Die hier vorgelegte Studie über Rating-Agenturen fasst jene als die relevanten Akteure auf Finanzmärkten, die eine kulturelle Praxis des Bewertens im Sinne eines organisationalen Zahlengebrauchs historisch vermittels kalkulativer Praktiken sowie ein globales Netzwerk zur Beherrschung des Finanzmarktes standardisiert und institutionalisiert haben. Hier sind dreierlei Weisen zentral: Das Rating von Organisationen selbst, das von sog. "strukturierten Finanzprodukten" sowie das ganzer Volkswirtschaften. Nachgezeichnet wird der historischee Konstitutionsprozess des Ratens bzw. der Rating-Agenturen, der in den USA des 19. Jhds. beginnend seine globale Dynamik entfaltete. Sodann werden organisationale kalkulative - zunehmend digitalisierte - Praktiken sowie das globale Rating-Netzwerk dargelegt. Insgesamt ist so ein "Finanzmaktkapitalismus" entstanden, der seinerseits in einen "Organisationalen Neoliberalismus" eingebettet ist.
Ratings sind allgegenwärtig: Hotels, Restaurants, Hochschulen, Finanzprodukte, aber auch ganze Volkswirtschaften werden bewertet. Die unterschiedlichen Ratinggegenstände und -formen lassen sich häufig in der Praxis zahlreicher Unternehmen finden und sind darüber hinaus nicht selten Themen betriebswirtschaftlicher Forschungen.
In einer ersten Annäherung ist es zunächst hilfreich, die signifikanten Unterschiede zu Kontinental-Europa herauszuarbeiten. Versucht man, die Hauptmerkmale der traditionellen Unterschiede zwischen den angelsächsischen und kontinentaleuropäischen Wirtschaftssystemen herauszuarbeiten, gelangt man zu Folgendem: Das angelsächsische System ist seit jeher traditionell kapitalmarkt-, investment- und aktienorientiert.
Gleich, ob die hier innerhalb dieser Arbeit dargelegten Rating-Praktiken sich auf Unternehmen, Staaten oder Finanzprodukte (vgl. Hiß und Nagel 2012) beziehen, kaum jemand könnte ernsthaft bezweifeln, dass Bewertungspraktiken in Bezug auf diese Gegenstände sich auf Märkten vollziehen (vgl. auch Abschn. 2.2). Märkte stellen in gewisser Weise das „Kernstück der Wirtschaft“ (Aspers 2007: 431) dar. Fokussieren wir an dieser Stelle eher weniger Marktsituationen für Länderratings, sondern solche für Unternehmen bzw. ihre Produkte, dann kann man sagen, dass nahezu sämtliche ökonomische Organisationen unterschiedlichen Markttypen, be-sonders Arbeitsmärkten, Beschaffungsmärkten, Personalmärkten und vor allem: Kapitalmärkten, ausgesetzt sind (vgl. Gleißner und Füser 2014: 1).
Die Analyse des ‚Handelns‘ von Rating-Agenturen – im weitesten Sinne – kommt nicht daran vorbei, ein Phänomen aus Alltag und Wissenschaft aufzugreifen, welches den finanzmarktlichen Diskurs seit mindestens 2007 dominiert: Das Phänomen der Krise. Von einer „Finanzmarktkrise“, auch ist von „Schulden-“ oder „Eurokrise“ ist die Rede.