Resilienz wird oft als individuelle Fähigkeit verstanden. Springer-Autor Erich R. Unkrig lenkt den Blick hingegen auf die organisationalen Aspekte der Robustheit. Welche Rolle Führungskräfte und HR-Manager dabei spielen, sagt er im Interview mit Springer Professional.
Springer Professional: Resilienz wird vor allem im deutschsprachigen Raum als individuelle Kompetenz definiert. Wie sehen Sie das?
Erich E. Unkrig: Die Ursache dafür mag sein, dass Forschende und auch Dienstleister oft aus einem psychologisch geprägten Mindset an das Thema Resilienz herangehen und dabei zu wenig Affinität für Management-Themen in Organisationen zeigen. Schaut man sich dann entsprechende Angebote an, wird auf der Ebene von Unternehmen und Institutionen lediglich auf organisationale Merkmale, Ressourcen oder Prozesse verwiesen, um organisationale Resilienz zu verstehen. Wir sehen das daran, dass sich selbst profilierte Forschende und Berater beim Thema auf die ISO-Norm 22316:2017 beziehen und quasi die Überschriften dieser Norm zu Schlüsseln organisationaler Resilienz machen.
Es passt nicht zusammen, wenn wir verschiedenste Resilienzschlüssel auf der individuellen, Team- und organisationalen Ebene nur nebeneinanderstellen, anstatt Resilienz als ein ganzheitlich integriertes Konzept zu verstehen, bei dem alle Faktoren wie ein Puzzle ineinandergreifen. Insoweit definiere ich Resilienz als die Fähigkeit von Menschen, Teams und Organisationen, Störungen oder Krisen rechtzeitig durch Zugriff auf vorhandene oder angebotene Ressourcen aktiv anzugehen, sie zu meistern und diesen Prozess als Anlass für Weiterentwicklung und Wachstum zu nutzen. So verstanden braucht Resilienz einen Prozess, der Einzelne, Teams, Bereiche und idealerweise die ganze Organisation integriert und steuert.
Welche Rolle spielen Management- und Führungsfaktoren beim Thema Resilienz?
Wenn wir Resilienz ganzheitlich verstehen und im Unternehmen integrieren, dann wird sie zu der Schlüsselfähigkeit für Wachstum und Erfolg in einer ungewissen wirtschaftlichen Zukunft. Die Frage ist, wie Ressourcen aktiviert werden - das zentrale Thema für Führung und Management als soziale Kontext- und Situationsfaktoren - die entscheidenden Einfluss auf Beschäftigte nehmen. Manager und Führungskräfte müssen sich für die Mitarbeitenden mit ihren Motiven, Fähigkeiten und Stärken interessieren und jeden als Individuum behandeln. Dabei sollten sie sich darauf konzentrieren, die mentalen Bedürfnisse in ihrem Verantwortungsbereich zu befriedigen und so positiven Einfluss auf die Resilienz ihrer Mitarbeitenden und Teams nehmen.
Was sind die Hebel, die Führungskräfte in diesem Kontext vor allem im Griff haben sollten?
Wenn ich anhand der Faktoren, die Jürgen Bengel und Lisa Lyssenko in ihrer Meta-Studie zur den Resilienzfaktoren im Erwachsenenalter identifiziert haben, priorisiere, dann sind es vier Aspekte, die Führungskräfte vor allem im Blick haben müssen:
(1) verantwortungsvolle Einflussnahme, (2) eine auf gemeinsame Ziele ausgerichtete Führung, (3) Kohärenz, also die Zuversicht, dass Ereignisse vorhersehbar und erklärbar, Ressourcen verfügbar sind, um Anforderungen gerecht zu werden und als positive Herausforderungen zu verstehen sowie (4) mentale Stärke, also Resilienz plus Leistungsfähigkeit. Diese sind entscheidend, um durch eine fürsorgliche Führung die Richtung vorzugeben, erlebbare Werte zu schaffen, hohe Erwartungen zu formulieren und so die berechtigten Erwartungen aller Stakeholder in Einklang zu bringen. Unterstrichen wird das in einer Studie aus dem Jahr 2018, die sagt, dass kleine, individuell angepasste Gesten der Wertschätzung eine förderliche Wirkung auf Resilienz, Zufriedenheit und Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden haben. Last but not least: Auf gegenseitiger Fürsorge und Vertrauen basierende Beziehungen sind nicht nur eine sichere Basis, sondern auch das, was im Englischen "The glue that keeps things together" genannt wird.
Welche Vorteile haben Unternehmen dadurch?
Die Vorteile liegen auf der Hand, sind jedoch nach Branche und Organisation unterschiedlich ausgeprägt. Da muss man sich die Wirkung auf die jeweils kritischen Kennzahlen näher anschauen.
Resilienz trägt dazu bei, dass Mitarbeitende mit Herausforderungen und Problemen gelassener umgehen können. So kann man sich auf Lösungen und nicht auf Probleme konzentrieren sowie das Gemeinsame und Verbindende in den Vordergrund stellen.
Unter- und Überforderung sorgen dafür, dass Mitarbeitende den Spaß und die Identifikation mit ihrer Arbeit, dem Team oder sogar dem Unternehmen verlieren. Auf Dauer kann beides dazu führen, dass Beschäftigte nicht voll einsatzfähig sind. Unternehmen profitieren davon, dass sie auf solche Aspekte achten und Resilienz fördernden Faktoren bedienen.
Wettbewerbsfähigkeit ist immer ein Argument und der menschliche Faktor hat A-Priorität, wenn es um das Thema geht. Erstens geben resiliente Belegschaften auch in schwierigen Zeiten ihr Bestes. Und zweitens ist es wahrscheinlich, dass sie den Optimismus und die Verbundenheit haben, bei gravierenden Veränderungen im Unternehmen zu bleiben. Insoweit ist es kein Nachteil, nein, eher ein Vorteil, wenn man Menschen und Teams dabei hilft, mental belastbar und fit, also resilient zu sein oder zu werden.
Wie können Personalabteilungen zu einer resilienten Organisation beitragen?
Der wesentliche Beitrag der Personalabteilungen ist die Förderung von Commitment, Resilienz und Wohlbefinden. Diese Aspekte werden stark vom Verhalten aller Beteiligten im Zusammenhang mit Führung beeinflusst. Hier kann, ja muss, die Personalabteilung mit passenden Interventionen aktiv sein und steuernd eingreifen. Auch stellen neuere Studien fest, dass beides, operatives wie auch strategisches Personalmanagement, einen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung und Förderung der Resilienz im Unternehmen haben kann. Die Handlungsfelder sind vielschichtig, etwa durch Strategien und Maßnahmen in den Bereichen Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitsorganisation, Compensation und Benefits, Feedbacksysteme, Personalentwicklung oder Kulturentwicklung.
Corona hat das Wohlbefinden der Mitarbeitenden stärker in den Fokus gerückt. Wie erklären Sie Führungskräften, warum das auch in Zukunft so bleiben sollte?
Kein Unternehmen ist gegen Unvorhersehbares gefeit – seit den 1990ern steht VUKA für diese Herausforderung. Drastisch führt das die Covid-19-Pandemie vor Augen, die beispiellose Herausforderungen und Veränderungen bewirkt hat, von denen jede Organisation betroffen sind. Wie es aussieht, wird uns Corona noch eine Zeitlang fordern. Ähnlich wie es andere Themen, vor allem die Erderwärmung und ihre Konsequenzen für gesellschaftliches und wirtschaftliches Handeln, bis weit in die Zukunft tun. Diesbezügliche Einsicht scheint vorhanden zu sein.
Können Sie das näher erklären?
Ende 2020 sagten in einer Umfrage die meisten Führungskräfte, dass die Resilienz der Organisation und deren Stärkung auch nach Ende der Pandemie eine entscheidende Priorität bleiben wird. Und eine aktuelle McKinsey-Studie stellt fest, dass Maßnahmen, die Unternehmen bereits vor der Pandemie als Teil hin zu stärker auf den Menschen ausgerichteten Betriebsmodellen und zur Steigerung der organisationalen Resilienz durchgeführt haben, sich in der aktuellen Situation verdoppelt haben. Da sind wir in den meisten Unternehmen also auf einem guten Weg. Insoweit ist meine Antwort an Führungskräfte, die zum alten Status-quo zurück wollen: Besser auf neuen Wegen etwas stolpern, als in alten Pfaden auf der Stelle treten.