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2022 | Book

Realität in Serie

Realitätsbehauptungen in zeitgenössischen Fernsehserien

Editors: Prof. Dr. Katja Kanzler, Dr. Stefan Schubert, Dr. Sophie Spieler

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

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About this book

Realität(streue) ist ein markantes Thema in der Medienkultur des 21. Jahrhunderts, das sich auf widersprüchliche Weise entfaltet: Realness scheint derzeit sowohl eine Krise als auch eine Konjunktur zu erleben. Der vorliegende Band beleuchtet dieses Thema im medialen Kontext der Fernsehserie mit Hilfe von Fallstudien aus interdisziplinären Perspektiven. Im Mittelpunkt stehen dabei die sozialen, kulturellen, politischen und ästhetischen Potenziale von Realitätsbehauptungen und -effekten in seriellen Fernsehformaten.

Table of Contents

Frontmatter
‚Reality Matters‘: Zur Rolle von Realität(en) in Fernsehserien
Zusammenfassung
Dieser einleitende Beitrag verortet die realitätsaffine Fernsehserienkultur der Gegenwart in der aktuellen Konjunktur von Realitätsbehauptungen (und -anfechtungen) als Ressourcen im aufmerksamkeitsökonomischen Wettstreit. Ausgehend von der Beobachtung, dass populär- und insbesondere fernsehkulturelle Konventionen einen wichtigen Referenzpunkt für Praktiken des sog. post-faktischen Zeitalters darstellen, skizziert der Beitrag einige der zentralen ‚Realitätstraditionen‘ des Fernsehens und damit verbundene Forschungsdiskussionen. Die Einleitung schließt mit einem Überblick über die Beiträge im vorliegenden Band.
Katja Kanzler, Stefan Schubert
Zwischen Lust und Unbehagen: True crime im legitimatorischen Spannungsfeld von kultureller Gentrifizierung und Ghettoisierung
Zusammenfassung
Die kulturelle Relevanz und das affektive Potential von true-crime-Formaten liegen primär in ihrem Realitätsanspruch, jedoch ergibt sich daraus auch das zentrale legitimatorische Dilemma des Genres: Darf man aus dem Leid real existierender Personen Unterhaltung machen? Die Grundannahme dieses Aufsatzes ist, dass das Bemühen, diesem legitimatorischen Dilemma zu begegnen, Strategien hervorgebracht hat, die man anhand zweier konzeptioneller Metaphern aus der Stadtsoziologie nachvollziehen kann: der Gentrifizierung, die sich im Sinne einer symbolischen Aufwertung der Inhalte und einer Hyperkuration der Form niederschlägt, und der Ghettoisierung, die im Sinne einer Ästhetik des Spektakels und der minimalen editorischen Intervention vollzogen wird. Diese Dynamik zeigt der Aufsatz anhand zweier augenscheinlich sehr unterschiedlicher Spielarten des Genres – der Dokumentarserie Making a Murderer und der Reality-TV-Serie Cops – und stellt dabei die These auf, dass das legitimatorische Dilemma nicht nur in keinem der beiden Fälle wirklich aufgelöst werden kann, sondern dass es sich im Gegenteil noch verschärft, indem die Serien neue Realitäten produzieren, die sich gänzlich der Kontrolle der Verantwortlichen entziehen.
Sophie Spieler
Watching for the Plot? Rezeptionspraktiken und Narrative um soziale Klasse und Gerechtigkeit in Making a Murderer und The Staircase
Zusammenfassung
Dieser Beitrag untersucht die beiden true-crime-Serien Making a Murderer (2015) und The Staircase (2018) hinsichtlich ihrer narrativen Beschaffenheit und ihrer daraus folgenden Rezeption. Er argumentiert, dass sich die Serien in zwei verschiedenen Rezeptionsstrategien verlieren: Zum einen wollen sie ihre Zuschauenden zu Praktiken des forensic fandom ermutigen, zum anderen aber der Frage, wer den jeweiligen Mord begangen hat, eher ausweichen und stattdessen dahinter stehende Themen um soziale Gerechtigkeit hervorheben und als Rezeptionspraxis anregen, auch wenn sich die tatsächliche Rezeption beider Serien auf genau einen solchen Fokus auf den ‚Plot‘ konzentriert, in dem Fall also auf die Frage nach Täterschaft. Für diese Argumentation stellt der Beitrag true crime als ein auf Realitätseffekte setzendes Genre kurz vor, um danach Narrative um Gerechtigkeit in beiden Serien genauer zu untersuchen. Anschließend werden einige Rezeptionspraktiken beider Serien exemplarisch betrachtet, wobei vor allem auf Interpretationsstrategien und den Einfluss sozialer Klasse eingegangen wird.
Stefan Schubert
„This is where the magic happens!“: MTV Cribs, race, und die Realitäten von neoliberalem Celebrity-TV
Zusammenfassung
Im Zentrum des Beitrags steht die Serie MTV Cribs, die in Bezug auf ihre Ausstrahlung in den Vereinigten Staaten und Deutschland als Prisma für Fragen von Realität/reality im Genre des Reality-TV analysiert wird. Für MTV Cribs, so das Argument, scheint das Konzept von Realität weniger sinnstiftend zu sein als das aus der Hip-Hop-Kultur emergierende Schwesterkonzept der realness – hier denglisch ausgesprochen. Der Beitrag verfolgt dementsprechend weniger eine Analyse des Wahrheitsgehalts des im Reality-TV Abgebildeten, sondern fragt vielmehr nach den dezidiert performativen Elementen von reality und realness in diesem bestimmten (kultur-)produktionshistorischen Moment der jüngeren Zeitgeschichte. Hierbei, so zeigt der Artikel auf, verhandelt MTV Cribs typisch neoliberale Versionen gegenwärtiger Identitätsangebote und bringt diese zum einen ins Gespräch mit den Konventionen einer entstehenden celebrity-Popkultur, die – zum anderen – fundamental zu einem Diskurs um race diesseits und jenseits des Atlantiks beizutragen vermag.
Martin Lüthe
„It’s honest, it’s adult, it’s realistic“: Realitätsbehauptungen in Western-Serien
Zusammenfassung
Dieser Beitrag betrachtet Western-Serien vor dem Hintergrund von Wahrheitsdebatten und Realitätsbehauptungen. Das Genre des Western wird gern als US-amerikanische Ursprungserzählung stilisiert, in der Mythos und Geschichtsschreibung gleichermaßen miteinander vermischt werden. Auch in Western-Fernsehserien finden sich Überbietungswettbewerbe bezüglich der Frage, wie der ‚alte Western‘ ‚wirklich‘ war und wie er ‚authentisch‘ darstellbar ist. Der Beitrag geht dieser Fragestellung in populären Fernsehserien seit den 1950er Jahren auf zwei Ebenen nach: in einer Untersuchung der Diskurse, die um diese Serien gesponnen wurden, sowie mittels einer Analyse der verschiedenen Realitätseffekte in den Serien selbst. Dabei zeigt sich, dass Realität im Fernsehen nicht immer Konjunktur hat und der Look des ‚wahren Westerns‘ einige Wandlungen durchläuft – was aber auch die Frage aufwirft, ob wir es heutzutage mit einer genuin neuen Sehnsucht nach Wahrheit und Realitätstreue zu tun haben oder ob sich nicht Kontinuitäten zwischen älteren und neuen Serien finden lassen.
Brigitte Georgi-Findlay
Transzendenzeinbrüche. Visualisierungen der Hand of God und andere Risse durch die Realität
Zusammenfassung
Die Frage, was in Fernsehserien als Realität zu gelten hat, nimmt meist am Gegensatz zur Fiktion Maß. In diesem Beitrag soll es demgegenüber um das Verhältnis des Realen zum Irrealen gehen. Gefragt wird, wie − auf der Ebene der literarisch-visuellen Fiktion von Fernsehserien − die Realität und das ihr gegenüber Transzendente in Szene gesetzt werden. Unter Verweisen auf eine Vielzahl von Serien, und mit besonderem Schwerpunkt auf der Amazon-Serie Hand of God, werden vier Modelle vorgestellt, wie solche Grenzüberschreitungen der Realität visuell in Szene gesetzt werden. Die jeweilige Verankerung dieser Modelle in der (kunst)historischen Tradition gibt Aufschluss über ihre Bedeutung und über die Brüche in der Wirklichkeitswahrnehmung der Gegenwart.
Christian Schwarke
Wie viel Hitze verträgt ein Trinkwasserspender? Zu gegenderter Kanonbildung, Legitimität und einer kritischen Sphäre des Fernsehens
Zusammenfassung
Der Beitrag setzt sich am Beispiel des US-amerikanischen Fernsehens mit den Wechselwirkungen zwischen Fernsehwissenschaft, Fernsehkritik/Feuilleton und Fernsehindustrie in der jüngeren Fernsehgeschichte auseinander. Als kritische Sphäre hat das analytische Schreiben über Fernsehserien einen besonderen Stellenwert für serielles Erzählen und kulturelle Distinktionsmechanismen. Dies verdeutlicht der Beitrag durch eine Analyse der Konstruktion eines Kanons des ‚Qualitätsfernsehens‘, dessen Serien und Autorenfiguren durch weiße Männlichkeit gekennzeichnet sind. Anschließend wird die Herausforderung und Infragestellung dieses Kanons durch feministische Journalist*innen und Medienwissenschaftler*innen skizziert. Die Konzeption der verschiedenen Phasen des Schreibens über Fernsehen und der damit verbundenen Fragen nach Prestige, Legitimation und Repräsentation wird ergänzt um die Analyse einer Serie und ihrer Rezeption. Am Beispiel von Girls verdeutlicht der Beitrag den Versuch der Fernsehindustrie, alte Distinktionspraktiken um Qualität mit einem Twist wiederzubeleben. Statt schwieriger Männlichkeiten repräsentiert diese Serie Protagonistinnen, versucht aber ebenso wie die männlich-zentrierten Serien des früheren Kanons des ‚Qualitätsfernsehens‘ durch Kontroversen journalistische und wissenschaftliche Besprechungen zur eigenen Fortsetzung zu mobilisieren.
Maria Sulimma
Reale Politik im Serienmodus. Oder warum Podcasts TV-Serien gerade den Rang ablaufen
Zusammenfassung
Der Beitrag geht aus der Perspektive einer Politikdidaktikerin der Frage nach, was passiert, wenn sich Politik und Unterhaltungsformate wie Fernsehserien medial aufeinander zubewegen und verschränken. Ausgangspunkt ist die Beobachtung der Autorin, dass im eigenen Mediennutzungsverhalten fiktionale Fernsehserien zunehmend von politikbezogenen faktualen Podcasts abgelöst wurden – eine Beobachtung, die in den Kontext breiter beobachtbarer Medienpraktiken eingeordnet und zeitlich zur Präsidentschaft von Donald Trump in Beziehung gesetzt wird. Die zentrale These, die der Beitrag dabei entwickelt, ist, dass faktual orientierte Medien wie Podcasts, die uns einen Blick auf das sich selbst überbietende Fortsetzungsdrama in Washington bieten, in einer Rezeptionshaltung konsumiert werden, die bislang fiktionalen Serienangeboten vorbehalten war.
Anja Besand
Metadata
Title
Realität in Serie
Editors
Prof. Dr. Katja Kanzler
Dr. Stefan Schubert
Dr. Sophie Spieler
Copyright Year
2022
Electronic ISBN
978-3-658-35864-8
Print ISBN
978-3-658-35863-1
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-35864-8