1 Einleitung
Wie in allen Industrieländern (Vaupel
2000) steigt auch in der Schweiz der Anteil der Personen, die 65 Jahre und älter sind, stetig an. So betrug im Jahr 2019 der Anteil der über 65-Jährigen 18,7 % (Bundesamt für Statistik [BFS]
2020a). Dieser Anteil wird gemäss Referenzszenario des Bundes auf mindestens 25,6 % im Jahr 2050 ansteigen (BFS
2020b), aufgrund verschiedener zugrundeliegender Entwicklungen, wie einer niedrigen Geburtenrate und einer steigenden Lebenserwartung. Viele Personen altern bei guter Gesundheit, jedoch nehmen mit zunehmendem Alter funktionelle Einschränkungen und Erkrankungen zu (BFS
2019). Daher sind die meisten Personen irgendwann auf Unterstützung und/oder Pflege angewiesen. Zudem besteht ein Fachkräftemangel im Pflegesektor, welcher sich in den nächsten Jahren weiter verstärken wird (Mercay und Grünig
2016; World Health Organization
2015), sowohl im stationären Bereich der Alters- und Pflegeeinrichtungen als auch im ambulanten häuslichen Bereich. Gleichzeitig möchte eine Mehrheit der älteren Personen möglichst lange selbständig und autonom leben und in ihrer gewohnten Häuslichkeit verbleiben (Hedtke-Becker et al.
2012).
Eine Möglichkeit den gesellschaftlichen Herausforderungen wie Fachkräftemangel und steigenden Gesundheitskosten als auch den Wünschen der älteren Bevölkerungsgruppe nach Autonomie und Selbstbestimmung zu begegnen, wird darin gesehen, Roboter im Bereich des Wohnens und Lebens älterer Menschen einzusetzen (Kehl
2018; Robinson et al.
2014; Wu et al.
2014).
Der Begriff des Roboters wird unterschiedlich definiert (Decker
2010), wobei sich die Definitionen meist nur in Details unterscheiden, je nach definierender Fachrichtung, Vereinigung oder Fokussierung auf technische oder funktionale Attribute. Aufgrund ihrer Anwendung können Roboter eingeteilt werden in Industrieroboter (Roboter für die Fertigung) und Serviceroboter (Roboter für Dienstleistungen). Bei Servicerobotern als eigene Unterklasse von Robotern steht der direkte Nutzen für den Menschen im Vordergrund. Die internationale Organisation für Standardisierung definiert einen Serviceroboter als Roboter „that performs useful tasks for humans or equipment excluding industrial automation applications (ISO 8373)“ (International Federation of Robotics
2020).
Das Angebot an Servicerobotern zur Unterstützung von Menschen wird in der Literatur jeweils unterschiedlich eingeteilt. Becker et al. (
2013) gliedern Roboter in Betreuung und Gesundheitsversorgung anhand der Anwendung in:
-
Trainingsgeräte und Hilfsmittel zur Bewegungsausführung, Mobilität und Selbständigkeit, welche den Menschen darin unterstützen, bestimmte Bewegungen und Handlungen zu trainieren oder auszuführen,
-
Telepräsenz- und Assistenzroboter, welche die Anwesenheit eines Menschen, zum Beispiel einer Pflegekraft, eines Arztes oder eines Therapeuten, ersetzen oder eine Person in der Ausführung von Handlungen unterstützen, und
-
Sozial-interaktive Roboter, welche vor allem das Ziel haben, mit Menschen zu interagieren und ihnen als Begleiter oder Gefährten zu dienen.
Eine weitere weit verbreitete Unterteilung ist diejenige von Broekens et al. (
2009), welche unterstützende Roboter für Ältere einteilen in Rehabilitationsroboter und Sozial Assistive Roboter, mit den Unterkategorien Serviceroboter und Companion Roboter (S. 94 ff.).
Obwohl Roboter in Schweizer Institutionen für Menschen im Alter aktuell noch wenig verbreitet sind, wird in der gerontologischen Forschung der Einsatz von Robotern viel diskutiert (Seifert und Ackermann
2020). Im vorliegenden Beitrag liegt der Fokus auf Servicerobotern im Altersbereich, welche verschiedene Aufgaben übernehmen können, mit dem Ziel, Aktivitäten des täglichen Lebens zu unterstützen oder dazu anzuregen, soziale Interaktion und Kommunikation zu ermöglichen, sowie pflegerische Tätigkeiten zu unterstützen.
In der Literatur werden vielfältige mögliche positive Auswirkungen eines Robotereinsatzes beschrieben. So könnten ältere Personen durch den Einsatz von Robotern zuhause von gesteigerter Autonomie, Mobilität und Sicherheit profitieren, indem ihre Unabhängigkeit, ihr Wohlbefinden und ihre Lebensqualität positiv beeinflusst werden (Becker et al.
2013; Sixsmith und Gutmann
2013; Wu et al.
2014). In ihrem Review berichten Agnihotri und Gaur (
2016) über vielversprechende Anwendungen von Assistenzrobotern für ältere Personen im Gesundheitsbereich. Bezüglich Sozial Assistiver Roboter zeigten Abdi et al. (
2018) in ihrem Review fünf mögliche Einsatzbereiche auf und fanden überwiegend positive Befunde bei deren Einsatz. Für pflegende Angehörige und Pflegefachpersonen könnten sich Belastungen durch robotische Systeme im ambulanten und stationären Bereich reduzieren, indem Roboter bei körperlich anstrengenden, pflegefernen und Routine-Aufgaben unterstützen. Dies bietet auch zeitliche und psychische Entlastung (Becker und Khiri
2018; Merda et al.
2017). Diese Ergebnisse basieren jedoch auf experimentellen und Beobachtungsstudien sowie Feldtests und können daher nicht verallgemeinert werden. Abgesehen von einzelnen positiven Berichten gibt es bisher wenig belastbare Studien in größeren Populationen, welche diese Ergebnisse unterstützen. Aus pflegewissenschaftlicher Perspektive resümieren Hülsken-Giesler und Daxberger (
2018), dass der Erkenntnisstand bezüglich der Rahmenbedingungen und den Effekten eines Einsatzes von Robotern in der Pflege noch unzureichend ist und weisen darauf hin, dass die besonderen Charakteristika des professionellen pflegerischen Handelns als personenbezogene Dienstleistung bisher kaum angemessen berücksichtigt werden. Vor allem die spezifischen Bedürfnisse unterschiedlicher pflegerischer Handlungsfelder, wie stationäre Akutpflege, stationäre Langzeitpflege, und ambulante Pflege müssen dabei berücksichtigt werden.
Damit neue technische Entwicklungen wie Roboter eingesetzt werden und ihre intendierte Wirkung entfalten können, müssen sie von den Endnutzenden, den Senioren/innen und Pflegefachpersonen, akzeptiert werden. Partizipative Methoden erleichtern die Entwicklung nachhaltiger Roboteranwendungen (Lee et al.
2017), besonders die frühe partizipative Einbindung der Endnutzenden ist dabei für die Akzeptanz essentiell (Lehmann et al.
2017), auch wegen der stark emotionalen Besetzung des Themas (Merda et al.
2017).
Das Institut für Altersforschung (IAF) der OST – Ostschweizer Fachhochschule, erforscht die Akzeptanzbedingungen für einen Robotereinsatz bei älteren Personen mit Fokus auf dem partizipativen Einbezug der Nutzenden (Lehmann et al.
2017) in einem möglichst frühen Stadium der Roboterentwicklung anhand unterschiedlicher Forschungsmethoden. Die Fokussierung auf die Sichtweise der Endnutzenden erlaubt es, förderliche und hinderliche Faktoren aufzudecken und durch deren Berücksichtigung den Nutzen sicherzustellen, die Akzeptanz zu erhöhen, und damit das Produkt für den Markt erfolgreicher zu machen.
Dieser Artikel zeigt exemplarisch Einsatzmöglichkeiten für Roboter zur Unterstützung im Alter anhand von Ergebnissen aus Befragungen und Forschungsprojekten, sowie Schwierigkeiten und die Wirkung eines Einsatzes auf. Dabei werden Ergebnisse berichtet, die anhand verschiedener Methoden erhoben wurden. Dabei ist zu beachten, dass quantitative Methoden sehr hohe Teilnehmerzahlen benötigen, um valide Ergebnisse zu erzielen, und aktuell im Bereich der Robotik im Altersbereich (u. a. wegen Verfügbarkeit und hoher Kosten der Roboter) aufwändig anzuwenden sind. Daher ist es wichtig ebenso qualitative Methoden und Living Lab-Ansätze einzusetzen, um in der frühen Phase der Technikentwicklung für Technikaneignung und Akzeptanz valide Ergebnisse zu erhalten (Abowd et al.
2002; Chi
2009; Mayring
2000).
2 Erfahrungen und Einstellung gegenüber Robotern
Die meisten Personen haben bis dato noch keine direkten Erfahrungen
1 mit Robotern gemacht. In einer repräsentativen telefonischen Befragung (
N = 1003) zum Thema „Service-Robotik: Mensch-Technik-Interaktion im Alltag“ in Deutschland gaben 26 % (forsa
2016) und in einer Online-Befragung, die 2015 in Japan, den USA und Deutschland zum Thema Roboter und künstliche Intelligenz durchgeführt wurde, 27 % der Personen in Deutschland an (
N = 1382, Altersrange 16–59 Jahre), bereits mit einem Roboter zu tun gehabt zu haben (Nitto et al.
2017). Im Eurobarometer von 2017, das die öffentliche Meinung in den 28 Mitgliedstaaten zu einer Reihe von Bereichen, die mit digitalen Technologien, Roboter und künstlicher Intelligenz zu tun haben, erhebt, wurden per Zufallsauswahl 27.901 EU-Bürger/innen ab 15 Jahren zu Hause in ihrer Muttersprache face-to-face interviewt (European Commission
2017). 14 % der so befragten Europäer/innen gaben an, bereits Erfahrung mit einem Roboter zu haben.
Bezüglich der generellen Einstellung gegenüber Robotern gibt es widersprüchliche Befunde (Becker
2018). Wu et al. (
2014) liessen elf ältere Personen (9 Frauen, 2 Männer; M = 79,3 Jahre), ohne und mit leichten kognitiven Einschränkungen vier Wochen lang einmal pro Woche mit einem Roboter interagieren. Im robot-acceptance questionnaire und im anschliessenden halbstrukturierten Interview wurden von den Teilnehmenden eine geringe Intention den Roboter zu nutzen und negative Einstellungen dem Roboter gegenüber berichtet. Daten des Eurobarometers von 2014 aus den EU-Mitgliedstaaten (
N = 27.801, M = 50,2 Jahre, SD = 18,2; 55 % Frauen) zeigten, dass es in der Bevölkerung Bedenken bezüglich eines Robotereinsatzes hinsichtlich möglicher negativer Auswirkungen auf ältere Menschen gibt, dabei waren die älteren Befragten ablehnender eingestellt als die jüngeren (Hudson et al.
2017). Arras und Cerqui (
2005) befragten während der Schweizer Landesaustellung (Expo.02) im „Robotik“ Pavillon, in welchem zunächst mit elf Robotern interagiert werden konnte, 2042 freiwillige Personen mit einem Papier-Fragebogen auf Deutsch oder Französisch. Auch bei ihnen äusserten sich die älteren Personen eher skeptisch gegenüber neuen Technologien, waren jedoch durchaus bereit diese Skepsis zu überwinden, wenn sie sich positive Effekte auf die Lebensqualität und ihre Unabhängigkeit vorstellen konnten. In der Stichprobe waren ältere Personen über 65 Jahre (11 % über 60 Jahre), Frauen (44 %) und tiefere Bildungsschichten unterrepräsentiert. Ray et al. (
2008) hingegen fanden in ihrer Befragung, die aus halbstrukturierten Interviews (
N = 11, Altersrange 20–57 Jahre) und einem Fragebogen (
N = 240, 6 % über 65 Jahre) auf Französisch, verteilt an einer Messe in Genf, bestand, eine sehr positive Einstellung gegenüber Robotern und in der repräsentativen telefonischen Befragung in Deutschland konnten sich 56 % grundsätzlich vorstellen, einen Serviceroboter zu kaufen (forsa
2016).
Einstellungen der Bevölkerung zu technischen und digitalen Anwendungen in der Pflege wurden zum Beispiel im Rahmen des ZQP-Reports des Zentrum für Qualität in der Pflege (
2019) mit computergestützten Telefoninterviews erhoben, basierend auf einer Stichprobe von Privathaushalten in Deutschland (
N = 1000, ab 18 Jahren). Dabei zeigte sich, dass über die Hälfte der Befragten befürwortet, die Pflege durch einen Roboter zu unterstützen (jeweils mindestens 51 %, je nach Einsatzgebiet des Roboters steigt die Befürwortung bis auf 76 %, wie zum Beispiel als Erinnerungshilfe zur Medikamenteneinnahme). Dass viele Personen offen gegenüber digitalen Helfern in der Pflege sind, zeigte eine weitere repräsentative telefonische Befragung (
N = 1004, ab 18 Jahren) (Bitkom Research
2018). 41 % konnten sich vorstellen, dass ein Roboter sie zumindest teilweise pflegt. Von den 18- bis 29-Jährigen konnten sich dies 51 % und bei den Personen über 65 Jahren 37 % vorstellen. Im Rahmen einer Befragung von professionellen Pflegekräften (
N = 127, Altersrange 19–71 Jahre) konnten Zöllick et al. (
2020) internationale Ergebnisse für den deutschsprachigen Raum bestätigen, indem sie zeigten, dass Pflegekräfte einen Einsatz von Technik für die körperliche Unterstützung der eigenen Tätigkeit als Entlastung sehen und diese zu schätzen wissen, jedoch beim Technikeinsatz zur sozialen und emotionalen Zuwendung starke Vorbehalte haben.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Akzeptanz von Robotern verschiedener Interessensgruppen sehr unterschiedlich sein kann und die Technologieakzeptanz stark von der Gruppe beeinflusst wird, zu welcher die nutzende Person gehört (Pino et al.
2015).
Um der rasanten Technikentwicklung, der widersprüchlichen Datenlage und der Kultursensitivität bei Einstellungen zu Robotern Rechnung zu tragen, wurde vom IAF eine Online-Befragung mit geschlossenen selbst zusammengestellten Fragen aus bekannten Akzeptanz-Skalen in der Deutschschweiz durchgeführt, welche speziell die Akzeptanz von Robotern zur Unterstützung im Alter erhob (Lehmann et al.
2020b). Von Januar 2019 bis März 2020 nahmen 189 Personen an der Befragung teil (Altersrange 17–96 Jahre, M = 65,4, SD = 16,6; 57,6 % Frauen). 42 % der Befragten dieser Umfrage hatten bereits einmal direkt mit einem Roboter zu tun. Es zeigte sich, dass 67,5 % der Befragten eine positive Sicht von Robotern hatten, und 69,7 % einen Roboter nutzen würden. Diese Nutzung traute sich die Mehrheit auch zu. Bei möglichen Personengruppen, bei denen die Befragten angeben sollten, ob sie sich einen Einsatz vorstellen könnten, zeigte sich, dass bei einem Robotereinsatz für die eigenen Eltern oder Grosseltern nur 20,9 % der Befragten zustimmten.
5 Grenzen des Robotereinsatzes zur Unterstützung im Alter
Die durchgeführten Forschungsprojekte zeigen deutlich, dass es vielversprechende Möglichkeiten, aber auch Grenzen für den Einsatz von Robotern zur Unterstützung im Alter gibt. Neben aktuell noch vorhandenen technischen Schwierigkeiten und teilweise negativen Einstellungen von Senioren/innen und Professionellen, sind Barrieren vor allem in Bereichen der Umwelt, der Organisation, des gesellschaftlichen und kulturellen Milieus, der Politik und dem rechtlichen Rahmen zu sehen (Papadopoulos et al.
2020).
Aus Sicht des IAF muss der Fokus auf der Sicht der Nutzenden liegen (sowohl der Senioren/innen, der Angehörigen als auch des Pflegepersonals), deren geäusserten Wünschen und Bedenken. Weiter sollten auch gesamtgesellschaftliche, wirtschaftliche und ethische Überlegungen in Betracht gezogen werden. Im Folgenden werden die Grenzen eines Robotereinsatzes bei älteren Menschen hinsichtlich technischer Machbarkeit, Einsatzfeldern, Funktionen und ethischen Bedenken aus der Sicht der Nutzenden dargestellt.
5.1 Technische Machbarkeit
Viele Nutzende haben aktuell ein oft utopisches Bild eines Roboters im Kopf, das nicht zuletzt aus Filmen resultiert (Teo
2020) und nicht mit den tatsächlichen Möglichkeiten der heutigen Robotersysteme übereinstimmt. Dadurch werden übersteigerte Erwartungen an die entwickelten Roboter herangetragen, die dann zwangsläufig enttäuscht werden und in einer geringen Akzeptanz resultieren können. Daher sind beim partizipativen Einbezug der Nutzenden die technischen Möglichkeiten nicht zu vernachlässigen, um einerseits gewünschte, aber andererseits auch realistische Roboter entwickeln zu können. So zeigte sich in einem Prototypen-Workshop des IAF, dass Roboter oft noch nicht so ausgereift sind, wie erwartet und gewünscht und daher eine realistische Einschätzung des konkreten Nutzens für sich selbst für die älteren Personen sehr schwer ist. Am Workshop nahmen 12 Senioren/innen (neun Männer und drei Frauen) von 70 bis 84 Jahre (im Durchschnitt 75 Jahre alt) teil. Sie sollten einen Robotergreifarm, der auf einer Plattform befestigt war, beurteilen. Der Prototyp lag lediglich in Form von schriftlichen Beschreibungen und Visualisierungen vor. Die anwesenden Teilnehmer/innen hatten vielfältige Anregungen, welche Funktionen dieser Arm übernehmen können sollte und wünschten sich dementsprechend weitere Attribute: so sollte der Roboterarm mobil sein und nicht nur fest an einem Platz stehen können, er sollte zwei Arme besitzen, um beispielsweise Getränke öffnen zu können, und er sollte eine grössere Tragfähigkeit haben, um Gegenstände über 0,5 kg heben zu können. Diese Ergebnisse zeigen Schwierigkeiten und Herausforderungen, die im Zusammenhang mit der technischen Machbarkeit auftreten. Da zurzeit viele Roboter erst als Prototypen bestehen und es sich um einen sehr dynamischen Markt handelt, wäre eine Aussage darüber, was nun die „besten“ Roboter sind, aktuell nicht vertretbar. Zumal die robotischen Systeme verschiedene Aufgaben im Altersbereich für unterschiedliche Nutzergruppen unterschiedlich gut erfüllen.
Auch beim Einsatz eines humanoiden Roboters zur Bewegungsaktivierung im häuslichen Kontext traten einige technische Schwierigkeiten auf (siehe Abschn. 4.1, Ruf et al.
2020a). Der Roboter benötigte zu lange, um betriebsbereit zu sein, reagierte nicht sofort auf Befehle, erkannte die ältere Person nicht oder fiel während der Bewegungsübungen um. Auch akustische Probleme traten auf, so dass die Computerstimme nicht gut verstanden oder als anstrengend wahrgenommen wurde. Allgemein machte der Roboter zu viele und zu lange Pausen, bei welchen den Nutzenden nicht klar war, ob sie gewollt waren oder der Roboter nicht funktionierte.
5.2 Einsatzfelder, Personenkreis, Funktionen
Es zeigen sich grosse Unterschiede in gewünschten Einsatzfeldern, Funktionen und Personenkreis des Einsatzes von Robotern für ältere Personen, wenn potenzielle Nutzer/innen befragt werden. So waren in der bereits erwähnten Online-Befragung in der Deutschschweiz (
N = 189) verschiedene Funktionen unterschiedlich gut vorstellbar für die Endnutzenden (Lehmann et al.
2020b). Für die meisten Befragten nicht vorstellbar war eine Konversation mit einem Roboter (72,2 %), pflegerische Tätigkeiten (zum Beispiel Waschen) durch einen Roboter (69,0 %), und der Roboter als Kommunikationshilfe zur Kommunikation mit Freunden und Verwandten (58,3 %). Auch der Personenkreis unterscheidet sich stark. So konnten sich die meisten befragten Personen einen Einsatz eines Roboters bei sich selbst oder fremden Personen vorstellen, jedoch nur 20,9 % bei den eigenen Eltern oder Grosseltern.
5.3 Ethische Überlegungen
Neben dem erhofften Nutzen und den Möglichkeiten eines Robotereinsatzes stellt sich die Frage, welche Funktionen und Einsatzbereiche von den Nutzenden gewünscht und vertretbar sind, und wo die Grenzen und Bedenken eines solchen Einsatzes liegen. So sind die betroffenen Personen im Altersbereich aufgrund kognitiver und/oder körperlicher Einschränkungen besonders vulnerabel und gleichzeitig auf besonders umfassende Unterstützung angewiesen. Bedenken hinsichtlich der Menschen mit Pflege- oder Assistenzbedarf sind unter anderem, dass sie durch den Einsatz robotischer System weniger soziale und emotionale Unterstützung erfahren und Einschränkungen in ihrer Privatsphäre und Handlungsfreiheit unterworfen werden, sowie getäuscht und infantilisiert werden könnten. Bedenken bezogen auf professionelle Pflegekräfte beziehen eine Veränderung ihrer Tätigkeit hin zu weniger beziehungsorientierter Pflege ein, sowie dass die bevorzugte Finanzierung robotischer Systeme zulasten von Verbesserungen im personellen Bereich (höhere Vergütung, geringere Arbeitsdichte, generelle Aufwertung des Pflegeberufs) geht (Deutscher Ethikrat
2020).
Die ethische Diskussion eines Robotereinsatz zur Unterstützung im Alter und seiner Bedeutung für die verschiedenen Nutzergruppen ist essenziell wichtig und wird aktiv und kontrovers geführt (Körtner
2016); einen umfassenden Überblick über die Debatte gibt das systematische Review von Vandemeulebroucke et al. (
2018). Dabei soll, wie der Deutsche Ethikrat (
2020) in seiner Stellungnahme betont, „Robotertechnik grundsätzlich ein komplementäres und nicht ein substitutives Element der Pflege darstellen, welches immer in ein personales Beziehungsgeschehen eingebettet sein muss“ (S. 13). Bei der Entwicklung und Anwendung von robotischen Systemen im Altersbereich ist die Berücksichtigung von ethischen Kernprinzipien erforderlich, welche sich auf die Prinzipien der biomedizinischen Ethik beziehen und Nichtschaden, Fürsorge, Selbstbestimmung, und Gerechtigkeit beinhalten (Beauchamp und Childress
2009; in Körtner
2016). Daneben werden wir durch die Digitalisierung mit zusätzlichen ethischen Fragen konfrontiert, die systematisch identifiziert und bedacht werden müssen. Dabei übersetzt die Digitale Ethik bestehende ethische Maßstäbe für eine digital geprägte Gesellschaft (BVDW
2019). Der Einsatz von Robotern im Altersbereich beinhaltet auch die Möglichkeit Daten aufzunehmen und zu speichern, was besondere ethische Fragestellungen für alle Nutzergruppen aufwirft. Es dürfen nicht mehr Daten als unbedingt nötig erfasst werden, weder von den Unterstützungs- respektive Pflegebedürftigen noch von den Betreuungs- respektive Pflegepersonen. Da diese Daten besonders sensibel sind, müssen sie ausreichend vor unberechtigtem Zugriff geschützt werden. Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz wird es zunehmend wichtiger, dass ethische Überlegungen auch bereits bei der Programmierung von Robotern mit bedacht werden. Die Europäische Gruppe für Ethik der Naturwissenschaften und der Neuen Technologien (EGE
2018) formuliert daher weitere ethische Grundsätze und demokratische Voraussetzungen wie Datenschutz und Privatsphäre und betonen, dass Roboter den Datenschutzvorschriften entsprechen müssen und keine Daten sammeln und verbreiten dürfen, für deren Nutzung und Verbreitung keine aufgeklärte Einwilligung vorliegt (S. 22). Gemäss Yew (
2020) betreffen ethische Herausforderungen beim Einsatz von Robotern in der Pflege das Ausmass der Pflege durch Roboter, die Möglichkeit der Täuschung von vulnerablen Personen, (übermässiges) Vertrauen in und (übermässige) Bindung an Roboter, das Fehlen einer informierten Zustimmung und die mögliche Verletzung der Privatsphäre der Nutzenden. Das ethische Design eines Roboters bezieht sich auf den Prozess, durch den ethische Werte oder Prinzipien in der Entwicklung des Produktes eingearbeitet werden. Dafür muss ein grundlegender ethischer Rahmen vorhanden sein, der mögliche Handlungen und Entscheidungen eines Roboters von Anfang an bestimmt. Gleichzeitig soll ein Roboter aber auch durch die Interaktion mit seiner Umwelt ethische Werte dazu lernen. Zum Beispiel von der Europäischen Kommission (
2020) gibt es inzwischen ethische Richtlinien, Normen und Vorschriften, die sich speziell auf die Konstruktion von Robotern und anderen künstlichen intelligenten Systemen beziehen.
Um ethische Vorbehalte und Bedenken bei der Nutzung technischer Assistenzsysteme zu identifizieren wurde im Rahmen der Studie „Ethische Fragen im Bereich Altersgerechter Assistenzsysteme“ das MEESTAR-Modell („Modell zur ethischen Evaluation sozio-technischer Arrangements“) entwickelt, um in einen strukturierten Dialog treten zu können und anhand dessen ethische Fragestellungen zu systematisieren, zu analysieren, und potenzielle Chancen und zukünftige Handlungsfelder zu identifizieren (Manzeschke et al.
2013).
Bei der erwähnten Online-Befragung des IAF in der Deutschschweiz zeigte sich, dass ethische Bedenken vor allem den Verlust von persönlichen Kontakten oder Probleme mit dem Umgang mit sensiblen Daten betreffen. Fast die Hälfte der Befragten hat jedoch auch Bedenken, dass Arbeitskräfte ihren Job verlieren könnten oder die Privatsphäre nicht garantiert ist. Weitere Bedenken waren, dass die älteren Personen getäuscht, ihre Selbstbestimmung beeinträchtigt oder ihre Würde verletzt werden könnte (Lehmann et al.
2020b). Auch Ray et al. (
2008) finden bei ihrer Fragebogen-Erhebung (
N = 240, 6 % über 65 Jahre) als negative Aspekte das Fehlen von zwischenmenschlichen Beziehungen.
6 Schlussfolgerung
Der frühe Einbezug aller Endnutzenden ist notwendig, um die Akzeptanz einzelner robotischer Anwendungen sicherzustellen und Verbesserungsmöglichkeiten früh aufzeigen und damit einen erfolgreichen Einsatz des jeweiligen Roboters umsetzen zu können. Dabei ist darauf zu achten, alle Endnutzer/innen respektive Stakeholder zu berücksichtigen und miteinzubeziehen. So kann mitunter gerade die Sicht der Senioren/innen sich deutlich von der Sicht der Angehörigen oder dem professionellen Pflegepersonal unterscheiden.
Es zeigte sich, dass die Akzeptanz der gleichen Roboterlösung je nach Gruppe von Endnutzenden unterschiedlich ausfallen kann. Es sollte daher genau abgewogen werden, aufgrund welcher Einstellungen und Emotionen von welchen Nutzergruppen ein Robotereinsatz beurteilt wird. So sollte zwar auch das Pflegepersonal bei der Entwicklung technischer Lösungen partizipieren können, um die Entwicklung nach ihren Bedürfnissen zu gestalten, was bisher wenig erfolgte (Merda et al.
2017), jedoch müssen vor dem Einsatz eines Roboters im Dienstleitungs- und Pflegebereich auch die Einstellungen der älteren Personen berücksichtigt werden. Ein Einsatz sollte nicht nur aufgrund der Einstellung von jüngeren Personen abgelehnt werden. Ebenso muss die Entscheidung für den Einsatz eines Roboters zur Unterstützung im Alter in einer konkreten Situation jeweils individuell entschieden werden (Becker
2018).
Durch den Einbezug der Endnutzenden können auch konkrete Verbesserungsmöglichkeiten einer robotischen Lösung aufgezeigt werden. So konnten die sieben Senioren/innen, die mit einem humanoiden Roboter als Bewegungscoach trainierten, Verbesserungspotential aufzeigen, indem individuell adaptierbare und personalisierbare Lösungen, genug grosse Roboter, Erinnerungsfunktionen, Variationen der Kommunikation und Übungen, Ansagen von Pausen, Fehlerkorrekturen, Kompatibilität mit anderen Geräten und soziale Aspekte gewünscht wurden (Ruf et al.
2020a). Bei mehreren Einsatzbereichen unterschiedlicher Roboter (humanoider Roboter als Trainingscoach, Companion Roboter zur Verbesserung der sozialen Isolation) zeigten sich jedoch neben den positiven Effekten auch deutliche Gewöhnungseffekte. Dies lässt die Überlegung zu, ob der Einsatz jeweils zeitlich begrenzt sein sollte bei gewissen Anwendungen, wie dem Einsatz eines Companion Roboters. Wichtig ist dabei aber auch festzuhalten, dass es sich zurzeit (bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel Studien mit der Roboterrobbe PARO) noch um kleine und eher explorative Studien handelt und insofern auf dieser Basis keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden können.
Selbstverständlich müssen in Zukunft auch Überlegungen zu finanziellen Aspekten gemacht werden, wofür eine systematische Analyse des praktischen Mehrwerts anzustreben ist, da bislang Nachweise des Nutzens oftmals fehlen (Merda et al.
2017). Im Bereich der ethischen, legalen und sozialen Aspekte (ELSA) bestehen aktuell noch viele offene Fragen, welche diskutiert werden müssen (siehe hierzu ausführlicher Bischof et al.
2018; Manzeschke et al.
2013). Wichtig ist, dass das Thema Robotereinsatz im Altersbereich nur interdisziplinär bearbeitet werden kann, um gemeinsam die beste Lösung für alle Nutzergruppen und die Gesellschaft zu erlangen.
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