Auch die Berateraffäre zeigt, dass das Geschäftsmodell Beratung nicht mehr funktioniert, so Springer-Autor Markus Väth. Über die Gründe spricht er im Interview mit Springer Professional.
Springer Professional: Die Bundesregierung soll in den vergangenen zwei Jahren mehr als 1,4 Milliarden Euro für Berater gezahlt haben und beim Bundesverteidigungsministerium steht der Vorwurf, Steuergelder verschwendet und die Datensicherheit gefährdet zu haben, im Raum. Können Sie dazu eine Einschätzung abgeben?
Markus Väth: Ein solcher Skandal wie beim BVMI entwickelt sich nicht über Nacht; da gibt es in der Regel eine lange Vorgeschichte. Das beginnt meist mit personellen Wechseln von den Beratungen in die Politik oder umgekehrt. Es werden Netzwerke geknüpft, erste Aufträge vergeben, und irgendwann lässt man die Dinge laufen. Es stellt sich eine Gewohnheit und eine Schludrigkeit ein, die dafür sorgt, dass Aufträge nach Vitamin B vergeben werden und nicht mehr nach Ausschreibung, dass man sich immer abhängiger macht von Beratungen und sich in dieser sehr gut bezahlten Abhängigkeit einrichtet. Bis der Zufall oder ein eifriger Rechnungsprüfer ein Bein stellt und sich auf einmal alle fragen: Wie konnte das passieren?
In Ihrem Buch "Beraterdämmerung" vertreten Sie die Meinung, dass das Modell Beratung ohnehin nicht mehr funktioniert. Was sind die Gründe für diese Meinung?
Berater betreiben ein Geschäftsmodell zum Schaden des Kunden. Ein gutes Beispiel dafür ist das Benchmarking-Unwesen. Benchmarks sind an der Vergangenheit orientiert und oft nicht übertragbar – trotzdem suggerieren Berater, ein Erreichen irgendwelcher Benchmarks würde den Unternehmen weiterhelfen. Und den Weg dahin können sie dann natürlich als Beratungsleistung verkaufen. Oder nehmen Sie das Thema Lernen: Berater haben gar kein Interesse daran, dass ein Unternehmen lernt, ohne Beratung auszukommen und seine Probleme eigenständig anzugehen. Vielmehr zaubern Berater angebliche Lösungen aus ihrer Black Box, ohne den Lösungsweg selbst offenzulegen. Sonst wäre ihr Herrschaftswissen und ihre Daseinsberechtigung massiv gefährdet.
Sie sehen im Organisationscoaching eine Alternative zum Beratermodell. Was verstehen Sie darunter und welche Vorteile bietet diese Herangehensweise?
Im persönlichen Coaching weiß man: Ein Kunde hat im Grunde alle Fähigkeiten, die er zur Lösung seines Problems braucht. Wenn das schon für den Einzelnen gilt, um wie viel mehr trifft das auf Unternehmen zu, die viele fähige Mitarbeiter und Ressourcen aktivieren können? Unternehmen haben in der Regel kein Wissens-, sondern ein Umsetzungsproblem, zum Beispiel durch Silodenken und politische Machtspielchen. Dieses Umsetzungsproblem wird durch Beratung aber nicht kleiner, im Gegenteil. Berater werden nicht selten engagiert, um genau solche politischen Spielchen oder strategischen Machtkämpfe zu alimentieren. Sie zementieren also die Verhältnisse, die sie eigentlich verbessern sollten. Ein Organisationscoach dagegen deckt diese Hindernisse auf, indem es dem Unternehmen den Spiegel vorhält und Reflexionsräume schafft, Missstände zu bearbeiten und zu überwinden.
Wie können Unternehmen auch ohne Beratung erfolgreich sein?
Das Kraftwerk eines Unternehmens besteht in der Dynamik der menschlichen Zusammenarbeit, im Potenzial aller Mitarbeiter. Das betrifft die Bereiche Management, Führung, Teamwork und Kultur. In jedem Bereich können Unternehmen und deren Führungskräfte dieses Kraftwerk gezielt hochfahren, ihre Selbstlernkräfte aktivieren und ein Thema von innen heraus recherchieren, bearbeiten und erfolgreich abschließen.
Was bedeutet das letztendlich für die Beraterbranche?
Die Beraterbranche wird nicht an dem Ast sägen, auf dem sie sitzt. Von ihr erwarte ich daher wenig Veränderungsbereitschaft. Der Druck zur Veränderung wird von der Kundenseite kommen, wenn der Bedarf nach echtem, längerfristigem Beratungsmehrwert steigt. Ich glaube, dass sich Teile der Branche zugunsten neuer digitaler Dienstleistungen auflösen werden. Stichwort: Künstliche Intelligenz, netzwerkgestützte Bearbeitung komplexer Probleme. Und der Großteil wird sich – in Zusammenarbeit mit internen Beratern der Kunden – zu Organisationscoaches wandeln. Der Berater wird vom Lösungsbringer zum Coach, der den Kunden inspiriert, irritiert und ihn bei seiner Entwicklung begleitet.