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26-09-2017 | Mobilitätskonzepte | Schwerpunkt | Article

So könnte Mobilität für Entwicklungsländer gelingen

Author: Christiane Köllner

5:30 min reading time

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Wie lässt sich Mobilität in Entwicklungsländern stärken? Forscher der TU München haben eine Lösung entwickelt: das Acar, ein Elektroauto für Afrika. Es könnte auch für den hiesigen Markt interessant sein.

Mobilität ist für uns Alltag. Wir transportieren große Lasten oder pendeln zur Arbeit. Für viele Menschen in Afrika ist der Zugang zu Mobilität allerdings nicht selbstverständlich. Für Bauern, die weit von den urbanen Zentren entfernt leben, bedeutet das, dass sie keinen direkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und zum politischen Geschehen haben. Um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, sind sie auf Transportunternehmen angewiesen, die ihre Erzeugnisse zum Verkauf in die nächste Stadt fahren. Viele Menschen verlassen daher die ländliche Umgebung, weil sie in der Stadt auf bessere Lebensbedingungen hoffen.

"Wir haben mit dem Acar ein Mobilitätskonzept entwickelt, das diese Probleme lösen kann", erklärt Professor Markus Lienkamp, Leiter des Lehrstuhls für Fahrzeugtechnik an der TU München (TUM), der auch Schöpfer des Elektro-Leichtfahrzeugs Visio.M ist. "Es handelt sich um ein Fahrzeug, das sich die Menschen dort finanziell leisten können, es ist geländegängig und kann große Lasten transportieren. Der modulare Aufbau erlaubt außerdem noch weitere Nutzungen wie zum Beispiel Wasseraufbereitung." Das Fahrzeug sei genau auf die Bedürfnisse der ländlichen Bevölkerung in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara zugeschnitten. 

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Die Entwicklung eines Mobilitätskonzepts für Sub-Sahara Afrika

Mobilität trägt entscheidend zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung einer Gesellschaft bei. Daher ist die Sicherstellung von Mobilität gerade für Entwicklungsländer essentiell für deren Entwicklung. Eine mangelhafte Mobilität schränkt insbesondere in ländlichen Gegenden den Zugang zu wichtigen Gütern wie Gesundheitsversorgung und Bildung ein. Die Region Sub‐Sahara Afrika ist besonders von diesen Einschränkungen betroffen, da in dieser Region einige der ärmsten Länder der Welt liegen.

Um die Mobilität in Entwicklungsländern zu verbessern, ist gerade die Ausstattung mit Fahrzeugen wichtig. Eine alleinige Konzentration auf die Verbesserung der Straßeninfrastruktur ist nicht ausreichend, um Mobilität in ländlichen Gebieten zu fördern: "Empirische Studien haben gezeigt, dass die ärmsten Bevölkerungsschichten in Entwicklungsländern nur marginal von einem verbesserten Straßennetz profitieren, da die nötigen Transportmittel zur Nutzung des Straßennetzes fehlen", erklären die Springer-Autoren im Kapitel Die Entwicklung eines Mobilitätskonzepts für Sub-Sahara Afrika aus dem Buch Innovative Produkte und Dienstleistungen in der Mobilität. Selbst intermediäre Fortbewegungsmittel wie beispielsweise Fahrräder könnten die Transportlücke aufgrund der großen Distanzen und der geringen Bevölkerungsdichte in Sub‐Sahara Afrika nicht schließen, wie die Autoren erläutern. 

Das Fahrzeugkonzept

Daher könnte ein Fahrzeug wie das Acar eine wichtige Rolle spielen, um die Mobilitätsprobleme der ländlichen Bevölkerung zu lösen. Es ist einfach zu bauen, flexibel und geländegängig – und soll auch die Umwelt schonen: "Ein Elektroantrieb ist nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch technisch die bessere Lösung, da er wartungsarm ist und sein volles Drehmoment direkt beim Anfahren entfalten kann", erklärt Martin Šoltés, der gemeinsam mit Sascha Koberstaedt das Projekt am Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik an der TUM leitet. Zusammen mit weiteren TUM-Lehrstühlen haben sie in enger Zusammenarbeit mit Partnern aus Deutschland und mehreren afrikanischen Ländern das Acar entwickelt.

Der Hauptzweck des allradgetriebenen Fahrzeugs ist der Transport von Personen und Gütern, wobei es eine Gesamtlast von einer Tonne transportieren kann. Die Batterie des Zweisitzers bietet zusätzliche Anwendungsmöglichkeiten wie zum Beispiel als Energiequelle oder zur Nutzung leistungsstarker Verbraucher, wie etwa einer Seilwinde. Hierfür wurden bereits unterschiedliche Aufbauten für die Ladefläche konzipiert, die modular verwendet werden können. Mithilfe weiterer Module kann sich das Auto unter anderem in eine mobile Arztpraxis oder eine Wasseraufbereitungsstation verwandeln.   

Die Batteriekapazität von 20 kWh ermöglicht eine elektrische Reichweite von 80 Kilometern. Sie kann an einer normalen Haushaltssteckdose mit 220 Volt innerhalb von sieben Stunden vollständig geladen werden. Solarmodule, die auf dem Dach des Fahrzeugs angebracht sind, liefern ebenfalls Energie für die Batterie und sollen die Reichweite erhöhen. Solarplanen, die optional erhältlich sind, können noch deutlich mehr Solarenergie zum Laden der Batterie erzeugen. Ein vergleichbares Solarenergie-Konzept bietet auch das Münchner Start-up Sono Motors mit seinem Solarauto Sion, das jedoch als Stadtauto für Industrieländer konzipiert ist.

"Hightech-Komponenten wie die Batterie und die Elektromotoren werden wir am Anfang natürlich importieren müssen", sagt Martin Šoltés. Jedoch sollen möglichst viele Komponenten des Acar vor Ort gefertigt werden, um die lokale Wirtschaft zu stärken. "Gussknoten und eine einfache geschraubte Bauweise ermöglichen eine einfache Produktion mit sehr niedrigen Investitionskosten", erklärt Professor Wolfram Volk, Leiter des Lehrstuhls für Umformtechnik und Gießereiwesen. Der Preis für das Basis-Fahrzeug in Afrika soll langfristig unter 10.000 Euro liegen.

Erster Prototyp und Modellfabrik in Deutschland

Die Wissenschaftler haben den ersten Prototyp im Mai 2016 fertiggestellt und ihn zunächst in Deutschland erprobt. Um herauszufinden, ob das Auto auch vor Ort allen Ansprüchen genügt, verschifften sie das Fahrzeug nach Ghana, wo sie im Juli 2017 die Technik und das Konzept unter lokalen Bedingungen prüften. Das Auto habe alle Anforderungen erfüllt und ihre Erwartungen sogar übertroffen, beteuern die Forscher. Einen Prototyp des Acar haben die Wissenschaftler kürzlich auf der IAA in Frankfurt der Öffentlichkeit präsentiert.

Damit die Idee vom Acar keine Idee bleibt, sondern das Acar wirklich in Serie geht, haben Sascha Koberstaedt und Martin Šoltés die Firma Evum Motors gegründet. In einer Modellfabrik sollen die ersten Fahrzeuge in Europa gefertigt werden. "Bevor das Auto in Afrika produziert werden kann, müssen wir zunächst die technischen Abläufe in den Griff bekommen. Dann können wir Menschen aus Afrika hier schulen, die wiederum ihr Wissen vor Ort weitergeben", sagt Koberstaedt.

Nicht nur für Afrika 

Das Acar ist aber nicht nur für den Einsatzort Afrika gut gerüstet. Das Fahrzeug wäre etwa in städtischen Betrieben zu Transportzwecken, bei der Pflege von Grünanlagen oder auch für die Bewirtschaftung von Almen und Weingütern einsetzbar. Die Elektroautos könnten in bestehende betriebliche oder kommunale Flotten integriert werden. 

Derartige integrierte Mobilitätsangebote, aufbauend auf neuen Elektro-Fahrzeugkonzepten, sowie neue Nutzungsformen eröffnen neue Chancen für die Erreichbarkeit im ländlichen Raum", betont auch Thomas J. Mager im Artikel Mobilitätslösungen für den ländlichen Raum aus der Zeitschrift Standort 3/2017

Dies eröffne neue Chancen für die Erreichbarkeit im ländlichen Raum in Verbindung mit den Aspekten Klimaschutz, Stromnetz und erneuerbaren Energien. Er gibt aber auch zu bedenken: "Das Problem der 'letzten Meile', wie man es aus der Diskussion um die Anbindung von ländlichen Regionen an die Ballungsräume kennt, ist in diesem Umfeld jedoch noch weithin eine Herausforderung".

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