Die Automobilindustrie ist seit den 1950er-Jahren das Herzstück der deutschen Wirtschaft. Aufgrund ihrer sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Prägekraft gilt sie als deutsche Schlüsselindustrie und Konjunkturlokomotive. Soziokulturell hält sich die Vorstellung vom Auto als dem inszenierten Statussymbol mit kulturellen Flexibilitätsvorteilen, womit sich soziale Teilhabe sowie die Befriedigung von materiellen Lebensbedürfnissen realisieren lassen. Im Kontext der Klimakrise ist die Privilegierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) zunehmend in die Kritik geraten. Inwieweit es zu der vieldiskutierten Verkehrswende kommt, bestehend aus alternativen Mobilitätsformen, der Reduktion des Individualverkehrs, dem Aufbau kollektiver Infrastruktur und gemeinschaftlicher Fortbewegungsmittel, hängt nicht zuletzt an den Gestaltungs- aber auch Vetoabsichten der tripartistischen Akteursgruppen, Kapital, Arbeit und Staat, ab. Ob eine Neujustierung der Automobilwirtschaft durch kooperatives Handeln der genannten Akteursgruppen gelingen kann oder ob die bestehenden akteursbezogenen Handlungspräferenzen eine Wende verlangsamen, wenn nicht sogar scheitern lassen, ist das Thema des vorliegenden Beitrags.
1 Einleitung
Die Automobilindustrie ist seit den 1950er-Jahren das Herzstück der deutschen Wirtschaft. Aufgrund ihrer sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Prägekraft gilt sie als deutsche „Schlüsselindustrie“ und „Konjunkturlokomotive“. Die Automobilwirtschaft stellt rund sieben Prozent der sozialversicherungspflichten deutschen Arbeitsplätze und erwirtschaftet einen Umsatz von rund 411 Mrd. € (BMWK 2022). Die automobile Wertschöpfungskette basiert auf einem eng getakteten und komplexen Beziehungsgeflecht aus vor- und nachgelagerten Prozessen inklusive eines (inter-)nationalen Zuliefernetzwerkes. Soziokulturell hält sich die Vorstellung vom Auto als dem inszenierten Statussymbol mit kulturellen Flexibilitätsvorteilen, womit sich soziale Teilhabe sowie die Befriedigung von materiellen Lebensbedürfnissen realisieren lassen. Politisch ist auch die infrastrukturelle Dominanz („autogerechte Städte“) wie auch die rechtliche Privilegierung im Straßenverkehrsrecht Ausdruck der automobilen Gesellschaft.
Die Privilegierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) sowie das Geschäftsmodell der verbrenner-getriebenen Antriebstechnologie sind im Kontext der Klimakrise (Pariser Klimaabkommen 2015) zunehmend in die Kritik geraten. In Deutschland verursacht der Verkehrssektor die drittgrößte Menge an Treibhausgasen und hat bislang keinen nennenswerten Beitrag zu seiner Reduktion geleistet. Während die Gesamtemissionen in der Bundesrepublik zwischen 1990 und 2021 um 38,6 % gesunken sind, stiegen die Werte im Verkehrssektor bis 2019 sogar um 0,4 % an. Ursächlich sind fast ausschließlich die hohen Emissionen des Straßenverkehrs (98 %; UBA 2022). Zwar sind die heutigen Automobile infolge von technischen Effizienzsteigerungen klima- und umweltverträglicher, doch zugleich sind durch den stark angestiegenen Pkw-Bestand wie auch durch die gesteigerte Pkw-Nutzung und -Größe (SUV) die Emissionen gewachsen. Die Automobilindustrie und die mit ihr verbundenen Unternehmen in den wertschöpfenden Lieferketten stehen damit vor riesigen Herausforderungen.
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Konkret beschreibt die Verkehrswende einen strategischen Problemlösungsprozess, indem der Status quo des Verkehrsregimes durch alternative Mobilitätsformen, die Reduktion des Individualverkehrs, den Aufbau kollektiver Infrastruktur und gemeinschaftlicher Fortbewegungsmittel ersetzt werden soll. Trotz erheblicher – auch zeitbedingter – Dringlichkeit bleibt die Verkehrswende in Deutschland jedoch hinter den selbst gesteckten Zielen zurück. Das liegt weniger an fehlenden Ressourcen, Produktionskapazitäten und Technologien, sondern an der nach wie vor unzureichenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Priorisierung. Der bisherige Richtungskonsens in der sektoralen Akteurskonstellation und Institutionenordnung der Automobilwirtschaft basiert primär auf einem quantitativ-wachstumsbasierten Interessenausgleich von Kapital und Arbeit. Mit dem Paradigma der ökologischen Transformation verliert diese Grundorientierung im Kontext eines neokorporatistischen Institutionensettings an Bedeutung.
Der politisch neu entfachte Transformationsdruck sorgt für eine zielpolitische Verschiebung, um die übergeordneten Absichten der Verkehrswende neu zu justieren. Ob und inwieweit eine Neujustierung der Automobilwirtschaft durch kooperatives Handeln der Akteure gelingen kann oder ob die bestehenden akteursbezogenen Handlungspräferenzen eine Wende verlangsamen, wenn nicht sogar scheitern lassen, ist das Thema dieses Beitrages. Zunächst werden die Akteursgruppen der Verkehrswende dargestellt (Abschn. 2). Im darauffolgenden Abschnitt wird die Relevanz korporatistischer Arrangements für die Verkehrswende sowie die machtpolitische Verschiebung der letzten Jahre nachgezeichnet (Abschn. 3). Abschließend wird eine Annäherung an die Frage gesucht, ob und inwieweit die Verkehrswende gelingen kann (Abschn. 4).
2 Tripartistische Akteursgruppen der Verkehrswende
Die Verkehrswende ist ein politisches Großprojekt, dessen verhandelte Prozesskonstellation nur verstanden werden kann, wenn die verschiedenen Akteursgruppen, ihre Interessen, die daraus abgeleiteten Transformationsstrategien und die zur Realisierung im interessenpolitischen Wettbewerb zur Verfügung stehenden Machtressourcen analysiert werden. Im Folgenden werden die vier zentralen Akteursgruppen des Verkehrssektors aus den Bereichen des Kapitals, der Arbeit, der Zivilgesellschaft und des Staates dargestellt.
2.1 Kapital
Im Kontext der Verkehrswende liegt das Hauptinteresse der Kapitalseite vor allem in der Erhaltung des gewinn- und exportorientierten Geschäftsmodells. Das sichtbarste Sprachrohr für die öffentlich kommunizierten Positionen der Automobilindustrie ist der Verband der Automobilindustrie (VDA). Er repräsentiert mehr als 650 Automobilhersteller und Zulieferer (VDA o. J.a) und ist damit einer der einflussreichsten Wirtschaftsverbände. Angesichts der umfassenden Ressourcen, die die Automobilhersteller zur Verfügung haben und ihrer eigenständigen Vorgehensweise wird der Verbandseinfluss auf die einzelnen Mitglieder als begrenzt eingeschätzt. Die Automobilproduktion – so der VDA – soll bis spätestens 2050 klimaneutral sein. Dies soll durch die Elektrifizierung der Neuwagenflotten und die Hinzunahme alternativer Kraftstoffe gewährleistet werden. Der VDA ist zwar das öffentliche Sprachrohr und politischer Ansprechpartner der Automobilindustrie, aber er ist kaum in der Lage die heterogenen Interessen in seiner Mitgliedschaft – jenseits symbolischer Dimensionen – so auszubalancieren, dass gegenwärtig eine belastbare Strategie gegen den Klimawandel erkennbar ist.
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Innerhalb der Automobilindustrie haben sich in den letzten Jahren – insbesondere im Hinblick auf die Antriebsfrage – erhebliche Konflikte etabliert. Diese Konflikte spiegeln sich in zwei Dimensionen wider: Erstens ist der schon seit langem gärende Interessenkonflikt zwischen Automobilherstellern (Original Equipment Manufacturer/OEM) und der Zuliefererindustrie zu nennen. Während die großen Automobilhersteller (VW, Daimler-Benz, Porsche, BMW, Mercedes, Opel, Ford, Audi) zwar vor enormen Herausforderungen durch Beschäftigungsabbau und Wirtschaftseinbrüchen stehen, ist die Zuliefererindustrie sogar in existenzieller Notlage. Die Zuliefererindustrie besteht vor allem aus mittleren und kleinen Unternehmen (KMU), die zum einen nicht die Finanzkraft zur Transformation haben und zum anderen hoch spezialisiert auf Komponenten im Kontext der Produktion des Verbrennungsmotors sind. Der VDA verweist zwar darauf, dass schon über die Hälfte der Zuliefererindustrie an den Produktionsprozessen der Elektromobilität beteiligt ist (VDA o. J.b), aber viele Zulieferer sind weiterhin „abhängig von ihrer Stellung in einer äußerst hierarchisch geprägten Wertschöpfungskette, von jeweiligen Produktportfolios an den Standorten, der Stellung im Konzernverbund und der damit einhergehenden Innovationsleistungen und Investitionsbereitschaft“ (Blöcker et al. 2020, S. 10 f.). Die zweite Konfliktdimension betrifft das Konkurrenzverhältnis zwischen den Automobilherstellern. Der VDA hat versucht, einen Verbandskonsens zugunsten der Technologieoffenheit1 zu fixieren, um gegenüber der Bundesregierung geschlossen und handlungsfähig auftreten zu können. Durch das Vorpreschen des VW-Konzernes mit seiner Position zugunsten der Elektromobilität ist dieser Weg schwieriger geworden (Haas 2021, S. 162). Seitdem gibt es unter den Herstellern innerhalb des VDA zwei Lager: Die einen, die den technologieoffenen Pfad (BMW, Ford) bevorzugen und die anderen, die den Elektromobilitätspfad (VW, Mercedes-Benz, Audi, Daimler-Benz, Mercedes, Opel) eingeschlagen haben. Gleichzeitig kündigte der neue VW-Chef, Oliver Blume, an, dass er auch weiterhin auf Technologieoffenheit setzen möchte und auch der VW-Konzern demnächst zweigleisig – Elektromobilität und E-Fuels – fahren wird (Spiegel 2022). Kritik äußert sich hierbei an den technischen Lösungsvarianten hinsichtlich der Energieeffizienz: Während Elektromobilität einen energetischen Gesamt-Wirkungsgrad von 70 bis 80 % aufweist, sind es bei der Brennstoffzelle noch 60 %, bei Wasserstoff 25 bis 35 % und bei E-Fuels sogar nur noch 15 % (ADAC 2022; BDI 2022). Trotz dieser Effizienzunterschiede ist sich die Verbands- und Unternehmensseite einig, keine Verringerung des Individualverkehrs zuzulassen, sondern primär auf einen klimaeffizienteren Antriebswechsel in sektoraler Eigenregie zu setzen.
Daneben sind die Versuche der Autohersteller, den Individualverkehr über andere wirtschaftliche Praxen nachhaltiger umzuorganisieren, wie beispielsweise auf dem noch recht jungen Mobilitätsmarkt des Ridepoolings oder Ridesharings (VW: Moia; Daimler: ViaVan, Berlkönig), noch in einer frühen Phase. Bislang ist nicht absehbar, ob und inwieweit dieser Wandel von einem Mobilitätshersteller zu einem Mobilitätsanbieter von den Unternehmen wirklich angestrebt wird. Darüber hinaus würde ein Markhochlauf von Sharing-Diensten nur eine marginale Auswirkung auf die Treibhausgasentwicklung haben und es benötigte eine staatliche Flankierung, ohne die der Markthochlauf nicht gelingen würde (Doll und Kraus 2022, S. 50, 59). Zur Realisierung ihrer Ziele greifen der VDA und seine Mitgliedsunternehmen sowohl auf ein „Inside-Lobbying“ (direktes) als auch auf ein „Outside-Lobbying“ (indirektes) zurück. Ersteres umfasst die direkte Konsultation mit den politischen Entscheidungsträgern und der Ministerialbürokratie, um die politischen Prozesse zu beeinflussen, wenn nicht sogar mitzugestalten (Binderkrantz 2005, S. 696). Ein Beispiel unter vielen, das für den Zugang zu politischen Entscheidungsträgern steht, zeigt sich anhand des ehemaligen Bundesverkehrsministers Andreas Scheuer. Dieser traf sich im März 2018 laut Auskunft des eigenen Büros 80-mal mit Vertretern der Automobilindustrie, während im gleichen Zeitraum lediglich ein Treffen mit den Umweltverbänden zu den Fragen der Automobilwirtschaft stattfand. Zugleich gab es zwischen dem Minister und den Vorstandsvorsitzenden mehrere persönliche Telefonate, Video- und Telefonkonferenzen (Süddeutsche Zeitung 2021a). Demgegenüber bedeutet „Outside-Lobbying“ die Beeinflussung der Öffentlichkeit im Sinne der eigenen Unternehmensinteressen durch beispielsweise Aufklärungskampagnen und Demonstrationen (Binderkrantz 2005, S. 696). Der VDA reagierte in der Vergangenheit auf Kritik am MIV mit einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit, die das Automobil als Symbol der Freiheit stilisierte („Freie Fahrt für freie Bürger“), um eine „ideologisch überformte und damit unwägbar gewordene Verkehrspolitik [abzuwehren]“ (Tilly 2008, S. 232).
2.2 Arbeit
Die Beschäftigteninteressen werden in einem System der dualen Interessenrepräsentation artikuliert. Die erste Ebene ist die betriebliche. Die vor Ort in den Unternehmen ansässigen Standort- und Gesamtbetriebsräte setzen sich für die Beschäftigteninteressen gegenüber der Unternehmensleitung ein. Entsprechend sind die Interessen der Betriebsräte in starkem Maße durch die jeweiligen betrieblichen bzw. unternehmensbezogenen Prioritäten der arbeitenden Beschäftigten an den einzelnen Standorten geprägt. Die Einflussmöglichkeiten der Betriebsräte basieren auf der rechtlichen und institutionellen Kompetenz- und Ressourcenzuteilung durch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) sowie auf den spezifischen Bedingungen im Betrieb. Daneben gibt es die überbetriebliche Ebene. In dieser Arena stehen sich die Arbeitgeberverbände der Metallindustrie und die IG Metall als Tarifparteien im Rahmen der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG; Tarifvertragsgesetz/TVG) gegenüber. Bei allen im Einzelfall auftretenden Interessendivergenzen eint Gewerkschaften und Betriebsräte das Ziel, den Strukturwandel hin zu einer klimaneutralen und nachhaltigen Automobilindustrie sozialverträglich mitzugestalten. Um die Branche einerseits wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu halten und andererseits Beschäftigung quantitativ und qualitativ abzusichern, müssen Gewerkschaften und Betriebsräte unter Rückgriff auf strukturelle, organisationale und institutionelle Ressourcen einen Spagat zwischen Mitglieder- und Einflussinteressen organisieren.
Obwohl die Verkehrswende erst wieder im Zuge des Dieselskandals und der neuen Klimabewegung stärker in den öffentlichen und politischen Fokus gerückt ist, setzt die IG-Metall bereits seit den 1970er-Jahren immer wieder einzelne Impulse für eine stärker ökologisch ausgerichtete Automobilpolitik. Den Auftakt machte der IG Metall-Kongress von Oberhausen im Jahr 1972, der unter der Überschrift „Qualität des Lebens“ eine Schlüsselkategorie für die gewerkschaftliche Programmatik zu setzen versuchte. Damit war ein programmatischer Referenzpunkt gesetzt, der in den folgenden Jahrzehnten immer wieder aufgegriffen wurde. In diesem Sinne suchte die IG Metall zwischen 1987 und 1991 mit ihren Zukunftskongressen neue Schneisen in der Frage der Mobilität der Zukunft zu schlagen. Zu Beginn der 1990er-Jahre folgten mehrere programmatische Schriften unter dem Titel „Auto, Umwelt und Verkehr – Umsteuern bevor es zu spät ist“, die sich für die Reduzierung des Autoverkehrs in Ballungszentren, für ein künftiges Kooperationsmodell zwischen den unterschiedlichen Verkehrsträgern und für ein Tempolimit auf Autobahnen aussprachen. Letztendlich wurde die zaghafte und frühzeitige ökologische Sensibilisierung der IG Metall Anfang der 90er-Jahre mehr oder weniger gestoppt. Erstens durch die im Kontext von Globalisierung und Wiedervereinigung sich aufbauende größte Krise der deutschen Automobilindustrie seit 1945, die zwischen 1993 und 1996 zu einem rasanten Umbau der deutschen Automobilindustrie führte. Zweitens scheint es so, dass der infolge der Kostenkrise in den 2000er-Jahren losgetretene beispiellose Automobilboom, der sich vor allem aus dem Engagement in China speiste, hemmend auf die Fortführung des ökologischen Diskurses wirkte. Hinzu kam drittens, dass im Kontext der Individualisierung und Mobilisierung der Gesellschaft die Dynamik des MIV ungebrochen voranschritt. Alles zusammen führte viertens dazu, dass die quantitative und qualitative Entwicklung der Arbeitsverhältnisse sich weiter positiv entwickelte.
Es bedurfte wohl der bislang größten Legitimationskrise der Automobilindustrie infolge des Diesel- und Abgasskandals sowie der neuen Dringlichkeit einer Politik gegen die Klimakrise, um die nachhaltige Erneuerung der Branche im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation mitzugestalten (insb. IG-Metall-Strategiepapier: „Neue Abgasnormen als Chance nutzen“). Bei alldem spielt das Geschäftsmodell des MIV für die IG Metall nach wie vor die dominante Rolle. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die IG Metall heutzutage für den Umstieg auf Elektromobilität einsetzt und sich dabei insbesondere für die umfassende politische Begleitung dieses Prozesses mit Investitionen in Infrastruktur, regionaler Strukturpolitik, aktiver Industriepolitik, Qualifizierungspolitik und betrieblichen Zukunftskonzepten stark macht (Blöcker 2022, S. 29).
Auch die tarif- und betriebspolitische Ebene steht seit kurzem für mehr transformative Gestaltungsoptionen. Mit der tariflichen Einführung des „Transformationsgeldes“ (T-Geld) in der Metall- und Elektroindustrie wurde ein auf sozialen Ausgleich gerichtetes Instrument implementiert. Stärker vorausschauend sollen sogenannte „Zukunftstarifverträge“ zu betrieblichen Transformationsvorhaben vereinbart werden, die Vereinbarungen über betriebliche Zielbilder, zu Qualifizierung, zum Veränderungsmanagement und über Standort- und Beschäftigungsentwicklung enthalten. Auf betrieblicher Ebene sorgen gestaltungsstarke Betriebsräte mit dafür, dass durch solche längerfristigen Vereinbarungen die Transformation planbar und sozialverträglich gestaltet wird (z. B. „Zukunftspakt Volkswagen“). Neben dem Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen werden darin von den Betriebsräten unterschiedliche strategische und operative Themen behandelt (z. B. Investitionspläne, Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen etc.). Zudem ist in einzelnen Tarifbezirken der IG Metall die Einführung sozialpartnerschaftlich zusammengesetzter „Transformationsagenturen“ vereinbart worden. Diese haben zum Ziel, Unternehmen bei der Umstellung auf neue Geschäftsmodelle, Arbeitsprozesse etc. zu unterstützen.
Neben den transformierenden Instrumenten lassen sich jedoch auch weiterhin Initiativen identifizieren, die den Status quo zementieren. So favorisierte die IG Metall im Rahmen des Corona-Konjunkturpaketes Kaufprämien für Autos mit Verbrennungsmotor. Des Weiteren ist Elektromobilität als uneingeschränkte Zukunftstechnologie keinesfalls gesetzt. Trotz deutlich schlechterer Wirkungsgrade werden Antriebsarten wie E-Fuels oder die Brennstoffzelle von vielen Entwicklern und Beschäftigten als nach wie vor bessere Alternative gehandelt. Zudem gibt es rechtsgerichteten Gegenwind. So hat sich die 2009 gegründete, den menschenverursachten Klimawandel leugnende Gewerkschaft „Zentrum“ (früher „Zentrum Automobil“) in der jüngeren Vergangenheit in einzelnen Unternehmen klar gegen die IG Metall positioniert, indem sie sich in Betriebsratswahlen mit eigenen Listen präsentiert und allem voran gegen die Aufgabe des Verbrennungsmotors und der Dieseltechnologie agitiert. Bislang, das sei angemerkt, ist „Zentrum“ sowie andere rechte Aktivitäten ein randständiges, auf wenige Unternehmen beschränktes Phänomen geblieben. (Schroeder et al. 2022, Kap. 4)
2.3 Staat
Der Staat ist der zentrale Akteur in der klimapolitischen Wende im Hinblick auf die Ausbalancierung der Interessen und die Entwicklung neuer Regeln, Anreize und Institutionen. Seine Rolle ist dabei ambivalent. Der von ihm zu erreichende Spagat, um wirtschaftliche und ökologische Interessen miteinander zu verbinden, spiegelt sich auch in der institutionellen Verortung der Ministerien wider. Während sich auf Bundesebene die Bundesministerien für Wirtschaft (BMWK) sowie für Verkehr (BMDV) für die ökonomischen und teilweise für die gesellschaftlichen Interessen einsetzen und damit die Interessen der Automobilindustrie und des Individualverkehrs privilegieren, ist das Bundesumweltministerium (BMUV) ein Anlaufpunkt für die umweltorientierten Interessen der gesellschaftlich-organisierten Akteure.
Der Koalitionsvertrag (2021) der Ampelregierung enthält ein klares Bekenntnis zur Elektromobilität. Das Ziel ist, dass Deutschland bis 2030 mit 15 Mio. vollelektrischen E-Autos zum Leitmarkt der Elektromobilität wird (SPD/Grüne/FDP 2021, S. 27, 51). Gleichzeitig lassen sich im BMDV Kontinuitäten beobachten. So spricht sich Verkehrsminister Volker Wissing für marktwirtschaftlich ausgestaltete Anreizmechanismen aus, ohne die individuelle Wahlfreiheit zu beschränken (BMDV 2022). Zugleich setzt er sich weiter gegen Verbote und für Technologieoffenheit ein (ebd.). Das BMUV hingegen ist zwar auch für den Erhalt der individuellen Mobilität und gegen Verbote, was aber weniger eine konkrete ökologische Strategie darstellt, sondern Ausdruck der fehlenden Alternativen im ländlichen Raum geschuldet ist. Außerhalb der Städte soll entsprechend die Elektromobilität Abhilfe schaffen, während in den Städten der Umstieg auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sowie Fahrradfahren und Zufußgehen angestrebt wird (BMUV 2022). Das Umweltbundesamt (UBA) geht noch einen Schritt weiter und positioniert sich konkret für höhere Spritpreise, die Abschaffung der Pendlerpauschale, den massiven Ausbau von Bussen und Bahnen und die Einführung eines Tempolimits und einer Pkw-Maut. Nach dem Präsidenten des UBA wäre das notwendig, da „[d]er Verkehr (…) beim Klimaschutz in die falsche Richtung [steuert]“ (Süddeutsche Zeitung 2021b).
Auf der Länderebene spielen vor allem wirtschaftliche Aspekte eine wichtige Rolle. So sprachen sich die drei Bundesländer mit starker Bedeutung der Automobilindustrie (BY, BW, NI) hinsichtlich des coronabedingten Konjunkturpakets des Bundes 2020 für die staatliche Subventionierung von verbrennungsbetriebenen Autos aus. Das wichtigste Gremium zur Koordination und Kommunikation des Verkehrssektors zwischen den Ländern, die Verkehrsministerkonferenz (VKM), sieht vor allem den Ausbau des Öffentlichen Personenverkehrs (ÖPNV) und den Ausbau des Radverkehrs als die wichtigsten umweltpolitischen Instrumente an. Zur Umsetzung dieser Strategie bedarf es eines stärkeren Finanzierungsbeitrages von Seiten des Bundes (VKM 2020).
Der Deutsche Städtetag, Spitzenverband der Kommunen, fordert vom Bund Finanzhilfen für den ÖPNV-Ausbau in Stadt und auf dem Land. Des Weiteren sollen im Bundesverkehrswegeplan ökologisch nachhaltige Bewertungspunkte stärker gewichtet werden, Behörden handlungsfähiger gemacht werden, Bürokratie abgebaut und neue Mobilitätsangebote (z. B. Carsharing) stärker vorangetrieben sowie höhere finanzielle Anreize sowie eine stärker ausgebaute Infrastruktur für die Elektromobilität bereitgestellt werden (Deutscher Städtetag 2022). Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) verfolgt ähnliche Ziele, wenngleich er sich anstelle von Fahrverboten für attraktivere Alternativangebote und einen Antriebsmix aus Elektro, Erdgas, Wasserstoff und Diesel mit der Abgasnorm 6d ausspricht (Landsberg 2020).
Zur Realisierung seiner Interessen und Ziele kann der Staat in zweifacher Weise vorgehen. Auf der einen Seite kann der Staat selbst regulierend tätig werden. Andererseits kann der Staat die Selbstkoordination der verkehrspolitischen Akteure durch „Verhandlungen im Schatten der Hierarchie“ (Scharpf 1991, S. 629) unterstützen. Beides setzt dabei voraus, dass politische Entscheidungen gegen andere Akteure beschluss- und durchsetzungsfähig sind und ein Ungehorsam sanktioniert wird (Börzel 2008, S. 121).
3 Organisierte Zivilgesellschaft
Aus der Zivilgesellschaft wurden im Zuge der Klimadebatte die Rufe nach einer neuen Mobilitätspolitik lauter, um einerseits Klima und Umwelt zu entlasten und andererseits die individuelle Mobilität zu fördern. Im Rahmen des normativen Bekenntnisses zu einer nachhaltigen Mobilitätspolitik lassen sich zwei Lager unterscheiden: Auf der einen Seite steht die ökologische Bewegung, die sich primär auf die Klima- und Umweltziele kapriziert, und auf der anderen Seite steht die Nutzerperspektive, bei der insbesondere der Allgemeine Deutsche Automobilclub (ADAC) als „zivilgesellschaftlicher Arm“ des MIV-zentrierten Verkehrsregimes agiert. Seit der Nachkriegszeit hat der ADAC wesentlich zur Automobilisierung beigetragen. Neben einem über die Jahrzehnte gewachsenen verbandlichen Leistungsangebot stieg auch die Organisationsmacht des Verbandes rasant: Zwischen 2000 und 2021 verzeichnete der ADAC einen Zuwachs von 14,31 auf 21,23 Mio. Mitgliedern (Statista 2022). Mit Blick auf die inhaltliche Ausrichtung des ADAC sticht der bemerkenswerte Kurswechsel ins Auge, der darauf zielte, die fundamentale Abwehr aller ökologischen Ziele aufzugeben und eine partielle Reformbereitschaft einzunehmen. So betonte der neugewählte ADAC-Präsident, Christian Reinicke, dass man zwar weiterhin gegen Verbote sei, aber einen technologieoffenen Antriebswechsel mittrage. Dennoch ist weiterhin unklar, ob der ADAC seine Vetoposition gegen nachhaltige Reformen aufgibt und stattdessen zu einem Akteur für eine neue Mobilitätspolitik werden kann (Hegmann 2021).
Die ökologische Bewegung hingegen hat ihren neueren Ursprung aus den Anti-Atomkraft-Protesten der 1970er-Jahre. Dagegen blieb die Verkehrswende – mit Ausnahmen wie beispielsweise dem Bericht „Auto und Umwelt“ von 1973 – auch in der Umweltbewegung lange Zeit ein randständiges Thema. Konzepte autofreier Innenstädte erfuhren in dieser Zeit zwar steigende Aufmerksamkeit; in ihrer praktischen Umsetzung kamen sie jedoch selten über den Status befristeter Projekte und räumlich eng begrenzter Stadtquartiere hinaus. Des Weiteren ist die bereits genannte Initiative der IG Metall in ihrer Doppelrolle als Akteur der organisierten Arbeit und Zivilgesellschaft zu nennen, sich mit eigenen Forderungen für die ökologische Anschlussfähigkeit der deutschen Automobilindustrie einzusetzen (vgl. Abschn. 2.2). Eine wichtige Etappe auf dem Weg zur neuen Relevanz bildete die Gründung des Verkehrsclub Deutschland (VCD) Ende der 80er-Jahre, der sich fortan für eine sozial- und umweltverträgliche Mobilität einsetzt. Aus diesem Aufbruch entwickelte sich allerdings keine sich selbst tragende Dynamik mit neuer Qualität. Eine neue Qualität stellte sich erst im Kontext des Diesel-Abgasskandals ein, mit dem der Ruf der Autokonzerne stark beschädigt wurde und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) mit der Forderung nach Diesel-Fahrverboten den Druck auf die Automobilindustrie enorm erhöhen konnte. Weiter verstärkt wurde die Legitimationskrise der Automobilindustrie durch die Gründung der Jugendbewegung Fridays For Future (FFF) 2019, die öffentlichkeitswirksam für die Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles einsteht.
Neben den friedlichen Protesten für die Verkehrswende lässt sich ein zunehmender zivilgesellschaftlicher Ungehorsam beobachten, der auch radikalere Protestaktionen einschließt. Illustrativ dafür sind die Straßenblockaden von Extinction Rebellion (gegründet 2018) und von der Letzten Generation (gegründet 2021). Das Aufkommen dieser neuen sozialen Bewegungen sorgt zugleich für eine weitere Fragmentierung des Feldes, indem an den etablierten Akteuren vorbei eine erhöhte bewegungsnahe Öffentlichkeits- und Mobilisierungskonkurrenz entsteht, die diese selbst weder beeinflussen noch kontrollieren können. Im Rahmen der Umweltpolitik können also zwei idealtypische Organisationstypen unterschieden werden: input-zentrierte und output-zentrierte Organisationen. Während erstere vor allem die verbandliche Mitgliederlogik sowie Partizipation ins Zentrum setzen, Mitglieder als Konfliktressource verstehen und meist eher flachere Hierarchien aufweisen, setzen outputgerichtete Organisationen vor allem auf die Effektivität zur politischen Durchsetzung (Einflusslogik), sind hierarchisch und professionell organisiert und haben kaum bis gar keine innerverbandliche Demokratie (Amm 2007, S. 374 ff.).
Zur Durchsetzung ihrer Strategien können die Verbände auf der einen Seite auf „Outside-lobbying“ (siehe oben Abschn. 2.1) zurückgreifen. Insbesondere die Öffentlichkeitsarbeit spielt eine enorme Rolle, um die eigenen Positionen ins politische System einzubringen und den gesellschaftlichen Diskurs zu beeinflussen. Dies können gerade der ADAC und die mitgliederstarken Umweltorganisationen und Bewegungen ausüben, da diese über materielle Ressourcen sowie eine hohe Organisations- und Konfliktfähigkeit verfügen. Die zweite Stoßrichtung zivilgesellschaftlicher Einmischung folgt der Logik des Insider-Lobbyismus. Demzufolge werden Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen durch Regierungs- und Industrievertreter proaktiv in Expertenkreise, Kommissionen etc. eingeladen. Von der Einbindung verspricht man sich vor allem zweierlei: Den Zugriff auf Expertise und eine gewisse Akzeptanz bei den anstehenden Neuausrichtungen, die Strukturbrüche und anspruchsvolle Anpassungsanstrengungen nach sich ziehen.
4 Korporatismus: Blockade oder Sprungfeder?
Neben den einzelnen Akteuren, ihren Interessen und Machtressourcen ist es notwendig den Prozess der Interessenvermittlung in den institutionellen Verhandlungsarrangements zu berücksichtigen. Die Interessenvermittlung ist im Verkehrssektor korporatistisch geprägt. Das bedeutet, dass die Interessenlagen einzelner starker Akteursgruppen institutionell eingebunden werden und dadurch einen privilegierten staatlichen Zugang erhalten. Die Verbände übernehmen im Austausch für den dauerhaften politischen Einfluss Aufgaben der Leistungserbringung, häufig durch Selbstregulation und entlasten den Staat durch den Prozess der Politikimplementierung (Czada 1994, S. 44 f.). Um diesem Aufgabenprofil gerecht zu werden, handelt es sich i. d. R. um Spitzenverbände mit einem Vertretungsmonopol und ausreichend Machtressourcen, um sowohl die Eigenregie im Sektor als auch politische Entscheidungen gegenüber den eigenen Mitgliedern durchsetzen zu können (Streeck 1987, S. 473). Die Automobilindustrie zeichnete sich in diesem Kontext nach 1945 durch ein konfliktpartnerschaftliches Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital aus. Dabei werden die Interessengegensätze durch die staatliche Einbindung in die Koordination der Regierungspolitik und der sektoralen Selbstregulation (Tarifautonomie) reduziert und das konsensuale Politikmanagement gefördert. Diese Zusammenarbeit aus Arbeit, Kapital und Staat ist eine besondere Form des Korporatismus und wird auch Tripartismus genannt. Diese etablierte Akteurskonstellation zeichnet sich durch eine hochgradige Interessenhomogenität und Geschlossenheit aus, die es in der Vergangenheit immer wieder vermochte, ökologische Regulierungsversuche abzuwehren und die Umwelt- und Gesundheitskosten auf andere Akteure außerhalb dieses tripartistischen Arrangements abzuwälzen (SRU 2005, S. 86).
In der Konsequenz hatten ökologische Interessen innerhalb dieses Arrangements nur einen randständigen Charakter. In der Regel bestand das Ziel dieses konkreten Tripartismus darin, ökologische Regulierungen abzuwehren. Entsprechend verwundert es nicht, dass die 2009 infolge der europäischen Regulierung und der Peak-Oil-Debatte gegründete „Nationale Plattform für Elektromobilität“ (NPE) als ein Ausdruck der Kontinuität gesehen werden kann. Die Integration externer Akteure (u. a. Wissenschaftler) sorgte für keine nennenswerte Modifizierung der vorherrschenden Interessen. Eine echte Öffnung für die zivilgesellschaftlichen Interessen wie auch ein Richtungswechsel blieben aus. Erst vor dem Hintergrund des Diesel-Abgasskandals sowie auf Druck der Klimabewegung setzte eine öffentliche Empörung und eine zunehmend politisch aufgeladene Debatte um die Verkehrswende ein. In diesem Kontext wurde von staatlicher Seite versucht, den ökonomischen Schaden für die Autoindustrie zu minimieren (Schroeder 2021, S. 204 f.). Die Legitimationskrise konnte schließlich abgemildert werden: Einerseits wirkte die tripartistische Machtkonstellation abpuffernd, indem es ihr gelang die Kerninteressen der Automobilindustrie gegenüber dem öffentlichen Druck zu verteidigen und somit Zeit zu gewinnen. Der daraus zu ziehende Befund ist so offensichtlich wie weitreichend: der tripartistische Machtblock ist weiterhin Dreh- und Angelpunkt der Verkehrspolitik, und auch in Zukunft ist ohne diesen keine erfolgreiche Verkehrswende zu bewerkstelligen. Andererseits ist aber auch zu beobachten, dass die Akteure nicht nur ein Bewusstsein für die Klimakrise entwickelt haben, sondern konkrete Ressourcen, Konzepte, Instrumente und Strategien suchen und einsetzen, um die Zukunft der Mobilität mit einer pluraleren Perspektive mitzugestalten. Aber die Ambivalenz bleibt, dass die individualzentrierte Mobilitätsstrategie weiter verfolgt wird und zum anderen die Bereitschaft gewachsen ist, die Verkehrswende mit ihren jeweiligen akteursbezogenen/-übergreifenden Spannungsfeldern und institutionellen Arrangements intensiver anzugehen.
Noch grundlegender lässt sich konstatieren, dass über eine Verteidigungslinie hinaus der politische Richtungskonsens der Akteure zunehmend bröckelt. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch das Aufkommen von FFF, der zunehmenden Wettbewerbsverschiebung und -konkurrenz durch China und nicht zuletzt auch durch ausländische Unternehmen, die in Deutschland nunmehr Elektroautos produzieren (Tesla). Der Versuch, die ökologischen Interessen einzubinden sowie die gespaltene Interessenlage innerhalb des tripartistischen Blocks in der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM), der Nachfolgeinstitution der NPE, zu bündeln und auszutarieren, ist bislang nicht gelungen. Die Abwesenheit eines gemeinsamen Vorgehens fördert unternehmensspezifische Alleingänge. Simultan kommt es infolge des Fehlens eines einheitlichen Auftretens der „fossilen“ Akteure zu der zunehmenden Einsicht in der Bevölkerung, klimapolitische Zwänge ernst zu nehmen und somit zu einer gewissen Aufwertung der ökologischen Interessen im Verkehrssektor. Diese Aufwertung führt jedoch bislang nicht zu einer schnellen Transformationsperspektive, da es über einen schwach postulierten Start- und Richtungskonsens für die Verkehrswende (Antriebswechsel und Emissionsziel 2045) hinausgehend keinen hinreichend belastbaren Maßnahmenkonsens gibt, um diese Ziele zu erreichen
Die gegenwärtige Leistungsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie baut primär auf der pfadabhängigen, sektoralen Spezialisierung – auch forschungsintensiver Art – auf. Flankiert wird dieses Ineinandergreifen von Wirtschaft, Wissenschaft und staatlicher Teilsteuerung durch ein ausdifferenziertes, flexibles und zugleich robustes, facharbeitergetragenes Arbeitsregime, repräsentiert durch die Gewerkschaften. Es spricht vieles dafür, dass sich dieses Arrangement in Zeiten sich intensivierender Globalisierung und Digitalisierung nicht einfach fortschreiben lässt, denn die strukturellen Investitions- und Innovationsprobleme sind so offensichtlich, dass neue Initiativen ergriffen werden müssen, um zusätzliche Wachstumsmöglichkeiten zu eröffnen. Dabei geht es darum, ob durch die Einbeziehung der Gewerkschaften die vielerorts kritisierte technologische Verengung aufgebrochen und Industrie 4.0 auch als Projekt der sozialen Innovation und Gesellschaftspolitik gestaltet werden kann.
Ein weiteres Beispiel für diese Ambitionen bildet das 2015 gegründete Bündnis „Zukunft für Industrie“ und sein operativer Arm das „Netzwerk Zukunft der Industrie“, an dem sowohl die IG Metall als auch der VDA beteiligt sind. In diesem Kontext sind Strukturen aufgebaut worden, die über tagesaktuelle Politikberatung zu Einzelfragen (z. B. CO2) hinaus belastbare und verstetigte Gesprächskontakte sowie daraus resultierende Handlungsperspektiven zwischen staatlichen und verbandlichen Akteuren ermöglichen. Generell gilt für diese Plattformen, Branchendialoge und Bündnisse, dass die inhaltliche Ausrichtung permanent umkämpft ist, da die Interessenlage der Beteiligten heterogen ist.
5 Fazit
Die Akteurskonstellation in der gegenwärtigen Transformation der Automobilindustrie unterscheidet sich in einem zentralen Punkt von vorhergehenden Phasen korporatistischer Anpassung und Krisenüberwindung: Rein tripartistische Arrangements, bei denen Politik, Industrie und Gewerkschaften Status-Quo-Pflege mit allenfalls inkrementellem Veränderungsverständnis betreiben, gehören cum grano salis der Vergangenheit an. Ein für alle Mal ist an einer konkreten Beteiligung von Vertretern der Kommunen und der organisierten Zivilgesellschaft nicht mehr vorbeizukommen. Ob diese nur symbolischen Charakter beanspruchen kann und damit den Status einer Quasi-Beteiligung hat, wird sich zeigen. Es spricht jedoch einiges dafür, dass zivilgesellschaftliche Organisationen mit umweltpolitischem Mandat (z. B. Greenpeace, Deutsche Umwelthilfe, European Federation of Transport and Environment) sich nicht länger zu Gelegenheitsdiskutanten mit mehr oder weniger anregenden Ideen degradieren lassen. Im Sinne einer perspektivischen Quadriga-Konstellation könnten demzufolge zivilgesellschaftliche Organisationen einen festen Platz in korporatistisch organisierten Reform- und Entscheidungsprozessen zur Transformation der deutschen Automobilindustrie wahrnehmen (vgl. Abb. 1). Ein weiteres Merkmal in der gegenwärtigen Transformation der Automobilindustrie ist die fortlaufend zunehmende Relevanz der internationalen und europäischen Regulierungsebene. Seitdem in der EU-Kommission immer ambitioniertere Klima- und CO2-Reduktionsziele beschlossen werden, ist zu beobachten, dass auch die Sozialpartner und zivilgesellschaftlichen Organisationen ihre Stellungnahmen, Debattenbeiträge und politische Sichtbarkeit im Laufe der letzten Jahre gezielt europäisiert haben. Exemplarisch sei die Gründung des Brüsseler Büros der IG Metall genannt, das 2015 seine Arbeit aufgenommen hat (Abb. 2).
Als besonders anspruchsvoll in der Transformation der Automobilindustrie erweist sich der Umgang mit widerstreitenden Interessen und Handlungslogiken zwischen den verschiedenen Akteuren und Regulierungsebenen. Normative Überzeugungen über die Notwendigkeit einer nachhaltigen Verkehrswende, die Eingang in die EU-Regulierung und diverse zivilgesellschaftliche und politische Arrangements und Initiativen auf nationaler Ebene finden (z. B. Nationale Plattform Zukunft der Mobilität, Agora Verkehrswende), konkurrieren nicht selten mit den Interessen, Zielen und Rollenerwartungen auf der eigentlichen Bühne der Transformation, dem Betrieb bzw. Unternehmen. Konstruktiv gewendet: Im Prozess der verhandelten Transformation geht es darum, zwischen Zielkonflikten und Akteuren mit heterogenen Interessen zu vermitteln. Dabei sind zumindest normativ die Einlösung klima- und umweltpolitischer Ziele, die materiell-soziale Absicherung der Beschäftigten sowie die Sicherstellung nachhaltiger Perspektiven für Unternehmen und Regionen gleichwertige schutz- und gestaltungspolitische Aufträge einer verhandelten Transformation der Automobilindustrie.
Kann angesichts dieser veränderten Ausgangslage und Akteurskonstellation überhaupt noch von neokorporatistischen Arrangements gesprochen werden? Die Antwort fällt – wenig überraschend – differenziert aus: Einerseits hat man den Eindruck, dass die neueren Arrangements stärker auf dem Gebiet der Wissensmobilisierung und Vernetzung angesiedelt sind, also einen stark symbolischen Charakter haben und weniger das Ziel verfolgen, materielle Tauschprozesse und substanzielle Regelungen zu verantworten. Andererseits: Auch wenn substanzielle, nationale tripartistische Ansätze an Relevanz verloren haben, weil mehr Akteure und Ebenen (vor allem die europäische, aber auch darüber hinaus) zu berücksichtigen sind, um tragfähige Verabredungen und Regelungen zu entwickeln, verbinden sich damit gleichwohl Wirkungen, die materielle Prozesse und Regelungen beeinflussen. Insofern bleiben Prozesse der neokorporatistischen Steuerung, wenn auch modifiziert, erhalten und wirksam.
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Technologieoffenheit beschreibt einen strategischen Ansatz mit dem Ziel einer neutralen Regulierung, die keine technologische Option einseitig bevorzugt, andere nicht durch Regularien diskriminiert oder eine Technologie als einzigen Pfad politisch fixiert. Dabei steht das Konzept in der Debatte um die Verkehrswende im Verdacht, die Transformation im Interesse einzelner Akteure zu verlangsamen oder sogar zu unterlaufen.