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21-01-2025 | Quantum Computing | Interview | Article

"An Finanzmärkten bieten Quantencomputer wichtige Vorteile"

Author: Angelika Breinich-Schilly

4:30 min reading time

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Im Gespräch mit springerprofessional.de erklärt Cognitive-Finance-Experte Heinz-Werner Rapp, wie Qubits und Quanteneffekte klassische Computer revolutionieren und warum Quantencomputing zum Gamechanger für die Finanzwelt werden könnte.

springerprofessional.de: Wie unterscheidet sich die Rechenleistung eines Quantencomputers von der eines klassischen Computers? Wie sehen die technischen Herausforderungen für den breiten Einsatz aus?

Heinz-Werner Rapp: Ein klassischer Computer hat Schaltkreise nach dem Transistor-Prinzip. Diese haben immer nur zwei aktive Schaltzustände, I und 0. Im Gegensatz dazu verarbeitet ein Quantencomputer sogenannte Qubits, die auf Grundlage quantenphysikalischer Effekte gleichzeitig eine Vielzahl unterschiedlicher Zustände annehmen. Dadurch kann ein Quantencomputer massive Parallelrechnungen vornehmen, was bei komplexen Rechenoperationen zu einer enormen Beschleunigung führt. Selbst im Vergleich zu heutigen Supercomputern liegt dieser Effekt im Bereich mehrerer Zehnerpotenzen. Ein hochkomplexes Rechenproblem, für das ein Supercomputer tausende von Jahren benötigen würde, könnte von einem Quantencomputer in wenigen Minuten gelöst werden. Allerdings sind die technischen Herausforderungen immens - sowohl für den Bau als auch für den laufenden Betrieb. Quantenrechner benötigen derzeit noch eine aufwendige Kühltechnik, oft in Verbindung mit sogenannten Supraleitern. Um die Qubits zu stabilisieren, muss der Kern auf Temperaturen von minus 273 Grad gekühlt werden. Zudem sind noch komplizierte Fehlerkorrekturprozesse erforderlich. 

Welche Fortschritte wurden bisher bei der Entwicklung eines stabilen und fehlerresistenten Quantencomputers erzielt? Sind wir bereits nahe an der Realisierung eines praktikablen Quanteninternets herangerückt?

Weltweit arbeiten Spitzenforscher, spezialisierte Institute und große Konzerne am Ziel stabiler und skalierbarer Quantencomputer. Selbst kleine Entwicklungsschritte bringen dabei oft entscheidende Durchbrüche. Zuletzt hat Google mit seinem neuen Quantenchip Willow, der mit 105 Qubits arbeitet und neuartige Verfahren zur Fehlerkorrektur einsetzt, nicht nur die Fachwelt überrascht, sondern sogar Elon Musk begeistert. Der Willow-Chip soll nicht nur bisher mögliche Rechenleistungen um weitere Zehnerpotenzen übertreffen, sondern könnte auch ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zu einer breiten Anwendung von Quantenrechnern sein. Theoretisch rückt dadurch auch die Entwicklung eines quantenbasierten Internets näher, doch diese Vision liegt wohl noch einige Jahre in der Zukunft. 

Wie können Quantenalgorithmen speziell in der Finanzmathematik genutzt werden, um Probleme wie die Bewertung komplexer Derivate oder die Modellierung von Marktvolatilität effizienter zu lösen?

Speziell an den Finanzmärkten mit ihrer Vielzahl dynamischer Einflussfaktoren bieten Quantencomputer wichtige Vorteile, denn: Bei einer Vielzahl komplexer Finanzprodukte, darunter Optionen oder neuartige Smart Contracts, ändern sich fortlaufend wichtige Variablen und Bewertungsparameter. Quantencomputer könnten diese Effekte permanent erfassen und selbst hochkomplexe Auswirkungen auf entsprechende Preis- oder Risikomodelle in Echtzeit berechnen. Dies könnte die Finanzmärkte effizienter und Portfolios robuster machen, zugleich aber auch bisherige Transaktionsformen und Handelssysteme revolutionieren. Ein Großteil der Finanzmarkt-Aktivitäten könnte dann weitgehend automatisiert ablaufen – allerdings mit noch sehr viel höherer Geschwindigkeit und Tiefe als heute schon.

In welchen Bereichen der Finanzwirtschaft, etwa in der Portfolio-Optimierung, dem Risikomanagement oder dem Hochfrequenzhandel, erwarten Sie die größten disruptiven Effekte durch die Quantentechnologie? Gibt es bereits Pilotprojekte? 

Ähnlich wie vor einigen Jahren der Hochfrequenzhandel professionellen High-Tech-Tradern massive Vorteile verschaffte, wird sich dies wohl bei Quantencomputern wiederholen. Speziell große US-Banken und finanzstarke Hedge-Fonds dürften zu den Anwendungspionieren zählen, denn die stärksten Use Cases existieren im Bereich hochkomplexer Arbitrage-Modelle und sophistischer Trading-Algorithmen. Mit einiger Sicherheit wurden bereits erste Pilotprojekte am Markt aktiviert, allerdings noch ohne direkte Bestätigung. Doch über Spezialisten wie D-Wave, die per Cloud den Zugriff auf die Rechenleistung von Quantencomputern anbieten (Quantum-as-a-Service), sind entsprechende Testanwendungen jederzeit möglich.

Kann Quantencomputing aus Ihrer Sicht die Weichen im Wettbewerb von Fin- und Insurtechs, etablierten Banken und Versicherern stellen? Welche Rolle spielen hierbei vorhandene Ressourcen? 

In allen genannten Bereichen geht es um die möglichst schnelle, effiziente und vollständige Verarbeitung von oftmals sehr komplexen Daten. Die Nutzung der enormen Rechenleistung eines Quantencomputers bietet dabei potenziell sehr große Wettbewerbsvorteile. Mögliche Profiteure sind sowohl etablierte Anbieter als auch neu formierte Fintechs und Insurtechs. Entscheidend ist die schnelle Transformation stark datengetriebener Geschäftsmodelle in ein vollständig digitales Setup. Hinzu kommt die Verfügbarkeit kritischer Ressourcen - neben Finanzkraft und Quantenkompetenz auch genügend Mitarbeiter mit digitaler Expertise.

Welche Bedrohungen birgt die neue Technologie für die derzeitigen kryptographischen Standards? Unternehmen Finanzdienstleister bereits Schritte, um ihre Daten und Transaktionen vor zukünftigen Quantenangriffen zu schützen?

Quantencomputer können schon heute zahlreiche Verschlüsselungsverfahren durchbrechen, mit denen kritische Daten oder Kommunikationskanäle gesichert sind. Mit fortschreitender Entwicklung stabiler Quantenrechner wird diese Bedrohung exponentiell zunehmen, nicht zuletzt auch für viele der heute existierenden Kryptowährungen. Erforderlich sind deshalb völlig neue Verschlüsselungsverfahren, die explizit quantensicher sind. Vorreiter der Krypto-Szene, aber auch Militär und Geheimdienste in den USA arbeiten bereits an entsprechenden Konzepten. Banken und Finanzdienstleister müssen ebenfalls schnell nachziehen, wenn sie nicht ihre wertvollen Geschäftsmodelle und Kundendaten aufs Spiel setzen wollen.

Wie sollten Unternehmen der Finanzbranche ihre Innovations- und Investitionsstrategien anpassen, um von den Vorteilen des Quantencomputings zu profitieren und zugleich dessen potenzielle Risiken zu minimieren?

Unternehmen der Finanzbranche sollten mit Hochdruck daran arbeiten, Quantenkompetenz aufzubauen und entsprechendes Expertenwissen im Haus zu entwickeln. Quantencomputer sind ein technologischer Gamechanger, der massive Disruptionen auslösen und nachlässige Akteure schnell zu Verlierern machen wird. Deshalb sollten laufend mögliche Anwendungen im eigenen Geschäftsmodell geprüft werden. Zusätzlich muss aber auch der Aufbau quantensicherer Infrastruktur fest im Fokus der Branche verankert werden. Nicht zu unterschätzen ist künftig auch das enge Zusammenspiel von Quantencomputern mit mächtigen KI-Systemen, das zu exponentiellen Leistungsexplosionen führen dürfte. 
 

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