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25-04-2022 | Risikomanagement | Schwerpunkt | Article

Produktpiraten erobern Online-Marktplätze

Author: Michaela Paefgen-Laß

4:30 min reading time

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Der Umschlag mit gefälschter Markenware hat sich im Zuge der Pandemie ins Internet verlagert. Dort floriert er prächtig und fügt der Wirtschaft enormen Schaden zu. Wie sich Unternehmen schützen können.

Masken, Medikamente, Pestizide, Handtaschen, Spielzeug und jede Menge am "Cyber Monday" oder "Black Friday" vertickte Mobiltelefone: Rund sechs Prozent aller in die EU eingeführten materiellen oder immateriellen Güter sind Fälschungen. Der Wert dieser Waren beläuft sich auf rund 119 Milliarden Euro. Das geht aus einem Bericht von Europol und dem Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) hervor. Produktpiraterie verzerrt den Wettbewerb, schadet der fairen Produktion und gefährdet die Gesundheit von Verbrauchern. Als Geschäftsmodell allerdings ist sie so widerstandsfähig wie flexibel.

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Produktpiraten reagieren auf Corona

Hauptumschlagplatz für das kriminelle Geschäft mit gefälschten oder unerlaubt hergestellten Waren ist das Internet. Hier sind die zu erwartenden Gewinne hoch und die Risiken gering. Vor allem dann, wenn der Alltag im Lockdown gefriert, ausgedehnte Shoppingtouren nur noch vom Computer am Heimarbeitsplatz aus möglich sind und Angebotsverknappung Käufer unvorsichtig werden lässt. So geschehen in den vergangenen beiden Jahren: "Kriminelle Netzwerke haben sich rasch an neue Chancen und die Nachfrage nach Produkten angepasst, die durch die Pandemie entstanden sind", heißt es im Report "Intellectual Property Crime: Treat Assessment 2022"

Im ersten Corona Jahr wurden rund 66 Millionen Artikel sichergestellt. Im Vergleich zu 2019 ist das zwar ein leichter Rückgang. Die zunehmende Beschlagnahmung von gefälschten Verpackungen und Halbfertigprodukten bei der Einreise, spricht allerdings dafür, dass die Produktfälschung selbst innerhalb der EU stattgefunden hat. Auch wenn Produktpiraterie nach wie vor ein Einfuhrgeschäft überwiegend aus asiatischen Ländern ist, häufen sich die Anzeichen dafür, dass in europäischen Produktionsanlagen immer öfter importierte Komponenten zur Produktfälschung zusammengesetzt werden.

Wie Online-Produktpiraterie funktioniert

Und so wirkt das Internet als Handlanger für das kriminelle Geschäft mit dem geistigen Eigentum: Produktfälscher nutzen das Internet zur Teilebeschaffung. Über Online-Marktplätze, Livestreamings, Videowerbung, Social-Media-Werbung, Sofortnachrichten und Rabattaktionen werden Kunden kontaktiert, interessiert und gewonnen. Der Export Richtung EU geschieht großenteils als Massengut per Frachttransport sowie zunehmend in kleinen, von Expressdiensten übermittelten Paketen. Gefälschte Dokumente "legalisieren" den Transport der illegalen Ware. Ebenso werden legale Unternehmensstrukturen und Vertriebskanäle für den Umschlag der Waren und die Geldwäsche missbraucht. 

Kriminalität im Bereich des geistigen Eigentums verstößt gegen die Rechte von Unternehmen, die überwiegend in hochinnovativen Volkswirtschaften angesiedelt sind. Dem Bericht "Global Trade in Fakes" zufolge verletzten 39 Prozent der zwischen 2017 und 2019 sichergestellten Produktfälschungen die Eigentumsrechte von Inhabern aus den USA, gefolgt von EU-Rechteinhabern aus Frankreich (18 Prozent), Deutschland (16 Prozent) und Italien (9,8 Prozent). 

Die Plagiate richten enormen Schaden an. Über die Anfälligkeit der deutschen Wirtschaft und das Gefährdungspotenzial von Produktpiraterie schreiben die Springer-Autoren Christian Endreß und Patrick Hennies: "Hieraus ergeben sich Umsatzeinbußen, durch Kunden, die gefälschte Ware anstatt des Originals erwerben, Reputationsschäden durch Vertrauensverlust in renommierte Marken sowie Haftungsrisiken aufgrund der mangelnden Unterscheidungsmöglichkeiten zwischen Original und Fälschung" (Seite 132). 

In einer Reihe von Branchenstudien schätzte das EUIPO die durch Fälschungen verursachten Umsatzeinbußen im Zeitraum 2013-2017 auf über 83 Mrd. EUR pro Jahr. Dies entspricht einem geschätzten Verlust von 15 Mrd. EUR an Steuereinnahmen und einem geschätzten Verlust von insgesamt 671 000 Arbeitsplätzen. (Report: Intelectual Property Crime)

Schutzrechte wahren, Produktpiraten abwehren

Welche Maßnahmen müssen Unternehmen ergreifen, um Innovationen und geistiges Eigentum gegen den Angriff von Produktpiraten zu verteidigen? Unumgängliche und wirksamste Schutzstrategie ist die frühe Anmeldung und Eintragung von gewerblichen Schutzrechten. Schutzfähig sind (Seite 219 ff.):  die Marke (unter anderem Wort-, Bild-, 3-D- und Farbmarken), das Design (ehemals Geschmacksmuster), das Urheberrecht, das Patent und das Gebrauchsmuster. Erst mit eingetragenen Schutzrechten können Unternehmen aktiv werden und rechtliche Schritte gegen Produktpiraterie, Markenpiraterie und Plagiarismus einleiten. Die Wege zum Durchsetzen der gewerblichen Schutzrechte unterscheiden die Springer-Autorinnen Valentina Nieß und Janina Wortmann in präventive und außergerichtliche Maßnahmen, zivilgerichtlichen Rechtsschutz und strafrechtliche Maßnahmen (Seite 227):

  • Präventive und außergerichtliche Maßnahmen:
    • Grenzbeschlagnahmeverfahren: Verhindert die Einfuhr in die EU und nach Deutschland. Geschieht auf Antrag bei den Zollbehörden. Der Zoll wird auch im Inland, etwa auf internationalen Messen, tätig.
    • Abmahnung mit Androhen gerichtlicher Schritte nach Ablauf einer Frist.
    • Anrufen von Schlichtungsstellen auf einer Messe.
  • Zivilgerichtlicher Rechtsschutz: Einstweilige Verfügungen ohne vorherige Abmahnung. Schnelles und effektives Mittel zur Rechtsdurchsetzung, wenn die Zeitfenster (Messen) sehr knapp sind. "Die Verletzung von Marken- und Designrechten lässt sich oftmals wesentlich leichter darlegen als etwa eine Patentverletzung. Der Erlass einstweiliger Verfügungen ist im Patentrecht daher eher die Ausnahme" (Seite 233).
  • Strafrechtliche Maßnahmen: Strafantrag/Strafanzeige bei Polizei oder Staatsanwaltschaft.

Was Produktpiraten das Handwerk legt

Eine sorgfältige Beobachtung des Marktes im Handel sowie auf Messen, Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärungskampagnen gehören darüber hinaus zu den laufenden Präventionsstrategien, die im Kampf gegen Produktpiraterie und zum Schutz des geistigen Eigentums unbedingt ins Risikomanagement integriert gehören. Weiterhin lassen sich Risiken im Beschaffungsmanagement und der Supply Chain wirkungsvoll durch den Einsatz neuer oder versteckter Technologien minimieren. Dazu gehören (Seite 804): Hologramme, Sicherheitsdrucke, Tracking- und Tracing-Systeme, Mikroaufdrucke, chemische, biologische und magnetische Marker, Holografische Projektoren und mikroskopische Kunststoffartikel. 

Es gibt zu tun. Marken- und Produktpiraterie boomt, trotzdem stellt Springer-Autor Carsten Keller eine "relative Inaktivität" der betroffenen Markenunternehmen im Hinblick auf Abwehr und Gegenwehr fest (Seite 147): "In Folge des geringen Aktivitätsniveaus sinkt das Entdeckungsrisiko auf Seiten der Produktfälscher. Im Rahmen der Risiko-Ertragsabwägungen steigt somit die Wahrscheinlichkeit von Rechtsverstößen" (Seite 148).

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