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2015 | Book

Naturschutz

Ein kritischer Ansatz

Author: Klaus-Dieter Hupke

Publisher: Springer Berlin Heidelberg

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About this book

In Naturschutzgebieten geschieht vieles, das auf den ersten Blick widersprüchlich ist. So werden beim Pflegeeinsatz Blumenwiesen abgemäht, wo doch alle dort wachsenden Pflanzen unter Naturschutz stehen. An anderer Stelle werden im Flachmoor geschützte Schilfbestände abgebrannt oder in einem Dünenschutzgebiet die oberste Bodenschicht mit Planierraupen abgetragen. Wiederum andere Flächen sollen völlig unberührt von menschlichen Eingriffen bleiben. Der Autor Klaus-Dieter Hupke zeigt die verschiedenen Strategien von Naturschutz auf. Er zeigt auch, dass Naturschutz zumeist gerade das nicht ist, was der Begriff im Kern aussagt: „Schutz der Natur“. In Mitteleuropa handelt es sich bei Naturschutzgebieten im Gegenteil überwiegend um die Relikte alter Agrar- und damit Kulturlandschaften. Oftmals stehen auch ästhetische Aspekte eines Landschaftsausschnitts bei der Ausweisung als Naturdenkmal oder Naturschutzgebiet im Vordergrund. Darüber hinaus läuft der Naturschutz Gefahr, zur Ersatzhandlung und zum Alibi für eine in Mitteleuropa wie global immer noch wachsende Zerstörung traditioneller und naturnaher Landschaftssysteme zu werden.

Table of Contents

Frontmatter
1. Was ist für uns Natur?

Ein Bekannter regte sich vor einiger Zeit sehr darüber auf, dass viele Nachbarn seinen Hund nicht mochten. Die heutigen Menschen hätten eben kein Verständnis mehr für Natur.

Klaus-Dieter Hupke
2. Warum Naturschutz?

Schon im hochmittelalterlichen

Mittelalter

Minnesang (um 1200 n. Chr.) spielte der Genuss der Natur, vor allem einer frühlingshaften, eine zentrale Rolle und stand für hohe Lebensqualität und Zuversicht, den

hohen muot

. Vogelgesang

Vogelgesang

und blühende Blumen bildeten die ästhetische Entsprechung für eine positive innere Stimmung – und natürlich, sie standen auch schon symbolisch für die geschlechtliche Liebe oder umfassten deren Ambiente. Doch eine Forderung nach

Schutz der Natur

findet sich in dieser und auch in vielen weiteren Epochen nicht. Nicht, dass aus heutiger Sicht die damalige Natur keines Schutzes bedurft hätte. Das

hohe Mittelalter

war eine Zeit der Bevölkerungs- und Siedlungsvermehrung, der Degradierung und Rodung von Wald, insbesondere in den Mittelgebirgen. In den Beckenlagen und Tiefländern war der Wald

Wald

schon Jahrhunderte zuvor weithin verschwunden – bis auf die geringen Reste an Wäldchen, die den vorwiegend kleinen Gemeinden als winterlicher Brennholzvorrat dienten. – Grund genug also für die Forderung nach Naturschutz.

Klaus-Dieter Hupke
3. Warum der Naturschutz gegenüber Umweltschutz und Tierschutz die schlechteren Karten hat

Als sich in den

Tierschutz

Umweltschutz

1950er- und 1960er-Jahren in

Umweltschutz

den bundesdeutschen Wohnstuben Fernsehgeräte etablierten, gehörten

Tiersendungen

zu den beliebtesten Programmsparten. Zunächst war es vor allem der „Fernsehprofessor“

Bernhard Grzimek

Grzimek, Bernhard

, der es geschickt verstand, privates Interesse und naturschützerische Ambitionen (

Serengeti darf nicht sterben

) mit medialer Präsenz zu verbinden. Andere Filmautoren folgten, etwa Eugen Schumacher

Schumacher, Eugen

mit

Die letzten Paradiese

. Während Grzimek sehr der ostafrikanischen Savanne

Savanne

verhaftet war, bezog der kantig wirkende Schumacher auch andere Erdräume und Klimazonen, etwa die Polargebiete

Polargebiete

, ein. Heinz Sielmann

Sielmann, Heinz

nahm in seinen

Expeditionen ins Tierreich

auch stärker heimische mitteleuropäische Lebensräume in den Blick.

Klaus-Dieter Hupke
4. Naturschutz – auf welchen Flächen?

Es ist ja ganz nett, wenn einige kleine Einzelheiten geschützt werden, Bedeutung für die Allgemeinheit hat diese Naturdenkmälerchensarbeit aber nicht. Pritzelkram ist der Naturschutz, so wie wir ihn haben. Naturverhunzung dagegen kann man eine geniale Großzügigkeit nicht absprechen. Die Naturverhunzung arbeitet „en gros“, der Naturschutz „en detail“.

Klaus-Dieter Hupke
5. Extremstandorte – von der Wirtschaft gemieden, vom Naturschutz bevorzugt?

Wie Kap. 2 deutlich machte, sind es vor allem landschaftsästhetische Gründe, die zum Schutz ausgewählter Landschaftselemente führen. Sofern diese Naturschutzgebiete oder (bei eher punktueller Erstreckung) Naturdenkmäler an vorgesellschaftliche Naturstrukturen angelehnt sind und waren, handelt es sich überproportional um Sonderstandorte wie Felsen, Wasserfälle, Höhlen und Kalktuffgrotten, Blockhalden/Felsenmeere, Dünen und andere, in der Fläche also eher um untypische Landschaftselemente. Die meisten davon stocken auf flachgründigen Böden, die weder für die Landwirtschaft noch für eine intensive Forstwirtschaft geeignete Standorte darstellen. Auch für große Fabriken sowie Kultur- und Freizeiteinrichtungen wie Schulen, Bäder und Sporthallen werden in der Regel ausgedehnte ebene Flächen bevorzugt, sodass sie zumeist in Flächenkonkurrenz zur Land- und Forstwirtschaft stehen.

Klaus-Dieter Hupke
6. Verwirrende Vielfalt – Flächenkategorien des Natur- und Landschaftsschutzes: Naturschutzgebiete, Nationalparks, Naturdenkmäler, Landschaftsschutzgebiete, Naturparks

Für Menschen (auch gebildete), die nicht hobbymäßig oder beruflich regelmäßig mit Naturschutz zu tun haben, ist ein Nationalpark und ein Naturpark ziemlich leicht zu verwechseln. Die Gemeinsamkeit beider Kategorien liegt darin, dass sie flächenmäßig sehr ausgedehnt sind: einige Dutzend bis mehrere 100 km

2

. Es handelt sich also um ein Gebiet etwa von einer durchschnittlichen Gemeindegemarkung bis hin zu Landkreisgröße.

Klaus-Dieter Hupke
7. Welche Natur wollen wir wie schützen?

Gehen wir mehr als 7000 Jahre in der Geschichte zurück, in eine Zeit also, bevor die ersten Rodungen in Mitteleuropa stattfanden. Fast das ganze Gebiet des heutigen Deutschland war damals von Wald bedeckt, überwiegend Laubmischwald, je nach lokalem Gesteinsuntergrund, Relief, Klima und Boden in einer jeweils spezifischen Baumartenmischung.

Klaus-Dieter Hupke
8. Die Konstruktion von natürlichen Gleichgewichten – ideelle Ausgangsbasis der Forderung nach Naturschutz

Das

natürliche Gleichgewicht

ist ein Begriff der fachwissenschaftlichen Ökologie, der mit Beginn des Umweltschutzes um 1970 auch im öffentlichen Bewusstsein von Politik und Medien fest verankert wurde. Das blieb und bleibt auch noch so, obwohl sich die wissenschaftliche Ökologie vom Postulat des Gleichgewichts bereits weitgehend wieder verabschiedet oder dieses zumindest kritisch hinterfragt hat (zusammenfassend s. Jax 1994; Wilson 2014).

Klaus-Dieter Hupke
9. Hilfe für bedrohte Arten? Rote Listen und Gefährdungskategorien

Die Blauflügelige Sandschrecke (

Sphingonotus caerulans

) ist eine Feldheuschrecke, von der es im Gleisvorfeld von Stuttgart 21 ein lokales Vorkommen in den Schotterkörpern zwischen den Gleisen gibt. Sie ist nach dem Bundesnaturschutzgesetz besonders geschützt und wird auf der Roten Liste sowohl Baden-Württembergs als auch für ganz Deutschland geführt. Ihre Bestände in Mitteleuropa sind in den vergangenen 100 Jahren tendenziell rückläufig. Grund genug also, allein aus diesem Grund unter Naturschutzaspekten auf den Ausbau des ehemaligen Gleisvorfelds im Rahmen von Stuttgart 21 zu verzichten?

Klaus-Dieter Hupke
10. Von Vögeln und von Tagfaltern: Wie der Naturschutz seine Sympathien verteilt

Vögel (Aves) sind, pauschal gesprochen, wohl mit die größten

Sympathieträger

im Tierreich. Wir freuen uns an ihren oft bunten Farben. Wir nehmen Anteil an ihren Abflügen im Herbst und an ihrer Wiederankunft im Frühjahr, an ihrem Nestbau und an der Aufzucht ihrer Jungen, wir streuen Futter für sie im Winter oder bauen gar ein eigenes Futterhäuschen. Der Gesang gilt bei den meisten Arten als schön, obwohl er in der Evolutionsgeschichte wohl nur den einzigen Zweck hatte, zur Abgrenzung der Reviere oder zur Anlockung eines Geschlechtspartners zu dienen.

Klaus-Dieter Hupke
11. Was gefährdet die Natur?

Eine zumindest potenzielle

Gefährdung der Natur durch den Menschen

kann man sich auf verschiedenen Ebenen vorstellen.

Seit es Menschen gibt, also zumindest seit einigen 100.000 Jahren, nutzt der Mensch die Natur und verändert sie dadurch. Zunächst war er, wie andere Tier- und Pflanzenarten auch, eher ein Teil der Natur und veränderte sie noch nicht so spektakulär, dass man von einer Gefährdung sprechen müsste.

Klaus-Dieter Hupke
12. „Frevler“ und „Helfer“: Die Akteure im Naturschutz

Folgende Szene ist keineswegs erfunden:Zwei Kinder

Kinder

im Grundschulalter toben entlang eines Weges am Waldrand. Ein jüngeres Pärchen stößt hinzu, der Mann fragt die Kinder, durchaus mit verärgertem Unterton: „Sagt mal, wisst ihr eigentlich nicht, dass dies ein Biotop ist?“

Klaus-Dieter Hupke
13. Natur, die keinen Schutz verdient: Spontane Vegetation, Ruderalgesellschaften, Neophyten und Neozoen

Im Neuenheimer Feld im Norden Heidelbergs wird gebaggert. Der Bagger hinterlässt eine zunächst öde wirkende braune Lehmfläche, die auch die Oberfläche eines unbelebten Planeten bilden könnte. Es ist Herbst, bis zum Frühling tut sich auf der öden Fläche zunächst nichts. Dann aber beginnt sich die Fläche zunächst lückig, dann zunehmend flächenhaft zu begrünen.

Klaus-Dieter Hupke
14. Prozessschutz als Alternative und als Königsweg?

Ein kleines Waldstück in Hanglage. Umgestürzte Bäume liegen teils kreuz und quer übereinander. Aufgetürmte Wurzelteller ragen meterhoch gegen das Walddach empor. Wilder Wechsel von Baumriesen, mittelwüchsigen Bäumen und Jungwuchs. Liegende Baumleichen sind mit Pilzen (Fungi), oft auch mit jungen Baumsämlingen überwachsen. Es fällt schwer, sich durch diese Wildnis einen Weg zu bahnen. Einige der Tothölzer sind so morsch, dass man einbricht, sobald man einen Fuß darauf setzt. Andere Bäume sind innen hohl ausgefault und befinden sich in unterschiedlichen Stadien des Zusammenbruchs. Manche haben am Stamm krebsartige Geschwulste. Alt und Jung durchdringen sich in einem wilden Durcheinander.

Klaus-Dieter Hupke
15. Natur, wo sie keiner erwartet: in der Stadt

Der Münchner Ornithologe Josef Reichholf hat bereits vor Jahren bei einer interessierten Öffentlichkeit mit der Aussage Aufmerksamkeit erregt, dass innerhalb Deutschlands die Stadt Berlin die größte Artendichte an Vögeln aufweise; innerhalb Bayerns sei dies bei München der Fall . Im Vergleich dazu haben die agraren Intensivlandschaften etwa Niederbayerns oder des nördlichen Oberschwabens nur relativ geringe Artendichten aufzuweisen. Ähnliche Ergebnisse liefern auch die Artenzählungen an Blütenpflanzen für Baden-Württemberg. Der Nordschwarzwald und das nördliche Oberschwaben haben geringere Artenzahlen als der hoch verdichtete mittlere Neckarraum, auch wenn hier noch geologische Unterschiede mit eine Rolle spielen.

Klaus-Dieter Hupke
16. Militärisch genutztes Gelände – ein Naturidyll?

Panzer dröhnen, graben sich mit ihren Ketten tief ein in den sandig-lehmigen Boden, reißen immer wieder neue Gräben auf, pflügen durch Pfützen, hinterlassen lehmig-gelbliches Wasser, das sich hinter den Ketten wieder schließt. – Ein Gräuelbild für jeden Natur- und Landschaftsliebhaber, Gipfelpunkt der Naturzerstörung.

Schaut man in die lehmigen Pfützen hinein, sieht man schon bald, nachdem der Panzer hindurchgefahren ist, die Köpfe von Gelbbauchunken an die Oberfläche kommen. Diese Tiere scheinen gegen Panzerketten genauso unempfindlich wie gegen die Reifen von Traktoren. Vermutlich liegt das ganz einfach daran, dass die Unken, wie der Hauptteil des Wassers und des Pfützenschlammes auch, durch die Ketten zur Seite hin verdrängt werden, wo die Unken das Hindurchfahren der Panzer durch ihre Biotope ganz unbeschadet überstehen – im Regelfall wenigstens.

Klaus-Dieter Hupke
17. Natur aus zweiter Hand: Renaturierung von Steinbrüchen und Tagebauen

Fast kein Eingriff des Menschen hinterlässt so weithin vernichtende Auswirkungen auf die Natur wie die großen

Tagebaue

in Mitteleuropa vor allem in Zusammenhang mit dem Braunkohlenbergbau im Randbereich der Norddeutschen Tiefebene gegen das Mittelgebirge hin (Ville, Lausitz). Gebiete von Landkreisgröße werden ihrer Felder, Wälder und Siedlungen beraubt. Nach wenigen Jahren oder Jahrzehnten ist das Rohstoffvorkommen erschöpft, es erstreckt sich nun, so weit das Auge reicht, eine öde „Mondlandschaft“.

Klaus-Dieter Hupke
18. Ist Natur nur dann intakt, wenn alle Arten gleichmäßig zunehmen?

Im Jahre 2002 wurde der

Haussperling

(

Passer domesticus

) von der Naturschutzorganisation NABU

NABU (Naturschutzbund Deutschland)

zum „Vogel des Jahres

Vogel des Jahres

“ erkoren. Die Bestände des ehemals als Saatgutschädling geltenden Vogels seien um mehr als zwei Drittel zurückgegangen. Auf diesen

Bestandsrückgang

wolle der NABU ebenso hinweisen wie auf die Tatsache, dass der Haussperling vor allem aus den Städten zu verschwinden drohe.

Klaus-Dieter Hupke
19. Naturschutz ist durchaus erfolgreich: das Beispiel großer Tierarten

Vielleicht werden Sie im zweiten Jahrzehnt dieses Jahrtausends irgendwann einen Frühlingsspaziergang in einer Talaue entlang eines Baches oder Flusses unternehmen. Sie werden dann womöglich entdecken, dass inmitten eines ausgewiesenen Naturschutzgebiets ein professioneller Holzfäller eine Anzahl von Weiden oder Pappeln durch einen Rundschnitt systematisch gefällt hat. Wenn Sie jetzt alarmiert sein und mutmaßen sollten, dass hier ein unerlaubter Eingriff in ein Naturschutzgebiet vorliegt, kann man Sie vermutlich beruhigen. Es handelt sich wohl nur um das Werk von Bibern, unserem größten einheimischen Nagetier.

Klaus-Dieter Hupke
20. Lebensräume für den Flächenschutz in Mitteleuropa

So gut wie ganz Mitteleuropa war ursprünglich (und wäre von Natur aus) von Wald bedeckt, überwiegend

Laubmischwald

, in den je nach Standort auch die Koniferen (Coniferales), Eibe (

Taxus baccata

), Kiefer (

Pinus

spec.), Tanne (Abies spec.), Fichte (

Picea abies

) und Lärche (

Larix

spec.) eingemischt sind. Von Natur aus waldfrei sind nur Extremstandorte wie Strandwälle und Küstensäume, junge Küstendünen, Kernbereiche von Hochmooren, Felsabstürze, Lawinengassen, Blockhalden oder Lagen oberhalb der natürlichen Waldgrenze, die in den Alpen im Allgemeinen knapp unter 2000 Höhenmetern (in den Zentralalpen höher) liegt.

Klaus-Dieter Hupke
21. Kleinbiotope und ihre Bedeutung für Biodiversität und Naturschutz

Ein

Waldbaum

stirbt. Vielleicht hat er als Birke oder Spitzahorn gerade einmal ein paar Jahrzehnte da gestanden, vielleicht als langlebige Baumart wie Eiche (

Quercus

spec.)oder Buche ein paar Jahrhunderte mehr. Der Tod eines Baumes vollzieht sich langsam. Sein Holz wird allmählich morsch, Insektenlarven erobern dieses und leben vom sich langsam zersetzenden Material. Dies lockt wieder weitere Tiere an, etwa räuberische Insekten wie den Puppenräuber oder Schlupfwespen, darüber hinaus auch Vogelarten (Aves), insbesondere Spechte. Diese legen in diesen alten und sterbenden Bäumen gerne ihre Nisthöhle an. Oft werden die Nisthöhlen nachfolgend von anderen Tieren genutzt, die selbst nicht in der Lage sind, Baumhöhlen zu schaffen, wie Meisen (

Parus

spec.), Fledermäuse (Microchiroptera) und Siebenschläfer (

Glis glis

). Vielleicht wird der Baum auch innen ausfaulen, sodass er als Ruheplatz oder als Brutstätte für Wildkatze und Baummarder in Frage kommt. Irgendwann einmal wird der alte Baum seine Standfestigkeit verlieren und umstürzen, vielleicht bei einem Sturm. Ist er zu diesem Zeitpunkt noch vital genug, wird sein Wurzelteller möglicherweise den Boden aufreißen und eine kleine Mulde entstehen lassen, die sich bei Wasser stauendem Untergrund vielleicht mit Wasser füllt und einen kurzzeitigen Tümpel bildet. Auf jeden Fall reißt der umgestürzte Baum eine Lücke in den Bestand, die einen erhöhten Einfall von Sonnenlicht auf den Waldboden und damit neues Pflanzenleben ermöglicht. Darüber hinaus stellt er mit seinem

faulenden Holz

ein großes Nährsalzpotenzial, sodass sein Tod üppiges Pflanzenleben mit sich bringt. Oft stehen wie in einer Reihe angeordnet keimende Fichten auf einem verfallenden Stamm. Außerdem wird auf ihm eine große Anzahl von Pilzen wachsen, und weitere Käfer und andere Insekten legen in seinem Holz ihre Eier ab und nutzen ihn für die Entwicklung ihrer Larven.

Klaus-Dieter Hupke
22. Geologische Landschaftsobjekte im Naturschutz

Meist gilt der Naturschutz dem Erhalt bedrohter oder charakteristischer Tier- und Pflanzenarten; zumindest ist dies gewöhnlich die historisch älteste Intention. In Erkenntnis der ökologischen Einbettung von pflanzlichen und tierischen Organismen in den umgebenden Lebensraum erlangte der

Biotopschutz

zunehmend an Bedeutung. Auch hierbei stand und steht jedoch die Erhaltung gefährdeter Arten im Mittelpunkt. Darüber hinaus sollen aber nach dem

Bundesnaturschutzgesetz

auch Schönheit und Eigenart von Landschaften bzw. Landschaftselementen geschützt werden. Diese Intention geht über den Schutz von Biotopen und Ökosystemen hinaus und schließt abiotische Naturelemente mit ein. Dazu gehören regelmäßig auch geologische Objekte.

Klaus-Dieter Hupke
23. Flussbegradigung vs. Flussrenaturierung

Ein

natürlicher Bach- oder Flusslauf

weist in seinem Bett sehr unterschiedliche Lebensräume und Lebensbedingungen auf: Flach- und Tiefwasserzonen, höhere und geringere Fließgeschwindigkeiten, unterschiedliche Dichte der Ufer- und Unterwasservegetation, unterschiedliche Struktur des Bodensubstrats. Der steuernde Hauptfaktor ist dabei die

Strömungsgeschwindigkeit

. Dazu kommen je nach Fließsituation durch Biber- (

Castor fiber-

) dämme aufgestaute Bereiche und die Altwässer abgeschnittener Flussschlingen. Kurz gesagt, ein natürliches

Fließgewässer

ist äußerst inhomogen und daher reich an unterschiedlichen Standorten und Teillebensräumen.

Klaus-Dieter Hupke
24. Naturschutz im Wald: Naturwald – Dauerwald – Kahlschlag?

Förster

und

Naturschützer

(was man auch immer genau unter Letzteren verstehen mag) haben traditionell ein ambivalentes Verhältnis.

Zum einen verstehen sich Förster qua Amt im Allgemeinen auch als Naturschützer. Revierförster haben bis heute niedere Polizeirechte bzw. Ordnungsrechte im Wald und können darüber hinaus Strafzettel verteilen, sofern ein Waldbesucher etwa gegen Naturschutz- und Waldgesetze verstößt. Den nötigen Machtnimbus geben ihnen dabei Uniform und Waffenrecht. Letzteres ist auch deshalb nötig, weil der Revierförster im Allgemeinen auch das Jagdrecht ausübt, sofern die Reviere nicht an Privatleute verpachtet sind.

Klaus-Dieter Hupke
25. Agrare Begleitprogramme des Naturschutzes in Deutschland

Seit mindestens einem halben Jahrhundert sind die ursprünglich zahlreichen Arten der

Ackerunkräuter

weitgehend von den Feldern verschwunden, darunter schön blühende und weithin geschätzte Pflanzen wie der Klatschmohn (

Papaver rhoeas

), die Kornblume (

Centaurea cyanus

), die Kornrade, der Feldrittersporn (

Consolida regalis

), die Kamille oder das Ackerstiefmütterchen (

Viola arvensis

). Viele dieser Ackerwildkräuter waren geradezu perfekt an das Leben im Acker angepasst, einschließlich der Tatsache, dass sie mit dem Getreide reif wurden und die Samen somit mit dem zurückbehaltenen Getreidesaatgut immer wieder zwangsläufig mit eingesät wurden.

Klaus-Dieter Hupke
26. Auch Europa mischt mit: Bundesnaturschutzgesetz, FFH und Natura 2000

Das

Reichsnaturschutzgesetz

von 1935 behielt als Rahmengesetz noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg, nun als

Bundesnaturschutzgesetz

, seine prinzipielle Gültigkeit. Erst sozialdemokratisch geprägte Regierungen unterzogen es 1976 bzw. 2002 einer gründlichen Revision. Hintergrund für die Neuregelungen war ein wachsendes Bewusstsein um die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen, wie sie sich etwa in den Verlautbarungen des Club of Rome zeigte oder den neuen Terminus des

Umweltschutzes

(um 1970) prägte. Das zu seiner Zeit als fortschrittlich empfundene Reichsnaturschutzgesetz konnte diesen umfassenden Anforderungen immer weniger entsprechen. Zudem waren Begrifflichkeit und Inhalte des Naturschutzes immer stärker durch einen internationalen Diskurs bestimmt.

Klaus-Dieter Hupke
27. Zur Rolle von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) im Naturschutz

Wie wohl jedes gesamtgesellschaftliche Zielvorhaben ist Naturschutz nicht von vornherein als staatliches Projekt sozusagen auf Behördenebene entstanden. Am Anfang stand sowohl in Deutschland als auch, wie in Abschn. 30.1 noch aufgezeigt wird, in Nordamerika ein Bedürfnis, das Bedrohte zu erhalten. Über die Gründung von entsprechenden privaten Institutionen, die als Pressure Groups gegenüber Medien und Gesellschaft auftraten, gelang es auch, das Anliegen über die Politik institutionell zu verankern, etwa, indem spezifische Behörden eingerichtet und staatliche Gesetze ausgearbeitet wurden.

Klaus-Dieter Hupke
28. Das Tafelsilber der DDR? Naturschutz und Naturschützer in den östlichen Bundesländern

Während bis zur Wende viele einstmals verbreitete Tierarten in den westlichen Bundesländern ausgerottet oder so gut wie ausgestorben waren, waren diese in der DDR oft noch in erstaunlich großen Beständen zu finden. Dies gilt beispielsweise für die großen Greifvögel Fischadler (

Pandion haliaetus

) und Seeadler (

Haliaeetus albicilla

). Es gilt für Kraniche. Und es gilt für Biber und Fischotter. Ein großer Teil dieser Arten war in der Bundesrepublik nicht dem Naturschutzrecht, sondern dem

Jagdrecht

zugeordnet. Dieses wurde aber von einer maßgeblichen Lobby von Hobby-Jägern geprägt, zu denen neben vielen Größen aus Wirtschaft und Industrie auch Politiker wie Franz Josef Strauß gehörten, gegen dessen Widerstand über lange Zeiträume kaum ein Gesetz durchzubringen war. So dauerte es bis in die 1970er-Jahre, bis ein allgemeiner Schutz für die Greifvögel zustande kam. Bis dahin waren aber Fischadler und Seeadler in der Bundesrepublik so gut wie völlig ausgerottet worden. Die ab da in Westdeutschland feststellbare Erholung der Bestände der meisten genannten Arten, die sich oft aus Zuwanderung aus dem Osten ergab, war unter anderem darauf zurückzuführen, dass der Einfluss der Jäger auf die bundesdeutsche Politik, nicht zuletzt durch den Tod von Strauß (übrigens auf einem Jagdausflug), allmählich verringert werden konnte.

Klaus-Dieter Hupke
29. Die Weltmeere und Antarktika – international, daher schutzlos?

Bei einer globalen Betrachtung müssen wir immer im Blick behalten, dass nur ein Teil der Erdoberfläche unter den Nationen territorial aufgeteilt ist. Für die Festlandfläche gilt eine solche Aufteilung zwar so gut wie durchweg. Dennoch ist auch hier die Antarktis ausgenommen; zumindest sind dortige nationale Besitzansprüche nicht international anerkannt.

Klaus-Dieter Hupke
30. Wie wird außerhalb Europas die Natur geschützt?

Als Jugendlicher habe ich mich durch das monumentale Werk

Lederstrumpf

von James Fenimore Cooper durchgequält, wobei mir noch eine Szene in Erinnerung ist: Der schon alte Trapper stützt sich auf seine Flinte und schaut verständnislos dem Treiben seiner Zeitgenossen zu, die in einer Art Blutrausch eine Bisonherde niederknallen, ohne für Fleisch oder Leder irgendeine direkte Verwendung zu haben. Die Szene markiert einen geistesgeschichtlichen Umbruch. Es wird zunehmend erkennbar, dass die Natur des neuen Kontinents nicht so unerschöpfbar ist, wie die frühen Kolonisten angenommen hatten und wie auch heute noch in vielen Köpfen verankert ist. Nachdem bereits die Wandertaube ausgerottet worden war, war nun der Bison dran; beides Tierarten, die in voreuropäischer Zeit massenhaft verbreitet waren und im Prinzip als unerschöpflich galten. Der Lebensweg des Trappers Lederstrumpf, mit bürgerlichem Namen Nathaniel Bumppo, hat sich als eine Flucht erwiesen, fort von der voranrückenden Zivilisation. Folgerichtig hatte der Protagonist das junge Erwachsenenalter auch in den Wäldern der Appalachen im Osten verbracht und sein Leben endete in den Prärien im Westen. Hätte Lederstrumpf unwahrscheinlicherweise noch einige Jahrzehnte fortgelebt, hätte er vermutlich vor echten Probleme gestanden, da sich noch weiter westlich die Halbwüsten anschließen, die einem Fallensteller und Jäger nun wirklich keine Existenz mehr bieten können. Ein solcher war Lederstrumpf aber stets gewesen, einer, der nur so viel tötete, wie er zum Leben benötigte. Einer, der lebte wie die „wilden“ Indianer, mit denen er auch befreundet war, solange es sie noch gab, und die er im Grunde besser verstand als seine weißen Landsleute.

Klaus-Dieter Hupke
31. Naturschutz in der Dritten Welt – eine Säule des Neokolonialismus?

Im Mai 1990 wurde von der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ des Deutschen Bundestages ein rund 1000 Seiten umfassendes Werk vorgelegt, gewidmet dem

Schutz der Tropenwälder – eine internationale Schwerpunktaufgabe

. Von Regierungen und Parlamenten Europas und Nordamerikas getragene Initiativen nahmen sich des Schutzes des Afrikanischen Elefanten an. Der Schutz der afrikanischen Savanne und ihrer Tierwelt waren seit jeher den Europäern ein besonderes Anliegen; so wurde Bernhard Grzimeks

Serengeti darf nicht sterben

(1965) in Dutzende Sprachen übersetzt und markierte den Beginn der Ausweisung von Großnaturschutzgebieten in Afrika. Europas Medien, Europas Bürger, Europas Regierungen und Parlamente sehen sich für den Schutz der Natur auch anderer Erdteile und Klimazonen verantwortlich.

Klaus-Dieter Hupke
32. Die Natur verschwindet, der Naturschutz kommt? – Zur Alibifunktion von Naturschutz und von naturgeschützten Flächen

Eine Natur, die nicht prinzipiell vom Menschen bedroht wird, braucht den Naturschutz nicht. Insofern überrascht auch nicht, dass etwa im riesenhaften Amazonien bis in die 1970er-Jahre Naturschutz kein Thema war; jedenfalls nicht für die Planungsbehörden. Die scheinbar unberührten Waldgebiete waren noch riesig, die Rodungen auf etwa 5 % der Regenwaldfläche begrenzt. Welchen Sinn hätte es denn gehabt, einen mehr oder weniger beliebigen Teil des riesigen Waldmeeres als Naturschutzgebiet oder als Nationalpark auszuweisen? Außerhalb der ohnehin kaum im Gelände feststellbaren Grenzziehung hätte es eine vergleichbar vielfältige und unberührte Natur gegeben.

Klaus-Dieter Hupke
33. Konfliktlinien zwischen Naturschutz und Umweltschutz

Kapitel 3 hat bereits die Differenz (und eine gewisse Unverträglichkeit) in den Zielsetzungen zwischen

Naturschutz und Umweltschutz

deutlich gemacht. An dieser Stelle geht es nun um eine Zuspitzung dieses grundsätzlichen

Konflikts

, wie er sich aus den Bemühungen um einen Schutz des Erdklimas seit den 1990er-Jahren, verstärkt aber seit dem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ergibt.

Klaus-Dieter Hupke
34. Wanderer, Radfahrer, Autofahrer: Wie Freizeitmodalitäten unseren Blick auf die Natur prägen

Autofahren

. Den Blick in die mittlere Ferne gerichtet, etwa 30 oder 40 m, dorthin, wo der Vordermann fährt oder wo neue Hinweisschilder oder Verkehrszeichen lesbar werden. Dazwischen geht der Blick immer wieder auf das Armaturenbrett. Dann wieder in die Ferne. War da ein Baum am Straßenrand? Ein Greifvogel? Vorbei. Egal, jedes genaue Hinschauen ist eine Verkehrsgefährdung. Also weiter geradeaus schauen. Zwischendrin mal aufs Armaturenbrett, dabei auch weiterhin die Fahrtrichtung im Blick behalten.

Klaus-Dieter Hupke
35. Mensch und Natur – ein konstruierter Gegensatz?

Menschen asiatischer Herkunft wird von Europäern gerne unterstellt, sie seien harmoniebedürftig und wichen Konflikten gerne aus. Bei vielen Begegnungen zwischen Europäern und Asiaten findet dies durchaus Bestätigung. Die Frage ist nur, wo dieser Umstand herrührt.

Klaus-Dieter Hupke
36. Ideensuche: Wie kann Naturschutz gesellschaftlich begründet und verankert werden?

Es gibt nach dem im vorigen Kapitel Gesagten vielleicht keine grundlegende Pflicht, aber doch gute Gründe, die Natur zu schützen (was immer das im Detail bedeuten mag). Dafür ist der Naturschutz in einer durch medial gesteuerte Diskurse geprägten Welt dringend auf

positive Außenwirkung

angewiesen. Leider geschieht diese kaum oder doch oft höchst unprofessionell. Das vorliegende Kapitel soll einige Lösungsmöglichkeiten in die Diskussion einbringen.

Klaus-Dieter Hupke
37. Naturschutz contra Zeitgeist?

Es soll nicht alles verklärt werden, was in meiner eigenen Jugend Lebensinhalt war. Aber eines scheint sicher: Der schulische

Biologieunterricht

hat sich stärker als in der Gegenwart an der erlebbaren Natur der Arten und der Lebensräume orientiert. Ich kann mich an zwei dicke Bücher zu Beginn des Gymnasiums erinnern: Den Pflanzenkunde-Schmeil und den Tierkunde-Schmeil. Beide waren eng an der biologischen Systematik orientiert, die sie den Schülerinnen und Schülern auf, wie ich finde, eindrucksvolle Weise vermittelt haben: in einer Auswahl an Arten und Lebensformen, die anschaulich geschildert und mit Farbbildern hinterlegt waren. Die Bilder stellten meist weniger die einzelne Art als vielmehr ausschnitthaft einen biologischen Lebensraum dar. Diese schweren Bücher bargen viel zu viel Inhalt, als dass sie in der Schule komplett hätten durchgearbeitet werden können. Aber sie regten zu häuslicher eigener Lektüre an. Für ein Schulbuch ist das schon ziemlich bemerkenswert.

Klaus-Dieter Hupke
38. Der Nutzen der Vielfalt: Realität, Poesie oder Esoterik?

Weitgehend unhinterfragt wird in Wissenschaft, Politik und Medien der

Nutzen von Natur

im Sinne der Objekte des Naturschutzes, also der Vielfalt von Arten und Lebensräumen, einfach angenommen. Seltener finden sich schon Versuche, einen solchen Nutzen zu begründen und herzuleiten.

Klaus-Dieter Hupke
39. Zur Zukunft des Naturschutzes

Die vorangehenden Kapitel haben unter anderem versucht aufzuzeigen, dass dem Naturschutz

Naturschutz

Zukunft

in gewissem Sinne die Naturschützer abhandenkommen. Dieses Kapitel nun versucht zu verdeutlichen, dass daneben auch die zu schützende Natur einem problematischen Niedergang unterliegt, den der bislang existierende Naturschutz bestenfalls verzögern kann.

Klaus-Dieter Hupke
40. Gibt es alternative Denkmodelle zum Naturschutz?

Die bisherigen Betrachtungen legen es nahe, Naturschutz als eine Art Biotopschutz für ein Konstrukt zu sehen. Schließlich sollte deutlich geworden sein, dass es sich um Problemansätze handelt, die man nur aus der Geschichte unseres Verhältnisses zu Natur und Landschaft und aus deren Idealisierung ableiten kann.

Wenn man die inhaltlichen und formalen Schwächen in den Argumentationsketten zugunsten des bisherigen und stark amtlich, aber auch durch NGOs geprägten Naturschutzes kritisiert, wie dies in einem Großteil der Kapitel dieses Buches der Fall war, muss man auch die Alternativen mit in diese Denkweise einbeziehen.

Klaus-Dieter Hupke
41. Nachklapp: Naturschutzfachlichkeit geht alle an!

In Olaf Kühnes ausgezeichneter Monografie

Landschaftstheorie und Landschaftspraxis

(2013) findet sich folgende Passage, die zwar auf die Landschaftswissenschaften bezogen ist, aber auch den Naturschutz explizit mit einschließt.

Klaus-Dieter Hupke
Backmatter
Metadata
Title
Naturschutz
Author
Klaus-Dieter Hupke
Copyright Year
2015
Publisher
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-46904-0
Print ISBN
978-3-662-46903-3
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-46904-0