatorischer Anforderungen – branchenspezifisch, jedoch lassen sich zentrale Prinzipien des Reifegradmodells auf verwandte datenbasierte Geschäftsmodelle in anderen Industrien übertragen. Dazu zählen etwa Mobilitätsdienste, der Energiesektor oder die industrielle Fertigung. Insbesondere die Strukturierung entlang von Wertversprechen, -architektur, -netzwerk und -finanzen bietet eine robuste Grundlage für den sektorübergreifenden Einsatz.
Da der Bedarf nach innovativen Ansätzen für Fahrzeugdaten in der Praxis aktuell hoch ist, hoffen wir, dass auch andere Forschende sich den Anforderungen der Automobilindustrie widmen. Weit über diesen Artikel hinaus braucht es Werkzeuge und Modelle, die Praktiker unterstützen, die Verwendung von Fahrzeugdaten angemessen einzuordnen und gleichzeitig realistische Zielbilder zu definieren. Ob OEM, Zulieferer oder andere Akteure im Ökosystem wie Versicherungen oder Flottenbetreiber – es bedarf kontextspezifischer Ansätze, die über das hier vorgeschlagene Modell hinausgehen und zielgruppenspezifische Lösungen entwickeln. Da die angewandte Forschung erst beginnt, sich diesen Herausforderungen zu widmen, hoffen wir, mit diesem Praxispapier eine erste Orientierungshilfe zu bieten.
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Anhang A – Detaillierte Version des Reifegradmodells
Tab. A1
Detailliertes Reifegradmodell für datengetriebene Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie
Stufe 1: Kein datengetriebenes Geschäftsmodell
Definition
In Stufe 1 weißt ein Unternehmen der Automobilindustrie keine datengetriebene Geschäftsmodelle auf. Daten sind vorhanden, allerdings erfolgt keine wirtschaftliche Verwendung.
Wertversprechen
Ein fahrzeugbezogenes Produkt oder eine Dienstleistung (z. B. Wartung) generieren Mehrwerte und definieren die Beziehung zwischen Kunde und Anbieter. Es werden keine datenbasierten Wertversprechen vertrieben.
Wertarchitektur
Keine datenbezogenen Aktivitäten und Ressourcen. Die Wertarchitektur ist auf das fahrzeugbezogene Produkt oder die Dienstleistung ausgerichtet.
Wertnetzwerk
Kein datenbezogenes Wertnetzwerk. Die Beziehungen zu Schlüsselpartnern sind auf das fahrzeugbezogene Produkt oder die Dienstleitung ausgerichtet.
Wertfinanzen
Die Preisgestaltung und Monetarisierung hängen vom Produkt oder der Dienstleitung und dem direkten Wettbewerb ab.
Stufe 2: Rohdaten
Definition
In Stufe 2 werden die Rohdaten aus den Fahrzeugen oder Sensoren ausschließlich direkt verkauft.
Wertversprechen
Das Wertversprechen wird durch den Vertrieb von fahrzeugbezogenen sowie komplementären Rohdaten erzeugt. Der Datenverkauf ermöglicht eine ständige Beziehung zwischen Lieferant und Kunden. Der Vertriebskanal wird dabei zweckmäßig bestimmt, z. B. über ein Produkt (Datensatz) oder eine Schnittstelle (API). Das Wertversprechen richtet sich primär an Geschäftskunden (B2B), etwa Datenmarktplätze, Versicherer oder Flottenbetreiber.
Wertarchitektur
Die verkauften Daten haben einen lokalen Ursprung und werden von Menschen, Objekten oder Prozessen generiert. Es erfolgt kein Datenzukauf von Dritten.
Eine lokale Infrastruktur ermöglicht die Speicherung, limitierte Aufbereitung und Ausleitung der Daten (z. B. Import/Export von Datensets aus lokalen Datenbanken).
Die Datenverwaltung orientiert sich an der regionalen Rechtsprechung.
Wertnetzwerk
Produktanbieter stellen physische Geräte zur Datensammlung bereit und bilden somit die Grundlage für den Datenverkauf, z. B. Modullieferant kauft ABS-Sensor bei Teillieferant ein.
Infrastrukturanbieter sorgen für die notwendige technische Infrastruktur und Werkzeuge für die Datenverwaltung, z. B. Netzwerkbetreiber für die Übertragung von Daten.
Wertfinanzen
Kosten entstehen bei der Datengenerierung und -ausleitung, z. B. beim Einkauf von Sensoren oder technischer Infrastruktur.
Die Preisgestaltung ist kosten- und/oder nutzenbasiert. Die Preismodelle berücksichtigen, dass Rohdaten direkt übermittelt werden. Denkbar sind z. B. Subskriptionsmodelle oder einmalige Zahlungen für vordefinierte Datensätze. Sofern kein Marktpreis vorhanden ist, muss eine individuelle Preisbestimmung mit dem Kunden erfolgen (z. B. anwendungsfall- oder kosten-basierte Kalkulation).
Stufe 3 umfasst die prototypische, vertikale Entwicklung eines DGGMs, wobei mit ausgewählten Kundengruppen zusammengearbeitet wird, um Daten in einem kontrollierten Rahmen wirtschaftlich zu verwerten.
Wertversprechen
Das prototypische Wertversprechen wird aus der Verarbeitung fahrzeugbezogener und ergänzender Daten abgeleitet (z. B. rudimentäre Informationen oder Handlungsempfehlungen). Vielfältige Ideen werden anhand von vertikalen Prototypen erprobt. Je nach Anwendungsfall richtet sich das Wertversprechen an Geschäftskunden (B2B) oder an ausgewählte Endkunden (B2C) – eine Differenzierung erfolgt situativ. Je nach Kunde ermöglichen ausgewählte digitale Kanäle die Bereitstellung von Erkenntnissen aus Daten (z. B. Webdienste, APIs, Benachrichtigungen).
Wertarchitektur
Die verwendeten Daten stammen aus internen Quellen, sind heterogen und nicht strukturiert. Hoher Aufwand entsteht bei der Identifikation und Aufbereitung der Daten.
Die Infrastruktur für die Datenverwaltung ist rudimentär.
Die Unternehmenskultur ist auf das existierende Geschäftsmodell, aber nicht auf die Verwertung von Daten ausgerichtet. Es entstehen vereinzelte Innovationen auf Basis von Daten. Externe Spezialisten unterstützen bei der Entwicklung.
Datengetriebene Geschäftsmodelle werden in einem experimentellen rechtlichen Rahmen entwickelt und verprobt (z. B. im Reallabor).
Wertnetzwerk
Ausgewählte Kundengruppen treten nicht nur als direkte Nutzer des Wertangebotes auf, sondern werden aktiv in die Entwicklung des DGGMs eingebunden (Co-Creation).
Der Sponsor stellt finanzielle Resourcen bereit und ermöglicht die frühe Entwicklung und Verprobung des Geschäftsmodells.
Externe Spezialisten wie Berater oder Forschungseinrichtungen unterstützen bei der Entwicklung des DGGM, in dem sie z. B. Wissen über die Datenverarbeitung einbringen.
Wertfinanzen
Hohe initiale Kosten entstehen bei der prototypische Entwicklung des DGGMs z. B. für die Funktionsentwicklung oder externe Berater. Die Preisgestaltung berücksichtigt den kontrollierten Rahmen, z. B. dass die eingebundenen Kunden mit ihren Daten bezahlen und somit Zugang zum Wertangebot erhalten (Pay-with-Data). Die anfallenden Investitionskosten werden nicht direkt an die Kunden weitergegeben. Eine nutzenbasierte Preisgestaltung ist nicht möglich, da die Zahlungsbereitschaft der Kunden nicht bekannt ist. Wissen über die Zahlungsbereitschaft wird durch die prototypische Erprobung und Co-Creation aufgebaut.
In Stufe 4 erfolgt die Stabilisierung und Markteinführung eines horizontalen DGGMs, wobei der Schwerpunkt auf den operativen Prozessen sowie der Anpassung an die Bedürfnisse der Kunden liegt.
Wertversprechen
Das Wertversprechen ist in einem marktfähigen Format und wird aus der Verarbeitung fahrzeugbezogener und ergänzender Daten abgeleitet (z. B. Informationen oder Handlungsempfehlungen).
Durch einen „Go live“ wird eine breitere Kundengruppe angesprochen, z. B. die Early Majority, mehrere Fahrzeugmodelle oder eine ausgewählte Region. Es besteht ein fundiertes Verständnis über die Integration der Kunden in der Wertschöpfungsprozess, sodass bspw. erste Individualisierungen möglich sind. Das horizontale Wertversprechen richtet sich an B2C- und/oder B2B-Kundengruppen – etwa Fahrzeugnutzer, Flottenbetreiber oder Mobilitätsdienstleister. Auch die Vertriebskanäle wurden erweitert, z. B. durch eine dauerhafte Integration in Kundensysteme oder fortgeschrittene Visualisierungen.
Wertarchitektur
Die Kerndaten für das Geschäftsmodell sind bekannt und wurden als zentrale Ressource identifiziert, bspw. Fahrzeugdaten. Die Datenqualität ist nun einer kritischer Parameter und muss ein Mindestniveau erfüllen. Auch externe Daten von Partnern oder Anbietern werden genutzt.
Die Einführung von Software für die Datenauswertung ist erfolgt, z. B. Datenhubs auf Team- oder Abteilungsebene. Es besteht eine heterogene IT-Infrastruktur innerhalb des Unternehmens.
Es wurden flexible, unabhängige Teams für die Erprobung einzelner DGGMs am Markt gegründet. Erste Prozesse für die Datenverarbeitung bestehen. Breitflächige Kompetenzen zur Datenanalyse im Unternehmen fehlen.
Die Datenverwaltung und -nutzung ist konform mit einem regionalen Rechtssystem, d. h. Wissen über die Rechtsauslegung in einer Region ist notwendig (z. B. DSGVO).
Wertnetzwerk
Externe Datenzulieferer stellen Daten für das DGGM bereit. Die übermittelten Daten wurden im Vorhinein gesammelt und verarbeitet (s. Stufe Rohdaten).
Wertfinanzen
Kosten entstehen für die Weiterentwicklung eines DGGMs hin zur Marktreife. Außerdem fallen Kosten für die erweiterte Infrastruktur und für externe Daten an. Die Implementierung von kurzfristig umsetzbaren Lösungen von eindeutigen Kundenproblem stabilisiert die Marktposition und Umsatzströme. Es findet eine hybride Preisgestaltung Anwendung, da die Kundenbasis größer wird und somit ein Übergang von kostenbasierter zu nutzenbasierter Preisbestimmung erfolgt. Zahlungsbereitschaften und verschiedene Preismodelle werden auf Basis von erweiterten Kundendaten validiert. Auch Marktpreise können als Referenzwert herangezogen werden.
Stufe 5 markiert die Skalierung datengetriebener Geschäftsmodelle innerhalb der Automobilbranche bzw. sektoren-übergreifend. In dieser Phase werden DGGMs profitabel.
Wertversprechen
Das Wertversprechen wird durch die skalierte Verarbeitung fahrzeugbezogener und ergänzender Daten abgeleitet.
Die Kundenbasis wächst, z. B. Late Adopter, gesamte Fahrzeugflotten oder mehrere Regionen (z. B. Europäische Union). Durch die Vielzahl an Kunden und Partnern entsteht ein Datenökosystem. Das skalierte Wertversprechen richtet sich an B2C- und/oder B2B-Kunden, z. B. Fahrzeughalter, Flottenbetreiber oder öffentliche Institutionen. Das Wertangebot wird klar an die Kundschaft kommuniziert, umfasst verschiedene Funktionen, ist individualisierbar und wird an verschiedene regionale oder kulturelle Kontexte angepasst. Diverse Kanäle ermöglichen den Vertrieb, z. B. das Händlernetzwerk, digitale Plattformen, integrierte Services, Anwendungen oder Schnittstellen.
Wertarchitektur
Die Qualität von Daten, sowohl intern als auch extern, wird durch Industriestandards und eine einheitliche Datengovernance sichergestellt. Aufgrund der Skalierung werden nun diverse interne und externe Datenquellen werden verwendet, sodass es zu einer erhöhten Datenmenge kommt.
Ein zentraler, unternehmensweiter Datenzugang existiert. Redundante und heterogene IT-Systeme sind vereinheitlicht und werden in einer skalierbaren Umgebung betrieben.
Aktives externes Recruiting und interne Weiterbildungsprogramme ermöglichen die langfristige Entwicklung und Betrieb von DGGMs.
Es bestehen diverse Beziehungen zu Stakeholdern, dass ein Datenökosystem entsteht. Das Datenökosystem wird orchestriert durch Partnerschaftsprogramme oder digitale Plattformen. Outsourcing an externe Anbieter, definierte Prozesse und die Zusammenarbeit mit strategischen Partnern ermöglichen die Skalierung des DGGMs.
Überregionales Wissen zu Datenrecht und -schutz ermöglicht multinationale Skalierung (z. B. DSGVO).
Wertnetzwerk
Standardisierungsinitiativen definieren und verbreiten einheitliche Datenstandards und ermöglichen somit die Skalierung von DGGMs.
Strategische Partnerschaften sind die Grundlage für die langfristige Optimierung von DGGMs sowie den notwendigen Zugang zu Ressourcen.
Teile des DGGMs werden an externe Zulieferer übergeben und betrieben. Die erhöhte vertikale Integration ermöglicht die Skalierung sowie Effizienzverbesserung.
Bei sektorübergreifenden Ausweitung des DGGMs werden neue Endnutzer zu Schlüsselpartnern – sie werden dann in die Weiterentwicklung integriert, z. B. das Straßenverkehrsamt bei Infrastruktur-bezogenen DGGMs.
Wertfinanzen
Kosten fallen an für die Skalierung und den erweiterten Betrieb des DGGMs, z. B. durch zusätzliches Marketing oder Wartung, Weiterentwicklung sowie Service. Aufgrund diverser Datenströme entstehen auch Kosten für den Datenerwerb und die technische Infrastruktur. Auch das Outsourcing ist als Kostenpunkt zu berücksichtigen. Ein nutzenbasierte Preismodell wird eingesetzt, da die Zahlungsbereitschaften der Kunden klar bestimmt sind. Um langfristige Einkommensströme zu generieren, werden einmalige Verkäufe vermieden und Subskriptionsmodelle bevorzugt. Das DGGM wird skaliert durch umsatzstärkende Funktionen, das Wachstum des Kundenstamms, Preisanpassungen und Markterweiterungen. Einnahmen werden als Investments für neue Funktionen oder die sektorübergreifende Skalierung des DGGMs verwendet.
Anhang B – Methodische Überlegungen
Das präsentierte Reifegradmodell für datengetriebene Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie wurde in vier Phasen entwickelt, basierend auf dem Prozess nach Becker et al. (2009). In der ersten Phase wurde die Problemrelevanz identifiziert. Anschließend erfolgte in der zweiten Phase ein Vergleich bestehender Reifegradmodelle. Die dritte Phase umfasste die Entwicklung des Modells über drei Iterationen. Abschließend wurde das Modell in der vierten Phase kommuniziert und evaluiert.
Problemdefinition
In der ersten Phase stützten wir uns auf bestehende Literatur, um den Forschungsbedarf und die Problembeschreibung zu begründen. Zur praktischen Motivation zogen wir 35 semi-strukturierte Interviews sowie einen Workshop heran, die in zwei Unternehmen der europäischen Automobilindustrie durchgeführt wurden. Aus einer ex-ante-Perspektive konnten deshalb mehrere datengetriebene Geschäftsmodelle auf Basis von Fahrzeugdaten untersucht werden. Beide Unternehmen (Car AG und Mamo Insights) wurden bereits im Rahmen vorheriger Studien untersucht. Der Fokus dieser Untersuchungen lag jeweils auf datengetriebenen Geschäftsmodellen in der Automobilindustrie. Sowohl Car AG als auch Mamo Insights verwalten mehrere DGGMs in ihrem Portfolio. Dies ermöglichte nicht nur einen Vergleich zwischen den Organisationen, sondern auch einen tiefen Einblick in die unterschiedlichen Entwicklungspfade. Alle Interviewteilnehmer waren unmittelbar mit den entwickelten Geschäftsmodellen vertraut. Zusätzlich wurden Personen aus dem weiteren Ökosystem befragt, um eine multiperspektivische Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes zu gewährleisten. Die Interviews hatten eine Dauer von 17 bis 88 min und wurden entweder transkribiert oder anhand von Notizen dokumentiert. In der ersten Phase nutzten wir diese Transkripte und Notizen, um die praktische Problematisierung unserer Studie zu untermauern.
Vergleich bestehender Reifegradmodelle
Im Rahmen der zweiten Phase recherchierten und verglichen wir bestehende Reifegradmodelle. Eine manuelle Literaturdurchsicht identifizierte lediglich einen Beitrag, der sowohl Daten als auch die Automobilindustrie berücksichtigte (Pörtner et al. 2023). Um weitere Reifegradmodelle einzubinden, erweiterten wir den Recherchefokus und betrachteten Daten und die Automobilindustrie separat. Dieser Schritt resultierte in acht Reifegradmodellen. Zusätzlich wurden in den Interviews zwei weitere Modelle thematisiert. Insgesamt konnten so elf Reifegradmodelle identifiziert werden (Al-Sai et al. 2022; Comuzzi und Patel 2016; Corallo et al. 2023; Gökalp et al. 2022; Klar et al. 2024; Mo et al. 2023; Pörtner et al. 2023; Society of Automotive Engineers International 2021; Stahl et al. 2023; United Nations Economic Commission for Europe 2018; Weber et al. 2017). Für diese elf Arbeiten ist die fehlende Berücksichtigung der wirtschaftlichen Nutzbarmachung von Fahrzeugdaten in der Automobilindustrie hervorzuheben. Auch die hohe Komplexität der identifizierten Reifegradmodelle lassen eine breitere Anwendung in der Praxis bislang nur eingeschränkt zu. Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung entschieden wir uns deshalb zur Entwicklung eines Reifegradmodells, welches datengetriebene Geschäftsmodelle in der Automobilindustrie betrachtet und gleichzeitig die bestehende Literatur berücksichtigt.
Entwicklung
Die dritte Phase umfasste drei Entwicklungsiterationen. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass das Reifegradmodell auf Basis konzeptioneller Überlegungen, Literaturrecherchen, bestehender Modelle sowie der beiden Fallstudien (Car AG, Mamo Insights) entwickelt wurde.
Die erste Iteration konzentrierte sich auf die Identifizierung relevanter Forschungsarbeiten zu datengetriebenen Geschäftsmodellen. Nach den Empfehlungen von Snyder (2019) wurde der Auswahlprozess der Artikel anhand der Stichprobe von Wiener et al. (2020) gestaltet und der Betrachtungszeitraum auf Veröffentlichungen bis 2023 erweitert. Die Suchstrategie umfasste vier Schritte: Erstens wurden Suchanfragen in den Datenbanken Web of Science (WoS) und AIS Library unter Verwendung vordefinierter Suchstrings durchgeführt, wie (1) „business model“ AND „big data“, (2) „business models“ AND „big data“, (3) „business model“ AND „data analytics“ und (4) „business models“ AND „data analytics“. Zweitens erfolgte ein Screening der Abstracts, um die Relevanz zu bewerten. Drittens wurden Vorwärts- und Rückwärtssuchen über Plattformen wie Google Scholar durchgeführt, um eine umfassende Abdeckung sicherzustellen. Dieses Vorgehen führte zu 156 Einträgen, die tabellarisch dokumentiert wurden. Nach Anwendung von Ein- und Ausschlusskriterien – etwa der Relevanz zu Geschäftsmodellen und Daten – wurden 38 Artikel identifiziert. Diese wurden im vierten Schritt anhand einer Skala von 1 bis 5 hinsichtlich Relevanz und Qualität bewertet, um einen transparenten und robusten Analyseprozess zu gewährleisten.
Auf Basis der Literaturrecherche sowie des Überblicks zu bestehenden Modellen konnten die Reifegradstufen abgeleitet werden. Stahl et al. (2023) schien dabei besonders geeignet, denn die Autoren entwickelten ein Reifegradmodell für datengetriebene Geschäftsmodelle, allerdings für produzierende Unternehmen und nicht für den Automobilsektor. Unter minimalen Anpassungen konnten daraus initial fünf Reifegradstufen abgeleitet werden: 1) Produkt, 2) Rohdaten, 3) Prototyp, 4) Pilot und 5) Skalierung. Unter Berücksichtigung des spezifischen Kontexts (DGGM in der Automobilindustrie) konnten erste Definitionen für die Reifegradstufen sowie geeignete Dimensionen für das Modell entwickelt werden. Strahringer und Wiener (2021) erwiesen sich als besonders hilfreich, da dieser Beitrag vier Dimensionen für datengetriebene Geschäftsmodelle vorschlägt. Diese Dimensionen orientieren sich im weiteren Sinne an Al-Debei und Avison (2010) und umfassen: das Wertversprechen (z. B. Produkte, Services, Kundensegmente oder -beziehungen), die Wertarchitektur (z. B. Kernaktivitäten und Kernressourcen), das Wertnetzwerk (d. h. die Beziehungen zu Schlüsselpartnern) sowie die Wertrealisierung (z. B. Kostenstruktur und Umsatzquellen).
In der zweiten Iteration wurden ergänzend Sekundärdaten gesammelt, darunter White Paper, Blogbeiträge und Studien von Beratungsunternehmen. Ziel war es, ein umfassendes Verständnis über die Kommerzialisierung von Fahrzeugdaten zu entwickeln und die laufende Diskussion unter Praktikern zu erfassen. Dieser Prozess führte zu einer Stichprobe von 13 Dokumenten. Nach Analyse der Sekundärdaten wurden insgesamt 5 Dokumente für die Weiterentwicklung des Reifegradmodells berücksichtigt. Themen, die ergänzt oder vertieft wurden, umfassen die regionen- und kulturspezifische Anpassung des Wertangebots, die Differenzierung des Wertangebots in verschiedene Funktionen, die Rolle von OEMs, die Bedeutung von Subskriptionsmodellen, die Kommunikation des Wertangebots für die Preisgestaltung sowie die Bedeutung des Händlernetzwerks.
Während sich die erste und zweite Iteration auf die Literatur stützten, fokussierte sich die dritte Iteration auf die Validierung des Reifegradmodells anhand der zwei Fallstudien. Durch die Verprobung mit empirischen Daten konnte die praktische Anwendbarkeit und Aussagekraft des Modells bestätigt werden, wodurch dessen Relevanz für reale Anwendungsfälle unterstrichen wurde.
Kommunikation und Evaluation
In der vierten Phase wurde das Reifegradmodell in ein Transfermedium überführt. Eine optisch aufbereitete Variante des Modells wurde Praktikern aus zwei Unternehmen zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig wurden diese Personen um eine Beurteilung des Modells gebeten. Drei Experten von Car AG und ein Experte von Mamo Insights bewerteten das Reifegradmodell anhand der drei Anwendungskriterien nach Röglinger und Pöppelbuß (2011). Die Teilnehmer beantworteten dabei folgende drei Fragen: 1) Beschreibt das Reifegradmodell den Ist-Zustand eines DGGM zutreffend? 2) Kann mithilfe des Reifegradmodells ein Soll-Zustand abgeleitet werden? 3) Erlaubt das Modell einen Vergleich verschiedener DGGM? Auf Basis dieser Evaluation passten wir die Beschreibung der Stufen an, sodass die Betitelung final lautete: 1) Kein DGGM, 2) Rohdaten, 3) vertikales DGGM, 4) horizontales DGGM und 5) skaliertes DGGM.
Anhang C – Erweiterte Problematisierung: Reifegradmodelle zu Data Analytics und Automobil-Industrie
Zwar lassen sich für Daten in der Automobilindustrie nur ausgewählte Beiträge finden, allerdings konnten im Rahmen einer eingänglichen Literaturrecherche weitere Reifegradmodelle identifiziert werden. Da diese zum Teil für die Entwicklung unseres Models Rücksicht gefunden haben, soll im Nachfolgenden ein erweiterter Überblick stattfinden. Auch für die zukünftige Forschung kann dieser Überblick hilfreich sein, um sich ein erstes Bild von der aktuellen Forschungslandschaft zu verschaffen.
Für die initiale Problematisierung wurde Pörtner et al. (2023) herausgehoben, da die Autorinnen und Autoren einen expliziten Fokus auf Datenmanagement in der Automobilindustrie nutzen. Klar et al. (2024) hingegen nutzen die Brille des „Digital Twin“, um die Fahrzeugdaten in einem Reifegradmodell abzubilden. Das Modell weißt einen technischen Fokus auf, denn es stellt das Fahrzeug sowie dessen digitalen Zwilling in den Vordergrund. Das Modell umfasst in Summe sechs Stufen, diese werden wiederum gruppiert in Digital Shadow, Digital Twin und Connected Digital Twins.
Im weiteren Sinne mit der Automobilindustrie verknüpft ist die Industrie 4.0. Aufgrund diskreter Fertigung sind auch Reifegradmodelle mit reinem Produktionsbezug für Fahrzeughersteller wichtig. Beispielsweise entwickeln Weber et al. (2017) das M2DDM – ein Reifegradmodell für die daten-getriebene Produktion – auf Basis bestehender Industrie 4.0 Standards wie RAMI. Auch Mo et al. (2023) evaluieren ihr Model für autonome Produktionssysteme anhand der Automobilindustrie. Das Modell weißt einen hohen Detailgrad auf, ist allerdings deshalb nur mit hohen Anstrengungen für Praktiker verwendbar.
Für die Entwicklung unseres Reifegradmodells ist Stahl et al. (2023) von hoher Relevanz. Das Papier ist zwar auch in den Literaturstrang der Produktion einzuordnen, allerdings nutzen die Autoren das Konzept der datengetriebenen Geschäftmodelle als konzeptuellen Zugang für ihr Reifegradmodell. Während Weber et al. (2017) und Mo et al. (2023) die interne Fertigung als Schranken nutzen, gehen Stahl et al. (2023) über die organisationellen Grenzen hinaus. In ihrem Modell DDBM3 werden produzierende Unternehmen zu Anbietern von Produkten, Daten, Einblicken, Empfehlungen oder digitalen Lösungen. Insofern bietet das Modell eine Grundlage das hier entwickelte Manuskript, zu betonen ist jedoch, dass die Übertragbarkeit auf die Automobilindustrie nicht bzw. nur teilweise gegeben ist.
Wird der Fokus nun weg von der Automobilindustrie (und im engeren Sinne der Fertigung) gesetzt, bleibt ausschließlich der technologische Aspekt unserer Studie – die Datenverwaltung. Verschiedene Reifegradmodelle für Big Data sind in der Literatur auszumachen, wobei die bestehenden Modelle oft für die akademische Diskussion und nicht den Anwender oder die Anwenderin gedacht sind (Al-Sai et al. 2022). Bestehende Reifegradmodelle sind weiterhin auf die internen Ressourcen der Organisation beschränkt. Meist werden dabei technologische und organisationale Dimensionen gleichermaßen berücksichtigt (vgl. Corallo et al. 2023; Gökalp et al. 2022; Comuzzi und Patel 2016). Die technologische Dimensionen umfassen Aspekte wie Datenverwaltung, -infrastruktur oder -analyse. Die organisationalen Dimensionen Organisation oder Strategie.
Vor dem Hintergrund des Literaturüberblicks sind drei Implikationen für Reifegradmodelle der Datennutzung festzuhalten. Erstens ist die fehlende Berücksichtigung der Automobilindustrie zu betonen. Fahrzeug- und relevante Kontextdaten sind domänen-spezifisch und werden im aktuellen Diskurs Stand nicht angemessen abgebildet. Gleichzeitig weisst die Automobilindustrie eigene Charakteristika auf, sodass bestehende Reifegradmodelle aus der breiteren Fertigungsindustrie nur teilweise übertragen werden können. Der Automobilindustrie fehlt es somit an einer angemessenen Repräsentation im Kontext der akademischen Diskussion.
Zweitens verwenden bestehende Reifegradmodelle zur Datennutzung bislang rein technische oder auch organisatorische Dimensionen. Diese Dimensionen sind von hoher Relevanz für die Datenverarbeitung innerhalb eines Unternehmens. Sie berücksichtigen allerdings nicht den interorganisationalen Charakter von Daten (z. B. in Datenökosystemen). Auch schaffen es bestehende Beiträge weitestgehend nicht, die wirtschaftliche Bedeutung von Daten angemessen abzubilden. Jedoch werden Daten in der Automobilindustrie verstärkt als wertvolle Ressource betrachtet, sodass die breitere wirtschaftliche Nutzbarmachung im Rahmen von Geschäftsmodellen berücksichtigt werden muss.
Drittens sind die identifizierten Reifegradmodelle häufig nicht für die breitere Anwendung in der Industrie gedacht. Zwar sind detaillierte Modelle für Spezialisten geeignet, jedoch scheitern diese Artefakte an der weiteren Diffussion. Im Gegensatz zeigen rein praktische Beispiele wie UNECE’s fünf Ebenen des autonomen Fahrens, dass auch „einfache“ Reifegradmodelle zum Einsatz kommen können.
Um die Artikellänge für beschäftigte Lesende angemessen zu halten, ist die erweiterte Problematisierung sowie der Teil zu den methodischen Überlegungen im Anhang zu finden.
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