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11-07-2022 | Privatkunden | Schwerpunkt | Article

Ohne Rücklagen droht Privathaushalten die Schuldenfalle

Author: Angelika Breinich-Schilly

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Den Menschen half ihr Erspartes finanziell durch die schwierige Corona-Zeit. Nun bringen der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Preisexplosion bei Energie oder Lebensmittel viele Haushalte ins Straucheln. So manchem Bürger droht die Überschuldung, prophezeit eine Studie.

Entgegen den Erwartungen hat sich die Corona-Pandemie laut Zahlen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform für das Jahr 2021 nicht negativ auf die Überschuldungsquote ausgewirkt. Wie das Institut für Finanzdienstleistungen (Iff) in Hamburg berichtet, waren zum Ultimo 2021 rund 3,08 Millionen Haushalte beziehungsweise 6,2 Millionen Menschen von dem Problem betroffen. Hierbei handele es sich um den niedrigsten Wert seit Beginn der Auswertungen im Jahr 2004. 

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Überschuldung, Arbeit und Identität

Der Beitrag basiert auf Ergebnissen einer qualitativen Längsschnittuntersuchung überschuldeter Mittelschichtspaare und geht der Frage nach, welche Rolle Arbeit im Hinblick auf die Aufrechterhaltung einer Mittelschichtsidentität im Zusammenhang mit Überschuldung spielt. Menschen, die sich in einer Überschuldungssituation oder in Insolvenz befinden, erleben Irritationen ihrer Identität, mit der Überschuldung ist ihre Lebenswelt von massiven Veränderungen und Einschränkungen bedroht.

Das Iff analysiert selbst seit 2006 zusammen mit Deutschland im Plus, der Stiftung für private Überschuldungsprävention, die Situation von Ratsuchenden der Schuldnerberatungsstellen. In ihrem aktuellen Report zeichnet das Institut allerdings eine düstere Prognose für die Zukunft: "Haushalte mit geringem Einkommen haben kaum Möglichkeiten, mithilfe von Ersparnissen die Preissteigerungen aufzufangen. Wurden diese doch in vielen Fällen bereits während der Covid-19-Krise aufgezehrt", umreißt Iff-Geschäftsführerin Sally Peters die aktuelle Lage. 

Vielfältige Gründe für Überschuldung verantwortlich

"Die Corona-Pandemie hat tiefe Spuren bei den Verbrauchern hinterlassen. Die schwierige Situation in zahlreichen Wirtschaftsbranchen hat zu finanziellen Belastungen vieler Haushalte geführt", beschreibt auch Kai-Friedrich Donau die finanzielle Situation in vielen Familien in der Zeitschrift "Wirtschaftsdienst" (Ausgabe 3 | 2022). Die Verbraucher hätten ihr Finanz- und Konsumverhalten angepasst oder auf ihre Rücklagen zurückgegriffen, "die nun allerdings angesichts steigender Preise vor allem bei der Energie fehlen könnten", erläutert der Teamleiter CSR von der Wiesbadener Kreditdatenagentur Schufa. 

"Erfahrungsgemäß zeigen sich die Auswirkungen wirtschaftlicher Krisen auf Verbraucher verzögert", warnt Iff-Expertin Peters. Zu den häufigsten Gründen für Überschuldung zählen aktuell Arbeitslosigkeit oder reduzierte Arbeit (23,4 Prozent), Krankheit (11,8 Prozent), Einkommensarmut (11,2 Prozent), Scheidung oder Trennung (9,5 Prozent) sowie das Konsumverhalten (9,0 Prozent) und eine gescheiterte Selbstständigkeit (8,2 Prozent).

Familiengründung steigert den Finanzbedarf

Am häufigsten geraten Menschen im Alter zwischen 30 und 30 Jahren in die Schuldenfalle, ermittelte das Iff. Als Grund nennt das Institut die Familiengründung, die in diesem Lebensabschnitt einen erhöhten Finanzbedarf mit sich bringt. Der Anteil der Ratsuchenden im Alter von unter 20 Jahren hat mit 1,14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr etwas abgenommen (1,37 Prozent). 70-Jährige und ältere Menschen haben sich hingegen häufiger beraten lassen (3,10 Prozent, 2020: 2,81 Prozent).

Interessant: Ratenkredite sind in den vergangenen Jahren immer seltener ein Grund für hohe Schulden. 2021 nannten 17,4 Prozent der Verbraucher solche Darlehen im Beratungsgespräch als das entscheidende Problem. Im Jahr 2009 belief sich der Anteil noch auf 24 Prozent. Zugenommen haben hingegen die Schulden bei öffentlich-rechtlichen Gläubigern. Dieser ist aktuell bei knapp 15 Prozent der Ratsuchenden ein wichtiger Schuldengrund. Im 2008 sagten das nur 10,7 Prozent. 

"Das ist eine Entwicklung, die wir mit großer Sorge betrachtende, denn hier kommt dem Staat eine doppelte Rolle zu: Er ist einerseits Gläubiger, andererseits beeinflusst er durch seine rechts- und sozialpolitischen Vorgaben direkt und indirekt die Situation ver- und überschuldeter Haushalte", so Peters.

Steigende Wohn- und Ernergiekosten belasten

Ein gutes Drittel (33,35 Prozent) der Ratsuchenden hatte 2021 Schulden von weniger als 10.000. Bei 22 Prozent sind es zwischen 10.000 und 20.000 Euro. Bei weiteren 21,4 Prozent sind es mehr als 40.000 Euro. Besonders belastend für verschuldete Verbraucher sind vor allem die Wohnkosten. Deren Anteil liegt bei einem Viertel der Beratenen zwischen 31 und 40 Prozent und bei immerhin 22 Prozent der Ratsuchenden sogar zwischen 41 und 50 Prozent. Bei zehn Prozent der Verbraucher, die zur Schuldnerberatung gehen, machen die Wohnkosten sogar mehr als 60 Prozent der Ausgaben aus. 

Die Menschen belastet laut der Iff-Auswertung der durch Lockdowns und Homeoffice ausgelöste höhere Energieverbrauch sowie die aktuell steigenden Preise für Gas oder Öl. "Energiepreisschocks sind besonders belastend, weil sie über die Produktion und den Transport indirekt auf die Preise nahezu aller anderen Güter und Dienstleitungen wirken", beschreib Silke Tober, Leiterin des Referats Geldpolitik am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf, die Auswirkungen in ihrem "Wirtschaftsdienst"-Beitrag (Ausgabe 6 | 2022). 

Für den aktuellen Überschuldungsreport sind die befragten Experten der Beratungsstellen daher auch auf die gestiegenen Energiekosten eingegangen. Sie gaben an, dass für Geringverdiener und sozialleistungsbeziehende Personen oft sogar Ratenvereinbarungen bei Zahlungsschwierigkeiten eine große Hürde darstellen. Die von den Energieversorgern verlangten Raten seien oft so hoch, dass sie von den Schuldnern nicht zuverlässig bedient werden können. In diesem Szenario lehnen die Unternehmen künftige Ratenzahlungen dann häufig mit Hinweis auf die nicht eingehaltene Vereinbarungen ab. Peters zufolge rolle daher "auf Armutsbetroffene und Geringverdiener die nächste Katastrophe zu". 

Verbraucherinsolvenz als letzter Ausweg

Häufig ist eine sogenannte Verbraucherinsolvenz für Betroffene der letzte Ausweg. Dabei handelt es sich um ein vereinfachtes Insolvenzverfahren, das in der Insolvenzordnung (InsO) geregelt ist, wie die Springer-Autoren Wolfgang Grundmann und Rudolf Rathner im Buchkapitel "Maßnahmen gegen Kreditgefährdungen" erläutern (Seite 112): 

Ziel der Privatinsolvenz ist es, hoch verschuldeten Privatpersonen nach einer gewissen Zeit einen Neuanfang zu ermöglichen, indem der Schuldner nach Ablauf der sogenannten Wohlverhaltensperiode und Abschluss des Insolvenzverfahrens von der Pflicht zur Tilgung der restlichen Schulden befreit wird (Restschuldbefreiung)."

Ursprünglich galt die Wohlverhaltensphase sechs Jahre - unabhängig davon, ob und wie viel seiner Schulden der Betroffene beglichen hat und ob die Verfahrenskosten bezahlt wurden. Nach der Gesetzesreform, mit der eine EU-Richtlinien umgesetzt wurde, tritt bei Insolvenzanträgen, die ab dem 1. Oktober 2020 gestellt wurden, die Restschuldbefreiung nun bereits nach drei Jahren ein. Für Anträge, die zwischen dem 17. Dezember 2019 und dem 30. September 2020 gestellt wurden, gelten ebenfalls gekürzte Fristen, die monatsweise gestaffelt sind. 

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