1 Einleitung
DAC4EU, ein vom deutschen Digital- und Verkehrsministerium beauftragtes Projektkonsortium, erprobt seit 2020 eine „[D]igitale [A]utomatische [K]upplung“ [für] den [EU]ropäischen Schienengüterverkehr. Wird eine Zulassung erreicht, so verspricht diese technische Neuerung eine Steigerung des schienengebundenen Güterverkehrs, einen höheren Anteil der Schiene am Modal Split und damit eine Reduktion von CO2-Emissionen (BMDV et al. 2022; Laser 2023). Damit entsprechend umgerüstete Güterzüge eines Tages nicht mehr manuell gekuppelt werden müssen, hat das Ministerium per Forschungsauftrag 13 Mio. € bereitgestellt. Eine sozialwissenschaftliche Begleitung des Vorhabens hat das geförderte Konsortium abgelehnt. Wie wird die beabsichtigte Transformation im Güterverkehr praktisch vorangetrieben? Wie genau geht welche „grüne“ Wirkung auf welchen „digitalen“ Einsatz zurück? Inwiefern erweist sich „Digitalisierung“ gar als ein maßgeblicher Faktor für eine Verlagerung auf weniger klimaschädliche Verkehrsmittel? Im erwähnten Fall müssen diese Fragen zur Arbeit an einem besseren Modal Split vorerst zurückgestellt werden.1
Kommt eine Verkehrsverlagerung auf die Schiene nicht zustande, dann werden sich im Zuge weiterer Erderhitzung zunehmend umfassende Mobilitätskrisen ereignen. Forschungen zum Umgang mit bisherigen Mobilitätskrisen – Unfällen, Unterbrechungen, Störungen, sicherheitsrelevanten temporären Außerbetriebnahmen – rücken daher in den Mittelpunkt des Interesses. Allerdings handelt es sich dabei um eher mikroanalytisch fundierte Beiträge (Bee 2022; Röhl 2022), die sich einer makrohistorisch ambitionierten Perspektive nicht unmittelbar zuführen lassen. Gleichwohl lassen sich im Anschluss an Forschungen über Große Technische Systeme (GTS) im Umgang mit Störungen Muster identifizieren, die weiträumig und langfristig auf die Entwicklung dieser Infrastrukturen zurückwirken. Bei übergreifender Betrachtung fallen dabei zunächst Effekte einer Normalisierung ins Auge. Im hier betrachteten Feld der Mobilität gilt es, auch Kontraste zu schärfen: Welche Umgangsformen mit Störungen haben sich über die Zeit im Schienenverkehr im Unterschied zu welchen dafür im Straßenverkehr typischen Mustern verfestigt?
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Da sich angesichts des Klimawandels die Frage nach der Verlagerung nicht ignorieren lässt, sind solche, im Zuge der Vorgeschichte verfestigten Unterschiede höchst relevant. Mobilitätskrisen sind, so betrachtet, keineswegs Ereignisse ohne Vorzeichen: Maßgeblich für ihren Verlauf sind vielmehr die Reaktionsmuster, die sich im Umgang mit unzähligen Präzedenzfällen herausgebildet haben. Diese gegenüber einer herkömmlichen Betrachtung gewendete Sichtweise macht auch eine definitorische Umstellung notwendig. Statt von „Ausfällen“, „Betriebsunterbrechungen“ oder „Störungen“ zu sprechen, die sich äußeren Ursachen zuschreiben lassen, wird von „Mobilitätskrisen“ die Rede sein, in denen multiple Mobilitätspraktiken durcheinandergeraten. Wenn eine entsprechende Umstellung der Nomenklatur in die dokumentarischen Standards des Berichtens über Störungen Eingang findet, wirkt dies einer ansonsten unerschütterlichen Normalisierung entgegen.
Das im Folgenden adjustierte analytische Instrumentarium geht auf eine interdisziplinäre Diskussion zurück, die sich angeboten hat, langfristige Entwicklungen Großer Technischer Systeme konzeptuell zu fassen und, vornehmlich im Energie-, Verkehrs- und Kommunikationssektor, empirisch vergleichend zu erforschen (Mayntz und Hughes 1988; La Porte 1991; Summerton 1994; Coutard 1999). Wann immer die nach „Großen Technischen Systemen“ (GTS) auch benannten Forschungen seither aufgegriffen (Edwards 2003; Geels 2004) und explizit auch auf Transformationsbedingungen hin befragt wurden (Geels und Schot 2007), ging es um deren irreduzibel „soziotechnischen“ Charakter. Ein solches, grundlegend praxeologisches Verständnis von Infrastrukturen wird durch die hier beabsichtigte Konzentration auf den Umgang mit Störungen bzw. Mobilitätskrisen gestärkt. Im Einklang mit den Gründungstexten der GTS-Forschung wird zudem eine (bislang nur selten eingelöste) Vergleichsperspektive empfohlen.
Der Beitrag beginnt mit einer schrittweise einführenden Darstellung der GTS-Forschung zu den Bereichen Schiene und Straße, einschließlich einer Würdigung des politischen Einflusses, den die auf diesem Weg erarbeitete Expertise gewonnen hat. Dass dieser Einfluss sehr beschränkt blieb, lässt sich dabei auch auf verschiedene Kampagnen zurückführen, die die soziotechnische Realität großer Infrastrukturen – etwa im Namen vermeintlicher „Dematerialisierung und Immaterialisierung […] vor allem telekommunikativer Technik“ (Braun und Joerges 1994, S. 36) – radikal leugnen. Im Fazit schlägt der vorliegende Beitrag vor, aus einer praxeologisch aufmerksamen Lektüre der Forschung zu GTS und ihren Störungen Konsequenzen für die Berichterstattung über Mobilitätskrisen zu ziehen. Ein erneuertes Berichtsformat wird sich auf Größen- und Systemwettbewerbe zwischen Schiene und Straße zugunsten Öffentlicher Verkehrsmittel auswirken und Initiativen zur Verlagerung unterstützen.
2 GTS, GTs, gTS
Randscharf hat die sozialwissenschaftliche Erforschung Großer Technischer Systeme von vornherein nicht fixiert, wie „groß“ und „systemisch“ zu definieren sind. Was ein System ausmacht, sei historisch variabel und könne darum einer bündigen wissenschaftlichen Definition nicht genügen (Hughes 1983, S. 5; Van der Vleuten 2006). Auch in der Folge haben die an der Prägung dieses Kompositums Beteiligten eine konzeptuelle Auseinandersetzung nicht gescheut. Aber daraus ist weder ein eindeutiger Begriff noch eine ausdrückliche Bezugnahme auf eine bestimmte konzeptuelle Tradition hervorgegangen. Es blieb also bei einem dünnen Begriff, unscheinbar genug, um im Namen einer produktiven und gegenstandsangemessenen Diskussion konzeptuelle Differenzen zu überbrücken – aber doch analytisch distanziert genug, um sich von einer alltäglichen Verwendung abzuheben.
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Insbesondere die folgende Abgrenzung vom alltagssprachlichen Gebrauch ist hervorzuheben: Die Forschungen zu „Large Technical Systems“ (Thomas Hughes), zu „großtechnischen Systemen“ (Renate Mayntz) oder zu „technischen Makrosystemen“ (Alain Gras) beschäftigen sich damit, wie Infrastrukturen Energie, Mobilität oder Kommunikation über ausgedehnte Gebiete zur Nutzung bereitstellen. Dabei sind sie auf die Expertise dafür spezialisierter Fachleute angewiesen, übernehmen aber nicht deren territoriale und sektorale, in Teilen amtlich befestigte Zuständigkeiten. Denn auch wenn die Vorstellung, technische Netzwerke und Territorien seien deckungsgleich, noch so suggestiv erscheine, liege eine solche „Konvergenz“ praktisch nie vor (Offner und Pumain 1996).
Im Verkehrsbereich sind Große Technische Systeme zum Beispiel nicht synonym mit einer für Verkehrsträger üblichen Kategorie für große Ausdehnung. Im Bahnverkehr heißt „groß“ also nicht „Fernverkehr“ (im Unterschied zu „Regionalverkehr“), im Straßenverkehr bemisst sich Größe nicht an der Anzahl von Fahrbahnen pro Fahrtrichtung oder ihrer Widmung für eine bestimmte Geschwindigkeit und/oder einen bestimmten Fahrzeugtyp. Vielmehr verweist „groß“ auf ein „Momentum“ (Hughes 1987, S. 56–57), also eine dynamische Größe, die in ihrer Richtung festgelegt ist (Trägheit, Pfadabhängigkeit). Gegenüber Kategorien, die Zuständigkeit, Steuerung und Regierbarkeit reklamieren, verhält sich dieses Momentum derart indifferent, dass die Frage nach einer Umkehrung der Machtverhältnisse – „Wie uns Netzwerke regieren?“ (Gariépy und Marié 1997) – gar nicht abwegig erscheint.
„Systemisch“ bezieht sich dagegen auf das für GTS grundlegende Merkmal der Beobachtung eigener Zustände mittels Informationstechnologie (Gras 1993, S. 18). Besonders anschaulich wird dies am Beispiel von Kontrollzentren im Flugverkehr (ebd.).2 Der Ausbau von Vorrichtungen zur Selbstbeobachtung erfolgt nicht kontinuierlich, sondern oft schubweise, nämlich in Folge dramatischer und medial stark beachteter Aus- oder Unfälle. Bereits hier deutet sich an, dass beide Merkmale, „G“ und „S“, Verschränkungen eingehen: Während Entwicklungssprünge angesichts der Trägheit Großer Technischer Systeme unwahrscheinlich erscheinen, kann in Folge von Unfällen politischer Druck entstehen und Anlass dafür geben, die Selbstbeobachtungskompetenz Großer Technischer Systeme zu steigern. Diese Steigerung kann umgekehrt dem Momentum von GTS sowohl zu- als auch abträglich sein. Daraus ergeben sich Fragen, die empirisch und vorzugsweise vergleichend zu untersuchen sind. „Systemisch“ und „groß“ gehen also nicht ineinander auf, sondern sind in ihrem Verhältnis zu klären. Sie bezeichnen unterschiedliche Vektoren für in der Kombination nicht immer absehbare Entwicklungen. Für ihr Zusammenwirken hat Thomas Hughes im Rückgriff auf eine militärstrategische Analogie folgenden Befund herausgestellt: Als charakteristisch für die Entwicklung von GTS könne gelten, dass Kompetenzen zur Selbstbeobachtung nur sehr beschränkt wirksam werden. Sie resultieren in punktuellen Ausbesserungen jener Komponente, die als Reverse Salient (Hughes 1987, S. 73–75) ausgemacht werde – jener Stelle also, die sich im Zuge einer Gesamtschau des Frontverlaufs als die schwächste lokalisieren lasse.
Diese Beobachtung macht plausibel, wie sich GTS in einer Logik inkrementeller Innovation verfangen und dabei gegenüber Impulsen aus dem politischen Diskurs („Verkehrswende“) ebenso verschließen wie gegenüber Nischeninnovationen (Geels und Schot 2007). Dass Größe und Systemcharakter, zwei für sich betrachtet dynamische Vektoren, einander ausbremsen, bleibt dennoch paradox und weiterhin erklärungsbedürftig. Im Zusammenhang mit der ausbleibenden Verkehrsverlagerung (von der Straße auf die Schiene) ist diese Frage in einem vergleichenden Rahmen zu klären. Dafür sind Querbezüge zwischen Forschungen unabdingbar, die sich bisher eher entweder dem GTS Schiene oder dem GTS Straße zugewandt haben. Um eine stärkere Verschränkung zu erreichen und das Potenzial einer vergleichenden Perspektive auszuschöpfen, ist die Geschichte der Eisenbahn und des Straßenwesens systematisch auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Umgang mit Störungen hin zu befragen.
3 Der gewandelte Umgang mit Störungen als Schlüssel zur Geschichte des Schienenverkehrs
Im Fall der Eisenbahn hängt der Aufbau von Selbstbeobachtungskompetenz in doppelter Hinsicht mit dem Ausbau von Telegrafenleitungen zusammen. Zum einen bieten diese Leitungen die Möglichkeit, den Betrieb in Echtzeit zu kontrollieren, ohne Verzögerung auf Unregelmäßigkeiten aufmerksam zu werden und somit Unfälle zu vermeiden. Zum anderen erzeugen sie ein sektorübergreifendes Momentum (Gugerli 1996, S. 140). Einer streng sektoral ansetzenden Betrachtung bliebe das Zusammenspiel von Größenwachstum und Systemsteigerung verborgen.
Zum außerordentlich dynamischen Ausbau des Eisenbahnnetzes im 19. Jahrhundert hat jedoch nicht nur die Telegrafie beigetragen. Diesem war auch förderlich, dass entlang der Linien die Tagespresse Verbreitung fand (Richards und MacKenzie 1986, S. 301–302), während an den Bahnhöfen Dienstleistungsbetriebe entstanden, die Reisende mit Unterkünften (Oldenziel und Hård 2013, S. 104–107), Gepäckdiensten, Fundbüros und nicht nur Reisende mit (Bahnhofs-)Literatur und kulinarischen Angeboten versorgten (Richards und MacKenzie 1986, S. 291–303). Knotenpunkte in diesem Prozess eines wechselseitig bedingten Aufschwungs waren jedoch nicht nur Bahnhöfe, sondern z. B. auch Schlachthöfe: Der Ausbau der Bahninfrastruktur ging einher mit einer keineswegs selbstverständlichen Umstellung der Fleischverarbeitung und des Fleischkonsums in den um diese Zeit rasant wachsenden Metropolen (Cronon 1991). Dieses Momentum machte sich (über Gleisanschlüsse) bis weit in den ländlichen Raum bemerkbar (Kassung 2020, S. 57–73); es betrifft die Geschichte kooperativer Medien (Fahrpläne) ebenso wie die Kulturgeschichte der Metropolenbildung samt völlig neuen Konsumgewohnheiten. Dieser Nexus lässt sich auch im Nachhinein aus entsprechend breiten „Redeströmen“ (Gugerli 1996) rekonstruieren. Während sich professionelle Darstellungen eher an administrative Zuständigkeiten und disziplinäre Abgrenzungen halten, geben populäre Darstellungen, wie stärker kulturwissenschaftlich orientierte Arbeiten herausgestellt haben, interessante Aufschlüsse über die Größe von GTS (Braun und Joerges 1994).
Ohne gesteigerte Selbstbeobachtung wäre der rasante Ausbau der Eisenbahn zu einem GTS nicht zustande gekommen. Umgekehrt wurde in Folge von Unfällen, die sich bei intensiver Berichterstattung zu größeren Medienereignisse auswachsen konnten, in Kapazitäten zur Selbstbeobachtung investiert (Caron 1998, S. 870–871).3 Dies schloss die Aufgabe ein, im kontinentalen Maßstab eine Standardisierung der Zeit zu erwirken (Zerubavel 1982). Die Arbeit an der Selbstrepräsentation hat sich auch lokal fortgesetzt. Wie schon an der Architektur der Anlagen erkennbar, wurden im Fall der Eisenbahn vielfach Kontrollzentren eingerichtet. Die Verfügbarkeit einer mehr oder weniger vollständigen und mehr oder weniger in Echtzeit dargebotenen Repräsentation betrieblicher Abläufe bot die Möglichkeit, im Störfall rasch zu intervenieren. Mit diesem zentralisierten Management wurde die Eisenbahn für viele andere Industriezweige zum Modell (Chandler 1965). Dass diese Kontrollzentren ihrerseits störanfällig sind, wurde eindrücklich belegt (Perrow 1987). Wenn dieser Befund als unbestreitbar gilt, liegt dies allerdings auch daran, dass seither nur wenige vergleichende Untersuchungen hinzugekommen sind.
4 Der fragmentierte Umgang mit Störungen als Schlüssel zur Geschichte des Straßenverkehrs
Die Geschichte des Straßenverkehrs kennt großmaßstäbliche Visionen: Erste Entwürfe von Autobahnnetzen standen auf beiden Seiten des Nordatlantiks im Zusammenhang mit dem militärischen Ziel der Landesverteidigung. In Deutschland wurde für umfangreiche Ausbauvorhaben nach 1990 die Stärkung nationaler „Einheit“ bemüht. Diese Beschwörungen von Größe kommen ohne Bezug zur GTS-Forschung aus. Sie reichen aber nicht hin, die enormen Investitionen verständlich zu machen, die insgesamt angestrengt wurden. Schwerer ins Gewicht als Großentwürfe dürften daher, über die Lebensdauer von Straßennetzen gerechnet, allemal Baumaßnahmen fallen, die sich als Lückenschließungen darbieten. Dieses Schema – eine gesteigerte Selbstbeobachtung trägt dazu bei, einen Engpass (Reverse salient) aufzuspüren und dann zu beseitigen – hat sich in einer unerbittlich auf inkrementelle Verbesserung festgelegten Logik wieder und wieder bestätigt.
Im Unterschied zum Schienenverkehr, bei dem Infrastruktur und Betrieb oft in einer Hand liegen, hat es die Regulierung von Risiken im Straßenverkehr mit mehreren Parteien zu tun. Sie richtet sich gegen vielfältige Risiken und, per Implikation, an ganz unterschiedliche Adressatinnen. Um einige Beispiele für meist im nationalen Maßstab betriebene Kampagnen aus den vergangenen Jahrzehnten zu nennen: Für eine Erziehung zur „Selbstkontrolle“ (Nowak 2016), für weitgehend „narrensichere“ Fahrzeuge (Stieniczka 2006), gegen Alkohol am Steuer (Gusfield 1981) oder für eine automatisierte Kontrolle und Sanktionierung von Geschwindigkeitsüberschreitungen (Wells 2012). Jede dieser Kampagnen stützte sich auf jeweils unterschiedliche Maßnahmen, Messgeräte und Labortechniken.
Zudem verschob sich mit der jeweils entscheidenden Messgröße immer wieder auch die vorrangige Bezugsdisziplin. Mal war erziehungswissenschaftliche, mal ingenieurwissenschaftliche, mal verwaltungswissenschaftliche Expertise gefragt. Im englischen Sprachraum wird die Heterogenität dieser Wissensbestände durch eine Alliteration heruntergespielt: Education, Engineering, Enforcement. Der jeweils relevante Ort der Wissensproduktion hat sich mit jeweils unterschiedlich ausgelegten Testverfahren und den ihnen zugrunde liegenden Konventionen mehrmals verschoben (Potthast 2012). Historische Aufbereitungen geben Aufschluss über diese Beweglichkeit (Leonardi 2012). Mit der Vorstellung einer kontinuierlichen Kontrollsteigerung ist das nicht vereinbar. Unbenommen regulatorischer Bemühungen, die sich im Rückblick als innovationsfördernd herausgestellt haben (Vinsel 2019), bleibt der Straßenverkehr hochgradig fragmentiert (Grundmann 1994).
Der Straßenverkehr entwickelt sich insofern als Großes Technisches System mit kleinem „s“ (GTs). In Bezug auf den Straßenbau ist das hinlänglich bekannt: Überlastete oder unfallträchtige Teile der Infrastruktur werden identifiziert und entschärft. In diesem Modus der Problembearbeitung stabilisiert sich das oben benannte Muster selbst (Gopakumar 2020). Es sorgt dafür, dass in der Problembeschreibung schon die Lösung benannt wird (Harvey und Knox 2015, S. 113–114). Davon weitgehend unberührt, aber nach ähnlichem Muster wurde und wird der Fuhrpark überarbeitet. Kraftfahrzeuge wurden als Beteiligte am Unfallgeschehen wahrgenommen und daraufhin, angefangen bei „Knautschzonen“, mit einer stetig länger werdenden Liste von Sicherheitskomponenten nachgerüstet (Stieniczka 2006, S. 286). Eine Systemperspektive, die eine in anderen Fällen (paradigmatisch bei der Eisenbahn) diagnostizierte Aufwärtstransformation möglich und notwendig macht, kam nicht zustande. Der Straßenverkehr bleibt, von Kohäsionszwängen weitgehend unbehelligt, zerklüftet.
5 Der Beitrag der GTS-Forschung zu einer vergleichenden Perspektive
Im Sommer 2022 wurden Straßen-, Schienen- und Flugverkehr von massiven Störungen erschüttert. Auch wenn sich diese Vorfälle nicht auf Deutschland beschränkten, rief die Süddeutsche Zeitung zum Ferienbeginn eine „Republik des Stillstands“ aus (Markus Balser u. a., 02.07.2022). Der Beitrag beschreibt, wie schlecht es um die Mobilität bestellt ist. Zugleich dokumentiert er eine geschärfte Wahrnehmung für Störungen und dadurch ausgelöste Staus. Er bespricht die Verkehrsträger und ihre Störfälle der Reihe nach, versäumt es jedoch, Fragen nach Zusammenhängen zu stellen. Insofern werden Eigenheiten der Verkehrsträger zwar erwähnt, bleiben aber der Analyse äußerlich. Weil eine vergleichende Analyse des Umgangs mit Störungen nicht stattfindet, bestätigt auch die dramatisierende Darstellung nur ein schon bekanntes Muster: Infrastrukturen sind unsichtbar – es sei denn, es gibt ein Problem. Die Vorstellung, ein solches Muster komme unterschiedslos zum Tragen, ist mit Verweis auf erkennbar unterschiedliche historische Verläufe (siehe z. B. Abschn. 3 und 4) zurückzuweisen. Gerade die GTS-Forschung ist darum zu verpflichten, den Umgang mit Störungen konsequenter in den Blick zu nehmen – und zwar, mit Verweis auf ihre eigene, bisher selten eingelöste Programmatik, vergleichend.
Untersuchungen, die so ansetzen, verfangen sich nicht im Gegensatz objektiver vs. subjektiver Krisenrepräsentation, indem sie einen dritten, praxisbasierten Zugang wählen: Sie zeichnen nach, wie Störungen problematisiert, aber auch normalisiert werden (Röhl 2022). Dafür strengen sie unter anderem verlaufsorientierte Medienanalysen an (Vardi 2012; te Brömmelstroet 2020). Dass ein landesweiter und alle Verkehrsträger betreffender „Stillstand“ einer synchronen Steigerung von Größe und Systemcharakter zugutekommt, ist dabei ebenso wenig plausibel wie das Szenario eines geordneten Nacheinanders von Größen- und Systemsteigerungen. Eher ist von einem Zusammenspiel beider Dimensionen auszugehen.
Die Prämissen könnten nicht unterschiedlicher und darum für eine vergleichende Erkundung (Hughes 1983, S. 7) nicht günstiger sein. Hier das GTs Straße, stark fragmentiert – dort das GTS Schiene, mangels Momentum zwischenzeitlich zu einem gTS zurückgeschrumpft und seit längerem ohne den Glanz eines auf andere Sektoren übertragbaren Modells für eine revolutionäre Steigerung systemischer Kontrolle (Beniger 1986). Wenn eine Mobilitätswende eine massive Verkehrsverlagerung auf die Schiene notwendig voraussetzt, dann zeichnet sich hier eine eigenständige Erklärung dafür ab, warum sie immer weiter außer Reichweite gerät. Dennoch bietet eine entsprechend aufbereitete Vorgeschichte Anhaltspunkte dafür, wie der Straßenverkehr eine Systemtransformation (zu einem großen ‚S‘) durchlaufen und woher der Schienenverkehr ein neues Momentum (hin zu einem größeren ‚G‘) beziehen könnte. Schon mit einem flüchtigen Blick auf die jüngere mediale und politische Aktualität zeigt sich, dass es für beide Entwicklungen Anlässe und Gelegenheiten gab: Wird die Umgehung von Abgasnormen („Dieselgate“) eine systemische Aufwärtstransformation im Straßenverkehr nach sich ziehen? Inwiefern stärken „Stuttgart 21“, ein „Deutschlandtakt“ oder das „9-Euro-Ticket“ symbiotische Beziehungen und verhelfen dem Schienenverkehr zu neuer Größe?
Eine entsprechend aufbereitete Dokumentation könnte sicherstellen, dass sich diese Fragen nicht in punktuellen Kontroversen verlieren. Stattdessen ließe eine synoptische Darstellung des Umgangs mit Störungen im Zeitverlauf Muster zu Tage treten. Damit böten sich einer Transformation (zum „S“ beim Straßenverkehr, zum „G“ beim Schienenverkehr) Anhaltspunkte, ohne sogleich den Vorbehalt zu nähren, bloß einer partikularen Position „das Wort zu reden“. Eine solche Dokumentation könnte dann ihrerseits neue Forschungen inspirieren, die entlang gemeinsamer Bezugspunkte GTS-Konzepte weiterentwickeln oder herausfordern.4 Der Vorschlag, die GTS-Forschung in konzertierter Weise über den Nexus von Disruption und Normalisierung weiterzuführen, ist noch ein Desiderat. Er lädt, auch wenn hier nur das Feld von Mobilität und Verkehrsinfrastrukturen angesprochen ist, dazu ein, eine vergleichende Ambition dieses Forschungsprogramms wiederzuentdecken.
6 Nachfrage nach GTS-Expertise
Der politische Einfluss der GTS-Forschung ist, gemessen an den üblichen Kriterien, gering. Ein Studiengang, der in internationalem Maßstab Elitenzirkulation ankurbelt, kam über das Netzwerk nicht zustande. International und vergleichend angelegte Forschungen blieben die Ausnahme. Die Zahl einschlägiger Qualifikationsarbeiten hält sich in Grenzen. Die – ebenfalls kaum in nennenswerter Zahl vorgelegten – Beiträge in Buchlänge wurden nicht in andere Sprachen übersetzt. Für den Aufbau einer grenzüberschreitend wirksamen Expertise war das zu wenig. Dass von entsprechend qualifizierter Politikberatung wenig bekannt ist, kann darum nicht überraschen. Umso markanter heben sich mit Charles Perrow und Diane Vaughan zwei mit der GTS-Forschung affiliierte Personen ab, die jeweils ein Mandat in der Kommission zur Aufklärung der Katastrophe von Three Mile Island (28.03.1979) und des Absturzes der Raumfähre Columbia (01.02.2003) innehatten. Ihre Überlegungen zu „normalen Unfällen“ (Perrow 1987) und zur „Normalisierung der Abweichung“ (Vaughan 1996) haben sich nicht nur in Fachpublikationen, sondern auch in den Anforderungen an die jeweils folgenden Untersuchungen niedergeschlagen (Vaughan 2006).
Weitaus mehr Aufmerksamkeit als die Anstrengungen, den Umgang mit Störfällen zu rekategorisieren und darüber institutionelle Änderungen durchzusetzen, haben teils aggressive Abgesänge auf große Infrastrukturen gefunden. Noch gemäßigt nimmt sich ein Beitrag aus, den Thomas Hughes selbst dazu beigesteuert hat: Es sei merklich schwerer geworden, Technik im Stil von GTS durchsetzen, insofern das „Technische“ gar nicht mehr im Vordergrund stehe. In größerem Maßstab seien Infrastrukturprojekte nur noch durchsetzbar, wenn sie perfekt postmodern orchestriert werden. Seine Diagnose, derzufolge „heterogenes Ingenieurwesen“ (Hughes 1998) unausweichlich geworden sei, nimmt viel von seither vorgelegten sozialwissenschaftlichen Gegenwartsdiagnosen vorweg. Der Anbruch eines „Informationszeitalters“ befeuere eine globale Innovationsdynamik, die nationalen Staaten, Standards, Tarifordnungen usw. enorm zusetze (Castells 1996). Der Kapitalismus transformiere sich nicht mehr unter dem Eindruck sozialer Fragen, sondern im Modus der Umarmung ästhetischer Kritik (Boltanski und Chiapello 2003). Ökonomien und Gesellschaften des Allgemeinen verdrängen ihre industriellen Grundlagen zugunsten einer Steigerung des „Singulären“ (Reckwitz 2017). Für diese Gegenwartsdiagnosen sind Infrastruktursysteme haltlos gewordene Versprechen. Einst mögen sie für militärische Sicherheit und sozialen Zusammenhalt gebürgt haben. Nun aber wirken sie wie aus der Zeit gefallen. Dass und wie sich GTS im Hinblick der Normalisierung von Ausfällen und Störungen unterscheiden, geriet darüber erst recht aus dem Blick. Das Fazit kommt hierauf zurück. Drei Hinweise mögen zuvor dazu beitragen, die gegen GTS gerichtete Polemik zu entschärfen und gegenüber unhaltbaren historiografischen Vereinfachungen Differenzierungen einfordern:
(1)
Vordergründig geriet „Größe“ als territoriale Referenz in jenem Maß in Verruf, in dem sich digitalökonomische Gegenentwürfe als miniaturhafte Heilsbringer in Szene setzten. Öffentliche Ausgaben für technische Infrastrukturen sahen sich oft unverhohlen denunzierender Kritik ausgesetzt und waren nur mit Mühe zu rechtfertigen. Zwar mag die Erfindung von Größe als kulturelle Manipulation verwerflich erscheinen. Wenn sie jedoch mit dem Ausbau von Systemperspektive, Aufsicht und Zurechenbarkeit verbunden war, droht die Kritik daran, gleichsam das Kind (System) mit dem Bade (Größe) auszuschütten (Rochlin 2001). Schwindet das Unterscheidungsvermögen für Größe und Systemcharakter, dann lässt sich gezielten Verwechslungen und wirren Konvergenzforderungen nichts entgegensetzen. Eine noch so gut begründete Systemsteigerung (z. B. ein allgemeines Tempolimit) lässt sich dann unter Berufung auf nationale Größe und Zugehörigkeit („Freie Fahrt für freie Bürger“) blockieren.
(2)
Wo sie zustande kommt, erzeugt die Konvergenz von Netzwerken und Territorien Inklusion, aber auch Exklusion. Darauf machen etwa Forschungen aufmerksam, die Mobilität und Migration in Abhängigkeit historischer Grenzregime betrachten (Vigneswaran 2013). Allerdings bleiben solche Bezüge zwischen der Mobilitätsforschung auf der einen und der Migrationsforschung auf der anderen Seite eher die Ausnahme. Statt das Nebeneinander einer durchlässigen Welt der Erreichbarkeit und einer durch schier unüberwindbare Grenzen gekennzeichneten Welt durch eine arbeitsteilig organisierte Forschung auch noch mit wissenschaftlicher Autorität festzuschreiben, ist an einem gemeinsamen konzeptuellen Bezugsrahmen zu arbeiten.
(3)
Die Vorstellung, dass sich technische Netzwerke beschleunigt von territorialen Gebietskörperschaften entkoppeln (Castells 1996), blieb nicht unwidersprochen. Die empirische Mobilitätsforschung hat sich eher distanziert. Sie hat angemerkt, dass die Vorstellung einer solchen Entkopplung zu utopischen oder dystopischen Übertreibungen neigt. Sie hat sich gerade dort, wo nichts als extraterritoriale Ortlosigkeit zu erwarten wäre, daran gemacht, Effekte einer Re-Territorialisierung nachzuweisen (Potthast 2007). Auch Prozesse grenzüberschreitender technischer Standardbildung sind mikrofundierten Analysen zugänglich. Deren Befunde sind ihrerseits vor überzogenen Generalisierungen zu bewahren. Auch wenn es im Zuge der Standardisierung der Zeit gelungen ist, Eisenbahnunfälle zu vermeiden (Zerubavel 1982), so ist die Schlussfolgerung, alle Probleme weitreichender Koordination seien gelöst, abwegig.
7 Fazit: Dokumentarische Standards für Mobilitätskrisenberichte
Gemessen an den durch öffentliche Haushalte verausgabten Summen nehmen sich mediale Berichterstattung und Diskussion über Verkehrsinfrastrukturen sehr wenig Raum. Auslöser sind in vielen Fällen Ereignisse, die Verkehrsstörungen bewirken. Mit diesen Unterbrechungen verschwinden jedoch auch die Infrastrukturen wieder aus dem Rampenlicht (Star 1999). Es verfestigt sich dann sogar der Eindruck, dass Störungen eben Ausnahmen sind und einen ansonsten regelhaften Betrieb bekräftigen (Wynne 1988). Wenn es zutrifft, dass im Straßen- und im Schienenverkehr unterschiedliche Muster der Normalisierung von Unterbrechungen am Werk sind, dann ist es einer Politik der Verlagerung bereits zuträglich, wenn diese Unterschiede dokumentiert werden. Um Krisen in einer gegen herkömmliche Varianten der Normalisierung resistenten Weise zu dokumentieren, bedarf es entsprechend robuster Berichtsformate.
Transformation setzt also einerseits voraus, dass Effekte der Normalisierung zur Sprache kommen, die den Modal Split ungünstig beeinflussen und darüber den Klimawandel beschleunigen. Dauerhaft schwächen lassen sich entlang von GTS stabilisierte Muster der Normalisierung aber nur, wenn andererseits gegenläufige Formate der Berichterstattung gestärkt werden. Um das Bemühen um eine Rekategorisierung deutlich zu machen, ist darum nicht von Störungen oder Betriebsausfällen, sondern von Mobilitätskrisen zu sprechen. Wie lassen sich Mobilitätskrisen in eine Darstellung bringen, die den Normalitätssinn nicht nur punktuell strapaziert, sondern in der politischen Aktualität bestehen kann (Boltanski und Esquerre 2022)? Wo finden sich Vorbilder und Prototypen für ein Berichtsformat, das sperrig genug ist, um einer Reduktion auf Störereignisse (die dann routiniert einer Normalisierung überlassen werden) zu entgehen? Hier ist vornehmlich ein Fundus ethnografischer Arbeiten zu nennen, die Mobilität und Sesshaftigkeit im Verbund untersuchen (Hochschild 2016; Coquard 2019). Eingehender noch als programmatische Schriften fordern sie eine Öffnung und Verflechtung oftmals separierter Gegenstandsbereiche von alltäglicher Mobilität bis zur grenzüberschreitenden Migration. Wie wichtig es ist, hier auf hohen dokumentarischen Standards zu beharren und d. h. nur mit empirisch abgesicherten Daten zu arbeiten, zeigen in populistischer Absicht getätigte Verknüpfungen zwischen Fluchtmigration und Tourismus (Markus Söder) bzw. Pendelmobilität (Friedrich Merz).
Schon die programmatische Forderung, auch gegen eingefahrene disziplinäre Gewohnheiten Mobilität „neu zu bedenken“ (Kaufmann 2002), stützte sich auf solide empirische Belege. Konkret einlösbar wird sie, wie hier vorgeschlagen, durch einen systematischen Bezug auf multiple Störungen. Damit sind Störungen gemeint, die nicht nur ein einzelnes Segment von Mobilität betreffen, sondern sich mindestens auf zwei der folgenden Mobilitätspraktiken auswirken – und somit die üblichen Zuständigkeiten und Denkgewohnheiten durcheinanderbringen: (a) Wohnsitzwechsel (gewählt, erzwungen), (b) Fernreisen (beruflich, touristisch), (c) beruflich bedingte Alltagsmobilität (Pendeln), (d) alltägliche Freizeit- und Versorgungsmobilität (ebd.).
Studien über Saisonarbeit (Schmidt 2021) oder transnationale Pflegekräfte (Wirz 2021) bieten darüber Aufschluss, wie sich diese für gewöhnlich getrennt betrachteten Mobilitäten systematisch verknüpfen. Um die Relevanz revidierter Mobilitätskrisenberichte zu unterstreichen, die erfassen, was quer zu den gewohnten Kategorien liegt, sei exemplarisch auf eine Reportage über private Einsatzkräfte verwiesen, die nach Großschadensfällen zu Aufräumarbeiten gerufen werden (Stillman 2021). Entlang der oben genannten Kategorien (a = Wohnsitzwechsel, b = Fernreisen, c = Pendeln, d = alltägliche Freizeit- und Versorgungsmobilität) wäre dieses Beispiel wie folgt aufzubereiten: Wo Unwetter Schadensereignisse eintreten lassen, brechen alltägliche Mobilitätsformen (c, d) zusammen. Vor allem in touristischen Destinationen sind auch Fernreisen betroffen (b). Eine durch fossile Mobilität mitverursachte Klimakrise erweist sich zudem als Fluchtursache und Mobilitätsgenerator (a). Wo sich wie in den USA ein Geschäftsmodell für mobile Einsatzkräfte herausgebildet hat; wo Rescue Workers beruflich Katastrophen hinterherreisen, entsteht eine neuartige Form der Pendlermobilität (c). Rekrutiert wird dieses Personal vornehmlich über die Netzwerke von Migrantinnen und Migranten (a), die nur über einen prekären Aufenthaltsstatus verfügen und sich gegen ihre Ausbeutung sehr zögerlich zur Wehr setzen (ebd.).
Nach dem Hochwasser im Ahrtal (14.07.2021) absolvierten der Bundesverkehrsminister (am 07.10.2021) und sein Nachfolger (04.02.2022) Ortstermine. Seit dort zweifellos alle genannten Mobilitätspraktiken (a-b-c-d) betroffen waren, drängt sich die Frage nach ihren Zusammenhängen geradezu auf. Während an gleicher Stelle auch ein Kanzlerkandidat auftrat (und sich medial sehr geschadet hat), sind auch weitere Initiativen zu einer Repolitisierung der Mobilität ausgeblieben. Einzelne mögen sich gezwungen sehen, ihre Residenzentscheidung zu überdenken (a). Wer auf den Schienenverkehr oder öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist (c-d), muss sich seither weitgehend selbst mit Informationen über Ausweichrouten und Fahrplanänderungen versorgen. Der regionale Tourismusverband lässt erkennen, dass das Geschäft angeschlagen ist, und wirbt mit „ideenreichen Alternativkonzepten“. Gästen empfiehlt er, mit dem ÖV anzureisen (b).5 Damit dies nicht ein guter Vorsatz bleibt, müssen auswärtige Fahrgäste (ohne Ortskenntnisse; mit Gepäck) über das übliche Maß (individualisiert und digital übermittelt) hinaus bei der Navigation unterstützt werden. Andernfalls bleibt auch in diesem Segment eine Normalisierung am Werk, die Risikoentscheidungen auf die Ebene individueller Nutzung abwälzt (Appadurai und Alexander 2023) und Forderungen nach „Mobilitätsgerechtigkeit“ (Sheller 2018) ignoriert. Wenn sie nicht quer zu den gängigen Mobilitätsformen befragt wird, kommt die Katastrophe demnach ausgerechnet einer Politik der Duldsamkeit (Terpe 2009) zugute – einer Abwendung von fossiler Mobilität hingegen absehbar nicht. Sollte die politische Aktualität doch dazu zwingen, Krisenereignisse angemessen und d. h. in ihrer multiplen Qualität aufzuarbeiten, kann sie dafür, wie ausgeführt, auf die Expertise zu GTS zurückgreifen.
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