Ein eigenes Produkt oder eine neue Marke zu entwickeln, gehört für bekannte Influencer mittlerweile zum Geschäft. Die Social-Media-Stars werben immer mehr in eigener Sache und handeln unternehmerisch. Der Beginn eines Kurswechsels?
Begeisterte Follower kaufen zwar Vieles, was ihre Social-Media-Stars bewerben, doch sie werden auch immer kritischer. Influencer wollen also gut ausgewählt sein..
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Für große Social-Media-Stars mit Hunderttausenden oder gar Millionen Abonnenten bilden Produktplatzierungen für werbetreibende Unternehmen nur noch einen Teil ihres florierenden Geschäfts. Auch klassisches Merchandising, bei dem bekannte Persönlichkeiten und ein bereits bestehendes Produkt miteinander verzahnt werden, ist für sie nicht mehr das Mittel der ersten Wahl. Denn mittlerweile verfügen die reichweitenstarken Influencer über so viel Eigenkapital, dass sie selbst zu Unternehmern mit eigenen Produkten und Marken aufgestiegen sind. Diese bewerben sie auf ihren sozialen Kanälen, betreiben Influencer-Marketing mit Branchenkollegen und sorgen damit regelmäßig für Verkaufsschlager.
Gestandene Social-Media-Größen emanzipieren sich dadurch mehr und mehr von zahlenden Werbepartnern. Das bewirkt jedoch nicht etwa einen Rückgang der Werbelastigkeit in den sozialen Medien. Vielmehr zieht diese Entwicklung zwei Handlungsoptionen für Social-Media-Marketer nach sich: Entweder sie greifen immer tiefer in die Tasche, um große Influencer für einen Werbedeal zu gewinnen. Oder sie unterbreiten ihren Werbepartnern ein Kooperationsangebot, das neben lukrativen Verdienstmöglichkeiten auch ihren Ruhm vergrößern kann.
Produkte als Fan-Artikel
Vor allem in der Kosmetik- und Bekleidungsbranche entscheiden sich Unternehmen immer häufiger für den zweiten Weg. Die Karlsruher Drogeriekette Dm beispielsweise setzt systematisch auf Neuproduktentwicklungen mit wechselnden Influencern und erzielt damit einen enormen Umsatz. Die Kosmetiklinie "Bilou" der Youtuberin Bianca Heinicke etwa löste 2014 zum Verkaufsstart einen regelrechten Hype bei den weiblichen Fans aus. "In den ersten Tagen generierten die Produkte eine so hohe Nachfrage, dass die Bestände schnell ausverkauft waren", erinnert sich Springer-Autor Frank Deges im Kapitel "Fünfter Schritt: Kampagnenmanagement" des Buchs "Quick Guide Influencer Marketing" (Seite 111). Es ist indes fraglich, ob die Dusch-Schäume auch ohne Bianca Heinickes Popularität bei den jungen Verbrauchern beliebt wären, da das Kernprodukt nicht anders als viele andere Markenprodukte konzipiert ist.
Die Vermutung liegt jedenfalls nahe, dass sich die Follower durch einen Kauf in erster Linie ihrem Youtube-Idol annähern möchten und das Produkt mehr oder weniger beliebig ist. Eine Trennung zum Fan-Artikel liegt in diesem Fall nicht mehr vor. "Bei diesem Marken- und Kommunikationsmodell besteht die Positionierung in einer "Produktifzierung" der Person Heinickes alias Bibi. Das heißt, Markenpositionierung, Testimonial und Infuencer werden quasi eins und eine enorme Reichweite wird generiert, noch bevor das Produkt überhaupt am Markt erhältlich ist", bestätigen die Springer-Autoren Annette Bruce und Christoph Jeromin im Buchkapitel "Markenstrategischer Fit im Influencer-Marketing: Die Marke im Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Freiheit" (Seite 61).
Zwischen Hype und Shitstorm
Für Dm bedeutete der Erfolg von Bilou so etwas wie einen Startschuss, das Konzept der Influencer-Produkte weiterzuführen. Seither sind beinahe sämtliche weibliche Social-Media-Größen wechselweise in den Drogerieregalen vertreten. Doch bedient dieses Angebot tatsächlich den Kundenbedarf? In den sozialen Netzwerken scheiden sich dazu die Geister. Vor allem die jüngere Anhängerschaft im Teenager-Alter reagiert auf die Produkteinführungen ihrer Idole stets positiv. Die Älteren hingegen sehen den Produktüberfluss in Drogerien zunehmend kritisch.
So zum Beispiel, als das beliebte Social-Media-Paar Maren und Tobias Wolf ihre eigens entworfenen Duschprodukte der Dm-Hausmarke Balea auf ihren sozialen Kanälen präsentierten. Ein Jahr lang harte Arbeit sei diesen Produkten vorausgegangen, betonen sie und kassieren damit höhnische Kommentare wie "lächerlich". Einige Nutzer melden sich darüber hinaus zu Wort, dass ihre kritischen Statements gelöscht worden seien. Gutes Marketing sieht anders aus und gerade die so genannten Social-Media-Stars sollten sich darüber im Klaren sein.
Glaubhafte Markenkonzepte
So jung der Markt für Influencer-Produkte ist, so schnell stellt sich also stellenweise eine Übersättigung ein, wie bei allen Trends, die überpenetriert werden. Für Social-Media-Idole und kooperierende Unternehmen geht es daher zunehmend darum, echte Verbraucherbedürfnisse zu erkennen, die im Anschluss in zukunftsfähige, glaubwürdige Markenkonzepte übertragen werden müssen. Einige Influencer sind in diesem Bereich bereits sehr erfolgreich und haben eigene Unternehmen gegründet. Neben Modelabels und Kosmetiklinien finden sich hier sogar alternative Konzepte, wie der auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz ausgerichtete Shop der Braunschweiger Influencerin Louisa Dellert. Wie viele andere ihrer Branchenkollegen hat sie ein Buch herausgebracht, das bei ihren Followern auf großen Zuspruch stieß.
Influencer, die sich über einzelne Produkte hinaus entwickeln und mit ihren eigenen Labels an den Verkaufsstart gehen, haben auch wegen ihrer Branchenkollegen gute Erfolgsaussichten: Die Werbeprofis bewerben sich einfach gegenseitig und erzielen damit eine größere Glaubwürdigkeit als es bei klassischen Produktplatzierungen durch zahlende Unternehmen der Fall ist. Auch im Fall von Bilou sind sich Bianca Heinicke und die produzierende Dachfirma Nuwena sicher, dass die Dusch-Schäume mehr als ein Influencer-Produkt sind. Künftig wollen sie damit auch in Asien durchstarten und nutzen für die Vermarktung die chinesische Webo-Influencerin Chonny.