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Published in: Wirtschaftsinformatik & Management 6/2021

Open Access 08-11-2021 | Spektrum

Pay-per-Stress – Belastungsorientierte Leasingmodelle im Maschinenbau

Authors: Lukas Florian Bossler, Timo Rogalski, Patrick Stanula, Enno Lang, Oliver Kohn, Joachim Metternich, Matthias Weigold, Julia Krönung, Arne Buchwald

Published in: Wirtschaftsinformatik & Management | Issue 6/2021

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Die hohen Kosten komplexer Werkzeugmaschinen stellen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) der produzierenden Industrie vor große finanzielle Herausforderungen. Leasingmodelle bieten daher eine wichtige Möglichkeit zur Beschaffung solcher Maschinen. Der Leasingnehmer bezahlt klassisch nach Zeit und hat damit den Anreiz, die eigene Produktivität zu maximieren. Eine kontinuierlich hohe Auslastung oder Überlastung hat eine starke Abnutzung oder sogar nicht unmittelbar sichtbare Schäden zur Folge, die den Restwert der Maschine zum Nachteil des Leasinggebers reduzieren. Der Leasinggeber muss bisher durch diese Informationsasymmetrie eine Risikoprämie aufschlagen, da er die Belastung der Maschine im Leasingzeitraum nicht kontrollieren und den Zustand bei Rückgabe schwierig bemessen kann. Dies führt sowohl zu höheren Kosten und unflexiblen Zahlungsströmen beim Maschinennutzer (Leasingnehmer) als auch zu einer schwierigen Planbarkeit der Zahlungen durch Intransparenz für Leasinggeber und Leasingnehmer. Die Abhängigkeit der Leasingrate von der Belastung der Maschine und dadurch auch indirekt von der Maschinenauslastung hat das Potenzial, das Leasing von komplexen Maschinen effizienter und fairer für alle Partner zu gestalten.
Im Projekt Pay-per-Stress wird ein belastungsorientiertes Bezahlmodell von Werkzeugmaschinen und Komponenten mit dem Ziel der Auflösung der Interessensgegensätze und der Informationsasymmetrie zwischen dem Leasingnehmer und dem Leasinggeber entwickelt. Das Gesamtkonzept ist in Abb. 1 dargestellt und wird im Detail in diesem Artikel beschrieben. Zur Steigerung des Kundennutzens, des Vertrauens und der Effizienz werden die folgenden Ziele verfolgt:
  • Verständnis des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs zwischen Maschinenbelastung und Verschleiß durch experimentelle Untersuchungen an kritischen Komponenten
  • Manipulationssicherer Stressfaktor als monetäre Bewertungseinheit der Leasingrate
  • Lückenloser, sicherer, rechtlich geprüfter und nicht manipulierbarer Datenkreislauf auf Basis rechtskonformer Blockchain-Technologie
  • Optional: komplementäre Serviceleistungen zur Minimierung des Stressfaktors durch den Hersteller, Umsetzung der gesamten Lösungsarchitektur im Forschungs- und Industrieumfeld
Im nächsten Kapitel wird auf die Grundlagen des Bezahl- und Leasingmodells eingegangen, dieses in den Kontext des Geschäftsmodells gesetzt und der Stressfaktor als zentrale Abrechnungseinheit vorgestellt. Anschließend werden die technische Konzeptionierung und Umsetzung des Datenmanagementsystems sowie die sensorische Integration der betrachteten Werkzeugmaschinen dargestellt. Der Artikel schließt mit einem Ausblick.

Bezahl‑/Leasingmodell

Das Bezahlmodell ist zentraler Bestandteil des Geschäftsmodells von Maschinenherstellern und hat folglich einen großen Einfluss auf den Kundennutzen und die Kundenbindung. Durch die steigende Verfügbarkeit von Maschinendaten lassen sich gänzlich neue Modelle realisieren, die den Kundennutzen erhöhen können. In diesem Kontext sind besonders Leasingmodelle und als Erweiterung hiervon Pay-per-X-Modelle in den Fokus geraten. Besonders in volatilen Märkten mit schwankender Auftragslage und instabilen Umsatzströmen können flexible Bezahlmodelle Vorteile bringen. Die Vorteile für den Leasingnehmer (Maschinennutzer) sind die Schonung der Liquidität und die Reduzierung des anfänglich benötigten Kapitals. Hinzu kommen verteilte und planbare Kosten im Zeitablauf, ein erhöhter verbleibender Bankkreditrahmen und eine zeitgemäße Ausstattung durch schnelleren Austausch. Pay-per-X-Modelle zielen darauf ab, die Anreize von Leasinggeber und Leasingnehmer anzugleichen, indem ein Verrechnungsindikator X so gewählt wird, dass beide Parteien den größten Nutzen erzielen können. Durch die Digitalisierung der Produktion weiten sich die Möglichkeiten des Indikators stark aus, da neue Datenquellen zuvor unmögliche Einsichten in ökonomisch relevante Zusammenhänge ermöglichen. Generell lassen sich die Modelle dahin gehend unterscheiden, ob sich der Indikator auf den Input des Prozesses (beispielsweise Maschinennutzungsdauer) oder den Output des Prozesses (beispielsweise die Anzahl der gefertigten Produkte) bezieht. Dabei können unterschiedliche Formen von Risiken geteilt werden, beispielsweise das Marktrisiko des Anwenders durch eine schwankende Maschinenauslastung. Das Pay-per-Stress-Modell ist in dieser Form noch nicht bekannt und nimmt eine Sonderrolle ein. Der Verschleiß der Maschine ist inputorientiert und basiert auf der Belastung durch Nutzung der Maschine, welche damit den Wertverzehr beschreibt. Pay-per-Stress kann als Erweiterung von Pay-per-Use gesehen werden, da der Verschleiß zum Teil von der Nutzungsdauer abhängig ist. Die Belastung der Maschine als Verrechnungsindikator eines Leasingmodells zu nutzen, ist mit einigen Hürden verbunden, etwa der nachvollziehbaren Darstellung von Belastung und Maschinenverschleiß.
Es werden folgend die Bestandteile des Pay-per-Stress-Modells vorgestellt, die in maschinen- oder marktbezogene Anteile unterteilt werden. Marktbezogene Anteile ergeben sich aus allgemeinen Marktrisiken bzw. Unternehmensrisiken. Hierzu gehören beispielsweise Marktzinsen, Kostenaufschläge oder die Verrechnung des Ausfallrisikos des Leasingnehmers. Diese unterscheiden sich nicht wesentlich vom klassischen Leasing. Maschinenbezogene Anteile beziehen sich auf den Wertverlust der individuellen Maschine beim Leasingnehmer. Der erste maschinenbezogene Bestandteil ist zeitbasiert und beschreibt den Wertverlust der Maschine abhängig von der Anzahl der Betriebsstunden. Dieser Anteil ist mit Pay-per-Use zu vergleichen. Der belastungsbasierte Anteil der Leasingrate in Pay-per-Stress beschreibt den Wertverlust der Maschine durch die Belastung ihrer Komponenten im Produktionsprozess. Dieser Anteil kann als Erweiterung des Pay-per-Use-Ansatzes um die realen Nutzungsbedingungen gesehen werden, welche eine überproportionale Abnutzung durch Überlastung berücksichtigt. Beispielsweise kann der Wertverlust der zentralen verschleißenden Komponente Motorspindel durch Verschleiß nicht nur über die Einsatzstunden der Spindel beschrieben werden, sondern muss um Bedingungen der Nutzung ergänzt werden. Die fixe monatliche Rate stellt den dritten Anteil dar, wie sie beim klassischen Leasing zu finden ist. Ein solcher Sockelbetrag reduziert das Risiko beim Leasinggeber, welches durch das Marktrisiko des Leasingnehmers weiterhin präsent ist. Zudem beinhaltet dieser Bestandteil den graduellen Wertverlust der Maschine über die Zeit durch den technologischen Fortschritt. Abb. 2 fasst die beschriebene Unterteilung zusammen.
Pay-per-Stress erhöht die Transparenz zwischen Leasinggeber, Leasingnehmer und Hersteller und hat dadurch eine positive Wirkung auf den Zinssatz, der das Ausfallrisiko berücksichtigt. Dieser Zins kann gegenüber klassischen Modellen vermindert werden. Handelt es sich um ein Full-Service-Leasingmodell, kann eine Servicepauschale hinzugerechnet werden. Eine solche Pauschale beinhaltet beispielsweise die Wartungs- und Instandhaltungskosten, die beim Maschinenhersteller anfallen. Diese Pauschalen sind im Pay-per-Stress-Modell interessant, da die erwarteten Kosten der Instandhaltung durch eine schonende Benutzung gesenkt werden können. Das Modell kann zudem um die Maschinenversicherung erweitert werden, welche durch die Transparenz in die tatsächliche Nutzung günstigere Raten anbieten kann.
Neben den Bestandteilen der Leasingraten können die prozentualen Anteile an der Gesamtleasingrate angepasst werden. Beispielhaft ist hier der belastungsbasierte Anteil zu nennen. Ein Anteil von 0 % stellt das klassische Leasing dar, ein Anteil von 100 % ein stark volatiles Modell.

Pay-per-Stress aus der Geschäftsmodellperspektive

Das Bezahl- und Leasingmodell ist ein Teil des Geschäftsmodells, welches gesamtheitlich wirtschaftlich betrachtet werden muss. Im Zentrum steht hierbei die Entwicklung von Geschäftsmodellprototypen im Leasingdreieck zwischen Leasinggeber, Leasingnehmer und Maschinenhersteller. Hierzu sind unter anderem folgende Anforderungen notwendig:
  • Leasinggeber: minimaler Sockelbetrag, um die Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten und Risiken zu minimieren
  • Leasingnehmer: Stressfaktor nachvollziehbar ohne Rückschlüsse auf Prozesse und Prozessparameter
  • Maschinenhersteller: Transparenz des Stressfaktormodells, geringer Aufwand bei Sensorintegrationen und eindeutig geregelte Datenhoheit
Das Geschäftsmodell ist spezifisch auf die Akteure des Leasingdreiecks anzupassen und nicht gänzlich verallgemeinerbar. Die Geschäftsmodellprototypen wurden in bilateraler Abstimmung mit den einzelnen Konsortialpartnern unter Einsatz des Value Proposition Canvas (VPC) sowie des Business Model Canvas (BMC) entwickelt. So hat ein beispielhaftes Geschäftsmodell eines Maschinenherstellers die Schaffung von zusätzlichem Kundennutzen durch optionale Smart Services im Fokus. Hierzu gehören die Nutzung der Maschinendaten zur Prozessoptimierung, der Support bei Schadensanalysen und ein Predictive Maintenance Service zur Verringerung von Stillstandszeiten. In Zusammenarbeit mit Schlüsselpartnern, wie etwa Herstellern von Komponenten und Sensorik, werden die Schlüsselaktivitäten zur Realisierung der Smart Services vorangetrieben. Hierzu zählen die Erarbeitung von Analysemethoden, die Implementierung verschiedener Dashboards und Anwendungen und die Anbindung an ein Datenmanagementsystem. Die angebotenen Services sollen sowohl an bestehende Kunden, beispielsweise im Rahmen von After-Sales-Services, als auch an neue Kunden, etwa durch Kaltakquise über Messen, vermarktet werden. Die Mitgliedschaft in einem Internet of Things (IoT)-Expertennetzwerk kann zusätzliche Anreize für Maschinennutzer schaffen. Einnahmen werden durch die angebotenen Zusatzservices generiert. Auf Kostenseite stehen Aufwände für Personal, Ersatzkomponenten sowie Kosten für die Implementierung, den Betrieb und die Wartung des Datenmanagementsystems an. Auch wenn Services durch den Hersteller im Gegensatz zum Leasingvertrag zwischen Leasinggeber und -nehmer nicht obligatorisch sind, ist das Know-how des Herstellers für die technische Sensorintegration und das Verständnis zum Verschleißverhalten der eigenen Maschinen unersetzbar. Dementsprechend ist auch die Rolle des Maschinenherstellers von zentraler Bedeutung für das übergreifende Geschäftsmodell.
Die BMC-Analysen der einzelnen Industriepartner lassen sich zu einem gesamtheitlichen Modell integrieren (Abb. 3). Aufseiten des Leasingnehmers ermöglicht das Pay-per-Stress-Modell eine Dynamisierung der Leasingrate. Hierbei erfolgt eine Anpassung des leasingbedingten Cash-Flows an den Grad der Maschinennutzung, wodurch eine nutzungsabhängige Liquidität ermöglicht wird. Ein solches Modell ist vor allem für die KMUs aus der Maschinenbauindustrie attraktiv, da hier oftmals schon einzelne Maschinen einen hohen Kapitalbindungsgrad erfordern. Des Weiteren kann der Maschinenhersteller die anfallenden Daten zunächst für eigene Analysen zur Komponentenoptimierung verwenden oder Hilfestellungen zur Steigerung der Maschinenproduktivität beim Leasingnehmer leisten. Die Prozessdaten könnten sowohl für Schadensanalysen als auch für die direkte Anzeige von Belastungen genutzt werden. Darüber hinaus verspricht die Nutzung eines innovativen Datenmanagementsystems einen automatisierten Datenfluss zwischen den beteiligten Parteien. Die Einbindung von Versicherungspartnern für Absicherungen gegen Datenmanipulationen einerseits und Maschinenausfälle andererseits kann hinzugenommen werden. Aufseiten der notwendigen Schlüsselaktivitäten setzt dies sowohl die Entwicklung eines Dashboards zur Nutzerassistenz (sowohl für Bediener als auch für Controller zur Betrachtung der Leasingraten) als auch ein Kalkulationstool zur Darstellung und Prognose von monatlichen Leasingraten voraus. Durch das Koppeln der Belastungsdaten mit anfallenden Kosten wird zudem eine auftragsspezifische Aufwandsberechnung ermöglicht.
Auf Leasinggeberseite soll durch das Pay-per-Stress-Modell eine Bündelung vorhandener technischer Schnittstellen in die Enterprise Resource Planning (ERP)-Systeme der Leasingnehmer realisiert werden. Das aus Pay-per-Stress resultierende Leasingmodell ermöglicht es, neue Kundenmärkte zu erschließen und Angebote für Unternehmen zu erstellen, für die ein klassisches Leasingmodell wenig interessant ist, zum Beispiel aufgrund von saisonal schwankender Auslastung der Maschinen mit stark unterschiedlichen Produkten. Der Empfang von Nutzungsdaten ermöglicht hierbei zudem die Erstellung von speziell auf einen Leasingnehmer angepassten Angeboten. Auf Herstellerseite steht vor allem das Anbieten von optionalen smarten Zusatzservices für zusätzliche Erlössteigerungen im Vordergrund. Zudem erleichtert der belastungsorientierte Ansatz einen nachhaltigen Betrieb der Maschine. Durch den Anreiz zu belastungsoptimierten Prozessen aufseiten des Anwenders und zusätzliche Services durch den Maschinenhersteller kann eine Maschine länger erhalten bleiben, was sowohl dem Leasingnehmer im Betrieb als auch dem Leasinggeber für eine sich der Leasingphase anschließende Verwertung auf dem Zweitmarkt zugutekommt. Eine Nutzenanalyse bei den Industriepartnern macht deutlich, dass die Services „Predictive Maintenance“ (Ausfallvorhersage und zeitgerechter Austausch von zukünftig ausfallenden Komponenten) und „Trendanalysen“ (historische Datenanalyse bzgl. Kosten, Prozesseffizienz, Verschleiß und Lebensdauer) den größten Nutzen versprechen.

Technische Konzeption des Stressfaktors als Abrechnungsindikator

Die Leasingrate besteht zum Teil aus der Umlage des Wertverlustes der Maschine durch Abnutzung über den Leasingzeitraum. Dieser Wertverlust ist auf Maschinenebene während der Nutzung nur schwer zu beziffern. Von daher wird der Maschinenwert näherungsweise als Summe der Werte aller Komponenten der Maschine betrachtet. Wie bereits erwähnt verändert sich dieser Wert kontinuierlich durch den technischen Fortschritt und auch durch die Nutzung der Maschine. Die Nutzung verursacht Verschleiß an den Komponenten. Diese können zeitbasiert oder belastungsbasiert beschrieben werden (weitere Indikatoren sind hier natürlich vorstellbar). Um die Komplexität möglichst gering zu halten, werden nur die wichtigsten Komponenten (nach Wertverlust) einer Maschine über eigene Indikatoren beschrieben, welche den Zustand der Komponenten annähern sollen. Diese Indikatoren richten sich nach dem Verschleißverhalten der Komponente. Bei Komponenten mit gleichmäßigen Belastungsprofilen wie etwa dem Werkzeugwechsler sind einfache Indikatoren, beispielsweise die Anzahl der Werkzeugwechsel, komplexen Indikatoren vorzuziehen. Alle anderen Komponenten der Maschine werden pauschal der fixen monatlichen Rate zugeordnet. In Abb. 4 ist eine beispielhafte Aufteilung der Gesamtmaschine in die Komponenten dargestellt. Die Maschine wird in drei Komponentengruppen zergliedert, je nach Verschleiß- und Ausfallverhalten. Diese werden durch unterschiedliche Technologien des Monitorings überwacht, um die Indikatoren bilden zu können. Die Summe aller Indikatoren inklusive eines konstanten Anteils der Abschreibung bildet den Stressfaktor der Maschine. Die Leasingrate ergibt sich aus der Summe des Stressfaktors und weiterer Kosten. Diese weiteren Kosten sind die bereits vorgestellten marktbezogenen Anteile, beispielsweise Marktzinsen und Risikoprämien.
Die Ausgestaltung eines solchen Systems kann auf unterschiedliche Arten erfolgen. Aus der ingenieurwissenschaftlichen Perspektive sind eine Überwachung aller Komponenten und die Ermittlung von Belastung und Zustand natürlich wünschenswert. Aus Gründen der Komplexität und Kosten muss jedoch auf einige wenige Komponenten und Indikatoren zurückgegriffen werden. Je nach Art der Maschine und erwarteter Einsatzbedingungen können unterschiedliche Indikatoren vorteilhaft sein. Wird beispielsweise die Motorspindel der Werkzeugmaschine stark belastet, etwa im Einsatz schwerzerspanender Werkstoffe, kann die Spindel als zentrale Komponente herangezogen werden. Handelt es sich im Gegensatz dazu um sehr große Maschinen zur Bearbeitung leicht zerspanbarer Materialien, können die Trägheitskräfte aufgrund der Beschleunigung der Massen beim Verfahren einen größeren Einfluss auf die Langlebigkeit der Komponenten und der Maschine haben. Es können entweder mehrere Komponenten überwacht und als Indikatoren herangezogen werden, jedoch kann auch eine einzelne Komponente als „Leitkomponente“ für die gesamte Maschine dienen. Bei der Nutzung mehrerer Komponenten stellt sich die Frage der Integration einzelner Überwachungstechnologien in das Gesamtkonzept. Die intelligente Nutzung und Kombination von Überwachungsstrategien verfolgt das Ziel, die Belastungen und damit den Verschleiß und den Wertverlust der Maschine möglichst holistisch, realitätsgetreu und einfach darzustellen. Im Rahmen des Projektes werden im Forschungsumfeld verschiedene sensorische Technologien für die Prozessüberwachung untersucht.
Für die Berechnung des Stressfaktors muss dieser bereits zu Beginn des Abrechnungszeitraums bzw. Lebenszyklus sensitiv genug sein und eine Bewertung der Abnutzung ermöglichen. Darüber hinaus ist eine monoton fallende Modellierung des Abnutzungsvorrates erforderlich, da sich schon bei leicht schwankenden Zuständen eine sinnvolle Abrechnung schwierig realisieren lässt. Für die Umsetzung existieren verschiedene Ansätze, die zur Lebensdauerprognose und Modellierung der Abnutzung eingesetzt werden können. Aufgrund komplexer Zusammenhänge und vielfältiger Einflussfaktoren ist die Generierung einer repräsentativen Datengrundlage sehr zeit- und kostenintensiv, was eine Umsetzung basierend auf rein datengetriebenen Modellen erschwert. Kennwerte zustandsorientierter Methoden sind besonders in der ersten Hälfte des Lebenszyklus aufgrund geringer Veränderung nur bedingt als Abrechnungsgrundlage geeignet. Eine Alternative bieten belastungsorientierte Methoden, die bekannte Schadensmechanismen beschreiben und bei der Produktentwicklung für eine quantitative Aussage über die Zuverlässigkeit eingesetzt werden. Diese Methoden können mit tatsächlichen Belastungen aus dem Betrieb genutzt werden, um den verbleibenden Abnutzungsvorrat abzuschätzen, und sind somit für die Umsetzung eines belastungsorientierten Bezahlmodells geeignet. Zusammen mit Daten zustandsbasierter Methoden kann eine repräsentative Datengrundlage aufgebaut werden, um die Lebensdauerprognosen kontinuierlich zu verbessern. Zusätzlich können beispielsweise weitere Zustände wie Verunreinigungen oder Betriebsbedingungen als Lebensdauerbeiwert berücksichtigt werden, um die Genauigkeit zu erhöhen. Die verbleibende Restlebensdauer (engl. remaining useful life, RUL) berechnet sich aus der gesamten tatsächlichen Belastung und der für den verbleibenden Abnutzungsvorrat angenommenen Referenzbelastung.

Datenmanagement

Die sichere Speicherung und Verarbeitung der anfallenden Maschinendaten stellen komplexe Anforderungen an das zu realisierende Datenmanagement. Einerseits muss das geplante Datenmanagementsystem sicherstellen, dass alle benötigten Daten in manipulationssicherer Weise an deren berechtigte Empfänger übertragen werden. Diese Daten beinhalten den Stressfaktor, welcher vom Leasinggeber zur Bestimmung der Leasingrate genutzt wird, und gewisse Analysedaten, welche vom Maschinenhersteller zur Optimierung seiner Maschinen genutzt werden. Andererseits muss sichergestellt werden, dass die übertragene und abrufbare Datenmenge vorherige Vereinbarungen zwischen den einzelnen Parteien nicht übersteigt. Begründet ist dies unter anderem in Anforderungen, die sich aus dem Schutz von geistigem Eigentum ergeben. Die von den Sensoren erfassten Daten könnten ein sehr detailliertes Bild über die Verarbeitungsschritte des Anwenders ermöglichen. Daher ist es wichtig, dass Regelungen über den Datenfluss zwischen den einzelnen Parteien in transparenter und nachvollziehbarer Form getroffen werden. Trotz dieser Einschränkungen bezüglich der zu übertragenden Daten dienen diese weiterhin der Bestimmung des abstrakten Stressfaktors. Um hier die nötige Transparenz zu schaffen, ist es unabdinglich, dass alle beteiligten Parteien einen Überblick darüber haben, wie die anfallenden Sensordaten verarbeitet werden und diese Verarbeitung auch verstehen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass Pay-per-Stress durchsetzungsfähig im Markt wird.
Aufgrund dieser komplexen Anforderungen ist es nicht möglich, das geplante Datenmanagement mithilfe eines zentralen Systems zu realisieren. Die Anforderungen an Manipulationssicherheit und die kritische Natur der Daten erlauben es nicht, das gesamte System in der Hand eines einzelnen Akteurs zu belassen. Um den Anforderungen an die Vertraulichkeit bestimmter Daten gerecht zu werden und gleichzeitig eine transparente Verarbeitung zu ermöglichen, setzt Pay-per-Stress aktuell auf ein dezentrales Blockchain-System, realisiert durch Hyperledger Fabric.
Eine Blockchain ist eine dezentrale Datenbank, welche die Datensätze als kryptographisch verkettete Liste speichert. Beim Anlegen eines neuen Eintrages wird dieser hierbei vom Benutzer mithilfe eines kryptographischen Schlüssels signiert und an die restlichen Netzwerkteilnehmer gesendet. Da jeder Block zudem mit dem vorherigen Block verknüpft ist, entsteht eine durchgängige Verknüpfung aller Transaktionen seit dem Beginn des Blockchain-Netzwerks. Die Manipulationssicherheit des Blockchain-Netzwerks wird dadurch sichergestellt, dass schon die kleinste Veränderung einer einzelnen Transaktion zu einer kompletten Neuberechnung der Struktur eines Blocks führt. Zudem führt dies zu einer drastischen Änderung, welche für andere Netzwerkteilnehmer leicht ersichtlich ist.
Spätere Blockchains (Ethereum, Hyperledger Fabric) ergänzen die Funktion von Blockchains als manipulationssicheren Datenspeicher um eine manipulationssichere Datenverarbeitung durch Smart Contracts. Smart Contracts sind auf der Blockchain gespeicherte Programme, welche eine garantierte Programmerfüllung sicherstellen und somit Manipulationen während der Datenverarbeitung verhindern. Smart Contracts weiten dadurch die Manipulationssicherheit einer Blockchain von den gespeicherten Daten auch auf zukünftige, noch zu berechnende Daten aus.
Hyperledger Fabric ist eine Blockchain zur dezentralen Ausführung beliebiger Programme und dient zeitgleich als verteilte Datenbank, welche die Integrität der Daten automatisch sicherstellt. Darüber hinaus bietet Hyperledger Fabric im Gegensatz zu anderen, bekannteren Blockchains (Bitcoin, Ethereum) die Möglichkeit, gespeicherte Daten vertraulich zu halten und nur berechtigten Interessenten einen Einblick zu gewähren. Gleichzeitig eröffnet die transparente Verarbeitung durch Smart Contracts allen Konsortialpartnern die Möglichkeit, Einblick in die Verarbeitungsschritte zu nehmen. Hierdurch wird das System den Anforderungen an Vertraulichkeit und Manipulationssicherheit gerecht.
Dies macht es dem geplanten Hyperledger-Fabric-System im Pay-per-Stress-Kontext möglich, eine granulare Verteilung von Daten an die berechtigten Partner innerhalb des Firmennetzwerkes sicherzustellen und diese Verteilung in manipulationssicherer, transparenter und nachvollziehbarer Form zu gestalten. Im Rahmen von Pay-per-Stress werden die Möglichkeiten von Hyperledger Fabric zur Sicherstellung von Datenvertraulichkeit genutzt, um die sensiblen Maschinendaten, welche von den Sensoren erfasst werden, vor ungewollten Zugriffen zu schützen. Diese Daten werden exklusiv beim Leasingnehmer bzw. Maschinenanwender innerhalb des Hyperledger-Fabric-Systems gehalten und stehen dort für die Verarbeitung durch gemeinsam gestaltete Smart Contracts zur Verfügung. Eine solche Speicherung verhindert den direkten Zugriff auf diese sensiblen Daten durch andere Netzwerkteilnehmer. Der Zugriff und die Verarbeitung durch Smart Contracts ermöglichen im Gegenzug, dass Vereinbarungen zur konkreten Ausgestaltung der Stressfaktorberechnung bzw. der Verdichtung der Sensordaten eingehalten und automatisch umgesetzt werden. Die resultierenden Ergebnisse aus diesen Berechnungen werden im Anschluss mit dem Leasinggeber bzw. dem Maschinenhersteller ausgetauscht, welche die Ergebnisse anschließend für ihre Anwendungszwecke nutzen können. Konkret handelt es sich hierbei um die Nutzung des Stressfaktors zur Berechnung der Leasingrate seitens des Leasinggebers und um die Nutzung von Analysedaten zur Maschinenoptimierung und zur Umsetzung von Smart Services durch den Maschinenhersteller. Ein Gesamtüberblick über das System findet sich in Abb. 5.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Anschaffung von Werkzeugmaschinen stellt kleinere und mittlere Fertigungsunternehmen durch den hohen Kapitalbedarf vor Herausforderungen der Finanzierung. Leasingverträge stellen eine Finanzierungsalternative dar, sind jedoch aufgrund der inhärenten Informationssymmetrie zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer und damit verbundenen Risikoprämien ineffizient in ihrer Ausgestaltung. Volatile Märkte mit schwankender Auftragslage lassen sich ebenso wenig effizient abbilden. Belastungsorientierte Bezahlmodelle wie Pay-per-Stress adressieren diese Schwächen konventioneller Leasingmodelle durch Nutzung moderner digitaler Technologien. Ähnlich wie Pay-per-Use bezieht Pay-per-Stress Schwankungen in der Maschinenbenutzung in die Berechnung der Leasingrate mit ein, geht jedoch durch den Fokus auf die Abnutzung der Komponenten einen Schritt weiter. Die belastungsorientierte Berechnung der Leasingrate ermöglicht es, die Kosten der Maschine an ihren realen Gegenwert zu koppeln, und verschafft Anreize für eine möglichst schonende Maschinennutzung. Diese Transparenz ermöglicht eine planbare Kostenstruktur aufseiten des Leasingnehmers und des Leasinggebers. Die gewonnenen Daten können zudem für die Optimierung der überwachten Maschinen sowie zur Realisierung von optionalen Zusatzangeboten durch den Maschinenhersteller, wie beispielsweise Predictive Maintenance und Benutzerschulungen, genutzt werden. Die Abrechnung der Maschinennutzung geschieht durch einen aggregierten Stressfaktor, welcher durch die Kombination verschiedener, an den Komponenten gemessener Sensorwerte ermittelt wird. Die Schwierigkeit gestaltet sich hier in der Auswahl der richtigen Werte in Bezug auf deren Aussagekraft und die Einfachheit der Ermittlung und Berechnung. Unabdinglich für die Verarbeitung und Übertragung der gemessenen und berechneten Werte ist ein Datenmanagementsystem, welches sowohl manipulationssicher als auch vertraulich ist. Die verarbeiteten Daten sind einerseits abrechnungsrelevant, stellen andererseits allerdings auch das geistige Eigentum des Leasingnehmers dar, da detaillierte Daten Rückschlüsse auf die Verarbeitungsschritte möglich machen können. Ein Blockchain-System kann hier durch manipulationssichere Speicherung und Verarbeitung der Daten mittels Smart Contracts Abhilfe schaffen.
Aufbauend auf den bisherigen Erkenntnissen werden zukünftig Versuche durchgeführt, um den Stressfaktor möglichst exakt bestimmen zu können. Hierzu werden eine Versuchsmethodik und ein Versuchsaufbau entwickelt, welche bei allen Projektpartnern Einsatz finden. Die dadurch gewonnenen Teilerkenntnisse der Industriepartner werden anschließend in ein übergreifendes Konzept integriert, welches im Anschluss im Labor und im Praxisumfeld genutzt wird, um einen aussagekräftigen Datensatz zum Verschleißverhalten zu generieren. Aufseiten des Datenmanagements werden die weitergehenden Anforderungen aller Akteure des Geschäftsmodells an das Datenmanagementsystem erfasst. Zudem findet eine Evaluation eines ersten – in Hyperledger Fabric umgesetzten – Prototyps statt. Diese einzelnen Aspekte werden abschließend zu einer gemeinsamen Lösung integriert und in einer finalen prototypischen Umsetzung realitätsnah validiert.
Zusammenfassung
  • Leasingverträge sind aufgrund der inhärenten Informationsasymmetrie zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer und damit verbundenen Risiken ineffizient.
  • Die Erfassung und Verarbeitung von Sensordaten ermöglicht die Konzeption belastungsorientierter Bezahlmodelle und assoziierter Serviceangebote.
  • Die verarbeiteten Sensordaten stellen wichtiges Know-how der Maschinenbenutzer dar und müssen durch adäquate Datenmanagementsysteme geschützt werden.
Kernthesen
  • Pay-per-Stress ermöglicht effiziente Leasingmodelle durch eine geringere Informationsasymmetrie.
  • Ein auf Sensordaten basierender Stressfaktor kann die Abnutzung und den Restwert einer Maschine abbilden.
  • Transparentes Nutzungsverhalten durch belastungsorientierte Bezahlmodelle schafft wirtschaftliche Anreize für eine nachhaltigere Produktion.
  • Blockchain-Technologie kann Manipulationssicherheit für abrechnungsrelevante Daten bieten.
Handlungsempfehlungen
  • Die Ausstattung von Maschinen mit moderner Sensorik sorgt für Überwachbarkeit hinsichtlich Abnutzung und Verschleiß der Maschine.
  • Für die Akzeptanz von Pay-per-Stress-Modellen ist eine hohe Transparenz und zuverlässige Prognose der Kosten erforderlich.
  • Beschäftigung mit Blockchain-Technologie kann Potenziale für Unternehmungen abseits von Kryptowährungen aufzeigen.

Förderung

Das Projekt Pay-per-Stress wird gefördert mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie im Rahmen des Programms „Smarte Datenwirtschaft“ unter dem Projektförderkennzeichen 01MD19011.
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Metadata
Title
Pay-per-Stress – Belastungsorientierte Leasingmodelle im Maschinenbau
Authors
Lukas Florian Bossler
Timo Rogalski
Patrick Stanula
Enno Lang
Oliver Kohn
Joachim Metternich
Matthias Weigold
Julia Krönung
Arne Buchwald
Publication date
08-11-2021
Publisher
Springer Fachmedien Wiesbaden
Published in
Wirtschaftsinformatik & Management / Issue 6/2021
Print ISSN: 1867-5905
Electronic ISSN: 1867-5913
DOI
https://doi.org/10.1365/s35764-021-00367-2

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