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2021 | OriginalPaper | Chapter

2. Rituelle Dimensionen in der heutigen Arbeitswelt – eine Annäherung

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Zusammenfassung

In diesem Kapitel geht es um die Bestimmung des Stellenwerts von Ritualen in der gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitswelt. Aufgrund der Bedeutungsvielfalt des Ritualbegriffs fallen darunter je nach Definition sich regelmäßig wiederholende Alltagshandlungen wie gewohnte Routinen zum Arbeitsbeginn und –ende, bestimmte Verhaltensmuster, Machtdemonstrationen und Steuerungsmechanismen in Besprechungen ebenso wie außergewöhnliche Feierlichkeiten zum Firmenjubiläum, zeremonielle Beförderungen und vieles mehr. Auch in der Arbeitswelt sind Rituale häufig verbunden mit Übergängen (z. B. Organisationseintritt und -austritt, Beförderungen), Wechseln oder Krisen (z. B. organisationalen Veränderungen etc.), aber auch zur Bekräftigung von Loyalität und Förderung der Gemeinschaft (z. B. Jubiläumsfeiern, Betriebsausflüge u. a. mehr). Das Kapitel zeigt rituelle Dimensionen am Beispiel des Immatrikulationsrituals der Goethe-Universität Frankfurt, ehe dann aktuelle Entwicklungstendenzen der Arbeitswelt westlicher Gegenwartsgesellschaften skizziert werden und Bedeutungsmöglichkeiten von Ritualen angesichts dieser Entwicklung aufgezeigt werden. Dies erfolgt anhand einer funktionalen Typologie von Ritualen in der heutigen Arbeitswelt.

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Footnotes
1
Welche weiteren Elemente für Rituale charakteristisch sind, erläutere ich in Abschnitt 4.​2.
 
2
Mein Fokus liegt dabei in dieser Arbeit auf der Bundesrepublik Deutschland, wobei ich auch anglo-amerikanische Literatur zu Beratung und für mein Thema relevante gesellschaftliche Tendenzen zur Kenntnis nehme.
 
3
Füssel macht darauf aufmerksam, dass Depositionsrituale in der studentischen Gemeinschaft auch das Ziel hatten, durch das „verbindliche Einschwören auf den in den Statuten formulierten Verhaltenskodex“ „deviantes Verhalten“ zu begrenzen, da Studierende mit Eintritt in die Universität „in einen besonders privilegierten Rechtsraum“ eintraten, der ihnen „akademische Freiheit“ gewährte (2009: 138). So bildeten Universitäten einen „Stand eigener Art (z. B. mit eigener Gerichtsbarkeit) [..], mit ihren zahlreichen Privilegien und Exemtionen und ihrem akademischen Graduierungsrecht“ und verstanden sich in ihrer Frühphase im 14. Jahrhundert „als gleichsam universale, allgemeinzugängliche Institutionen der ganzen Christenheit“ (Wolter 1997: 20).
 
4
Das soziologische Subjektverständnis bewegt sich zwischen der Betrachtung des Subjekts als gesellschaftlich beherrschtem und von ihr geprägtem kollektiven Menschen einerseits und einem relativ autonomen Individuum andererseits, das mit komplexen Eigenschaften versehen ist und die Gesellschaft durch die Auseinandersetzung mit ihr prägt oder konstituiert (Kleemann u. Voß 2010: 415).
 
5
Zur Wahrnehmung des Selbst als Grundlage für Individualisierungstendenzen siehe A. Pfab (2020b: 4 ff.).
 
6
Zur entsprechend ausgerichteten eigenen Berufsbiografie gehört kontinuierliche Weiterbildung, lebenslanges Lernen sowie das Erwerben vielfältiger Kompetenzen (King et al. 2018: 252).
 
7
Näheres zu Individualisierungstendenzen findet sich z. B. bei Elias (1983), Beck und Beck-Gernsheim (1994), van Dülmen (2001) sowie auf die Arbeitswelt bezogen u. a. bei Bröckling (2013a) und Illouz (2007).
 
8
Bezogen auf Selbstmanagement bzw. „ICH AG“ hat Peters für die „New Economy“ bereits 1999 die Maxime formuliert: „SEIEN SIE BESONDERS… ODER SIE WERDEN AUSGESONDERT!“ (2001: 8; Herv. i. Orig.; Originalausgabe 1999 erschienen).
 
9
Reckwitz macht darauf aufmerksam, dass sich in dieser Lebensmaxime zwei kulturhistorisch gegensätzliche Motive vereinen, nämlich das in der Romantik wurzelnde Streben nach Selbstverwirklichung und das Bildungs- und Leistungsideal des Bürgertums (2019: 92).
 
10
Häufig werden diese Belastungen Arbeitnehmer*innen in mittleren und höheren Positionen zugeschrieben, die in der Tat mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Anforderungen an Selbstmanagement, -organisation und Eigenverantwortung haben. Pfeiffer macht jedoch darauf aufmerksam, dass Change-Prozesse auch im Fertigungsbereich zu einer Intensivierung der Arbeit und zusätzlichen Anforderungen führen können. So nimmt Stress zu, wenn es schwieriger geworden ist, Erfahrung im Sinne von Sachkenntnis und Routine (Pfeiffer spricht von experience) zu erwerben (2018: 216).
 
11
Dieser Einfluss drückt sich bis heute in den im Zusammenhang mit der Arbeitswelt verwendeten Metaphern aus, die sich häufig aus Technik oder Digitalisierung ableiten (A. Pfab 2020b: 6), wie dem Vergleich des (arbeitenden) Menschen mit einer Batterie. Neckel und Wagner verweisen auf Bröckling (2013b), der ein Menschenbild skizziert, in dem „die persönlichen Energiereserven durch dauerhafte Anstrengung und übergroßes Engagement aufgebraucht“ werden, so dass „der Akku [..] durch Therapie oder Coaching neu aufgeladen werden [muss]“ (Neckel u. Wagner 2013b: 208).
 
12
Bereits in den 1950er Jahren haben Parsons, Bales und Shils dies in ihrem „AGIL“-Schema deutlich gemacht: Es besteht aus vier Phasen eines jeweils verschiedenen Systemzustands, die jedoch in einer dynamischen Beziehung zu einander stehen (1953: 187 f.): „Adaption“ – Anpassung eines sozialen Systems an „reality demands“ und Veränderungen der äußeren Bedingungen des Systems (ebd.: 183) – und „Goal gratification“ – das Erreichen gesetzter Ziele (ebd.: 184) – stehen dabei für Agilität und Wandel, „Integration“ – die Einbindung und Integration zum Erhalt der eigenen Systemgrenzen (ebd.: 184 f.) - und „Latency“ – das Aufrechterhalten und die Erneuerung anregender und kultureller Werte und Strukturen, die für das eigene System grundlegend sind und daher eine notwendige Voraussetzung bilden für das dauerhafte Bestehen des Systems (ebd.: 185) – sichern dabei Stabilität.
 
13
Belliger und Krieger sprechen gar von einer „Netzwerkgesellschaft“, die von technologischen Innovationen und den damit einhergehenden tiefgreifenden Verhaltensänderungen in der Kommunikation bestimmt ist (2015: 390).
 
14
So stellt Neckel fest, dass „sich das Versprechen der modernen Erwerbsgesellschaft, durch berufliche Arbeit wirtschaftliche Sicherheit und sozialen Aufstieg erlangen zu können, als Illusion erwiesen [hat], da in vielen Bevölkerungsgruppen Arbeitsleistungen zur verlässlichen Daseinsvorsorge immer weniger ausreichen“ (2008: 11).
 
15
In der Psychologie bezeichnet Krise den „Verlust des seelischen Gleichgewichts, den [sic] ein Mensch verspürt, wenn er mit Ereignissen und Lebensumständen konfrontiert wird, die er im Augenblick nicht bewältigen kann, weil sie von der Art und vom Ausmaß her seine durch frühere Erfahrungen erworbenen Fähigkeiten und erprobten Hilfsmittel zur Erreichung wichtiger Lebensziele oder zur Bewältigung seiner Lebenssituation überfordern. Krisen sind dabei Ereignisse, die sich im Leben jedes Menschen immer wieder einstellen. […] Bei manchen Lebensveränderungskrisen handelt es sich auch um Situationen, die von vielen Menschen als positiv eingestuft werden, wie z. B. Verlassen des Elternhauses, Heirat oder die Geburt eines Kindes. […] Ein Charakteristikum von Lebenskrisen ist der Verlust des inneren Gleichgewichts, denn die oder der Betroffene wird in ihrer/seiner momentanen Lebenssituation mit belastenden Ereignissen konfrontiert, die den bisherigen Umgang mit Problemen oder Zielen massiv in Frage stellen. Eine Überforderung durch Lebensumstände oder Ereignisse lässt ein Gefühl von Überforderung, Spannung und Bedrohung entstehen, sodass das psychosoziale Gleichgewicht gestört ist“ (Stangl 2018). Eine Krise stellt also einen mit Gefahr verbundenen Wendepunkt im Leben dar, eine schwierige Situation mit ungewissem Ausgang.
 
16
So machen Neckel und Wagner darauf aufmerksam, dass Arbeitspersonen einem institutionalisierten Misstrauen ausgesetzt sind, dass fortlaufende befristete Arbeitsverhältnisse damit begründe, „dass Personen ihre Leistungsbereitschaft aufgeben würden, wenn sie die Angst vor der Beschäftigungslosigkeit verlören“ (2013a: 16).
 
17
So hat sich Kaufhof beispielsweise bereits in der Anordnung und Auszeichnung der Waren an der Zielgruppe der chinesischen Kundschaft ausgerichtet.
 
18
Siegrist spricht von „Gratifikationskrise“, wenn einer hohen Verausgabung keine angemessene Gegenleistung erfolgt. Diese Gegenleistung könnte neben Anerkennung und Wertschätzung der erbrachten Leistung auch durch Lohn/Gehalt oder beruflichen Aufstieg bzw. Arbeitsplatzsicherheit erfolgen (2018: 217).
 
19
Dies führt nicht selten zu einer Form der Selbstausbeutung, wenn z. B. flexible Arbeitszeiten mit einer Reduzierung der Arbeitspausen, „insgesamt deutlich mehr Arbeitsstunden und nicht selten mit verringerter oder unregelmäßiger Inanspruchnahme von Urlaubstagen einher[gehen]“ (Voss u. Weiss 2013: 42).
 
20
Castel schreibt von „bloße[n] Individuen (individus par défaut)“, die er von „Individuen im Übermaß (individus par excès)“ abgrenzt (2011: 21, Herv. i. Orig.). Individuen im Übermaß verfügen bei dieser Unterscheidung „über so viele Mittel und Güter [..], dass sie sich wie neue Narzissten in ihrer Subjektivität einkapseln und dabei sogar vergessen können, dass sie in einer Gesellschaft leben“ (ebd.: 21), während es bloßen Individuen „an Kraft [mangelt], um sich tatsächlich als die Individuen, die sie sein möchten, verwirklichen zu können“ (ebd.: 357).
 
21
Kury macht darauf aufmerksam, dass es auch in früheren Epochen „raschen gesellschaftlichen, technischen und ökonomischen Wandels“ psychische und physische Belastungserkrankungen gegeben hat, wie sie sich heutzutage in Form von Burnout zeigen, nämlich Neurasthenie zur Jahrhundertwende um 1900 und die Managerkrankheit nach dem zweiten Weltkrieg in der Wirtschaftswunder-Ära (2013: 123). Anders als Burnout ist Neurasthenie sogar bis heute im ICD-Kodex als psychische Störung verzeichnet (ebd.: 119).
 
22
Voss und Weiss konstatieren, dass sich „[d]er Anteil psychischer Erkrankungen am gesamten Arbeitsunfähigkeitsgeschehen [..] von Jahr zu Jahr erhöht“ (2013: 39), „Burnout und Depression zu den typischen Erkrankungen der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts werden könnten“ (ebd.: 30). T. Fuchs et al. sehen Burnout dabei jedoch als weniger stigmatisierende Diagnose als eine Depression oder andere psychische Störungen, und eventuell „sogar als Auszeichnung gelten“ könne (2018: 13).
 
23
Auch Fritsch macht in diesem Zusammenhang auf die Gefahr aufmerksam, dass Supervision „[a]ls Auslagerungsstätte und Kompensationsmittel für Defizite in der Organisation missbraucht“ werden könne (2013: 128). Dann könnte beispielsweise die häufig in Zusammenhang mit Überlastung gebrauchte Metapher des „Hamsterrads“ „bestenfalls zu einem Erschöpfungssyndrom zweiter Ordnung“ führen, „[w]eil der Käfig verschlossen ist, [und so..] auch der pfiffig gemeinte Ratschlag, das Sprossenrad zur Leiter aufzubiegen, diese dann hochzuklettern und die ,eigene Situation von oben mit Abstand zu betrachten‘“, nicht die Möglichkeit bietet, den Käfig zu verlassen (Bröckling 2013b: 189) – so wie der Hamster seinen Käfig nicht öffnen kann, lassen sich auch arbeitsstrukturelle Probleme nicht individuell lösen, solange sich die Arbeitsbedingungen nicht ändern. Hardering und Wagner sehen eine ähnliche Gefahr bezüglich eines „achtsamen Selbstverständnisses“, dessen positive Implikationen „in überfordernde Zumutungen umschlagen, sobald sie als individuelle Lösungen für strukturelle Probleme der Leistungssteuerung in Unternehmen eingefordert werden“ (2018: 261).
 
24
Bohn und Kühl machen darauf aufmerksam, dass der Begriff der „Beratungsgesellschaft“ insofern irreführend ist, als „die funktional differenzierte Gesellschaft nicht beraten kann und auch nicht beraten werden kann“, da Beratung einen Adressaten braucht und auch „der Boom der psychotherapeutischen Beratung oder auch der Gruppenberatung wenigstens in den westlichen Industriestaaten schon recht bald nach dem Zweiten Weltkrieg ein[setzt]“. Faktisch sei nur im Bereich der Organisationsberatung eine „explosionsartige[.] Zunahme“ zu konstatieren; die gesellschaftliche Bestimmung „Beratungsgesellschaft“ stehe daher in Zusammenhang mit der Zeitdiagnose einer „Organisationsgesellschaft“ (2004: 57 f.).
 
25
Auch Schützeichel sieht „die soziale Anwendung“ von Beratung durch „bestimmte Modernisierungspfade“ forciert (2004: 280).
 
26
Unternehmensberater*innen werden allerdings auch hinzugezogen, wenn man bereits getroffene Entscheidungen nicht selbst verantworten will, wie es sich z. B. bei Entlassungen nach Mergern vielfach beobachten lässt.
 
27
Authentizität ist in der Spätmoderne in Zusammenhang mit Selbstverwirklichung zu sehen: „Authentizität bedeutet hier ,echt‘ oder ,stimmig‘ im Sinne von: sich in dem, was man tut, möglichst ohne Kompromisse an seinem eigenen, ,wahren‘ Selbst mit seinen Wünschen, Emotionen und Wertvorstellungen zu orientieren, also nicht ,wie alle anderen‘ zu sein und ,individuell‘ zu agieren“ (Reckwitz 2019: 214).
 
28
Zur Integration neuen Personals und den damit zusammenhängenden Sozialisationsprozessen vgl. Meyer (2010).
 
29
Auf Gemeinschaftsrituale, die nicht in Zusammenhang mit einem Übergang stehen, gehe ich unter 2.4.3 näher ein.
 
30
Bardmann bezeichnet dies als „Symbolik der Egalität“ (1994: 378).
 
31
Beyeler weist jedoch darauf hin, dass neu eingeführte „After-Work“-Rituale nicht dazu geeignet sind, um einen fehlenden Teamzusammenhalt zu fördern – selbst wenn dazu Getränke-Gutscheine ausgegeben wurden (2003: 297) -, wenn eine gemeinsame Basis fehlt, die das Ritual stärkt und auf die es aufbauen kann.
 
32
Bardmann zählt Anerkennungs- und Degradierungsrituale zu „Rituale[n] des Erfolgs (und des Mißerfolgs)“ (1994: 376); aufgrund der darin m. E. immer enthaltenen Machtdemonstration fasse ich sie hier entsprechend unter Machtritualen zusammen.
 
33
Man könnte daher wie Beyeler auch Mobbing und Bossing als Erniedrigungsrituale bezeichnen (2003: 185).
 
34
Im Hinblick auf die betroffene Person handelt es sich hier auch um Anerkennungsrituale, die ebenso wie Degradierungs- und Erniedrigungsrituale indirekt auch zur Steuerung der Organisation eingesetzt werden.
 
35
Vgl. dazu die Ausführungen von Deal und Kennedy über die Relevanz der (rituellen) Form bei Aushandlungsprozessen, die ihres Erachtens genauso wichtig ist wie die Ergebnisse des Aushandlungsprozesses (1982: 63 f.).
 
Metadata
Title
Rituelle Dimensionen in der heutigen Arbeitswelt – eine Annäherung
Author
Antje Pfab
Copyright Year
2021
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-36065-8_2