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2024 | Book

Mittelbare Verhaltenssteuerung – Konzept, Wirkungen, Kritik

Perspektiven der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften

Editor: Michael W. Müller

Publisher: Springer Berlin Heidelberg

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About this book

Jenseits der imperativen Steuerung durch Ge- und Verbot bedient sich der moderne Staat schon lange verschiedenster Formen einer mittelbaren Einflussnahme auf Wirtschaft und Gesellschaft: er steuert durch die Nutzung seiner Finanz- und Informationsmacht ebenso wie durch die Zuweisung von Risikosphären und Haftungsfolgen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf er dies und genießt bei der Formenwahl regelmäßig große Gestaltungsfreiheit. Neuere Entscheidungen nehmen den Gesetzgeber jedoch verstärkt in die Pflicht, sich der tatsächlichen Wirkungen seiner Steuerungsbemühungen zu vergewissern: Gesetze können das verfassungsrechtliche Untermaßverbot verletzen, wenn Schutzaufträge nicht ausreichend verwirklicht werden. Sie können aber auch gegen das Übermaßverbot verstoßen, wenn sie zu Belastungen führen, denen keine hinreichenden Steuerungswirkungen gegenüberstehen. Durch diese Rechtsprechung erhält die seit langem in Rechts- und Sozialwissenschaften geführte Debatte über die staatlichen Steuerungsmöglichkeiten zunehmende praktische Relevanz: Der Gesetzgeber muss sich des Sachverstandes verschiedener Steuerungswissenschaften bedienen und nach Möglichkeiten suchen, intendierte und tatsächliche Wirkungen seiner Steuerungsbemühungen plausibel zu beschreiben und zu analysieren. Ausgehend von aktuellen Problemstellungen führt der Band Perspektiven der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften auf diese Fragen zusammen..

Table of Contents

Frontmatter

Einleitung

Frontmatter
Mittelbare staatliche Verhaltenssteuerung als Gegenstand interdisziplinär informierter Rechtswissenschaft
Zusammenfassung
Der Beitrag skizziert die Aufgaben einer interdisziplinär informierten Rechtswissenschaft im Umgang mit Instrumenten mittelbarer staatlicher Verhaltenssteuerung. Hierunter werden, in Anlehnung an die Terminologie des Bundesverfassungsgerichts, alle nach außen gerichteten staatlichen Handlungsformen verstanden, die lenkenden Einfluss nicht durch unmittelbar wirkende Ge- und Verbote nehmen, sondern vermittelt über die Adressierung anderer als der eigentlich zu regulierenden Sachverhalte oder über andere, nicht-imperative Steuerungsmedien. Ausgehend von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen gegenüber Bezieherinnen und Beziehern von Sozialleistungen wird gezeigt, wie Steuerungs-, Belastungs- und Nebenwirkungen mittelbarer Steuerungsformen analysiert und zum Gegenstand einer juristischen Maßstabbildung gemacht werden können, die zugleich kritische Perspektiven auf das Konzept der mittelbaren Verhaltenssteuerung einschließen kann. Damit leitet der Beitrag einen Band ein, der rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Perspektiven auf die Problemstellung versammelt.
Michael W. Müller

Steuerung durch Finanzen

Frontmatter
Die vergessene Globalsteuerung der Wirtschaft
Zusammenfassung
Die in den 1960er-Jahren entwickelte Globalsteuerung sollte mit verschiedenen Gestaltungen der staatlichen Einnahmen und Ausgaben auf die Gesamtgrößen der Volkswirtschaft Einfluss nehmen. Steuerung bedeutet hier nicht, auf das Verhalten einzelner oder von Gruppen unmittelbar einzuwirken. Das Konzept stand im Zusammenhang verschiedener Versuche einer Rationalisierung und Verwissenschaftlichung der Politik. Diese Ansätze scheiterten zu großen Teilen. Nach einer Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu Anfang der 1970er-Jahre stieg der staatliche Finanzbedarf zum Ausgleich wirtschaftlicher und sozialer Krisen. Grundannahmen der Globalsteuerung sind aber in die heutige Haushaltsplanung eingegangen.
Stefan Korioth
Fluch und Segen staatlicher Fördermittel
Zusammenfassung
Der Beitrag zeigt die fiskalische Bedeutung der Landeszuweisungen für die Erfüllung kommunaler Aufgaben auf und setzt sich dabei kritisch mit den antragsgebundenen Zuwendungen auseinander. Diese Form der funktionalen Außensteuerung der Kommunen durch Finanzmittel des Landes ist mit einigen Nachteilen verbunden, darunter die Schwächung der kommunalen Selbstverwaltung, ein ineffizienter Einsatz der Fördermittel und erhebliche Transaktionskosten. Aus „Goldenen Zügeln“ können „Goldene Handschellen“ werden. Als Lösungsvorschlag wird eine stärkere Pauschalierung der Mittelflüsse diskutiert, bis hin zu einer Überführung in den kommunalen Finanzausgleich und das dortige Schlüsselzuweisungssystem. Hierzu wird ein Kriterienraster vorgestellt, an dem sich die Diskussion um die Pauschalierung orientieren sollte. Da im kommunalen Finanzausgleich Möglichkeiten zur Bedarfsdifferenzierung zur Verfügung stehen, führt die Pauschalierung nicht zwingend zu einem Verlust von Steuerungseinfluss und Kontrolle über die Zuweisungen. Antragsgebunde Förderprogramme sollten nicht vollständig verschwinden, sondern sich auf diejenigen Fälle konzentrieren, in denen sie einen echten Mehrwert bieten können.
Mario Hesse

Steuerung durch Risiko, Steuerung im Privatrecht

Frontmatter
Gemeinwohlorientierung im Leipziger Führungsmodell als Brücke zwischen imperativem und nicht-imperativem Handeln in der Wirtschaft
Zusammenfassung
In diesem Beitrag wird mit Hilfe des Leipziger Führungsmodells eine Handlungsorientierung für nicht-imperatives Handeln in der Wirtschaft skizziert. Ausgangspunkt für eine Verbindung zu imperativem Handeln ist die Gemeinwohlorientierung. Auf deren Basis können rechtliche Perspektiven in einen ganzheitlichen Führungsansatz integriert werden. Recht und Rechtsstaatlichkeit werden dabei aus unternehmerischer Sicht als Ressource und nicht als Behinderung betrachtet. Das Modell plädiert für ein möglichst offenes Gemeinwohlverständnis, welches sich – aufgrund der Eigenschaft des Gemeinwohls als Erfahrungskategorie des Sozialen – primär an menschlichen Grundbedürfnissen orientiert.
Timo Meynhardt
Eigeninitiative statt Effektivität – privatrechtliche Verhaltenssteuerung unter Autonomievorbehalt
Zusammenfassung
Verhaltenssteuerung durch Privatrecht gerät unweigerlich in Konflikt mit der Privatautonomie. Kraft ihrer Privatautonomie steht es Bürgern und Unternehmen bislang frei, ihre Rechte durchzusetzen. Die verhaltenssteuernde Wirkungen von Privatrecht hängt somit maßgeblich von der Eigeninitiative der Berechtigten ab. Um diese „Schwachstelle“ zu beheben, wird nicht nur die Durchsetzung privater Rechte erleichtert, sondern werden private Rechte teilweise sogar unabhängig vom Willen der Berechtigten hoheitlich oder automatisch durchgesetzt. Damit wird indes ihre Privatautonomie beschränkt, was nur in Ausnahmefällen zu rechtfertigen ist.
Clemens Latzel

Steuerung durch Information, Mittelbar wirkende Steuerung

Frontmatter
Eingriffswirkungen staatlicher Publikumsinformation aus rechtlicher Perspektive
Zusammenfassung
Der Beitrag hat die verfassungsrechtlichen Maßstäbe staatlicher Publikumsinformation zum Gegenstand. Diese sind durch Unschärfen gekennzeichnet, weil eine grundrechtliche Sonderdogmatik hier die Fragen prägt, wann staatliche Informationen überhaupt in den Schutzbereich von Grundrechten eingreifen und in welchen Fällen für amtliche Öffentlichkeitsarbeit eine diese ausdrücklich gestattende Befugnisnorm erforderlich ist. Das Bundesverfassungsgericht formulierte hier im Jahr 2002 Weichenstellungen, die mit ihren grundsätzlichen Annahmen bis heute nachwirken, in der rechtswissenschaftlichen Literatur aber seit jeher kritisiert werden. Wie die nachgängige Rechtsprechungsentwicklung zeigt, haben sich aber auch einige Modifikationen durchgesetzt. Um deren Nachvollzug und Kontextualisierung geht es ebenfalls in diesem Beitrag. Davon unbeschadet haben die Spezifika digitaler Kommunikation für staatliche Stellen neue Möglichkeiten geschaffen, sich auf dem Marktplatz der Meinungen mit eigenen Informationen am Diskurs zu beteiligen. Die besonderen Herausforderungen dieser Form der Öffentlichkeitsarbeit werden anhand zweier aktueller Problemfelder thematisiert: Die polizeiliche Außendarstellung auf Kurznachrichtendiensten und das sog. Microtrageting auf sozialen Netzwerken im Auftrag von Ministerien.
Eva Ellen Wagner
Mittelbare Verhaltenssteuerung und ihre Wirkung in der Corona-Pandemie
Zusammenfassung
Der Beitrag beleuchtet, welche Formen der mittelbaren Verhaltenssteuerung in der Bewältigung der Corona-Pandemie eine Rolle spielten. Dabei stehen die Steuerung durch Kommunikation, die Steuerung durch finanzielle Anreize und das Verhältnis zu imperativen Eingriffen im Mittelpunkt. Im Ergebnis werden alle eingesetzten Instrumente als grundsätzlich legitim betrachtet, ihre juristische Relevanz aber differenziert eingeschätzt. Rein kommunikative Maßnahmen erreichen oft schon die Schwelle zum Grundrechtseingriff nicht, und finanzielle Maßnahmen unterliegen regelmäßig nur einer oberflächlichen Kontrolle am Maßstab des Gleichheitssatzes. Je näher die mittelbare Verhaltenssteuerung an die imperative Steuerung rückt, desto engmaschiger muss die juristische Bindung und dementsprechend die gerichtliche Überprüfung ausfallen. Eine wichtige Rolle kommt dabei dem Kohärenzgebot zu, das auch bei großen Spielräumen der Exekutive eine rationale Ausrichtung an den verfolgten legitimen Gemeinwohlzielen sicherstellt.
Walther Michl

Mittelbare Verhaltenssteuerung und Gesetzgebung

Frontmatter
Rationalität als Anforderung an das Gesetzgebungsverfahren: Evidenzbasierte Gesetzgebung?
Zusammenfassung
Corona-Pandemie und Klimaschutz lassen Fragen rund um „evidenzbasierte Rechtssetzung“ in erneuter Aktualität erscheinen. Der Beitrag unternimmt einen rechtsvergleichenden Streifzug durch Rationalitätsforderungen in der Rechtsprechung von EuGH, EGMR, BVerfG und VfGH. Dabei wird zunächst der Begriff „Rationalitätsforderungen“ und sein Zusammenhang mit dem topos der evidenzbasierten Rechtssetzung diskutiert, bevor anhand von Beispielen aus der Judikatur illustriert wird, wie vielfältig die verfassungsgerichtliche Handhabung von „Rationalität“ ausfällt.
Teresa Weber
Mittelbare Gesetzgebungssteuerung durch verfassungsrechtliche Rationalitätsanforderungen?
Zusammenfassung
Gesetzgeberische Entscheidungen werden von den materiellen Vorgaben der Verfassung nur schwach gesteuert. Der Rechtsprechung erscheint das zuweilen als problematisch. Und so unterwirft sie die Gesetzgebungsorgane gerade dort ungeschriebenen und Rationalität versprechenden Verfahrensanforderungen, wo das Grundgesetz der politischen Entscheidungsfindung in inhaltlicher Hinsicht besonders große Spielräume lässt. Am Beispiel der Besoldungsgesetzgebung illustriert der Beitrag, dass diese Verfahrensanforderungen auf eine mittelbare Steuerung legislativer Entscheidungen gerichtet sind. Von der Einhaltung prozeduraler Vorgaben erhoffen sie sich Effekte, die über die bloße Wahrung der Verfahrensregeln hinausgeht. Ein Seitenblick auf Psychologie, Sozial- und Verhaltenswissenschaften führt ausgehend davon vor Augen, dass diese Hoffnung auf anspruchsvollen und empirisch vielfach ungesicherten Annahmen über die Wirkungen von Verfahrensvorgaben beruhen. Auch die verfassungsrechtliche Dogmatik kann, so das abschließende Plädoyer, auf empirische Rechtsforschung daher nicht verzichten.
Jochen Rauber

Unsicheres Steuerungswissen

Frontmatter
Nudge, Hype, Replikationskrise: Zu unsicheren (Neben-)Wirkungen verhaltenswissenschaftlicher Steuerung
Zusammenfassung
Der Beitrag widmet sich aktuellen Herausforderungen verhaltenswissenschaftlicher Steuerung im Kontext unsicheren Wissens. Er setzt bei der sog. Replikationskrise an, die jüngst die Verhaltenswissenschaften aufrüttelte. Diese Krise ist als Folge problematischer Anreizlagen im Wissenschaftsbetrieb zu verstehen. Eine politische Nachfrage nach „weichen“ Steuerungsmitteln wirkt hier problemverschärfend. Anhand aktueller Studien thematisiert der Beitrag dann die unsicheren Wirkungen sowie Nebenwirkungen verhaltenswissenschaftlicher Steuerungsinstrumente, um sich schließlich den rechtspolitischen Implikationen dieser Unsicherheiten zuzuwenden. Besondere Beachtung verdienen die Unsicherheiten rund um die Nebenwirkungen von Informationslösungen. Hier deutet sich die Herrschaft über kognitive Ressourcen als Zukunftsproblem an.
Konstantin Chatziathanasiou
Metadata
Title
Mittelbare Verhaltenssteuerung – Konzept, Wirkungen, Kritik
Editor
Michael W. Müller
Copyright Year
2024
Publisher
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-69010-9
Print ISBN
978-3-662-69009-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-69010-9

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