Autonome Liefer- und Zustellroboter durchdringen zunehmend das Pakettransportgeschäft, um die letzte Meile Logistik (LML) effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Dabei entstehen neue Formen der Mensch-Maschine-Interaktion, die neben den operativen Vorteilen auch das Kundenerlebnis verbessern können. Gleichzeitig wird der Aufbau dezentraler Datenräume mit Gaia‑X in Europa für einen souveränen Datenaustausch und fairen Datenwettbewerb im Mobilitätssektor vorangetrieben. Trotz dieser vielversprechenden Entwicklungen und Möglichkeiten im Mobilitätsbereich werden transferorientierte Geschäftsmodelle bisher unzureichend für die LML thematisiert. Der vorliegende Beitrag widmet sich dem Konsortialforschungsprojekt Gaia-X 4 ROMS und stellt ein innovatives Geschäftsmodell für neuartige autonom navigierende Paketstationen (ANP) auf Basis eines interaktiven Rendezvous-Prinzips vor. Mittels Design Thinking werden die zentralen Bestandteile für ein ANP-spezifisches Geschäftsmodell identifiziert und in einem Business Model Canvas für Flottenbetreiber des Paket- und Expresslogistikmarktes exemplarisch entworfen. Das gestaltete ANP-Geschäftsmodell wird abschließend in Handlungsempfehlungen für LML-Stakeholder überführt, die marktfähige ANP-Innovationen fokussieren und gleichzeitig eine hohe Datensouveränität anstreben. Gaia-X-Kompetenzen, Technologieoffenheit, Vertrauen und Zusammenarbeit sowie Schnelligkeit und Kontinuität stellen entscheidende Aspekte dar, damit die Nutzung zukünftiger föderierter Dateninfrastrukturen und der gezielte ANP-Einsatz im Bereich der LML erfolgreich gelingen können.
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
1 Einleitung
Die fortschreitenden Entwicklungen digitaler Technologien verändern sämtliche Lebensbereiche und führen zu einer umfassenden datengetriebenen Transformation der Logistik (Bousonville 2017; Wegner 2019). Ein damit verbundener digitaler Unternehmenswandel betrifft in der Folge auch die Prozesse der Anbieter des nationalen Paket- und Expresslogistikmarktes, der im Jahr 2023 mit ca. 260.500 Beschäftigten einen Gesamtumsatz von 26,5 Mrd. € im Bereich B2C und B2B erzielen konnte und damit maßgeblich zur europäischen Wirtschaftsleistung beiträgt (BPEX 2024). Das entspricht allein in Deutschland einem täglichen Transportvolumen von 14 Mio. Sendungen an 9 Mio. Empfängerinnen und Empfänger (BPEX 2024). Die hohe Kostenintensität, steigende Kundenprämissen, zunehmende regulatorische Anforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit und ein wachsender Datenwettbewerb stellen allerdings die Transportanbieter vor immense Herausforderungen. In der Folge, und getrieben durch das wachsende E‑Commerce-Geschäft mit steigenden Gütertransportmengen, wird die letzte Meile Logistik (LML) zunehmend von innovativen Technologien und Zustellkonzepten durchdrungen (Asdecker 2020; DHL Freight Germany 2023).
Insbesondere im B2C-Segment betrifft die LML die Zustellung von Paketlieferungen und damit typischerweise den Transportabschnitt zwischen einem Depot und der Haustür des Empfängers. Obwohl stationäre Paketstationen zunehmend präsent sind, ist der tourbezogene Einsatz verschiedener (oftmals noch kraftstoffbetriebener) Zustellfahrzeuge für die Distribution von Paketen noch die Regel. Das gilt unabhängig von urbanen oder ländlichen Räumen und bringt die Schwierigkeit mit sich, eine planbare Zustellung von Paketen nach dem „Bringprinzip“ (Wegner 2019) erfolgreich zu leisten. Die Erfolgsquote der Zustellungen aufgrund von Abwesenheiten bzw. Nicht-Erreichen des Empfängers wird mit circa 60 % beziffert (Klein und Popp 2021, S. 666) und spiegelt sich in den hohen Kosten für den Transport der konkurrierenden Lieferdienstleister wider. Vor dem Hintergrund kam bereits im Jahr 2019 eine Analyse von Oliver Wyman zu dem Schluss, dass sich durch die gebündelte Paketzustellung (z. B. an Paketstationen) als sogenannte „Multi-Drop-Zustellung“ bis 2028 die Kosten um rd. 15 % auf 2,80 EUR pro Paket senken lassen (Oliver Wyman GmbH 2019). Mit der Digitalisierung sind in den letzten Jahren daher verstärkt innovative Lieferkonzepte in Erscheinung getreten, die beispielsweise den Einsatz von Drohnen, die Lieferungen durch die Crowd, den Einsatz von Mikrodepots respektive die Nutzung des Kofferraums der legitimierten Empfänger als zusätzlichen Abstellort betreffen (Wegner 2019; Asdecker 2020; Rosenberg et al. 2021). Derartige Lösungen transformieren das als „Königsdisziplin“ (Umundum 2020) geltende LML-Geschäft für nachhaltigere Zustellungen und führen zu einem verbesserten Kundenerlebnis mit Effizienz- und Kostengewinnen.
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Eine der mehrheitlich diskutierten Innovationen im LML-Bereich betrifft die Entwicklung autonomer Liefer- und Zustellroboter (engl. Delivery Bot bzw. Autonomous Robot Carrier), deren Markt bis zum Jahr 2032 mit einem Umsatz von rund 135 Mrd. USD prognostiziert wird. Straßengebundene autonome Transportsysteme versprechen, den E‑Commerce generell ökonomischer und ökologischer zu gestalten, indem die elektrifizierten Flottenfahrzeuge zur nachhaltigeren Zustellung (z. B. Klein und Popp 2021), zu operativen Effizienzgewinnen durch Automatisierungen (z. B. Bakach et al. 2021) und einem verbesserten Kundenservice (Boysen et al. 2021) beitragen können. Fahrerlose Roboter für die LML sind in einigen Städten bereits präsent und haben die Schwelle der Pilotierung teilweise überschritten. Dadurch stellen die Fahrzeugtechnologien eine praktische Betriebsalternative im Vergleich zu fahrerabhängigen Elektrofahrzeugen bzw. Lastenfahrrädern dar. So hat beispielsweise DHL Express bereits im Sommer 2022 einen ersten Lieferroboter in der Stadt Tallin in Betrieb genommen, der in Zusammenarbeit mit dem Technologieunternehmen Clevon in dem Jahr rund 1200 Pakete befördert und dabei ca. 7000 km zurückgelegt haben soll (Clevon 2023).
Die Neuartigkeit autonomer Liefer- und Zustellroboter für die LML ist allerdings auch mit Unsicherheiten hinsichtlich der rechtlich wirksamen Einsatzbereiche, des Datenschutzes, einer interoperablen Datennutzung sowie mit der Abhängigkeit cloudbasierter Technologieanbieter verbunden. Angesichts dessen findet die ins Leben gerufene Gaia-X-Initiative auch im Bereich der LML durch die Schaffung einer dezentralen Dateninfrastruktur Anwendung. Gaia‑X wird dabei als technisches Rahmenkonzept positioniert und soll den Aufbau und die Entwicklung eines vernetzten und plattformunabhängigen Datenökosystems zur Stärkung einer souveränen Datenwirtschaft in Europa unterstützen (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2019). Mit der im Jahr 2021 gegründeten Gaia‑X European Association for Data and Cloud AISBL wird die Verbreitung digitaler Föderationen mit Gaia‑X domänenübergreifend vorangetrieben. Das wird in dem Konsortialforschungsprojekt Gaia-X 4 ROMS in einem spezifischen Anwendungsfall sichtbar, der ein flottenübergreifendes Steuerungs- und Managementsystem für den Paketversand der Zukunft adressiert (DiMOS Operations GmbH 2024). Dabei werden neuartige autonom navigierende Paketstationen (ANP) (Heinbach et al. 2023) entwickelt, die mithilfe von Gaia‑X ein interoperables Transportsystem mit ersten Automatisierungsfunktionen durch den Einsatz von Softwareagenten für einen souveränen Datenaustausch realisieren sollen. Das ANP-Konzept zeichnet sich im Kontext autonomer Liefer- und Zustellroboter dadurch aus, dass eine menschliche Interaktion mit dem Roboter automatisiert erfolgt. Versender bzw. Empfänger von Paketlieferungen legen auf Grundlage eines neuartigen Rendezvous-Prinzips mit einer physischen ANP den zeitlichen und örtlichen Übergabepunkt von Paketen flexibel fest (Heinbach et al. 2023). Diese Form der Ko-Kreation soll in Kombination mit dem ANP-Produkt die gemeinsame Wertschöpfung in der LML unterstützen und damit den bestehenden Herausforderungen begegnen.
Anhand der Konsortialforschung wird das Anwendungspotenzial von ANP-Entwicklungen mit Gaia‑X als dezentralem Dateninfrastrukturkonzept in der LML adressiert. Allerdings erfordert der konkrete Nutzen aus der Forschung und Entwicklung (FuE) einen beschleunigten Transfer der Ergebnisse von der Wissenschaft in die Praxis, damit Entwicklungen erfolgreich im Markt etabliert werden können. Da der Aufbau skalierbarer und datengetriebener Geschäftsmodelle in den Gaia-X-Domänen den Kooperationsvorteilen bisher zu unterliegen scheint, wird ebendiese Notwendigkeit verstärkt (eco – Verband der Internetwirtschaft e. V. 2023). Die bestehende Lücke bietet den Anbietern des Paket- und Expresslogistikmarktes in ihrer Rolle als Flottenbetreiber neue Möglichkeiten, um die Entstehung notwendiger Geschäftsmodell-Innovationen durch integrierte Transportlösungen voranzutreiben (Schuh et al. 2017). Daraus resultierende Artefakte können einen praktischen Beitrag zur Erhöhung der digitalen Wettbewerbsfähigkeit leisten, indem ein transferierbarer ANP-Einsatz mit Gaia‑X fokussiert wird. In Anbetracht dieser Situation geht der vorliegende Beitrag der grundlegenden Frage nach: Wie kann ein ANP-spezifisches Geschäftsmodell aus Sicht eines Flottenbetreibers für die LML mit Gaia‑X gestaltet werden?
Zur Beantwortung der Frage präsentiert dieser Beitrag die Ergebnisse von vier durchgeführten Workshops, die im Rahmen des laufenden Konsortialforschungsprojekts Gaia-X 4 ROMS stattgefunden haben. Dazu wird zunächst der relevante Stand der Entwicklung zu autonomen Liefer- und Zustellrobotern für den Einsatz in der letzten Meile als auch die diesbezügliche Gaia-X-Forschung thematisiert. Anschließend wird die Methode des Design Thinking vorgestellt, anhand derer relevante Inhalte für ein innovatives Geschäftsmodell identifiziert werden. Danach wird auf Grundlage des Business Model Canvas ein ANP-spezifisches Geschäftsmodell für Flottenbetreiber im Paket- und Expresslogistikmarkt exemplarisch entworfen. Schließlich werden strategische Handlungsempfehlungen für die Transportanbieter aufgezeigt, um das Innovationspotenzial von ANP-Technologien und des Einsatzes von Gaia‑X wertschöpfend zu nutzen.
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2 Fachliche Grundlagen und Hintergrund
2.1 Autonome Liefer- und Zustellroboter für die letzte Meile
Innovative Entwicklungen autonomer Liefer- und Zustellroboter ermöglichen in der letzten Meile Vorteile, um beispielsweise den Flottenbetrieb zu automatisieren (z. B. Fahrzeugsteuerung), den Kundeservice zu verbessern (z. B. bedarfsorientierter Betrieb) und den innerstädtischen Güterverkehr nachhaltiger zu gestalten (z. B. Stopp-Faktor) (Jennings und Figliozzi 2019; Leerkamp et al. 2021). Dabei operieren autonome Transportsysteme in der LML fahrerlos und werden elektrisch betrieben, wobei die Fahrfunktionen im Betriebsbereich (engl. Operational Design Domain, ODD) in der Regel eine selbstständige Navigation für den Transport von Gütern entlang einer Route umfassen (Leerkamp et al. 2021). Innerhalb einer ODD erfolgt auf der Grundlage geplanter Routenpunkte die Aufnahme (z. B. Versender) sowie Abgabe (z. B. Empfänger) von Paketen, wobei sich ein intermodaler Güterumschlag in zentralen Knotenpunkten (z. B. Depot) ereignet (Heinbach et al. 2023). Damit betrifft ein wesentliches Merkmal autonomer Liefer- und Zustellroboter die Verkehrsvermeidung durch eine effiziente Transportplanung und selbstständige Durchführung (Leerkamp et al. 2021). Zudem erfordert der technische Flottenbetrieb weniger Personaleinsatz, da die Betriebsüberwachung mehrerer Fahrzeuge durch einen (Remote‑)Operator erfolgen kann (Bakach et al. 2021). In der Vergangenheit wurden darüber hinaus zwei Einsatzbereiche herausgestellt, die für den automatisierten Fahrzeugbetrieb von Relevanz sind (Jennings und Figliozzi 2019; Leerkamp et al. 2021): (1) Gehwege und (2) öffentliche Straßen. Die beiden Einsatzbereiche bedingen unterschiedliche Betriebsgeschwindigkeiten, Begleitkonzepte (z. B. „Follow-me“) sowie Kapazitäten (z. B. Gewicht) (Leerkamp et al. 2021). Trotz der Innovationsintensität hat sich bisher noch kein einheitlich autonomes Transportkonzept in den LML-Märkten etablieren können. Bestehende Herausforderungen für den flächendeckenden Robotereinsatz umfassen beispielsweise eine fehlende Regulierung in Städten (z. B. Strecken), rechtliche Bedenken (z. B. Fahrzeugsicherheit), eine ausreichende Kontrolle (z. B. Remote Operation), die fehlende Infrastruktur (z. B. Konnektivität) und hohe Entwicklungskosten (z. B. DHL Freight Germany 2023).
2.2 Autonom navigierende Paketstationen (ANP)
Die zentrale Betrachtung des Flottenmanagements in der LML gilt als innovatives Gestaltungsfeld in Anbetracht datengetriebener Liefer- und Zustellroboter, die den eingangs genannten Herausforderungen begegnen und technische sowie ökonomische Zielsetzungen unterstützen. Das hat in der Vergangenheit zu erweiterten Transportroboterkonzepten geführt, die als neuartige autonom navigierende Paketstationen (ANP) beschrieben werden (Heinbach et al. 2023). Eine ANP repräsentiert eine physische Transportplattform mit autonomen Fahreigenschaften, die mit einem modularen Paketfachaufbau und einzelnen Paketfächern mit unterschiedlicher Größe ausgestattet ist. Der modulare Charakter des Aufbaus ermöglicht einen effizienten Güterumschlag für unterschiedliche Transportanforderungen (z. B. Temperaturkontrolle). Zudem werden die Fächer elektronisch gesteuert und ermöglichen einen Authentifizierungsprozess (z. B. Pin-Code) für die legitimierte Öffnung und Schließung analog zu einer stationären Paketstation (z. B. Boysen et al. 2021). Das Unternehmen DHL hat bereits ein ähnliches Konzept beschrieben, das als „autonom fahrende Packstation“ zukünftig vorrangig in ländlichen Gebieten für flexible, nachhaltige und effiziente Paketzustellungen einsetzbar sein kann (DHL Freight Germany 2023). In Abb. 1 wird die generische Konzeptskizze einer ANP dargestellt.
Abb. 1
ANP-Konzeptskizze, bestehend aus der Transportplattform (links) und dem modularen Paketfachaufbau (rechts) (Arvato Systems GmbH 2024)
Der operative Transportprozess einer ANP kann in zwei Betriebsphasen unterteilt werden: (1) die Paketübergabeplanung und (2) die Transportdurchführung. In der ersten Phase erfolgt auf Basis eines bereits zu einer ANP zugeordneten Transportauftrags die App-gestützte Vereinbarung des zeitlichen und örtlichen Aufnahme- oder Übergabepunktes für das Paket. Dazu interagieren in erster Linie private Versender oder Empfänger direkt mit einer physischen ANP, wodurch den Personen routenspezifische Punkte mit vordefinierten Zeitfenstern vorgeschlagen werden. Nach der Auswahl einer Rendezvous-Option navigiert die ANP in der zweiten Phase fahrerlos und elektrisch angetrieben auf dem Gehweg oder auf der Straße autonom zum vereinbarten Routenpunkt. Dabei kann der autonome Roboter ein oder mehrere Pakete transportieren, die dann am Zielpunkt von einem Empfänger aus der ANP entnommen werden. Zur Entnahme (oder Abgabe) von Paketen werden die ANP-Nutzer mithilfe einer App zunächst authentifiziert, um die Öffnung der in Größe und maximalem Beladungsgewicht variierenden Paketfächer zu autorisieren. Während des Betriebsvorgangs wird die ANP aus der Ferne innerhalb der ODD überwacht, damit eine technische Überwachung (z. B. Betriebsstörung) im Sinne einer „Technischen Aufsicht“ (§ 14 Absatz 1 Satz 1 AFGBV) gewährleistet werden kann. Infolgedessen wird ein nach SAE Level 3 sicherer Fahrbetrieb systemseitig erreicht, der relevante Funktionen für eine erforderliche Remote-Operation innerhalb einer ODD unterstützt (Heinbach et al. 2023).
Ein flottenbezogener ANP-Einsatz wird als immanenter Bestandteil intermodaler Transportketten für Paketlieferungen mit weiteren Entitäten (z. B. Depot, Transporteinheiten im Hauptlauf) verknüpft, um einen effizienten Gesamtbetrieb auf der Basis von Echtzeitdaten (z. B. Positionsdaten der Fahrzeuge) zu realisieren. Allerdings ist das transportlogistische Betriebsumfeld durch die Nutzung isolierter Informationssysteme mit proprietären Schnittstellen in einem fragmentierten Speditionsmarkt geprägt. Dieser Umstand wird durch den intendierten Aufbau eines dezentralen Datenraums auf der Basis von Gaia‑X aufgegriffen, indem das beschriebene ANP-Fahrzeugkonzept zusammen mit weiteren Nutzfahrzeugen des Hauptlaufs flottenübergreifend mithilfe der Konsortialforschung technisch entwickelt und erprobt wird (Kremer et al. 2023; Heinbach et al. 2023).
2.3 Konsortialforschungsprojekt Gaia-X 4 ROMS
Ein ANP-Prototyp wurde in dem vom BMWK geförderten Konsortialforschungsprojekt Gaia-X 4 ROMS (Remote Operation for Automated and Connected Mobility Services) als Teil der Projektfamilie Gaia-X 4 Future Mobility entwickelt. Bilder zum Prototyp sind online verfügbar (siehe Abb. 2 ). Das Projekt beschäftigt sich mit der Gaia-X-basierten Entwicklung und Umsetzung zukünftiger Mobilitätsanwendungen, die zur Verbesserung des Personen- und Güterverkehrs beitragen und die Zusammenarbeit spezialisierter Akteure im Rahmen eines offenen, verteilten Systems fördern. (DiMOS Operations GmbH 2024). Gaia‑X bietet als technisches Framework wertschöpfende Möglichkeiten, indem durch den Aufbau einer föderierten, offenen und datensouveränen Infrastruktur neue Technologien und Methoden für das Management automatisierter Fahrzeugflotten sowie die Optimierung von Personen- und Gütertransportprozessen vorangetrieben werden. Diese Ansätze ermöglichen durch die intelligente, durchgängige Nutzung und Vernetzung von Daten in entstehenden Datenräumen (Reiberg et al. 2022, S. 11) ein automatisiertes, multimodales Transportsystem, das sowohl den effizienten Einsatz autonomer Fahrzeuge als auch neue Geschäftsfelder wie ANP-basierte Transportkonzepte fördert. Insgesamt 17 teilnehmende Organisationen aus der Wissenschaft, der industrienahen Forschung und Unternehmen aus dem Logistik- und Mobilitätsumfeld fokussieren im Projekt die Entwicklung konkreter Technologiebausteine für fahrzeugbasierte Transportkonzepte. Innerhalb dieser in den Bereichen des Personen- und Güterverkehrs wird jeweils anhand eines Anwendungsfalls für den Betrieb von Fahrzeugflotten gezeigt, inwiefern Gaia‑X für die Transformation des Mobilitätssystems und die Schaffung neuer Wertschöpfungsnetzwerke genutzt werden kann (Kremer et al. 2023; Heinbach et al. 2023).
Abb. 2
Entwickelter ANP-Prototyp im Rahmen des Konsortialprojekts Gaia-X 4 ROMS (Arvato Systems GmbH 2024)
Im Anwendungsfall des Personenverkehrs sollen neue Methoden und Technologien die optimale Unterstützung von automatisierten Fahrzeugen im öffentlichen Personennahverkehr aufzeigen. Thematische Schwerpunkte umfassen das dezentrale Fahrzeugmanagement, die Remote Operation, das Kapazitätsmanagement, die fahrzeugdatenbasierten Prognosen und die Integration von automatisierten Fahrzeugflotten ins gesamtstädtische Verkehrsmanagement. Im Anwendungsfall für den automatisierten Güterverkehr wird der ganzheitliche Güter- und Warenstrom in der Transportkette auf der Straße, sowohl innerhalb als auch außerhalb urbaner Gebiete, betrachtet (Heinbach et al. 2023; DiMOS Operations GmbH 2024). Im Mittelpunkt stehen Methoden und Technologien, welche durch die intelligente Nutzung erzeugter und verfügbarer Daten ein automatisiertes, vernetztes und multimodales Transportsystem realisieren. Eine zentrale Betrachtung der Transportkette des Paketversands unterteilt diese in die Transportphasen des Vorlaufs (Abholung vom Versender), des Hauptlaufs (Versand zwischen den Depotstationen) und des Nachlaufs (Zustellung beim Empfänger). Im Hauptlauf finden hierbei Telematik-gestützte Ladungsträger mit dem Einsatz von „intelligenten Wechselbrücken und Trailern“ Berücksichtigung, während im Vor- und Nachlauf der Einsatz von ANPs im Zusammenspiel mit der Rendezvous-Funktion relevant ist (Heinbach et al. 2023). Der dominant ausgeprägte technische Entwicklungsschwerpunkt für das Gaia-X-spezifische Gesamtsystem eröffnet neue Untersuchungsmöglichkeiten für innovative ANP-Geschäftsmodelle mit Gaia‑X mit einer hohen praktischen Transferorientierung.
3 Methodisches Vorgehen
Um die eingangs dargestellte Forschungsfrage zu beantworten, wurde aufgrund der Neuartigkeit von Gaia‑X und den damit verbundenen Potenziale für ANP-Geschäftsmodelle auf die Methode des Design Thinking zurückgegriffen. Design Thinking repräsentiert ein Konzept, das die Transformations- und Innovationsfähigkeit von Unternehmen durch neue kreative Denkweisen fördert (Brown 2009). Ein strukturierter und visuell-gestützter Charakter des Design Thinking unterstützt eine systematische Entwicklung nutzerzentrierter Innovationen in einem problemlösungsorientierten Kontext (Tschimmel 2012). In der Wirtschaftsinformatik hat sich diese Methode für die Konsortialforschung erfolgreich bewährt (Redlich et al. 2020) und plausibilisiert daher die kreative Gestaltung eines ANP-Geschäftsmodells auf Basis des Projekts Gaia-X 4 ROMS. Für die Strukturierung der Kreativprozesse im Design Thinking wurde auf das vom British Design Council eingeführte Double-Diamond-Modell zurückgegriffen (Design Council 2024). Die einzelnen Schritte bieten dabei einen umfassenden Rahmen für die Entwicklung eines innovativen Artefakts durch eine Workshop-basierte Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams (Tschimmel 2012). In Summe umfasst das Modell vier Phasen, die auch als 4D bezeichnet werden: (1) Entdecken (Discover), (2) Definieren (Define), (3) Gestalten (Design) und (4) Bereitstellen (Deliver). Nachfolgend werden die Phasen für den Kreativprozess im Rahmen der durchgeführten Studie erläutert.
In der ersten Phase wurde ein Team, bestehend aus einem Forscher, zwei Softwareentwicklern und zwei Anwendern gebildet, um in einem ersten Workshop sowohl die ANP-Einsatzszenarien in der letzten Meile als auch die Unterstützung durch Gaia‑X gemeinsam festzulegen. Im Ergebnis hat das Team die Betrachtung von Paketlieferungen, die sich in urbanen Räumen zwischen privaten und gewerblichen Anwendergruppen ereignen, als operatives ANP-Einsatzszenario festgelegt (Gate 1). Danach, in der zweiten Phase, hat das interdisziplinäre Team den ANP-Betrieb für das Szenario in einem zweiten Workshop diskutiert. Dabei wurde für den zentralen Betrieb die Perspektive für Flottenbetreiber definiert (Gate 2). Hintergrund der Entscheidung ist die Reduzierung der Komplexität in der realen LML-Geschäftswelt und die Fokussierung auf den wesentlichen ANP-Nutzen als neue Fahrzeugtechnologie. In der dritten Phase konnte das Team durch einen weiteren Workshop relevante Dimensionen nebst einem inhaltlichen Design mit ersten exemplarischen Inhalten für ein ANP-spezifisches Geschäftsmodell gestalten. Aufgrund des noch geringen Implementierungsgrads von Gaia‑X in der Praxis wurden besonders die Interaktionen zwischen einer ANP und den Nutzenden (z. B. Empfänger) betrachtet. Die erarbeiteten Inhalte wurden anschließend in relevanten Geschäftsmodellbereichen mit einer zentralen Rendezvous-Funktion zusammengefasst (Gate 3). Die vierte Phase betrifft die strukturelle Organisation und Bereitstellung der Ergebnisse. Dazu wurde ein Business Model Canvas (BMC) mit den bekannten neun Elementen – Kundensegmente, Werteversprechen, Kanäle, Kundenbeziehungen, Umsatzmodell, Schlüsselressourcen, Schlüsselaktivitäten, Schlüsselpartner, Kostenstruktur – erstellt (Osterwalder 2004; Osterwalder und Pigneur 2010). Die einzelnen BMC-Aspekte wurden daher in einem vierten Workshop innerhalb des Teams diskutiert und gemeinsam bewertet. Dadurch konnte erstmalig ein ANP-spezifisches Geschäftsmodell mit Gaia‑X entworfen werden, das im Rahmen des Beitrags als digitale Innovation präsentiert wird. In Abb. 3 wird die angewendete Methode einschließlich der durchgeführten iterativen Schritte und erarbeiteten Ergebnisse im Rahmen der Studie präsentiert.
Abb. 3
Phasen des Design Thinking für die Gestaltung eines ANP-spezifischen Geschäftsmodells in Anlehnung an Biegel et al. (2021) und Hoffmann et al. (2022, S. 586)
4 Business Model Canvas für autonom navigierende Paketstationen
Die nutzerzentrierte Gestaltung eines exemplarischen ANP-Geschäftsmodells mit Gaia‑X folgt einer intuitiven Vorgehensweise und orientiert sich strukturell an neun relevanten Aspekten, die in einem Business Model Canvas (BMC) organisiert werden (Osterwalder 2004; Osterwalder und Pigneur 2010). In den einzelnen Workshops wurde dabei explizit auf das nutzenstiftende Rendezvous-Prinzip zwischen ANP und Versendern respektive Empfängern von Paketlieferungen eingegangen. Die Geschäftsmodellaspekte für einen ANP-spezifischen Flottenbetrieb mit Gaia‑X aus Sicht eines Flottenbetreibers werden in Abb. 4 in der bekannten Darstellungsweise illustriert und nachfolgend einzeln beschrieben.
1.
Kundensegmente
Ein ANP-spezifisches Geschäftsmodell umfasst verschiedene Kundengruppen in den Bereichen B2B, B2C und C2C. Insbesondere Privatkunden, die als Paketempfänger oder -versender in Erscheinung treten, führen darin ein Rendezvous mit einer ANP durch. Aus Sicht eines Flottenanbieters, der die Transportleistung einschließlich Services zur Verwaltung und Steuerung der ANP-Flotten als Transportunternehmen erbringt, kommen außerdem E‑Commerce-Anbieter (z. B. Handelsunternehmen) als Kunden in Betracht. Zudem zählen kommunale oder behördliche Datennutzer (z. B. Verkehrsbetriebe) zu den potenziellen Kundensegmenten, da diese von den Daten und Service-Optionen profitieren können (z. B. Verkehrsbelastungen). Des Weiteren können Logistikdienstleister ANP-Flottenbetreiber als Subunternehmer direkt beauftragen und ebendarum einen flexiblen und innovativen Fahrzeugeinsatz sicherstellen. Ein weiterer Kundenbereich resultiert aus dem Phänomen aufstrebender ANP-Integratoren (z. B. Plattformanbieter wie LMAD1), die in Anbetracht aufkommender ANP-Hersteller beispielsweise einheitliche Schnittstellen mit herstellerübergreifenden Serviceangeboten bereitstellen können.
2.
Werteversprechen
Die Werteversprechen an die Konsumenten beziehen sich auf das kundenindividuelle Rendezvous, das im Self-Service ausgeführt werden kann und bedarfsorientierte Versand- bzw. Abholtätigkeiten ermöglicht. Im Mittelpunkt steht dabei ein App-gestützter Workflow, welcher zu mehr Prozesskonsistenz und dezentral gesteuerten Dynamiken im Auftragsablauf (z. B. mithilfe von Softwareagenten) führt. Weitere Mehrwerte entstehen durch die Integration zusätzlicher Services in einer Frontend-Umgebung. Modularisierte „Cockpit“-Funktionen betreffen beispielsweise KPIs zum Tracking von Emissionen, den Auslastungsgrad und die Kilometerleistung. Die Integration von Open-Source Föderationsdiensten (z. B. Gaia‑X Federation Services, GXFS) (eco – Verband der Internetwirtschaft e. V. 2024) als auch Datenkonnektoren (z. B. Dataspace Conncetor der Eclipse Foundation2) dienen in dem spezifischen Anwendungsfall als Bausteine für den Aufbau eines dezentralen Datenraums. Ein souveräner Datenaustausch wird folglich durch ein Datenangebot und die legitimierte Nutzung auf Basis von Selbstbeschreibungen anhand eines Föderierten Katalogs ermöglicht (eco – Verband der Internetwirtschaft e. V. 2024). Summa summarum profitieren die Anwender von einer verbesserten Customer Journey mit einer höheren Zufriedenheit und Nachhaltigkeit im Vergleich zu den traditionellen LML-Prozessen (z. B. Zustellversuche, Verkehrsbelastung). Eine Transparenz- und Event-basierte Echtzeitkommunikation unterstützt dabei ein operatives Flottenmanagement (z. B. automatisierte Disposition, prädiktive Reparaturen). Potenziell kann auf Basis des Katalogs eine interoperable Nutzbarkeit von ANP-Daten (z. B. Geolokalisation) für externe Stakeholder (z. B. Behörden), beispielweise zur Verkehrsplanung, zwecks Optimierung erreicht werden (z. B. Verkehrsprognose). Dieser Gedanke unterstützt die Möglichkeit, Daten marktplatzorientiert anzubieten und damit monetäre Vorteile zu erzielen.
3.
Kanäle
Die Kanäle beschreiben, wie die Kunden erreicht werden und hierdurch ANP-Leistungen beziehen können. Buchbare ANP-Leistungen einschließlich der Nutzung des Rendezvous-Service als integrierte Funktion im Transportablauf können für die Anwender via Web-Interface (Webseite) oder App-basiert (App-Store) von einem ANP-Flottenbetreiber bereitgestellt werden. Speziell beim Rendezvous treten Endkunden als Co-Creator zur effizienteren Paketübergabe bzw. -entnahme in Erscheinung, indem sie mit einer ANP interagieren und gezielt an dem Prozess der Paketübergabe für eine gemeinsame Wertschöpfung mitwirken. Im Kontext von Gaia‑X ist zudem das Gaia‑X Hub Germany3 als nationaler Zugangspunkt für die Verbreitung von FuE-Ergebnissen relevant, die sektorübergreifend sichtbar gemacht werden (z. B. Domänensitzungen) und die Akzeptanz des Geschäftsmodells in den Branchen unterstützen können. Eine vertriebsorientierte Kommunikation von ANP-Leistungen kann zudem über Social-Media-Kanäle und entsprechende Marketing-Kampagnen (z. B. Messen) erfolgen. Ebenfalls sind branchenspezifische Netzwerke und Communities (z. B. Bundesvereinigung Logistik) vorstellbar. Ein weiterer Vertriebskanal ergibt sich durch Partnerschaften mit gewerblichen Anwendern, wodurch die Sichtbarkeit der angebotenen ANP-Leistungen zusätzlich erhöht werden kann.
4.
Kundenbeziehungen
Kundenbeziehungen bilden das Fundament sowohl für einen wirtschaftlich gezielten ANP-Einsatz als auch die Etablierung der Innovation im Paket- und Expresslogistikmarkt. Auf Basis zuvor festgelegter Vereinbarungen können Kunden so entsprechend im Bereich des After-Sales-Services unterstützt werden (z. B. durch ein Service Level Agreement). Ein diesbezüglicher Support ist beispielsweise hinsichtlich der Öffnung oder Schließung von Paketfächern relevant, der bei Problemen durch einen Service Operator möglicherweise aus der Ferne („remote“) geleistet werden muss. Darüber hinaus ist es auch denkbar, dass Kunden eine direkte Unterstützung vor Ort durch Dritte erhalten, welche zur Reparatur an der ANP beauftragt werden. So könnte ein technischer Support bei Beschädigung, beispielsweise durch einen Unfall, relevant sein, der zu einer ergänzenden Unterstützung durch einen Remote Operator führt, damit eine schnelle Lösung des Problems gefunden werden kann. Weiterführend kann ein in der App integrierter Chatbot implementiert werden, um eine serviceorientierte Kundenkommunikation zu ermöglichen, die zudem die Abwicklung der Transportprozesse unterstützt. Dazu kommen „White-Label“-Lösungsansätze seitens der ANP-Hersteller in Betracht, die sowohl für ANP-Integratoren als auch für Transportintermediäre attraktiv sind, um die eigene Unternehmensentwicklung durch eine gezielte Markenpositionierung zu stärken (z. B. Branding).
5.
Umsatzmodell
In den Workshops wurde deutlich, dass verschiedene Umsatzmodelle im Zusammenhang mit dem ANP-Betrieb in Frage kommen. Das betrifft einerseits Umsatzquellen, die direkt mit der bedarfsorientierten Nutzung der ANP in Verbindung stehen. Dazu zählen beispielsweise Nutzungsgebühren für das Fahrzeug. Diese Gebühren könnten entweder als Nutzungspauschale in einem monatlichen Abonnement für ein ganzes Fahrzeug anfallen oder aber als Pay-per-Use Modell je transportiertem Paket oder erfolgreich durchgeführtem Rendezvous abgerechnet werden. Zudem stellen Rahmenverträge eine Möglichkeit dar, um auf Basis eines definierten Umsatzrahmens (z. B. Laufzeit, Preise) individuelle Leistungen (z. B. Garantie, Service Level) zu offerieren. Die Diskussionen in den Workshops haben ergeben, dass die bereits gesammelten Daten potenzielle Ansätze für zusätzliche Monetarisierungsoptionen seitens der Flottenbetreiber bieten (z. B. werden anonymisierte GPS-Datensets der gefahrenen Routen über den Föderierten Katalog angeboten). Die Betrachtung eines Freemium-Modells, welches durch Werbung oder Subventionen einer Stadt oder Kommune finanziert werden kann, ist außerdem denkbar, wodurch weitere Anwendergruppen einen Anreiz für die ANP-Nutzung erhalten würden. Sonstige Umsatzmöglichkeiten umfassen die ANP-Flächen (z. B. Werbung) und dynamische Pricings, die sich beispielsweise an saisonalen Prämissen (z. B. Winter, Sommer) oder zeitlichen Verkehrsbelastungen (z. B. Berufsverkehr) ausrichten lassen könnten.
6.
Schlüsselressourcen
Um die möglichen Geschäftsmodelle einer ANP auf der letzten Meile umsetzen zu können, werden verschiedene Ressourcen benötigt. Dazu zählen sowohl ANP-Fahrzeuge von Herstellern als auch physische IT-Ressourcen für die Hardware (z. B. Server). Hinzu kommen virtuelle IT-Ressourcen in Form von Software-Komponenten für die Föderationsdienste (z. B. Föderierter Katalog) oder die Datenkonnektoren. Daneben sind Softwarekomponenten zur Steuerung und Verwaltung der Fahrzeuge und Aufträge (z. B. Buchungsplattform, Softwareagent) notwendig, die beispielsweise von ANP-Herstellern oder externen Softwareanbietern bereitgestellt werden können. Zudem ist das Betriebspersonal (z. B. Service oder Remote Operator) als essenzielle Ressource für den reibungslosen ANP-Betrieb erforderlich. Neben dem Betrieb sind darüber hinaus auch Personalressourcen zur Ausbildung und Schulung für den Vertrieb einschließlich der administrativen Vorgänge von Bedeutung. Zu den ANP-Fahrzeugen gehört auch die für den Transportbetrieb notwendige Verkehrsinfrastruktur auf Basis einer definierten ODD für einen verkehrssicheren Fahrbetrieb. Dies führt möglicherweise dazu, dass ODD-Lizenzen für den konzessionierten ANP-Einsatz in urbanen Räumen von Flottenbetreibern erworben werden müssen.
7.
Schlüsselaktivitäten
Die identifizierten Schlüsselaktivitäten repräsentieren wertschöpfende Aufgaben, die mit dem ANP-Betrieb in Zusammenhang stehen und sich in drei Kategorien zusammenfassen lassen. Die (1) technische ANP-Überwachung und -Steuerung stellen Schlüsselaktivitäten dar, die einen sicheren und reibungslosen (Remote‑)Betrieb gewährleisten. Das Ziel ist sowohl die Sicherstellung der technischen Einsatzbereitschaft als auch die in diesem Zusammenhang erforderliche Remote-Operation ohne direkten Nutzerkontakt (z. B. analog zur Technischen Aufsicht gem. § 14 AFGBV). Das beinhaltet potenziell auch die Ausführung von Wartungen und Instandhaltungen. Die (2) nutzerbedingten ANP-Aktivitäten umfassen alle unterstützenden Aufgaben zur Bereitstellung und Durchführung der ANP-Transporte. Dies umfasst beispielsweise Unterstützung für die Benutzung der Paketfächer (z. B. Paketfachöffnung) und einen allgemeinen ANP-Support (z. B. Monitoring). Die (3) auftragsbezogenen ANP-Aktivitäten beziehen sich auf die operative Planung, Steuerung und Kontrolle der ANP-Flotten, ausgehend von den Transportaufträgen. Dazu zählen die ANP-Disposition und manuelle Tourenerstellung, das Monitoring der Lieferungen durch KPI-basierte Auswertung von Leistungsindikatoren (z. B. Distanz, Stopps, Zeiten), die Kommunikation von Statusinformationen der ANP-Fahrzeuge an die verschiedenen Anwendergruppen sowie die Unterstützung der Anwender bei der Ausführung des Rendezvous (z. B. Stornierungen, Änderungen).
8.
Schlüsselpartner
Die Schlüsselpartner betreffen Anbieter, die einen sicheren und reibungslosen ANP-Betrieb unterstützen können. Dafür sind zunächst ANP-Hersteller (Original Equipment Manufacturer) relevant, damit Flottenbetreiber den Technologiezugang (z. B. On Board Unit) und ein individuelles Produktdesign für eine Geschäftsmodellentwicklung erhalten können. Infolge der gesetzlichen Anforderungen sind serviceorientierte Unternehmen für eine Remote-Operation von Bedeutung, die einen ferngesteuerten Fahrbetrieb in der ODD ermöglichen. Als weitere Partner sind (Mikro‑)Depotbetreiber und Wartungsdienstleister vorstellbar. Depots fungieren als Entkoppelungsstellen für die Paketlieferungen in der intermodalen Transportkette (z. B. Zwischen‑/Umlagerungen). Wartungen und Instandhaltungen werden von spezifischen Anbietern zur Gewährleistung eines reibungslosen und sicheren Flottenbetriebs durchgeführt. Wie am Beispiel der analysierten Konsortialforschung ersichtlich wurde, bieten Softwareanbieter (z. B. Softwareagenten) das Potenzial, datenbasierte Mehrwerte durch gezielte Partnerschaften zu erzeugen. Städte oder Kommunen repräsentieren zudem unterstützende Partner für ODD-spezifische Betriebslizenzen oder Konzessionen von ANP-Flotten in urbanen Räumen, die einen verkehrsrechtlich sicheren und verträglichen ANP-Einsatz gewährleisten. Durch eine Zusammenarbeit mit Multiplikatoren (z. B. E‑Commerce-Anbieter, Plattform-integratoren) können zudem geschäftsmodellorientierte Maßnahmen durch einen exklusiven ANP-Betrieb oder niedrigschwellige ANP-Integrationen fokussiert werden. Eine Zusammenarbeit mit branchenspezifischen Verbänden (z. B. Bundesverband Paket und Expresslogistik e. V.) bietet die Chance, den ANP-Einsatz gezielt im Paket- und Expresslogistikmarkt, beispielsweise anhand von Best Practices, zu etablieren. Ebenfalls können Forschungsinstitute und Hochschulen als potenzielle FuE-Partner in Erscheinung treten, um Geschäftsmodelle anwendungsorientiert zu erforschen und weiterzuentwickeln und damit die innovativen Konzepte von ANP und Gaia‑X in der Praxis zu verbreitern. Konkret könnte beispielsweise das Ergebnis der in diesem Artikel vorgestellten Studie genutzt werden, um der Gaia‑X Community der Domäne Logistik (Gaia‑X Hub Germany 2024) neues Wissen zu vermitteln, das praktisch genutzt und adaptiert werden kann.
9.
Kostenstruktur
Die Kosten im Rahmen des ANP-Geschäftsmodells sind eng mit den benötigten Schlüsselressourcen verbunden, die insgesamt fixe und variable Bestandteile beinhalten. Relevante Entwicklungskosten beziehen sich beispielsweise auf die Entwicklung von App-Anwendungen zur Buchung eines Rendezvous oder von Softwareagenten für die autonome Transport- und Fahrzeugsteuerung. Zudem entstehen durch den Kauf oder das Leasing von Fahrzeugen direkte ANP-Anschaffungskosten. Der ANP-Betrieb erfordert zudem Personal für den operativen (Remote‑)Betrieb von ANP. Daraus resultieren zudem Betriebskosten für den elektrischen Antrieb und notwendige Versicherungen. In diesem Zusammenhang sind Lizenzkosten gesondert zu beachten, die hinsichtlich der bereits erwähnten Konzessionen innerhalb einer ODD vorstellbar sind. Des Weiteren sind variable Instandhaltungskosten zu berücksichtigen, damit ein sicherer ANP-Betrieb möglich ist (z. B. Abnutzung von Reifen). Darüber hinaus fallen möglicherweise Marketingkosten zur Verbreitung der ANP-Lösung über die Kanäle an (z. B. Social Media, Kampagnen).
Abb. 4
Konzipiertes Business Model Canvas für ein ANP-Geschäftsmodell mit Gaia‑X
Der vorliegende Artikel widmet sich der Entwicklung autonomer Fahrzeugtechnologien für die LML, die Effizienzgewinne, ökologische Vorteile und ein verbessertes Kundenerlebnis für die Abwicklung von Paketlieferungen versprechen. In diesem Zusammenhang treten neue Formen der Interaktionen zwischen Transport- und Lieferrobotern und Nutzern in Erscheinung, die im Rahmen des Konsortialforschungsprojekts Gaia-X 4 ROMS anhand der ANP-Entwicklung als Rendezvous-Funktion untersucht werden. Forschungseinrichtungen mit unterschiedlichen Fachrichtungen, Softwaredienstleister, IT-Anbieter und Fahrzeughersteller fokussieren im Rahmen der analysierten Konsortialforschung kombinationsfähige Mobilitätsdienste für den fahrzeugflottenspezifischen Transport im Personen- und Güterverkehr mit dem Ziel, einen interoperablen, souveränen und sicheren Austausch von Daten und Services zwischen den Akteuren zu erreichen. Zusammenfassend wurde deutlich, dass das Konsortium auf die demonstrationsfähige Umsetzung erster prototypischer Anwendungsfälle für ein verbessertes Flottenmanagement mit Gaia‑X abzielt. Die anwendungsorientierte Forschung ermöglicht einerseits die Exploration des innovativen Technologiecharakters der ANP-Entwicklungen mit Gaia‑X als föderales Datenkonzept. Andererseits ist ein praktischer Transfer der Ergebnisse für den Paket- und Expresslogistikmarkt mit Herausforderungen verbunden. Ein sichtbarer betrieblicher Nutzen auf Basis der Entwicklungen wird somit für potenzielle ANP-Stakeholder (z. B. Flottenbetreiber) erschwert.
Im Hinblick auf diese Situation haben die Autoren erstmalig ein ANP-spezifisches Geschäftsmodell mit Gaia‑X anhand eines BMC exemplarisch entworfen und beantworten damit die eingangs gestellte Frage. Das Artefakt wurde mithilfe der Methode des Design Thinking gestaltet und liefert erste Inhalte, die das Verständnis für ein relevantes ANP-Geschäftsmodell konkretisieren, das mit Gaia‑X betrieben wird. Die Prämisse der Autoren lag bei der Gestaltung auf einer anwendungsorientierten Betrachtung von ANP für Paketlieferungen in urbanen Räumen als praktisches Transferelement ergänzend zur laufenden Konsortialforschung. Obwohl die ANP-Entwicklungen zu einem verbesserten ökonomischen und ökologischen und serviceorientierten Flottenbetrieb beitragen können, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ein erfolgreicher operativer Einsatz in Zukunft von den richtigen Rahmenbedingungen abhängig sein wird. Neben der verkehrsseitigen Infrastruktur (z. B. Ladesäulen) und rechtlicher Klarheit (z. B. Zulassung, Haftung bei Unfall), sind ebenso technische Aspekte (z. B. Aktionsradius) von hoher Relevanz, damit ein langfristiger ANP-Einsatz absehbar wird (DHL Freight Germany 2023). Um die Balance zwischen Kosteneffizienz, Kundenzufriedenheit und Nachhaltigkeit zu erreichen, sind neben den Innovationsbestrebungen daher auch staatliche Unterstützungen (z. B. Förderungen, finanzielle Anreize) für zukünftige ANP-Flottenbetreiber hochrelevant. Gleichzeitig wird der stärker werdende Aufbau von dezentralen Datenräumen für ein übergeordnetes Datenökosystem durch produktive Datenrauminitiativen (z. B. Mobility Data Space4) begleitet, die anwendungsorientierter in das praktische Umfeld der Transportlogistik transferiert werden müssen. Um den synergetischen Einsatz zukünftiger ANP-Fahrzeuge und die Gaia-X-Nutzung für eine beschleunigte transformative Wirkung zu erreichen, werden nachfolgend praktische Implikationen für LML-Anbieter als Handlungsempfehlungen beschrieben:
1.
Gaia-X-Kompetenzen
Bislang haben sich der normative Ansatz von Gaia‑X sowie die autonomen Fähigkeiten eines ANP-Flottenbetriebs mit neuen Interaktionsformen noch nicht im Transportmarkt etabliert. LML-Anbieter sollten sich deshalb stärker mit Gaia‑X als dateninfrastrukturellem Rahmenkonzept befassen, um die eigenen Möglichkeiten für einen souveränen, sicheren und geschützten Datenaustausch hinreichend zu verstehen. Der Aufbau notwendiger Gaia-X-Kompetenzen und die Schulung von relevantem Wissen innerhalb des Unternehmens repräsentieren wichtige Voraussetzungen, die beispielsweise im Rahmen einer digitalen Roadmap strategisch verankert werden können. Das Gaia‑X Hub bietet als nationale Anlaufstelle für die Verbreitung von Gaia‑X dazu unterschiedliche Informationsangebote und Workshops an, die von LML-Anbietern genutzt werden können, damit eine „Gaia‑X Literacy“ entstehen kann. In diesem Zusammenhang ist eine Entkopplung vom operativen Tagesgeschäft durch die Schaffung eigener Innovationsräume, beispielsweise als interdisziplinäre und fachbereichsübergreifende Arbeitsgruppe, sinnvoll, damit eine Ideenentwicklung und -umsetzung sichtbar unterstützt werden. Alternativ kann eine spezifische Kompetenzentwicklung auch durch eine gezielte Zusammenarbeit mit Partnern (z. B. Forschungsinstitut, Hochschulen) anhand von Anwendungsfällen manifestiert werden, die bereits praktische Erfahrungen mit Gaia‑X gesammelt haben.
2.
Technologieoffenheit
Die Durchdringung der LML durch (digitale) Technologien beschränkt sich nicht nur auf den Einsatz von Informations- und Kommunikationslösungen, sondern erfasst zunehmend auch die Fahrzeugentwicklung. Die Digitalisierung und die Elektrifizierung der Mobilität im Zuge globaler Veränderungen stellen dabei handlungsgebende Aspekte für die Nutzfahrzeughersteller dar und forcieren in der Folge das datenbasierte Nutzenpotenzial. Da diese Entwicklungen absehbar die Wettbewerbssituation in der LML beeinflussen werden, sind LML-Anbieter gefordert, eine Technologieoffenheit zu kultivieren, die es ermöglicht, dass real betriebliche Anwendungsfälle einschließlich der Stakeholder agil und schnell forciert werden können. Der offene Austausch von Pain Points mit Marktbegleitern, Kunden und Partnern sollte dabei im Mittelpunkt stehen, damit ein problembasierter Technologieeinsatz mithilfe eines gemeinsamen Technologie-Scoutings erreicht werden kann. Dazu kann das Gaia‑X Hub zudem als neutraler Vermittler zur bestehenden Community in der Domäne Logistik, weiteren Domänen oder externen Organisationen fungieren. Durch den offenen Austausch zur praktischen Technologieanwendung von Gaia‑X in konkreten Business Cases der LML-Anbieter werden neue Lösungsentwicklungen konsequent unterstützt. Dies führt möglicherweise zu einer Konsortialforschung, die neben der Exploration neuer Technologien insbesondere den praktischen Lösungstransfer umfasst.
3.
Vertrauen und Zusammenarbeit
Ein technologischer Wandel bedingt in Zukunft auch ein Umdenken von traditionellen Wertschöpfungsketten hin zu kooperativen Netzwerken und Unternehmensverbunden. Dieser Kulturwandel bedeutet für LML-Anbieter eine zentrale Herausforderung, da logistische Transportsysteme stark an den individuellen Kundenanforderungen ausgerichtet werden und eine umfassende Transparenz tendenziell als Wettbewerbsnachteil empfunden wird. LML-Anbieter sollten eben deshalb Kooperationsmodelle nicht als Gefahr sehen, sondern die Chancen eines offenen Innovationsprozesses gemeinsam mit anderen Organisationen und durch die Einbindung des Kunden im Sinne einer Ko-Kreation forcieren. Erforderliches Vertrauen kann beispielsweise durch die gezielte Zusammenarbeit mit Unternehmen und Kunden entstehen, die an dem Aufbau eines Innovation Hubs oder Technologie-Clusters interessiert sind. Neben der gemeinsamen Nutzung von Know-how und Ressourcen bietet diese Richtung neue Möglichkeiten für eine bessere Vernetzung sowie einen vertrauensvollen Datenaustausch zwischen den Akteuren. Dazu kann Gaia‑X als dateninfrastrukturelles und interoperables Konzept einen erforderlichen Standard und damit die Grundlage für wettbewerbsfähige digitale Innovationsentwicklungen bereitstellen. Datenbasierte Geschäftsmodelle in der LML können so kundenzentriert, gemeinsam und datenschutzkonform aufgebaut und konsequent transferiert werden. Gleichwohl bedarf es weiterer Beachtung möglicher Risiken, die durch die Implementierung und den Betrieb des ANP-Fahrzeugkonzepts entstehen können. Dies umfasst insbesondere Risiken aus IT-Sicht und im Kontext der Remote-Bedienung. ANPs und die Remote-Operations-Plattform könnten Ziel von Cyberangriffen werden, was zu Datenmanipulation oder der Übernahme der Fahrzeugsteuerung führen könnte.
4.
Schnelligkeit und Kontinuität
Die Entwicklung skalierbarer und datenbasierter Geschäftsmodelle stellt neue Anforderungen an LML-Anbieter, die ihre Organisation zu mehr Agilität und Flexibilität befähigen müssen, damit schnelle Innovationsentwicklungen überhaupt möglich sind. Problembasierte Anwendungsfälle, die den ANP-Einsatz und die Gaia-X-Nutzung betreffen, sind daher im operativen Kontext so zu identifizieren, dass diese möglichst schnell in einem realen Umfeld mit (internen oder externen) Kunden prototypisch implementiert und erprobt werden können. LML-Anbieter können dazu beispielsweise das agile Konzept eines „Minimal Viable Demonstrators“ (Kremer et al. 2023) auf ihre Bedürfnisse hin adaptieren und dadurch erste prototypische Funktionen mit ANP-Technologien und Gaia‑X testen sowie iterativ erweitern. Ergänzend können auch vorgeschlagene Konzepte wie ein „Federated Service Engineering“ (Heinbach et al. 2024) als strukturelle Hilfestellung dienen, damit Gaia-X-basierte (ANP-)Anwendungen und ein erforderlicher Geschäftsmodelltransfer systematisch und interdisziplinär ermöglicht werden. Allerdings können LML-Anbieter ANP-Technologien mit Gaia‑X nur dann operativ verstetigen, wenn die kulturellen Voraussetzungen betriebsintern geschaffen werden und damit das Dogma einer kostendominierenden und perfekten Organisation hinter sich gelassen wird. Dazu sind neue Formen einer Digital Leadership notwendig, die den Aufbau einer Fehler- und Vertrauenskultur für eine schnellere und kontinuierliche Innovationsentwicklung ermöglichen. Der vorliegende Beitrag liefert dazu erste Impulse für Organisationen in der Praxis, um das Bewusstsein für ANP-Innovationen durch Gaia‑X zu stärken.
6 Fazit
Das wachsende E‑Commerce-Geschäft versetzt LML-Anbieter zunehmend in ein Spannungsfeld, bestehend aus ökonomischer Effizienz (Kosten), regulatorischem Druck (Nachhaltigkeit) sowie kundenorientierten Bedürfnissen (Service). Als Folge wird mit der Durchdringung digitaler Technologien der straßengebundene Güterverkehr erfasst und zu echtzeitfähigen, vernetzten, automatisierten und skalierbaren Transportlogistiksystemen transformiert. Dabei wird neben dem zunehmenden Einsatz von digitalen Plattformen für eine datenbasierte Wertschöpfung insbesondere die Nutzung von innovativen Liefer- und Zustellrobotern in der LML immer deutlicher sichtbar. Gleichzeitig ist die fortschreitende Entwicklung des Datenökosystems Gaia‑X mit neuen Lösungsmöglichkeiten verbunden, damit ein souveräner Datenaustausch zwischen den Akteuren in der Transportkette sicher, vertrauensvoll und interoperabel möglich wird. Die kombinatorische Wirkung dieser technologischen Entwicklungen birgt erhebliches Potenzial für eine effizientere, nachhaltigere und sicherere Gestaltung des Flottenbetriebs – Potenziale, die in der praktischen Anwendung bislang nicht hinreichend ausgeschöpft wurden.
Das im Rahmen des Beitrags vorgestellte ANP-Geschäftsmodell adressiert diese Lücke und nutzte ein exemplarisches Business Model Canvas, um das Einsatzpotenzial und die Nutzung von ANP in Verbindung mit Gaia‑X als neuartige Geschäftslogik für Transportanbieter zu erfassen. In diesem Kontext wird insbesondere die flexible, bedarfsorientierte Nutzung der ANP-Technologie mit privaten Endanwendern hervorgehoben, die neue Interaktionsmöglichkeiten – sogenannte Rendezvous – zwischen den Akteuren der Wertschöpfungskette schafft. Eine direkte Integration der Kunden in den Paketzustellprozess könnte zukünftig eine Ko-Kreationen für transportlogistischen Wertschöpfungen ermöglichen und damit zur Erstellung der Lieferleistung im LML-Geschäft beitragen. Dieser Ansatz bietet einen richtungsweisenden Impuls für die LML-Branche, um Paketlieferungen effizienter, nachhaltiger und serviceorientierter abzuwickeln, während gleichzeitig ein souveräner Datenaustausch gewährleistet wird. Das ANP-Geschäftsmodell repräsentiert somit einen initialen Gestaltungsvorschlag mit leitgebendem Charakter, der von Transportanbietern als Blaupause für die Entwicklung eigener Geschäftsmodelle adaptiert werden kann und zudem eine wertorientierte Grundlage für die Gaia‑X Community zur weiteren Ausgestaltung bietet. Die Nutzung von Gaia‑X ist dabei essenziell, damit datenbasierte Kooperationen zwischen Händlern, Logistikern und Kommunen realisiert werden können. Neben dem hier dargestellten ANP-Einsatzszenario ist eine Übertragung der präsentierten Komponenten des Geschäftsmodells auch auf verwandte Mobilitätskonzepte, wie beispielsweise Drohnen, denkbar. Durch deckungsgleiche Charakteristika wie den autonomen Fahrbetrieb und die Remote-Operation können möglicherweise kombinatorische Ansätze weiter erforscht werden.
Zur praktischen Umsetzung wurden konkrete Handlungsempfehlungen für Transportanbieter im LML-Segment formuliert, die auf eine schnelle Innovationsentwicklung durch den Einsatz von ANP und die Nutzung des datensouveränen Gaia-X-Systems abzielen. Dabei müssen sich sowohl die autonomen Fähigkeiten einer ANP als auch die verbesserte, Datenraum-basierte Zusammenarbeit innerhalb des Gaia-X-Ökosystems erst noch im praktischen Einsatz bewähren. Insgesamt führt das Rendezvous-Prinzip dazu, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit der Paketzustellung beim Empfänger durch flexible und individuelle Vereinbarungen im Self-Service bedeutend gesteigert werden kann. Dies reduziert die Anzahl fehlgeschlagener Zustellversuche für die LML-Anbieter bzw. Flottenbetreiber und erhöht die Zufriedenheit der Absender und Empfänger. Sollten die funktionalen und regulatorischen Rahmenbedingungen für den ANP-Betrieb mit Rendezvous-Funktion und die Nutzung von Gaia‑X in Zukunft etabliert werden, entsteht für LML-Anbieter eine bedeutende Chance, neue Innovationsideen zu entwickeln, zu implementieren und somit kurzfristig wertschöpfende Vorteile zu realisieren. Diese spiegeln sich potenziell sowohl in der Senkung der Betriebskosten bei gleichzeitiger Erhöhung des Serviceniveaus als auch in der Perspektive eines souveränen Datenaustauschs und einer besseren digitalen Wettbewerbsfähigkeit wider.
Danksagung
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Projekts GAIA-X 4 ROMS – Support und Remote Operation automatisierter und vernetzter Mobility Services – (Förderkennzeichen: 19S21005P) entstanden. Das Verbundprojekt wird durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieses Beitrags liegt bei den Autoren.
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