Entspricht die in Deutschland und in Europa aktuell betriebene Klimapolitik den Anforderungen an eine ökonomisch rationale Klimapolitik? Dem ist mitnichten so. Man erkennt unschwer, dass die ökonomische Rationalität in der Klimapolitik praktisch keine Rolle spielt – und zwar sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene.
5.1 Kosteneffizienz und deutsche Klimapolitik
Da wir in einer Welt der Knappheit leben, sollte es auch in der Klimapolitik das zentrale Ziel sein, die volkswirtschaftlichen Kosten des Klimaschutzes möglichst gering zu halten. Dies ist dann gewährleistet, wenn die Reduktion der Treibhausgasemissionen kosteneffizient vorgenommen wird, wenn also die „jeweils nächste Einheit Treibhausgasemissionen dort eingespart wird, wo dies nach dem aktuellen Stand der (technischen) Gegebenheiten am günstigsten möglich ist“ (SVR
2019, S. 11). Da niemand schon im Voraus weiß, was die langfristig kostengünstigste Option oder Technologie ist, ist es daher unumgänglich, einen gesellschaftlichen Suchprozess nach den kostengünstigsten Vermeidungsoptionen in Gang zu setzten. Dieser Suchprozess ist umso effizienter, je mehr Akteure aus den verschiedenen Ländern und Sektoren beteiligt sind, was einen einheitlichen, alle volkswirtschaftlichen Sektoren umfassenden Ansatz erfordert (SVR
2019, S. 11–12).
Im Gegensatz dazu ist die Klimapolitik in Deutschland – nach Meinung des Sachverständigenrats (
2019) und des Wissenschaftlichen Beirats beim BMWi (
2019) – kleinteilig, ineffizient und leistet (fast) keinen Beitrag zur klimapolitisch erwünschten Verringerung der Treibhausgasemissionen. Dies gilt vor allem für das im Jahr 2000 eingeführte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das den Ausbau erneuerbarer Energien bei der Stromerzeugung fördert und zu diesem Zweck feste Einspeisevergütungen für erneuerbare Energieanlagen garantiert und für diese eine Anschlusspflicht und den Einspeisevorrang vorsieht. Kernelement ist die technologiespezifische umlagefinanzierte Förderung über eine garantierte Laufzeit von 20 Jahren (die sogenannte „EEG-Umlage“). Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWA (
2004, S. 6) hatte schon im Jahr 2004 darauf hingewiesen, dass eine direkte Förderung erneuerbarer Energien (durch das EEG) innerhalb des übergreifenden EU-Emissionshandelssystem keinen Beitrag zur Verringerung der Treibhausgasemissionen erbringt, sondern nur zu einer Verlagerung in andere Länder führt. Im Übrigen ist fraglich, ob (allein oder hauptsächlich) mit regenerativen Energien und – auf absehbare Zeit – ohne ausreichende Stromspeicher die Versorgungssicherheit für den Industriestandort Deutschland in Zukunft gewährleisten werden kann (Farnung
2021). Der Kohleausstiegsbeschluss, die massive Förderung der Elektromobilität und das „Klimapaket 2030“ sind weitere Weichenstellungen der deutschen Klimapolitik, die diese Linie fortführen. Hinzu kommt, dass all diese nationalstaatlichen energie- und klimapolitischen Entscheidungen Deutschlands ohne enge Abstimmung mit seinen Nachbarn bzw. mit der EU erfolgt sind, was angesichts der Tatsache, dass es sich beim Klimaproblem um das grenzüberschreitende Umweltproblem par excellence handelt, doch mehr als nur ein wenig erstaunt.
Angesichts eines solchen Vorgehens überraschen enorme Ineffizienzen bei der Reduktion von CO
2-Emissionen nicht. Bei einem Vergleich der durchschnittlichen errechneten CO
2-Vermeidungskosten (in Euro/t vermiedener CO
2-Emissionen) kommt man je nach den getroffenen Annahmen zwar zu unterschiedlichen Aussagen, deren Grundtenor jedoch eindeutig ist: Eine Studie der Initiative CO
2-Abgabe beziffert die spezifischen CO
2-Vermeidungskosten der Windenergie onshore auf ca. 1900 € und die der Photovoltaik auf ca. 1874 € (CO
2-Abgabe
2019, S. 10). Für den Bereich der Elektromobilität sind die spezifischen Vermeidungskosten – wie Weimann (
2020, S. 894) jüngst dargelegt hat – auf 1100 bis 1200 €/t zu veranschlagen. Für den Kohleausstieg, dessen Gesamtkosten mindestens 100 Mrd. € betragen werden, lassen sich die spezifischen Vermeidungskosten noch nicht genau beziffern, aber es deutet viel darauf hin, dass die Abschaltung moderner Kohlekraftwerke nicht die kostengünstigste Möglichkeit zur Reduktion von CO
2-Emissionen darstellt (BDI
2020; Weimann
2019). Wenn man diese hohen Vermeidungskosten dem derzeitigen Marktpreis im EU-ETS von ca. 40 € pro Tonne CO
2-Emissionen gegenüberstellt, so ergibt sich ein Faktor von ca. 27 bis 48, um den die aufgeführten CO
2-Vermeidungsmaßnahmen bzw. -technologien teurer sind als der EU-ETS-Preis. Es ist klar, dass wir mit diesen verschiedenen Maßnahmen bei weitem nicht den kosteneffizientesten Weg eingeschlagen haben und genau das Gegenteil einer volkswirtschaftlich effizienten Klimapolitik betreiben. Hinzukommt, dass diese allenfalls auf nationaler Ebene effektiv ist, also eine Reduktion der CO
2-Emissionen bewirken kann. Auf europäische Ebene ist die deutsche Klimapolitik dagegen zum größten Teil ineffektiv. Insbesondere lässt sich, was die Stromerzeugung angeht, innerhalb des übergreifenden EU-ETS,
keine Vermeidungswirkung erzielen – zumindest nicht ohne weitere Maßnahmen, die ihrerseits zusätzliche Kosten verursachen würden.
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5.2 Der europäische Green Deal
Im Dezember 2019 haben sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der EU auf den von der EU-Kommission vorgeschlagenen „Green Deal“ politisch geeinigt.
8 Beim europäischen Green Deal handelt es sich laut EU-Kommission um eine Wachstumsstrategie, mit der die EU zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft werden soll. In der Folge hat die Kommission einen Vorschlag für ein „Europäisches Klimagesetz“ vorgelegt, in dem das Ziel der Klima- bzw. Treibhausgasneutralität der EU bis zum Jahr 2050 rechtsverbindlich festgeschrieben wird (Europäische Kommission
2019). Dazu will die EU alle Sektoren – Energiewirtschaft, Gebäude, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft – einbinden und Maßnahmenpakete zur Emissionsminderung und Ressourcenschonung implementieren. Dies wird mit weitreichenden Konsequenzen für die Wirtschaft und für das Leben der Bürger in der EU verbunden sein, die aber erst in den nächsten Monaten und Jahren transparent werden.
Doch ist der Green Deal überhaupt klimapolitisch sinnvoll und wirtschaftspolitisch tragbar? Wir haben schon dargelegt, dass es angesichts der globalen Natur des Klimaproblems wenig sinnvoll ist, dass einzelne Länder als Vorreiter vorangehen. Die EU-Kommission hat es dennoch getan und sich die Empfehlungen des IPCC zu eigen gemacht und selbst ambitionierte Ziele formuliert. Was im Pariser Abkommen noch eine weitgehend politische Deklaration der 195 Unterzeichnerstaaten war, hat die EU nun rechtsverbindlich festgelegt: Die Nettoemission von Treibhausgasen soll bis zum Jahr 2050 auf null sinken und als Zwischenziel wird für das Jahr 2030 eine Reduktion um mindestens 55 % (gegenüber 1990) angestrebt (Von der Leyen
2020). Dies entspricht einer tatsächlichen Reduktion um bis zu 48 % gegenüber dem Jahr 2010, was das herausfordernde Ambitionsniveau der EU widerspiegelt. Da der Anteil der EU an den weltweiten Treibhausgasemissionen aber lediglich ca. 10 % beträgt (2017), wird die EU auch bei vollständiger Erreichung ihrer eigenen Klimaziele keine spürbare Reduktion der Gesamtemissionen und damit keine Stabilisierung des Klimas weltweit bewirken können.
Gleichzeitig ist zu erwarten, dass die anderen Länder zunächst einmal abwarten und selbst keine teure Klimapolitik betreiben. Und es ist sogar möglich, wie in Teil 3 gezeigt wurde, dass die einseitigen Maßnahmen der EU nicht nur nicht zu einer aktiveren Klimapolitik in anderen Ländern, sondern sogar zu höheren Treibhausgasemissionen in diesen führen – und dann wäre der Nettoeffekt des Green Deal auf die globalen Emissionen sogar noch geringer, als es dem bescheidenen Anteil der EU an diesen Emissionen entspricht. Es bleibt festzuhalten, dass einseitige Klimaschutzmaßnahmen wie der europäische Green Deal weder in klimapolitischer noch in wirtschaftspolitischer Hinsicht sinnvoll sind.
Um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, muss nach Ansicht der EU-Kommission eine erhebliche „Investitionslücke“ geschlossen werden, was zusätzliche private und öffentliche Investitionen in Höhe von 260 Mrd. € pro Jahr bis 2030 notwendig macht (Europäische Kommission
2019, S. 18–21). Da die Vermeidungskosten tendenziell sicher nicht sinken werden, werden sogar noch weitaus höhere Summen bis zum Jahr 2050 jährlich erforderlich sein, um das ambitionierte Klimaziel der EU zu erreichen. Bis zum Jahr 2050 dürften sich die privaten und öffentlichen Investitionen daher auf mindestens 7800 Mrd. € belaufen. Die insgesamt anfallenden Kosten, zu denen beispielsweise auch die Belastung von Industrie und Haushalten durch höhere Energiepreise gehört, dürften noch wesentlich höher sein. Modellrechnungen zeigen, dass nur für Deutschland eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 95 % (bezogen auf 1990) Kosten von über 1,5 bis 2,3 Billionen Euro verursachen würde – und dies unter der Voraussetzung kosteneffizienter Reduktionsmaßnahmen (vgl. BDI
2018, S. 10–18). Berücksichtigt man, dass eine Reduktion der Emission aller Treibhausgase um fast 100 % in der gesamten EU angestrebt wird und dass die Reduktionskosten pro Einheit Treibhausgasemission stark ansteigen, je mehr die Emissionen schon reduziert wurden, dann dürften die Gesamtkosten schätzungsweise in der Größenordnung von 15 bis 20 Billionen Euro liegen.
9 Dies ist ein stolzer Preis für einen minimalen Klimaeffekt.
Wenn man aber akzeptiert, dass aus nichtökonomischen Gründen die Emissionsziele des europäischen Green Deal gesetzt sind, so kann gefragt werden, mit welchen Instrumenten man diese Ziele erstens erreichen (Effektivität) und zweitens die dabei entstehenden Kosten minimieren kann (Effizienz). Dafür sind prinzipiell sowohl eine einheitliche Treibhausgassteuer als auch ein einheitliches Treibhausgas-Zertifikatssystem geeignet (vgl. Teil 4.2). Beides existiert in der EU nicht. Stattdessen gibt es ein Nebeneinander von einerseits EU-weiten klimapolitischen Maßnahmen und andererseits unterschiedlichen nationalen Regelungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Daran wird sich auch durch den Green Deal nichts ändern. Der „Maßnahmenkatalog“, den die EU-Kommission als Anhang zum europäischen Green Deal vorgelegt hat, enthält zwar Ziele, Absichtserklärungen und Appelle – aber eben kaum konkrete Maßnahmen. In Artikel 5 und 6 der Verordnung ist vielmehr die Rede von der „Bewertung der Fortschritte und Maßnahmen der Union“ und der „Bewertung der nationalen Maßnahmen“. Man muss also davon ausgehen, dass es bei dem bisherigen Nebeneinander europäischer und nationaler Maßnahmen bleiben wird, was sowohl die Effektivität als auch die Effizienz der Klimapolitik der EU beeinträchtigen wird.
Klimapolitische Instrumente können entweder effektiv sein, d. h. zur Reduktion der Treibhausgasemissionen beitragen – oder eben nicht. Im ersten Fall kann man außerdem überlegen, ob das Instrument auch effizient ist, d. h. keine unnötigen Kosten verursacht – oder eben nicht. Im zweiten Fall liegt immer Ineffizienz vor, denn wenn ein Instrument nichts zur Zielerreichung beiträgt, dann ist es zwangsläufig ineffizient, gleichgültig, wie hoch die Kosten sind. Wir werden zeigen, dass gerade das Nebeneinander europäischer und nationaler Maßnahmen auf jeden Fall und zwangsläufig Kostenineffizienzen verursacht, da jedes Abweichen von EU-weiten einheitlichen Maßnahmen vermeidbare Kosten nach sich zieht.
Auf EU-Ebene gibt es mit dem europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) seit 2005 ein Instrument, das effektiv und effizient zugleich ist: Es gilt für die Energiewirtschaft, die verarbeitende Industrie und auch (seit 2012) für den europäischen Flugverkehr und umfasst ca. 45 % der in Europa entstehenden CO
2-Emissionen.
10 Es liegt im Wesen eines solchen Systems, dass die politisch vorgegebene Emissionsobergrenze („cap“) nicht überschritten wird, dass aber der Preis für Zertifikate am Markt („trade“) durchaus schwanken kann bzw. soll. Die bisherigen Emissionsreduktionen zeigen, dass dieses System in dem Sinne erfolgreich war, als dass es das ihm gesteckte Ziel (Verringerung der CO
2-Emissionen der betreffenden Sektoren bis 2030 um 40 % gegenüber 1990) zum Großteil schon erreicht hat und auf dem besten Wege ist, dieses vollständig zu erreichen – und zwar zu minimalen Kosten (Weimann
2019, S. 9). Anlass zu Kritik gibt nicht das System als solches, sondern die Tatsache, dass es bislang nicht konsequent genug angewendet wurde und deshalb sein Potenzial, die CO
2-Emissionen effektiv und effizient zu reduzieren, nur zum Teil genutzt wurde.
Einerseits wird in verschiedenen Wirtschaftssektoren mit unterschiedlichen Instrumenten Klimapolitik betrieben: Beispielsweise gelten im Verkehrssektor Verbrauchs- bzw. CO
2-Emissionsvorschriften für Kraftfahrzeuge („Flottengrenzwerte“) und, damit verbunden, „Strafzahlungen“ für deren Hersteller. Da es beim Klimaproblem ja um die absolute Menge an Emissionen geht, macht es aber keinen Sinn, eine CO
2-Bepreisung auf die relativen Emissionen (CO
2-Ausstoß/km) und nicht auf die absoluten Emissionen abzustellen. Wesentlich sinnvoller wäre es, das CO
2-Zertifikatssystem auf den gesamten Verkehrssektor (und auch den Gebäudesektor) auszudehnen. Dann würden sich auch die verschiedenen Anreize auf nationaler Ebene zum Erwerb von Elektrofahrzeugen erübrigen, die – wie schon das EEG – eine technologie- und sektorspezifische, mithin also ineffiziente Subventionierung darstellen. Mit der Verteuerung von konventionellen Kraftstoffen würden stattdessen alle alternativen Antriebsformen attraktiver und das beste Konzept würde sich im Wettbewerb durchsetzen – sei es das Elektroauto, der Wasserstoffantrieb oder ein optimierter Verbrennungsmotor oder eine Mischung von allen. Ähnlich könnte man hinsichtlich der Vorgaben zur Wärmedämmung und zum Energieverbrauch von Gebäuden argumentieren: Diese könnten dadurch überflüssig werden, dass man das CO
2-Zertifikatssystem auf alle fossilen Brennstoffe für die Wärmeerzeugung anwendet (also Heizöl und Erdgas). Und dann hätte auch die in Deutschland und den anderen EU-Mitgliedsstaaten auf fossile Brennstoffe erhobene Energiesteuer, die ja vor allem mit der Klimaschädlichkeit dieser Energieträger begründet wird, keine Daseinsberechtigung mehr – genauso wenig wie die als Teil des deutschen „Klimapakets 2030“ geplante CO
2-„Abgabe“ auf Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas.
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Andererseits werden auch in den schon jetzt unter das EU-ETS fallenden Sektoren zusätzliche Maßnahmen ergriffen (z. B. das Glühlampenverbot oder die Stromverbrauchsgrenzwerte für Staubsauger und andere Elektrogeräte). Diese zusätzlichen Restriktionen sind im Rahmen des übergreifenden EU-ETS nicht nur überflüssig, sondern verursachen auch unnötige Kosten und bewirken letztlich nur eine Verlagerung der CO2-Emissionen in andere Sektoren.
Es ist nicht zu erkennen, dass es im Zuge des ambitionierten und kostenintensiven Green Deal zu einer grundsätzlichen Reform der bisherigen ineffektiven, ineffizienten und teuren Klimapolitik kommen wird – ganz im Gegenteil. Deshalb muss man davon ausgehen, dass die Realisierung des Green Deals noch wesentlich teurer wird, als eigentlich notwendig wäre und die oben genannten Kostenschätzungen noch weit übertroffen werden – und dass angesichts eines Emissionsziels, welches auf die Entwicklung des weltweiten Klimas allenfalls einen vernachlässigbaren Einfluss haben wird. Damit hat die EU-Kommission die Chance vertan, aus dem unkoordinierten Nebeneinander der vielfach unsystematischen nationalen Klimapolitiken der Mitgliedsländer durch den Green Deal eine einheitliche und stringente EU-weite Klimapolitik zu entwickeln.
Der Green Deal, so wie er jetzt konzipiert ist, wird ein weiteres Problem verursachen, das in der öffentlichen Diskussion bislang zu kurz gekommen ist (vgl. zum Folgenden z. B. Quick
2019). Wenn andere Länder dem Beispiel der EU nicht folgen, was – wie wir oben gezeigt haben – realistischer Weise zu erwarten ist, werden die in der EU ansässigen Unternehmen erhebliche Wettbewerbsnachteile durch höhere Energie- und Produktionskosten haben. Dies wird zu Produktionsverlagerungen oder zu Marktanteilsverlusten führen. Um dem entgegenzusteuern, schlägt die EU-Kommission ein CO
2-Grenzausgleichssystem vor, mit dem die Belastungen durch den Green Deal mittels eines nicht näher spezifizierten Steuer- bzw. Zollmechanismus ausgeglichen werden sollen (Europäische Kommission
2019, S. 6). Dieses Vorhaben ist mit zahlreichen Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten verbunden.
Erstens ist es praktisch nicht möglich, den Kostenvorteil von Nicht-EU-Produzenten bzw. den Kostennachteil von EU-Produzenten durch den Green Deal auch nur halbwegs genau zu ermitteln, sodass mit groben Pauschalierungen zur Ermittlung der Ausgleichssätze gearbeitet werden müsste.
Zweitens stellt sich die Frage, welche Nicht-EU-Länder davon betroffen werden sollen: Nur die Länder, die ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen nicht erfüllen? Das kommt angesichts der oft sehr wenig ehrgeizigen und wachsweich formulierten Verpflichtungen eher nicht in Frage – und außerdem würde dies bei den nächsten Weltklimaverhandlungen wohl eher weniger ambitionierte Zielvorgaben vieler Länder bewirken. Also werden wahrscheinlich alle Länder gemeint sein, die sich nicht ähnlich ehrgeizige Ziele setzen und ähnlich rigorose Maßnahmen ergreifen wie die EU. Aber dies würde natürlich dem „Geist der Zusammenarbeit“ des Pariser Abkommens widersprechen.
Drittens würde es keinen „echten“ Ausgleich geben, denn dazu müssten nämlich nicht nur die Importe in die EU belastet, sondern auch die Exporte aus der EU entlastet werden, d. h. den Produzenten müssten die durch den Green Deal verursachten Zusatzkosten erstattet werden. Das ist aber klimapolitisch eindeutig nicht gewollt, sodass es bei einer einseitigen Belastung der Importe bleiben wird. Aus diesem Grund wäre,
viertens, das Grenzausgleichssystem trotz gegenteiliger Beteuerungen der EU eben nicht WTO-konform – ganz abgesehen davon, dass ein Ausgleich ohnehin nur für Steuern erlaubt ist, die auf die Produkte selbst erhoben werden, nicht aber für die Kosten allgemeiner wirtschaftspolitischer Maßnahmen, seien sie nun klimapolitischer oder anderer Natur. Deshalb müsste die EU,
fünftens, mit Gegenmaßnahmen ihrer Handelspartner rechnen. Angesichts des gegenwärtigen handelspolitischen Klimas würden diese höchstwahrscheinlich nicht auf eine Streitbeilegung im Rahmen der WTO setzen, sondern unverzüglich mit Vergeltungszöllen reagieren – was zu gravierenden Handelskonflikten und großen Wachstums- und Wohlstandseinbußen weltweit führen kann und die EU und insbesondere Deutschland mit seiner exportstarken Industrie treffen würde. Je ambitionierter und energischer die EU ihren Green Deal formuliert und durchsetzt, umso mehr bringt sie die Länder gegen sich auf, die selbst nicht ebenso ambitionierte Klimaziele verfolgen.