Polymere für Oberflächenbeschichtungen – etwa von Möbeln oder Maschinen – lassen sich nur im zähflüssigen Aggregatszustand oder in Lösung gut auftragen. Die bislang dafür genutzten Verfahren unter Zuhilfenahme von Lösungsmitteln, sind jedoch nicht unproblematisch; Gewässer können verunreinigt werden oder giftige Dämpfe als Nebenprodukte entstehen.
Das Team von Si Wu, Projektleiter am Max-Planck-Institut für Polymerforschung (MPI-P) in Mainz, hat nun einen neuen Weg am Beispiel von Azobenzol-Polymeren entdeckt; sie berichten über ihre Forschungsergebnisse im Wissenschaftsmagazin Nature Chemistry: Demnach lassen sich diese Polymere mit Licht bereits bei Raumtemperatur in die Schmelze überführen und somit umweltschonend und reversibel weiterverarbeiten.
Molekülkonfiguration bestimmt die Glasübergangstemperatur
Die Chemie der Azoverbindungen erläutern die Springer-Autoren Hans Peter Latscha, Uli Kazmaier, Helmut Klein in "Organische Chemie" ab Seite 200 im Kapitel Stickstoff-Verbindungen. In der stabilen trans-Isomerie – gekennzeichnet durch eine planare, also ebene und parallel geordnete Struktur mit einer maximalen Überlappung der Moleküle – liegt die Glasübergangstemperatur (TG) von Azobenzol-Polymeren bei ungefähr 50 Grad Celsius. Der Glasübergang beschreibt die Temperatur, unterhalb derer ein zäher Kunststoff glasartig spröde wird. "Bei Raumtemperatur sind also Polyethylen und Polypropylen zähe, flexible Werkstoffe, während Polystyrol und Polyvinylchlorid (jedenfalls in Reinform, d. h. ohne Zugabe von Weichmachern oder anderen Modifiern) hart und spröde sind", gibt Springer Autor Martin Bonnet in "Kunststofftechnik" ein Beispiel (Seite 3.) Die instabilere, räumlich gewinkelte cis-Konfiguration von Azobenzol-Polymeren besitzt dagegen eine Erweichungstemperatur von circa -10 Grad Celsius. Dank dieser niedrigen TG ist das letztere Isomer bei Raumtemperatur beweglich beziehungsweise zähflüssig genug, um sich verarbeiten zu lassen.
Licht ändert reversibel die Glasübergangstemperatur
Indem die Mainzer Forscher die Lichtschaltbarkeit von Azobenzol nutzen, können sie die Polymere von einer Konfiguration in die andere überführen. Sie bestrahlen die Polymere mit verschiedenen Wellenlängen: In der trans-Isomerie absorbiert Azobenzol eine für das menschliche Auge nicht sichtbare Ultraviolettstrahlung von 365 Nanometern. Dies führt dazu, dass das Polymer in die cis-Konfiguration wechselt. In der industriellen Produktionskette kann der Kunststoff nun für den jeweiligen Verwendungszweck geformt werden. Um die räumliche Anordnung anschließend wieder in ein trans-Isomer umzuwandeln, wird das Polymer mit 530 Nanometern sichtbar grünem Licht bestrahlt und erhärtet. Alternativ lässt sich auch durch Wärme der thermodynamisch stabilere trans-Zustand erreichen.
"Die steigenden Mengen an Plastikmüll sind ein weltweites Problem", sagt der Polymerchemiker Wu. Und: "Unsere Ergebnisse tragen dazu bei, die Lebensspanne von Kunststoffen zu verlängern, indem sie bei Beschädigungen einfach verflüssigt, repariert und wieder gehärtet werden können. Die Polymere der Zukunft durchbrechen also den vorschnellen Wegwerf-Kreislauf, weil sie reversibel bearbeitbar sind."