Online-Bewerbungsverfahren sind längst Standard. Demnächst könnten Chatbots und andere KI-Systeme das Recruiting weitgehend automatisieren. (Symbolbild)
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Ein Bewerbungsverfahren ist für alle Beteiligten meist mit großem Aufwand verbunden. Unternehmen müssen nicht nur zu besetzende Stellen ausschreiben, sondern oft auch aktiv auf potenzielle Kandidaten zugehen – Active Sourcing und Social Recruiting sind die Schlagworte. Zusätzlich trudeln über unterschiedliche Kanäle Bewerbungen ein, müssen gesichtet und bewertet werden. Bis es überhaupt zu Bewerbungsgesprächen kommt, ist der Arbeits- und Abstimmungsaufwand in Human-Resources-Abteilungen enorm.
Und das in Zeiten, in denen beinahe alle Unternehmen (96 Prozent) angeben, Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Stellen zu haben, wie aus der Umfrage zu Recruiting Trends des Institute for Competetive Recruiting hervorgeht.
Eine Lösung für HR, effizienter zu arbeiten und dabei Bewerbern auch noch eine erhebliche verbesserte Candidate Experience zu bieten, kann der Einsatz von selbstlernenden und intelligenten Softwarelösungen sein. Neben diversen Analyse- und Optimierungsprogrammen sowie Kandidatenmanagement-Systemen, die in relativ großer Zahl auf dem Markt verfügbar sind, sorgen aktuell Programme mit Künstlicher Intelligenz für Aufsehen in der HR-Welt. Start-ups mit vielversprechend klingenden Erfindungen stürmen die Personaler-Ebenen in global agierenden Unternehmen.
"Mya" soll 75 Prozent der Aufwände im HR-Team einsparen
Zuletzt von sich Reden gemacht hat "Mya". Der landläufig gerne als Chatbot umschriebene Dienst, ist ein Recruiting-Assistent, der nicht nur Profile von Kandidaten erstellt und auswertet, sondern gleich auch einen bedeutenden Teil der Kommunikation übernimmt. Anbieter Mya Systems verspricht, dass die selbstlernende und mit natürlicher Sprache kommunizierende Software 75 Prozent der Zeitaufwände des HR-Teams einspart, indem sie Schritte wie das Sourcing, das Begutachten von Bewerbungen und die Terminvereinbarung automatisiert.
Mya Systems hat 2017 mehr als elf Millionen US-Dollar in einer Finanzierungsrunde gesammelt und sieht in der Software entsprechend großes Marktpotenzial. Schließlich soll das Programm, das über eine Programmierschnittstelle an die bestehenden Systeme des Unternehmens andockbar sein soll, den Rekrutierungserfolg angeblich um 200 Prozent verbessern und dabei die Fixkosten für das Bewerbungsverfahren um 80 Prozent senken – so heißt es jedenfalls selbstbewusst vom Anbieter.
Conversational Interface als Kern der Software
Der sichtbare Teil von Mya ist das Conversational Interface, der Chatbot. Er ist darauf trainiert, natürliche (Schrift-)Sprache zu erkennen und sofort und mit Bedacht auf den menschlichen Nutzer zu reagieren. Bewerber sollen somit rund um die Uhr einen direkten, virtuellen Ansprechpartner haben, der stets freundlich und sofort reagiert und beispielweise Auskünfte über Anforderungen einer ausgeschriebenen Stelle oder den Stand des Bewerbungsverfahren geben kann.
Das Modul zur Spracherkennung (Neuro-Linguistisches Programmieren, NLP) besteht nach Angaben von Mya Systems unter anderem aus einer deep-learning-basierten semantischen Satzanalyse, die aus den Antworten des Kandidaten aussagekräftige Informationen gewinnen soll. Ein Dialog-Management verarbeitet an jedem Punkt des virtuellen Gesprächs den aktuellen Zustand, die Aktion und das Ergebnis. Basierend auf der Antwort der Kandidaten kann Mya dann die Relevanz für die Anforderungen der freien Stelle bewerten und das weitere Vorgehen festlegen.
Candidate Experience ist wichtig für Bewerber und Unternehmen
Dem Anbieter zufolge würden 98 Prozent der Bewerber in Umfragen Mya bescheinigen, eine bessere Candidate Experience geboten zu haben als herkömmliche Recruiting-Verfahren.
Candidate Experience, die Erfahrungen der Bewerber mit dem jeweiligen Arbeitgeber während der Rekrutierungszeit, erfährt eine zunehmend größere Aufmerksamkeit seitens der Unternehmen. Dies passiert, weil Candidate Experience ein Erfolgsfaktor im Recruiting ist und auch als Gradmesser für die Arbeitgeberattraktivität dient."
Ralph Dannhäuser in seinem Buchkapitel "Trends im Recruiting".
Im Buchkapitel von Springer-Autor und Herausgeber Ralph Dannhäuser, "Trends im Recruiting" des "Praxishandbuchs Social Media Recruiting" (2017), schreibt Personal-Experte Christoph Athanas in einem Gastbeitrag, was eine Candidate Experience ausmacht:
Damit Kandidaten eine positive Kandidatenerfahrung machen können, müssen rekrutierende Arbeitgeber vor allem drei Bestandteile der Candidate Experience im Sinne ihrer Bewerber erfüllen, und zwar nach Möglichkeit an allen Touchpoints vor und während der Bewerbung:
- Klarheit und Verbindlichkeit in der Bewerberkommunikation schaffen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf Anforderungen des jeweiligen Jobs und den Ablauf des Rekrutierungsverfahrens. Diesen zu visualisieren und auf der Karrierewebseite einsehbar zu machen, ist ein Beispiel für eine konsequente Umsetzung dieser Anforderung.
- Ergebnisorientiert handeln, denn jede Bewerbung ist ein zielgerichteter Vorgang. Wenn ein Bewerbungsverfahren zu lange dauert, leidet irgendwann die Kandidatenerfahrung. Das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass dieser Kandidat abspringt oder in der Zwischenzeit ein anderes Jobangebot annimmt. Außerdem fällt auch die Einfachheit der Bewerbungsvorgänge aus Sicht der Kandidaten in diese Kategorie. [...]
- Auf Augenhöhe wertschätzend mit den Bewerber umgehen, und zwar in jeder Situation des Bewerbungsprozesses und in allen Formen der Bewerberkommunikation. Das fängt mit ganz einfachen Dingen an, wie beispielsweise personalisierten E-Mails an die Bewerber, und mündet in gut vorbereiteten und professionell geführten Bewerberinterviews, in welchen man als Arbeitgebervertreter eben Bewerber wie geschätzte Gäste empfängt und nicht wie lästige Bittsteller."
Fazit: An diesen Punkten kann intelligente Software, die auch direkt mit dem Bewerber kommuniziert, ansetzen. Damit fallen dann neben der Zeitersparnis für HR auch das Image des Unternehmens durch eine bessere Candidate Experience ins Gewicht. Künstliche Intelligenz kann, wenn sie richtig angewendet wird, für beide Seiten – Unternehmen und Bewerber – Vorteile bringen.