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04-10-2021 | Rohstoffe | Schwerpunkt | Article

Seltene Erden: Wie die EU unabhängiger von Importen wird

Author: Thomas Siebel

4:30 min reading time

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Seltenerdmagnete sind Schlüsselkomponenten für E-Autos, Robotik und erneuerbare Energien. Bis 2030 könnte die EU 20 % des Eigenbedarfs an Seltenen Erden selbst decken und so die Abhängigkeit von China mindern.

Bis zum Jahr 2050 soll die EU klimaneutral werden, unter anderem durch flächendeckende emissionsfreie Mobilität und durch den massiven Ausbau der Erzeugung erneuerbarer Energien. Ob der Plan aufgeht, hängt jedoch auch von davon ab, ob der EU-Industrie genügend Seltenerdenmaterialien zur Verfügung stehen, denn sie stehen bei etlichen Zukunftstechnologien am Anfang der Wertschöpfungskette. Zu den kritischsten Komponenten zählen dabei Permanentmagnete aus Seltenen Erden. Seltenerdmagnete sind nach heutigem Stand der Technik unverzichtbar, um Energie in Elektromotoren oder Generatoren hocheffizient zu wandeln. 1 bis 2 kg Magnetmaterial steckt in jedem Elektroauto, ganze 2 t in einer 3-MW-Windenergieanlage – wobei gut ein Drittel des Magnetmaterials auf Seltene Erden wie Neodym, Dysprosium und Praseodym entfallen, wie Marc Schmid im Kapitel Aktuelle Evidenz: Seltene Erden des Buchs Unternehmerische Rohstoffstrategien schreibt.

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EU: Seltene Erden ressourcenkritischste Rohstoffe

Die European Raw Materials Alliance (ERMA) schätzt den weltweiten Bedarf an Seltenerdmagneten allein für den Bau von Elektrofahrzeugen bis 2030 auf jährlich bis zu 70.000 t; im Jahr 2019 lag der Bedarf noch bei 5.000 t. Dazu kommen mehr als 100.000 t, die dann jedes Jahr für erneuerbare Energien, Werkzeugmaschinen oder Roboter gebraucht werden – allesamt Branchen, in denen Unternehmen aus der EU zu den führenden Herstellern zählen.

Das Problem dabei: Die EU ist fast vollständig auf Importe angewiesen. 98 % der Seltenerdmagnete auf dem EU-Markt stammen aus chinesischer Herstellung. China konzentriert 90 % der weltweiten Magnetproduktion im eigenen Land. Angesichts dieser Marktdominanz, der weltweit stark wachsenden Nachfrage und zunehmenden politischen Spannungen zählt die Europäische Kommission Seltene Erden zu den ressourcenkritischsten unter allen Rohstoffen.

EU-Bergbau und Recycling als Ausweg

Dabei hätte die EU grundsätzlich die Möglichkeit, ihre Importabhängigkeit zu mindern. Europa verfügt laut ERMA über bedeutende Vorkommen an Seltenen Erden, die aber nicht bergbaulich erschlossen sind. Zudem bieten neue Recyclingverfahren Potenzial: Bislang werden in Europa weniger als 1 % der Seltenen Erden aus entsorgten Permanentmagneten wiedergewonnen. Mit dem stark ansteigenden Verkauf und dem in einigen Jahren verstärkten Rücklauf ausgedienter Elektrofahrzeuge könnten bedeutende Mengen wiedergewonnen werden.

Allerdings gibt es auch Gründe dafür, warum sich die europäische Industrie bislang nicht aus den vorhandenen heimischen Ressourcen bedient. Die Wertschöpfung findet vor allem in den Anwendungen in Automobil- und Maschinenbau oder in der Chemiebranche statt. Abbau, Separation und Verarbeitung des Rohstoffs selbst sind wirtschaftlich weniger lukrativ, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Seltene Erden aufgrund ihrer zumeist geringen Konzentration im Gestein oft an die Gewinnung anderer Rohstoffe gekoppelt sind, wie Marc Schmid im oben genannten Kapitel schreibt. Das passt auch zu Zahlen der ERMA, wonach der Weltmarkt für Seltenerdmagnete mit 6,5 Milliarden Euro vergleichsweise klein ist. Allein der EU-Mobilitäts- und -Automobilmarkt könnte bis 2030 auf 400 Milliarden Euro wachsen – die Verfügbarkeit von Seltenen Erden vorausgesetzt.

Aufwand versus strategische Bedeutung

Angesichts dieser strategischen Bedeutung hat der 2020 von der Europäischen Kommission gegründete ERMA-Cluster für Seltenerdmagnete und -motoren nun einen Aktionsplan vorgelegt, der den grundlegenden Rahmen für eine erfolgreiche europäische Industrie für Seltene Erden beschreibt. Nach Konsultation mit mehr als 180 Fachexperten hat die ERMA darin eine Reihe von Empfehlungen formuliert, mit deren Umsetzung die heimische Industrie bis zum Jahr 2030 20 % des EU-Bedarfs an Seltenerdmagneten decken könnte. Dazu wären Investitionen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro nötig, die sich etwa zur Hälfte auf den Bergbau und die Aufbereitung der Erze einerseits und auf Recyclingverfahren und die Magnetproduktion andererseits verteilen würden. Mit der Umsetzung der Empfehlungen könnte die EU laut ERMA zu einem weltweit führenden Produzenten von Seltenerdmetallen, -legierungen und -magneten aufsteigen.

Die politischen Rahmenbedingungen müssten dafür allerdings so gestaltet werden, dass eine heimische Industrie Seltene Erden auch wirtschaftlich produzieren kann. Die ERMA schlägt dafür die Schaffung eines europäischen Level Playing Fields vor. Europäische Unternehmen würden darin Steuererleichterungen und niedrige Energiepreise garantiert, damit sie im Wettbewerb mit chinesischen Firmen bestehen könnten. In China lassen sich Magnete heute aufgrund staatlicher Subventionen sowie niedrigerer Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards zu 20 bis 30 % geringeren Kosten produziert.

Kreislaufwirtschaft und Abnahmeverpflichtung

Zudem sollten europäische OEMs verpflichtet werden, einen "signifikanten" Teil ihrer Seltenerdmaterialien von europäischen Produzenten zu beziehen. Seltenerdhaltige End-of-Life-Produkte oder Abfälle sollten in Europa verbleiben und hier recycelt werden. Die EU und ihre Mitgliedsländer sollten zudem Anreize für private Investitionen in die Wertschöpfungskette mit Seltenen Erden setzen, beispielsweise durch den Beschluss eines sogenannten Important Project of Common European Interest (IPCEI) für Seltenerdmagnete und -motoren.

Investitionsmöglichkeiten für die Gewinnung von Erzen sieht die ERMA beispielsweise in Skandinavien, während die Materialien in Polen oder Estland aufbereitet werden könnten. Belgien und Frankreich bieten gute Voraussetzung für das Recycling und Deutschland oder Slowenien wären geeignete Standorte für die Produktion von Magneten.

Die ERMA schlägt weiterhin vor, kurzfristig strategische Handelspartnerschaften mit ressourcenreichen Ländern einzugehen, in denen sich Seltene Erden entweder durch Bergbau gewinnen lassen oder in denen relevante Mengen an seltenerdhaltigen End-of-Life-Produkten anfallen, die sich recyceln ließen. Auch in die Forschung und Entwicklung sollte laut ERMA investiert werden, etwa in effizientere Aufbereitungstechnologien, neue Magnetmaterialien, in die additive Fertigung von Permanentmagneten, in Recyclingtechnologien oder in die Entwicklung energieeffizienterer Motordesigns.

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