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1986 | Book | 3. edition

Ökologische Kommunikation

Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?

Author: Niklas Luhmann

Publisher: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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Table of Contents

Frontmatter
I. Soziologische Abstinenz
Zusammenfassung
Gemessen an historischen Dimensionen des Nachdenkens über Menschen und Gesellschaft ist das Thema ganz neu. Erst seit gut zwanzig Jahren gibt es eine rasch zunehmende öffentliche Diskussion über ökologische Bedingungen gesellschaftlichen Lebens und über Zusammenhänge zwischen dem Gesellschaftssystem und seiner Umwelt. Auf sehr verschiedene Weise fühlt die heutige Gesellschaft sich durch Effekte rückbetroffen, die sie in ihrer Umwelt selbst ausgelöst hat. Man denke an den zunehmend raschen Verbrauch nichtwiederherstellbarer Ressourcen, also auch (selbst wenn dies gelänge) an die zunehmende Abhängigkeit von selbsterzeugten Substituten; ferner an die Reduzierung der Artenvielfalt als Voraussetzung weiterer biologischer Evolution; sodann an die jederzeit mögliche Evolution medizinresistenter, also nicht mehr bekämpfbarer Krankheitserreger; weiter an die bekannten Probleme der Umweltverschmutzung; und nicht zuletzt: an die Überbevölkerung des Erdballs. All dies sind heute Themen gesellschaftlicher Kommunikation.
Niklas Luhmann
II. Ursachen und Verantwortungen?
Zusammenfassung
Nimmt man dies Phänomen der evolutionär entstandenen Komplexität zur Kenntnis, dann verlagert dies den Schwerpunkt der Problemstellung. Die übliche Betrachtungsweise ökologischer Probleme geht von den Ursachen aus, die in der Gesellschaft liegen, und fragt von da aus nach der Verantwortung für die Folgen. Sie folgt damit der Zeitrichtung und hat das überzeugende Argument für sich, daß die Folgen gar nicht eintreten würden, wenn die Ursachen nicht aufträten. So rottet man die Übel am besten an der Wurzel aus; und so kann man vorgehen, wenn man sieht, daß ein Chemiewerk giftige Stoffe auf Müllhalden kippt oder Abwässer in Flüsse leitet mit der Folge, daß Fische sterben und die Wasserversorgung gefährdet wird. Für solche Probleme reicht ein adaptiertes Polizeirecht aus. Sowohl die Typik der aktuellen Probleme als auch die systemtheoretische Analyse zwingen jedoch zu einer Änderung dieser Betrachtungsweise und zur Rekonstruktion der Probleme aus der Sicht des Systems, das sich den Auswirkungen ökologischer Veränderungen ausgesetzt sieht. Das Abstellen der Ursachen bleibt eine der möglichen Reaktionen auf ihre Wirkungen, aber nur eine unter vielen anderen.
Niklas Luhmann
III. Komplexität und Evolution
Zusammenfassung
„We really can change the whole thing“, konnte man noch vor wenigen Jahren hören. Nur Mut — und kybernetische Beratung! Die Komplexität werde falsch eingesetzt und mache allerlei Nachteile und Probleme zum Output des Systems. Das System müsse statt dessen variety (= number of possible states) zur Kontrolle von variety einsetzen, um auf diese Weise „requisite variety for running the world“ zu erreichen.1 Dieser Optimismus scheint verflogen zu sein. Er hatte die schon lange diskutierte Problematik der strukturierten Komplexität unterschätzt. Er hatte vor allem aber verkannt, daß der Begriff der Komplexität eine Einheit bezeichnet, die erst im Hinblick auf eine Differenz Bedeutung gewinnt, und zwar im Hinblick auf die Differenz von System und Umwelt.2
Niklas Luhmann
IV. Resonanz
Zusammenfassung
Mit Begriffen wie Komplexität und Reduktion, Selbstreferenz und Autopoiesis, oder rekursiv-geschlossene Reproduktion bei umweltoffener Irritierbarkeit sind komplizierte theoretische Fragen aufgeworfen, die wir bei den folgenden Überlegungen nicht ständig im Blick behalten können. Wir vereinfachen uns die Darstellung dadurch, daß wir das Verhältnis von System und Umwelt mit dem Begriff der Resonanz beschreiben. Dabei ist vorausgesetzt, daß die moderne Gesellschaft ein System von so hoher Komplexität ist, daß es nicht möglich ist, sie wie eine Art Fabrik als eine Umformung von Inputs in Outputs zu beschreiben. Der Zusammenhang von System und Umwelt wird vielmehr dadurch hergestellt, daß das System seine Selbstreproduktion durch intern zirkuläre Strukturen gegen die Umwelt abschließt und nur ausnahmsweise, nur auf anderen Realitätsebenen, durch Faktoren der Umwelt irritiert, aufgeschaukelt, in Schwingung versetzt werden kann. Eben diesen Fall bezeichnen wir als Resonanz. Man könnte auch an ein Lexikon denken, das (nahezu) alle Begriffe, die es zur Definition von Begriffen benutzt, an der entsprechenden Stelle selbst definiert und nur ausnahmsweise Referenzen auf undefinierbare Begriffe zuläßt.
Niklas Luhmann
V. Beobachtung von Beobachtung
Zusammenfassung
Die Resonanz eines Systems wird immer dann in Anspruch genommen, wenn das System durch seine Umwelt angeregt wird. Das System kann diese Anregung registrieren und, wenn es über entsprechende Informationsverarbeitungsfähigkeiten verfügt, daraus auf eine Umwelt zurückschließen. Entsprechend registriert das System auch Auswirkungen seines eigenen Verhaltens auf seine Umwelt, wenn immer daraus im Rahmen seiner möglichen Wahrnehmungen wieder eine Anregung in Gang gesetzt wird. Umwelt ist für das System der Gesamthorizont seiner fremdreferentiellen Informationsverarbeitung. Umwelt ist für das System also eine interne Prämisse der eigenen Operationen, und sie wird im System nur konstituiert, wenn das System die Differenz von Selbstreferenz und Fremdreferenz (oder „innen“ und „außen“) als Schema der Ordnung eigener Operationen verwendet.
Niklas Luhmann
VI. Kommunikation als gesellschaftliche Operation
Zusammenfassung
Im folgenden sehe ich von den sehr begrenzten, stets gesellschaftsabhängigen Möglichkeiten des Bewußtseins einzelner psychischer Systeme ab und beschränke mich auf die Systemreferenz Gesellschaft. Unter Gesellschaft soll das umfassendste System sinnhafter Kommunikation verstanden werden. Jede Einschränkung, etwa auf Organisationen,1 würde das Thema zu stark beschneiden. Die Frage lautet dann, wie die Gesellschaft als operativ geschlossenes System sinnhafter Kommunikationen über ihre Umwelt kommuniziert; und noch enger: welche Möglichkeiten sie hat, über ökologische Gefährdungen zu kommunizieren.
Niklas Luhmann
VII. Ökologisches Wissen und gesellschaftliche Kommunikation
Zusammenfassung
Als Zwischenergebnis halten wir fest, so verwirrend es klingen mag: Die Gesellschaft kann sich ökologisch nur selbst gefährden. Damit ist nicht nur gemeint, daß sie selbst die Umwelt so verändert, daß dies für die Fortsetzung gesellschaftlicher Reproduktion auf heutigem evolutionären Niveau Folgen hat. Entscheidend ist vor allem, daß die Gesellschaft Kommunikation nur durch Kommunikation gefährden kann, wenn man von dem immer noch unwahrscheinlichen Fall einer radikalen Auslöschung allen menschlichen Lebens einmal absieht. Auch Zusammenhänge zwischen ihren eigenen Operationen und Umweltveränderungen als Probleme für weitere Operationen müssen irgendwie und irgendwo thematisiert werden, und sei es nur anhand der Folgen, um im Kontext der gesellschaftlichen Kommunikation Resonanz zu finden. Damit wird es zur Schlüsselfrage, wie denn die Verarbeitungsfähigkeit der Gesellschaft für Umweltinformationen strukturiert ist.
Niklas Luhmann
VIII. Binäre Codierung
Zusammenfassung
Wir können jetzt genauer nachfragen: Wie können Umweltprobleme in der gesellschaftlichen Kommunikation Resonanz finden, wenn das Gesellschaftssystem in Funktionssysteme gegliedert ist und nur durch Funktionssysteme auf Umweltereignisse und Umweltveränderungen reagieren kann? Es gibt in einem solchen Gesellschaftssystem natürlich auch funktional nicht zugeordnete oder mehrdeutig zugeordnete Kommunikation — Kommunikation au trottoir sozusagen oder etwas hochtrabend: „lebensweltliche“ Kommunikation.1 Die gesellschaftlich folgenreiche Kommunikation bleibt jedoch auf die Möglichkeiten der Funktionssysteme angewiesen. Wir müssen daher zunächst diese untersuchen. Erst im Anschluß daran kann man sinnvoll überlegen, welche Möglichkeiten eine Kommunikation in unserer Gesellschaft hat, die sich bewußt von allen Funktionssystemen distanziert — sei es protestierend, sei es moralisierend, sei es entdifferenzierend.
Niklas Luhmann
IX. Codes, Kriterien, Programme
Zusammenfassung
Diese These einer funktionsspezifisch differenzierten Codierung der Operationen der modernen Gesellschaft ist nur ein erster Schritt zu einer konkreteren Beschreibung. Wir müssen immer im Auge behalten, daß keineswegs die Gesamtheit der Kommunikationen des Systems auf diese Weise geordnet, das heißt auf den einen oder den anderen Code aufgeteilt wird. Differenzierung kommt nicht als Dekomposition einer vorgegebenen Menge von Operationen zustande, sondern als Ausdifferenzierung von Teilsystemen unter Führung durch einen Code innerhalb des Gesellschaftssystems.
Niklas Luhmann
X. Wirtschaft
Zusammenfassung
Unter den vielen Funktionssystemen der Gesellschaft verdient als erstes die Wirtschaft eine genauere Betrachtung. Unter Wirtschaft soll hier die Gesamtheit derjenigen Operationen verstanden werden, die über Geldzahlungen abgewickelt werden. Immer wenn, direkt oder indirekt, Geld involviert ist, ist Wirtschaft involviert, gleichgültig durch wen die Zahlung erfolgt und gleichgültig, um wessen Bedürfnisse es geht — also auch beim Einzug von Steuern oder bei Aufwendungen für öffentliche Güter, nicht jedoch bei dem Pumpvorgang, der Öl aus dem Boden holt, sondern nur bei der ökonomischen Regulierung dieses Vorgangs mit Rücksicht auf einen in Geld ausdrückbaren Ertrag.
Niklas Luhmann
XI. Recht
Zusammenfassung
Ebenso eindrucksvoll wie plakativ wird in der heutigen öko-politischen Diskussion der Sprache der Preise die Sprache der Normen gegenübergestellt.1 Das entspricht der alten Unterscheidung von Gesellschaft und Staat und suggeriert eine einfache Alternative in der Reaktion auf ökologische Gefährdungen. Die Konsequenz ist dann rasch bei der Hand: Was in der Sprache der Preise nicht geht, muß in der Sprache der Normen ausgedrückt werden. Was die Wirtschaft nicht freiwillig bringt, muß die Politik mit Hilfe ihres Rechtsinstrumentariums durchsetzen. Letztlich läuft die ökologische Problematik dann auf eine politische Restverantwortung zu, und diese Restverantwortung wird unversehens zur Gesamtverantwortung eines Tag- und Nachtwächterstaates.
Niklas Luhmann
XII. Wissenschaft
Zusammenfassung
Vielleicht hatten wir uns falsche Adressen geben lassen, vielleicht ist es nicht die Wirtschaft und nicht das Recht, sondern die Wissenschaft oder die Politik, die im differenzierten Gesamtsystem der Gesellschaft für Umweltfragen zuständig ist. Da die Politik ihrerseits immer wieder Hoffnungen auf die Wissenschaft setzt und Förderungsprogramme für Forschung und Technologieentwicklung aufstellt, wenden wir uns nunmehr dem Wissenschaftssystem zu, um dessen Resonanzfähigkeit zu prüfen.
Niklas Luhmann
XIII. Politik
Zusammenfassung
Die Analyse der drei Funktionssysteme Wirtschaft, Recht und Wissenschaft hat ergeben, daß in allen diesen Fällen eine durch einen Code geschlossene autopoietische Selbstreproduktion Bedingung der Offenheit des Systems ist, also Bedingung der Resonanzfähigkeit und ihrer Grenzen. Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung dieser Funktionssysteme hat, und auch das gilt übereinstimmend, die Möglichkeitshorizonte erweitert; sie hat aber zugleich auch deutlicher präzisiert, wo in den einzelnen Funktionssystemen die Grenzen möglicher Resonanz liegen. Nichts anderes gilt für das politische System.
Niklas Luhmann
XIV. Religion
Zusammenfassung
Auch Theologen werden zu Diskussionen eingeladen, die sich mit Umweltproblemen befassen. Sie stehen nicht unter Motiv- oder Interessenverdacht, bieten argumentative Kompetenz und sind unbestreitbar guten Willens. Ihre Beiträge zur ökologischen Diskussion bleiben gleichwohl mehr als dürftig. Weithin wiederholen sie nur, was ohnehin gedacht und gemeint wird ohne spezifisch religiösen Bezug. In konkreten Bildern und Worten, Mahnungen und Appellen verbergen sich Allgemeinplätze, die sich den wirklichen Problemen nicht stellen. Man liest etwa, daß Technik, Wissenschaft und ökonomische Verhältnisse nicht selbst zum allein dominierenden Herrschaftsträger werden, sondern Hilfsmittel zur Gestaltung einer Kultur des Menschen innerhalb natürlicher Gegebenheiten sein sollen.1 Wer so formuliert, kann es ebensogut auch bleiben lassen. Es reicht nicht. Und es hilft nichts, wenn man solche Aussagen dann nochmals theologisch reformuliert und sie auf Gott bezieht.
Niklas Luhmann
XV. Erziehung
Zusammenfassung
Große Hoffnungen könnte man auf das Erziehungssystem setzen. Man sieht, daß unter Jugendlichen das Interesse an ökologischen Fragen einen Vorrang einnimmt. Könnte nicht das Erziehungswesen, besonders in Schulen und Universitäten, dieses Interesse aufgreifen und in Richtung auf eine allmähliche gesellschaftsweite Änderung des Bewußtseins und der Einstellung zur Umwelt ausbauen? Wir haben nicht mehr den pädagogischen Optimismus des 18. Jahrhunderts, um hiervon eine durchgreifende Veränderung der Menschheit, in zwei oder drei Generationen zu erwarten. Wir hören auch Stimmen, die meinen, dies ökologische Interesse sei ein klassenpolitisch eingesetztes Manöver zur Ablenkung von den eigentlichen wichtigen Fragen der Armut, der Ungerechtigkeit und des Krieges.1 Dies alles gebührend berücksichtigt, könnte man aber gleichwohl der Meinung sein, wenn irgendwo, sei in Schulen der Ort, wo die Gesellschaft sich auf eine Begegnung mit ihrer Umwelt einrichten könnte.
Niklas Luhmann
XVI. Funktionale Differenzierung
Zusammenfassung
In den vorangegangenen Kapiteln sind Beispiele dafür erörtert worden, daß und wie ökologische Probleme in den Funktionssystemen der modernen Gesellschaft Resonanz auslösen. Über der Analyse der Einzelsysteme darf man als Soziologe aber nicht die Einheit der Gesellschaft aus dem Auge verlieren. Schon die Vergleichbarkeit der Funktionssysteme und gewisse Übereinstimmungen in den Strukturen ihrer Ausdifferenzierung — wir hatten auf die Differenzierung von Codes und Programmen abgestellt, aber das ist nur einer von vielen Gesichtspunkten — weisen darauf hin. Die Einheit des Gesamtsystems liegt in der Art seiner Operation und im Formtypus seiner Differenzierung. Je deutlicher die gesellschaftliche Evolution auf eine einzige Art von Operation, nämlich sinnhafte Kommunikation, und auf einen Primat funktionaler Differenzierung gegenüber anderen Formen der internen Systembildung hinausläuft, desto prägnanter bilden sich entsprechende Strukturen aus. Dem müssen dann auch, unter Abstreifen aller Anachronismen, die begrifflichen und theoretischen Instrumentarien angepaßt werden, mit denen die Gesellschaft in ihrem Wissenschaftssystem, hier in der Soziologie, sich selbst beschreibt.
Niklas Luhmann
XVII. Beschränkung und Verstärkung: Zu wenig und zu viel Resonanz
Zusammenfassung
Detailanalysen zum Thema der Resonanz dieser Gesellschaft aus Anlaß von Gefährdungen durch ihre Umwelt müssen vor allem an den Redundanzverzicht anknüpfen, der in der Nichtsubstituierbarkeit der Funktionssysteme liegt. Daraus ergibt sich ein Zwang zur Kanalisierung aller Störungen in Richtung auf eines oder mehrere dieser Funktionssysteme. Was immer an Umweltverschmutzungen auftritt, kann nur nach Maßgabe des einen oder des anderen Code wirkungsvoll behandelt werden — was nicht ausschließt, daß man sich auch in anderer, unspezifischer Weise darüber aufregt wie über eine Sonnenfinsternis oder ein Erdbeben. Wie unter Hinweis auf allgemeine systemtheoretische und besonders auf biologische Forschungen bereits gesagt, führt Redundanzverzicht zu einer Beschränkung der Fähigkeit, auf Störungen (noise) zu reagieren. Andererseits ist, wie man gerade am Organismus sehen kann, strukturelle Beschränkung auch ein Weg zur Erhöhung der Resonanzfähigkeit. Unter erheblichen Verzichten entstehen Augen und Ohren, Nervensysteme und Immunsysteme, die ihrerseits nur in engen, aber evolutionär erprobten Frequenzbereichen resonanzfähig sind. Diese Reduktionen können dann durch organisierte Lernfähigkeit ausgeglichen werden.
Niklas Luhmann
XVIII. Repräsentation und Selbstbeobachtung: Die „neuen sozialen Bewegungen“
Zusammenfassung
Jedem Prinzip gesellschaftlicher Differenzierung widerspricht es, die Ganzheit des Systems innerhalb des Systems nochmals zur Geltung zu bringen. Das Ganze kann nicht zugleich Teil des Ganzen sein. Jeder Versuch dieser Art würde im System nur eine Differenz erzeugen können, nämlich die Differenz desjenigen Teiles, der die Ganzheit des Systems im System repräsentiert, zu allen übrigen Teilen. Die Darstellung der Einheit ist Herstellung von Differenz. Schon die Absicht ist also paradox und widerlegt sich selbst.
Niklas Luhmann
XIX. Angst, Moral und Theorie
Zusammenfassung
Auf der Ebene ihrer autopoietischen Operationen ist die moderne Gesellschaft in ihren Grundlagen auf funktionale Differenzierung, Codierung und Programmierung festgelegt. Auf der Ebene der Selbstbeobachtung kann dies gesehen und kritisch beurteilt werden. Da diese Gesellschaft jedoch unfähig ist, sich selbst in sich selbst zu repräsentieren, fehlt ihr eine normative Sinngebung, für die man durchgehenden Konsens, wenn nicht gewinnen, so doch voraussetzen könnte. Daher kann eine Selbstbeobachtung nicht in der Art von Propheten von bestimmten Positionen aus an Wesentliches erinnern und den Verfall beklagen. Offenbar werden statt dessen Angst-Themen gewählt1, und zwar als Ersatz für die Differenz von Norm und Abweichung. Das führt zu einem neuen Stil von Moral, die sich auf ein gemeinsames Interesse an Angstminderung gründet und nicht mehr auf Normen, bei denen man nur die Abweichung zu vermeiden (oder einzustellen oder zu bereuen) hätte, um angstfrei leben zu können.
Niklas Luhmann
XX. Zur Rationalität ökologischer Kommunikation
Zusammenfassung
Wer immer gehofft haben mochte, daß in Überlegungen zum Thema „ökologische Kommunikation“ geklärt werden würde, wie diese Kommunikation zur Lösung der drängenden Umweltprobleme unserer Gesellschaft beitragen könnte, wird sich enttäuscht sehen. Es ging darum, herauszuarbeiten, wie die Gesellschaft auf Umweltprobleme reagiert, und nicht darum, wie sie reagieren sollte oder wie sie reagieren müßte, wenn sie ihr Umweltverhältnis verbessern wollte. Rezepte dieser Art lassen sich relativ leicht gewinnen, man müßte nur fordern, daß weniger Ressourcen verbraucht, weniger Abgas in die Luft geblasen, weniger Kinder in die Welt gesetzt werden. Nur macht der, der das Problem so stellt, die Rechnung ohne die Gesellschaft; oder er nimmt die Gesellschaft wie einen Handelnden, der der Belehrung und Ermahnung bedürfe (und verschleiert wird dies dadurch, daß er nicht von der Gesellschaft spricht, sondern von den Menschen).
Niklas Luhmann
XXI. Umweltethik
Zusammenfassung
Abschließend einige Bemerkungen zu der heute vielleicht vorherrschenden Erwartung: die ökologische Kommunikation solle in ethischen Fragen kulminieren und dort ihre Begründungen suchen. Angesichts der gegebenen gesellschaftlichen Lage sei eine Bewußtseinsänderung erforderlich, eine neue Ethik, eine Umweltethik. Wir haben diese Forderung bereits verschiedentlich berührt — und nicht viel damit anfangen können. Unsere Untersuchungen haben in eine ganz andere Richtung geführt. Mit einigen Randbemerkungen ist das Problem einer Umweltethik jedoch nicht ausreichend geklärt, so daß wir, an Stelle einer Zusammenfassung, die Differenz einer systemtheoretisch-soziologischen Analyse zur Ethik klären wollen — in der Hoffnung, daß die weitere Kommunikation sich an dieser Differenz und nicht einfach an ethischen Postulaten und Maximen orientieren wird.
Niklas Luhmann
Backmatter
Metadata
Title
Ökologische Kommunikation
Author
Niklas Luhmann
Copyright Year
1986
Publisher
VS Verlag für Sozialwissenschaften
Electronic ISBN
978-3-322-94325-5
Print ISBN
978-3-531-11775-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-94325-5