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2022 | OriginalPaper | Chapter

4. Schwellenkonzeptorientierte, wirtschaftsdidaktische Entrepreneurship Education aus komplexitätswissenschaftlicher Perspektive

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Zusammenfassung

Nachdem in Kapitel 2 das Potenzial des Schwellenkonzeptansatzes für Entrepreneurship Education aus wirtschaftsdidaktischer Perspektive erarbeitet wurde und der Stand der Forschung in Kapitel 3 die bestehende Forschungslücke konturiert hat, wird hierauf aufbauend nun ein Vorschlag zur Untersuchung der forschungsleitenden Frage entwickelt. Unter Berücksichtigung der theoretischen Grundlagen zu wirtschaftsdidaktischer Entrepreneurship Education und zum Schwellenkonzeptansatz sowie der hierzu in 2.3.3 hergeleiteten Desiderate werden im Rahmen von Abschnitt 4.1 im ersten Schritt „Effectuation“ und „Geschäftsmodell“ als entrepreneuriale Schwellenkonzeptkandidaten diskutiert. Es folgt sodann die Ausarbeitung schwellenkonzeptgeleiteter Lernarrangements, die insbesondere an den mit Schwellenübertritten verbundenen nichtlinearen Eigenschaften des Lerngeschehens ausgerichtet sind (vgl. 4.2).

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Footnotes
1
Wenngleich durch die Studien von Bolinger und Brown (2015) und Hatt (2018) bereits erste entrepreneuriale Schwellenkonzepte hergeleitet werden, sind diese bisher nicht vor dem Hintergrund einer didaktisch geleiteten Einbettung in entsprechende Lernarrangements operationalisiert worden.
 
2
Barradell (2013, S. 268) betont in diesem Zusammenhang, dass Konzepte vor allem die in 2.​2.​1 aufgezeigte Tiefe (Konzeptintension) sowie Breite (Konzeptextension) aufweisen sollten, die sich auch innerhalb von Curricula finden ließen. So ist das ökonomische Marktkonzept in das Zusammenspiel des Angebots- und Nachfragekonzepts strukturiert (Intension) und auf unterschiedliche Phänomene wie Güter- und Finanzmärkte anwendbar (Extension). In der Übertragung solcher Ansätze auf die Entrepreneurshipdisziplin besteht ein wichtiges Forschungsdesiderat (vgl. Wiklund et al., 2019), dem hier mit dem Schwellenkonzeptansatz begegnet wird.
 
3
Als weitere Möglichkeiten zur Identifizierung disziplinärer Schwellenkonzepte werden Delphi-Befragungen, phänomenografische Interviews, Umfragen, Kurzaufsätze oder die Beobachtung von Klassen vorgeschlagen (vgl. die Übersichten in Barradell, 2013; Burch et al., 2015).
 
4
Für eine dezidierte Darlegung des Informationsprozesses sowie dort potenziell auftretenden Anomalien und deren Konsequenzen siehe Kapitel 2 in Liening (2017b).
 
5
Während der auf Sarasvathy (2001a) aufbauende Literaturkorpus primär in Verbindung mit dem Effectuationbegriff gebracht wird, werden seine konzeptionellen Grundlagen im Hinblick auf die Emergenz strategischer Entscheidungen oder die ressourcenzentrierte Sichtweise für die Entwicklung von Firmen in der Managementliteratur bereits früh durch bspw. Penrose (1959), Mintzberg (1978), Wernerfelt (1984) und Barney (1991) beschrieben. Die sich in dem Effectuationansatz verborgene Kernidee wird aus ökonomischer Perspektive u. a. auch mit dem Maximalprinzip in Verbindung gebracht (vgl. Liening, 2017b, S. 463).
 
6
Die ökonomische Schwellenkonzeptliteratur bspw. fasst die Ceteris Paribus-Regel oder die komparative Statik als sog. prozedurale Schwellenkonzepte auf (vgl. Davies & Mangan, 2008).
 
7
Einen dezidierten Überblick über theoretische und empirische Untersuchungen zu Effectuation bietet Mauer (2015, S. 119).
 
8
Im Zuge der Modellierung entrepreneurialen Lehr-Lerngeschehens als nichtdeterminierbarem, emergentem Prozess der Strukturgenese werden die Theorien Nichtlinearer Dynamischer Systeme in Abschnitt 4.2 eingehend erläutert und als Grundlage für die Gestaltung schwellenkonzeptorientierter Lernarrangements herangezogen.
 
9
Der auf Knight (1921) zurückgeführte Unsicherheitsbegriff hat sich in der Entrepreneurshipliteratur als bedeutsamer Kontext unternehmerischen Agierens etabliert (vgl. Read, Dew, Sarasvathy, Song & Wiltbank, 2009, S. 2; Freiling & Harima, 2019, S. 13). Hierbei wird eine grundlegende Unterscheidung zwischen Risiko und true uncertainty unternommen (vgl. Knight, 1921, S. 232 ff.): Unter Risiko werden solche Vorgänge verstanden, deren Ergebnisse antizipierbar sind und denen Eintrittswahrscheinlichkeiten zugeordnet werden können (entweder a priori wie bspw. bei bekannten Verteilungen oder durch empirische Erfahrungswerte). True uncertainty hingegen reflektiere Vorgänge, bei denen potenzielle Ergebnisse nicht antizipiert und daher auch keine Eintrittswahrscheinlichkeiten zugeordnet werden können. Das Vorliegen von true uncertainty wird dabei als Umweltbedingung angeführt, in der Unternehmen erfolgreich sein können. Freiling und Harima (2019, S. 13) beschreiben am Beispiel der Entwicklung und Markteinführung des Apple iPhones das Vorliegen einer solchen Situation, in der weder das technologische Ökosystem noch ein Markt für Smartphones zuvor existierten und daher auch auf keine Erfahrungswerte für eine potenzielle Nachfrage zurückgegriffen werden konnte. Strunk (2019) kritisiert den Unsicherheitsbegriff als unscharf und schlägt mit einer komplexitätswissenschaftlich fundierten Sichtweise eine Perspektive auf Entrepreneurship vor, die über einen subjektiv geprägten Unsicherheitsbegriff hinausgeht und eine Begegnung entsprechender Kontexte mit elaboriertem, objektivierendem Forschungsinstrumentarium ermöglicht. Dieser Gedanke wird im Zuge der wirtschaftsdidaktischen Modellbildung und empirischen Untersuchung im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit aufgegriffen.
 
10
Hintergrund ist die Unterteilung in Risiko, Unsicherheit und Knightsche Unsicherheit bzw. true uncertainty (s. o.), die als zu unscharf kritisiert wird (vgl. Strunk, 2019). Während der Komplexitätsbegriff in der Effectuationsforschung zwar explizit bemüht und ebenfalls als entrepreneurialer Entscheidungskontext diskutiert wird (z. B. Townsend et al., 2018), bleibt seine Entfaltung aus komplexitätswissenschaftlicher Perspektive gleichwohl noch aus.
 
11
Strunk (2019, S. 93) benennt z. B. „Chaos“ als mögliches Schwellenkonzept, das für die Entrepreneurshipdisziplin und damit auch vor dem Hintergrund von Effectuation relevant sein könnte.
 
12
Als Experten werden in dieser Untersuchung Personen eingeordnet, die über mehrjährige Gründungserfahrung verfügen (vgl. Dew et al., 2009a, S. 298ff). Bzgl. der mit einer Operationalisierung über die Ausübungsdauer potenziell verbundenen Einschränkungen sei daher auf die Diskussion in 3.​2.​2.​1 verwiesen. Im Zuge der Untersuchung zeigt sich, dass die Expertengruppe planerischen Aktivitäten wie der Identifizierung von Kundensegmenten, Wettbewerbern und relevanten Märkten, Marktforschungsinstrumenten wie Befragungen, Fokusgruppen oder systematischen Tests vergleichsweise skeptisch gegenübersteht.
 
13
Im Vergleich zu den ursprünglichen Effectuation-Prinzipien nach Sarasvathy (2008, S. 15 f.) weicht die Konzeptualisierung und empirische Überprüfung bei Dew et al. (2009a) leicht ab: Das Effectuation-Prinzip des gestalterischen Umgangs mit unvorhersehbaren Ereignissen wurde im Rahmen der Studie nicht getestet, da aufgrund konzeptioneller Überlegungen keine entsprechenden Ereignisse in das experimentelle Setting eingebunden wurden. Das Prinzip der non-prädiktiven Kontrolle hingegen wird als zentrales Konzept der Separierung von Kontrolle und Vorhersagbarkeit aufgefasst und durch alle anderen Prinzipien abgebildet. Siehe hierzu auch die Ausführungen von Mauer (2015, S. 124 f.).
 
14
Bei der Definition des Expertenbegriffs rekurriert Sarasvathy auf Foley und Hart (1992, S. 235) und Ericsson, Krampe und Tesch-Römer (1993, S. 367).
 
15
Im Kontext der Ökonomischen Bildung erfüllt bspw. das Marktgleichgewicht diese Eigenschaft, indem es die Konzepte „Angebot“ und „Nachfrage“ integrativ behandelt und das Verständnis über hier wirkende Mechanismen auf ein neues Niveau hebt (vgl. 2.​2.​2).
 
16
Für eine dezidierte Auseinandersetzung mit den Begriffen „komplex“, „dynamisch“ und „Unsicherheit“ siehe Abschnitt  4.2.
 
17
Eine anschauliche Darbietung von Typen unternehmerischer Gelegenheiten ist bei Alvarez und Barney (2007, S. 13) zu finden.
 
18
Mit dem Einbringen der Effectuation-Logik wird eine im Gegensatz zu kausalem Denken als „invers“ (Sarasvathy, 2001b, S. 5; Read et al., 2009, S. 2) bezeichnete Perspektive jenseits von Entscheidungs- und Handlungsmechanismen, die rein auf Vorhersagbarkeit basieren, eröffnet. Die Effecatuationliteratur verweist dabei auf die vielfach attestierte Dominanz von auf Planbarkeit ausgelegten Ansätzen in der betriebswirtschaftlichen Fachkultur (vgl. bspw. Wiltbank et al., 2006; Read et al., 2009; Fisher, 2012), die, wie Klandt (2018, S. 56) formuliert, zu wenig Ansätze für das dynamische Geschehen in Gründungs- und Innovationsprozessen anbieten: „Leitbild der traditionellen (deutschen) BWL ist die Welt der großen, gereiften Unternehmen, den global agierenden Konzernen mit einer starken Aufgabendifferenzierung im Management und relativ stabilen Strukturen. […] Das Leitbild des Entrepreneurship (Unternehmertum, Gründungs- und Frühentwicklungs-Managements) ist dagegen die Welt der jungen, kleinen Unternehmen vorzugsweise in der Gründungs-, Frühentwicklungs- und Wachstumsphase. Die Unternehmeraufgabe ist hier typischerweise weitaus vielfältiger, unstrukturierter und dynamischer.
 
19
Mitchell (2005, S. 220) postuliert, dass das Ausbeuten von Informationsasymmetrien im Informationszeitalter zunehmend schwieriger wird und damit einhergehend auch das Entwickeln entsprechender Erlösmodelle. Sein Plädoyer, sich von Erlösmodellen zu verabschieden und den Fokus auf das Schaffen unternehmerischer Gelegenheiten aus neuen Faktorkombinationen zu verlegen, beschreibt er als auf eine Vielzahl von Akteuren kontraintuitiv wirkend.
 
20
Shackle (1953, S. 113) differenziert überraschende Ereignisse in „counter-expected“ und „unexpected“: Als counter-expected bezeichnete Ereignisse befinden sich ex ante im Erwartungshorizont eines Entscheidungsträgers, ihr Eintreten wird jedoch wenig wahrscheinlich eingestuft. Als unexpected eingestufte Ereignisse hingegen befinden sich ex ante nicht in im Vorstellungshorizont eines Entscheidungsträgers.
 
21
Eine Interpretation dieser Begriflichkeiten aus komplexitätswissenschaftlicher Perspektive findet hingegen nicht statt.
 
22
Obgleich Nichtlinearität vielen ökonomischen Phänomenen (für eine Übersicht entsprechender mikro- und makroökonomischer Modelle vgl. z. B. Day, 1992, S. S20) zugrunde gelegt wird, ist noch immer ein Mangel an entsprechenden Modellen und methodischen Zugängen zur Untersuchung dieser Phänomene festzustellen (vgl. Liening, 2013a, S. 306).
 
23
Dew et al. (2009b, S. 109) beziehen sich dabei auf den Umgang mit finanziellen Risiken: Während sie Renditeüberlegungen als Grundlage von Entscheidungen in der neoklassischen Nutzentheorie verorten, fußt der akzeptable Verlust als Entscheidungsgrundlage eher in der Verhaltensökonomie.
 
24
George und Bock (2011, S. 86) unterscheiden 6 thematische Zugänge zur Näherung an das Geschäftsmodellkonzept, die jeweils eine bestimmte Funktion für unterschiedliche Adressaten beinhalten: Ein Geschäftsmodell kann (1) das Design einer Organisation beschreiben, (2) eine ressourcenbasierte Perspektive einnehmen, (3) der subjektiven Beschreibung der Wertschöpfung i. S. von Storytelling dienen, (4) auf Innovationen gerichtet sein, (5) den Fokus auf die Transaktion von Eingangs- in Ausgangsgrößen beschreiben und letztlich (6) den Fokus auf das Verfolgen einer konkreten Gelegenheit legen.
 
25
So können die Bestandteile des Geschäftsmodellkonzepts wiederum als Subkonzepte interpretiert und strukturiert werden. Konzeptuelle Bezugspunkte der Kostenstruktur und Einnahmequellen werden in der Kosten- und Leistungsrechnung begründet (vgl. z. B. Liening, 2001), Kundensegmentierung im Marketing (vgl. z. B. Meffert, Bruhn & Hadwich, 2015) und Schlüsselpartner sowie -ressourcen im Management (vgl. z. B. Barney, 1991). Eine konzeptionelle Ausdifferenzierung des Wertversprechens wird bspw. von Osterwalder, Pigneur, Bernarda und Smith (2014) vorgenommen.
 
26
Erneut sei darauf verwiesen, dass Schemata nicht automatisch Konzepte sind (vgl. Walker, 2013, S. 251 f.), das Geschäftsmodellkonzept jedoch in diesem konkreten Fall als Schema interpretiert werden kann.
 
27
Gleichwohl sind die Konzepte durch ihren gemeinsamen Fokus auf das Erschaffen von Werten miteinander verbunden.
 
28
Als Beispiel sei organisationsbezogenes unternehmerisches Denken und Handeln sowie Innovationen an Schulen und Hochschulen angeführt (vgl. z. B. Mittelstädt, 2011).
 
29
Im Falle von non-profit Organisationen kann das Ziel in Kostendeckung bestehen.
 
30
Strunk und Schiepek (2006, S. 263) sprechen hier auch von einem „Leidensdruck“, der aus fehlgeschlagener Schemaassimilation resultiere und als Impuls für Schemaakkommodation fungiere.
 
31
Während in Anlehnung an Martins et al. (2015, S. 106) „analogical reasoning“ das Übertragen bekannten, strukturierten Wissens aus einer Domäne in eine neue Domäne meint (z. B. das mitterweile vielfach auch von anderen Branchen adaptierte Wertschöpfungskonzept Apples, das in der Kombination von Technologie und Design liegt), fokussiert „conceptual combination“ das Zusammenführen zweier verschiedener Konzepte zu einem Zielkonzept (z. B. das Zusammenführen des Kaffeehauskonzepts mit einem Barkonzept hin zu einer Kaffeebar durch Starbucks).
 
32
Lean Startup“ ist eine Methode zur möglichst schnellen und aufwandsarmen Überprüfung der Tragfähigkeit eines Geschäftsmodells, für eine vertiefende Einführung vgl. Ries (2011).
 
33
Als „Minimum viable Product“ wird ein Produktprototyp bezeichnet, der mit geringstmöglichem Aufwand erstellt werden kann und zugleich größtmöglichen Aufschluss über Kundensichtweisen und damit die Funktionsfähigkeit eines hypothetisierten Geschäftsmodells erlauben soll (vgl. Ries, 2011, S. 93 ff.).
 
34
Die Zuschreibung dieser Charakteristika ist dabei nicht auf entrepreneuriales Lerngeschehen begrenzt, sondern wird vor dem Hintergrund weiterer Phänomene verwendet, die mit Entrepreneurship in Verbindung gebracht werden. So wird zum einen auf einer organisationalen Ebene das Entstehen von Innovationen und Organisationsstrukturen unter Einbezug komplexitätswissenschaftlicher Terminologien und Zugänge beschrieben (vgl. Dooley & Van de Ven, 1999, S. 359; Baker & Nelson, 2005, S. 344; Kuratko, 2005, S. 578; Lichtenstein, Dooley & Lumpkin, 2006, S. 153; Lichtenstein, Carter, Dooley & Gartner, 2007, S. 236; McKelvie, Haynie & Gustavsson, 2011, S. 276; Crawford, Aguinis, Lichtenstein, Davidsson & McKelvey, 2015, S. 707; Han & McKelvey, 2016, S. 243; Autio, Nambisan, Thomas & Wright, 2018; Klandt, 2018, S. 64). Zum anderen rücken auch gesamtwirtschaftliche Phänomene wie die Entstehung ganzer Wertschöpfungszweige in den Fokus (vgl. McKelvey, Lichtenstein & Andriani, 2012, S. 104; Keyhani & Lévesque, 2016, S. 67; Lichtenstein & Stroh, 2017, S. 283; Roundy et al., 2018, S. 2). Strunk (2012/2019, S. 65 ff.) gibt einen umfassenden Überblick über die Rezeption komplexitätswissenschaftlicher Ansätze innerhalb der Wirtschaftswissenschaften und stellt fest, dass Forschungsansätze zur komplexitätswissenschaftlichen Untersuchung ökonomischer Phänomene bislang hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Trotz hoher Kompatibilität der beiden Disziplinen, wie Strunk (2012/2019, S. 15) am Beispiel chaotischer Prozesse am Finanzmarkt verdeutlicht, existieren bislang nur wenige empirische Arbeiten, die eine Verschmelzung komplexitätswissenschaftlicher und ökonomischer Phänomene vornehmen. Dies gilt ebenso für die Entrepreneurshipforschung, für die Strunk (2019, S. 93 f.) auf das bislang ungenutzte Potenzial komplexitätswissenschaftlicher Ansätze aufmerksam macht. Als Ausnahmen sind vor dem Hintergrund der o. a. Arbeiten bspw. McKelvey (2004), Keyhani und Lévesque (2016), Han und McKelvey (2016), Crawford et al. (2015), Lichtenstein (2011), Dooley und Van de Ven (1999) und Lichtenstein und Stroh (2017) zu nennen, deren Untersuchungen explizite Bezüge zu komplexitätswissenschaftlichen Theorien aufweisen. Im Hinblick auf entrepreneuriales Lehren und Lernen bestehen erste Zugänge durch Liening et al. (2016b) bzw. Liening (2017b), die unter Einbezug der lerntheoretischen Bedeutung der Synergetik (vgl. Haken, 1984; Kelso, 1984; Strunk, 2004) auf ein komplexitätswissenschaftliches Fundament zurückgreifen.
 
35
Weitere, nicht direkt im Hinblick auf Entrepreneurship Education, jedoch verwandte Ansätze bestehen u. a. durch Sender (2017), der die Schnittstelle von Wirtschaftsdidaktik und Komplexitätswissenschaften thematisiert, sowie Stadler und Kruse (1990), Stadler, Vetter, Haynes und Kruse (1996), Strunk (2004) und Stamovlasis und Koopmans (2014), die sich der grundsätzlichen komplexitätswissenschaftlichen Interpretation von Lernprozessen widmen.
 
36
Die gleichwohl als nicht primär dynamisch aus dem Rahmen fällt.
 
37
Beispielsweise widmet sich die Fraktale Geometrie den Mustern, die chaotische Systeme hervorbringen und dabei Selbstähnlichkeiten aufweisen können, deren Variationen jedoch nicht vorhersagbar sind (vgl. Liening, 2017b, S. 227). Ein weiteres Beispiel bildet die Theorie Dissipativer Systeme, welche zur Untersuchung von Phänomenen fernab thermodynamischer Gleichgewichte herangezogen wird und einen wichtigen Bezug für die Synergetik als Theorie der Selbstorganisation liefert.
 
38
Damit deutet sich das Potenzial der Synergetik für eine Annäherung an endogene gesamtwirtschaftliche Prozesse an, wie sie bspw. im Zuge endogener Wachstumstheorien beschrieben werden (vgl. Romer, 1990; Liening, 2013b).
 
39
Anhand der Softwareindustrie wird dabei verdeutlicht, dass Unternehmen innerhalb eines Ökosystems in fraktaler Struktur organisiert sein können, was als Ausdruck eines sich selbstorganisierenden Systems gedeutet wird (vgl. Zimmerman & Hurst, 1993, S. 336; McKelvey et al., 2012). In Anknüpfung daran wird fraktale Geometrie als Möglichkeit zur Beschreibung von Netzwerkbildung in Social Enterprises vorgeschlagen (vgl. Han & McKelvey, 2016, S. 264).
 
40
Als Beispiel für kompliziertes Verhalten nennen Strunk (2004, S. 31 f.) und Liening et al. (2016b, S. 101) ein Uhrwerk, welches aus einer Vielzahl von Zahnrädern und Federn besteht, aber dennoch vorhersagbar ist. Sie mahnen vor einer synonymen Verwendung der Begriffe kompliziert und komplex, da diese sich qualitativ voneinander unterscheiden.
 
41
Die drei Variablen müssen in Wechselwirkung stehen und gehen auf den Satz von Poincaré-Bendixson zurück (vgl. Strunk, 2004, S. 159). Davon ausgenommen sind hingegen iterative Systeme (z. B. Verhulst) oder andere zweidimensionale Topologien als die Ebene wie z. B. der Torus (vgl. Strunk, 2004, S. 137 ff.). Strunk und Schiepek (2006, S. 100) weisen darauf hin, dass es sich dabei um notwendige, jedoch keinesfalls hinreichende Voraussetzungen zur Entstehung chaotischen Verhaltens handelt.
 
42
Es sei darauf hingewiesen, dass Menschen manchmal deterministisches Chaos aus ihrer subjektiven Empfindung heraus durchaus mit Zufall in Übereinkunft bringen: Wenn große, beobachtbare Effekte auf kleinen, unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegenden Ursachen beruhen, werden die Effekte oftmals als zufälliges Auftreten interpretiert (vgl. Poincaré, 1914, S. 67 f.; Liening, 2017b, S. 102). Strunk (2012/2019, S. 20) weist darauf hin, dass sich Zufall gerade durch das Fehlen von Wechselwirkungsbeziehungen zwischen Systemelementen auszeichnet. Ereignisse, die aufeinander keinen Einfluss ausüben, können demzufolge nicht einem gemeinsamen System angehören.
 
43
Die Begründung der Synergetik lässt sich Haken und Wunderlin (1991, S. V) zufolge auf eine Vorlesung Hermann Hakens im Jahr 1969 zurückführen.
 
44
Haken (1977, S. 225) bezieht sich in seinen Überlegungen zunächst auf Festkörper als Lasermedium und erstreckt diese später auch auf Gase (vgl. Haken, 1984, S. 35).
 
45
Während ein Lasermedium eine spezifische Energiequelle z. B. in Form des Einpumpens von Licht (vgl. Haken, 1977, S. 5) nutzt, kann eine spezifische Energie im Hinblick auf menschliche Selbstaktualisierungsprozesse in therapeutischen Interventionen bestehen (vgl. Strunk & Schiepek, 2006, S. 187).
 
46
Dynamik meint hierbei die grundsätzliche Veränderbarkeit von Systemen, die z. B. in der Variabilität von Systemelementen bestehen kann (vgl. Tschacher & Schiepek, 1997, S. 5).
 
47
Offenheit bezieht sich auf die Fähigkeit eines fern vom thermodynamischen Gleichgewicht bestehenden Systems, von außen energetisiert werden zu können (vgl. die Ausführungen zu „dissipativen Systemen“ in Tschacher & Schiepek, 1997, S. 5; Strunk, 2004, S. 167).
 
48
Bedingungen für das Auftreten komplexen Systemverhaltens sind in Abschnitt 4.2.1 dargelegt.
 
49
Dieses mikroskopische Chaos tritt auf Ebene der Systemelemente auf (vgl. Strunk, 2012/2019) und ist nicht zu verwechseln mit dem deterministischen Chaos, dass eine auf der makroskopischen Systemebene in Erscheinung tretende potenzielle Systemverhaltensweise meint.
 
50
Strunk und Schiepek (2006, S. 253 ff.) beschreiben bspw., wie bewusste Entscheidungen wie Gerichtsurteile oder die klinische Urteilsbildung Merkmale aktiver Ordnungsbildung und Hysterese aufweisen können.
 
51
Gleichwohl weisen Strunk und Schiepek (2006, S. 278 f.) auch auf Herausforderungen hin, die z. B. in der Verknüpfung der primär semantisch-symbolischen Natur von Schemata einerseits und des mathematisch, zunächst nicht psychologisch gefüllten Konzepts des Attraktors andererseits bestehen.
 
52
Lernen als Phasenübergang lässt sich dabei nicht nur hinsichtlich der Genese kognitiver Strukturen auf Ebene einzelner Individuen in ökonomischen Lernprozessen übertragen, sondern lässt sich auch auf organisationale Lernformen höherer oder einfacher Ordnung (vgl. 2.​2.​6.​2) fortentwickeln (vgl. Strunk, 2012/2019, S. 112 f.).
 
53
Da erfolgreiche Schwellenübertritte Lernenden das Einnehmen einer Expertensichtweise auf disziplinäre Phänomene ermöglichen, können Schwellenkonzepte auch die Rolle von Ordnungsparametern einnehmen (vgl. Liening, 2017a, S. 20; 2019, S. 199).
 
54
Für einen Überblick über einschlägige wirtschaftsdidaktische Methoden, die eine wissenschafts- und erfahrungshomomorphe Entrepreneurship Education reflektieren, sei auf Tabelle 3.​2 verwiesen.
 
55
Auf die Wichtigkeit einer erfahrungshomomorph ausgestalteten Entrepreneurship Education weisen z. B. Neck und Greene (2011, S. 55) hin: „Entrepreneurship is complex, chaotic, and lacks any notion of linearity. As educators, we have the responsibility to develop the discovery, reasoning, and implementation skills of our students so they may excel in highly uncertain environments.
 
56
Liening (2017b, S. 481 f.) verdeutlicht die besondere Eignung der Synergetik anhand einer Homomorphie zwischen Lernen als komplexem Prozess und der Synergetik, die sich jeweils durch Freiheit und Selbstbestimmung auszeichnen. Eine derartige Homomorphie kann auch zwischen entrepreneurialem Lernen, Prozessen der Schwellenkonzeptaneignung sowie der Synergetik unterstellt werden, die allesamt selbstbestimmt ablaufen.
 
57
Neben dem Wunsch zur Auflösung von Widersprüchen können Schwellenkonzeptbegegnungen sicherlich auch andere Motivatoren wie bspw. die geweckte Neugierde an einem Phänomen induzieren, die dann ebenfalls einen Kontrollparameter für Lerngeschehen bilden können.
 
58
Anstelle des ursprünglich verwendeten Versklavungsbegriffs spricht Liening (2017b, S. 272 f.) hier von Synchronisation, um hervorzuheben, dass hervorgebrachte Ordnungsparameter gerade erst durch die Rückkopplung mit der mikroskopischen Ebene an Stabilität gewinnen.
 
59
Dies wiederum setze Werturteilsfähigkeit (die Fähigkeit zum werten und bewerten) sowie moralische Urteilsfähigkeit (die Fähigkeit, aufgrund rationaler Begründungen unter Berücksichtigung von sich im Allgemeinen Handeln vollziehenden, durch Feedbackschleifen sich als potenziell emergent herausstellenden Sinnbestimmungen, ebenfalls Entscheidungen zu treffen und handeln zu können) voraus (vgl. Liening, 2015, S. 151 ff.).
 
60
Zur Sensibilisierung für das Marktkonzept aktivieren Kricks et al. (2013) Lernende via Schwellenfragen, die das Phänomen des Preisunterschieds im Zuge von Hotelbuchungen thematisieren.
 
61
Losgelöst vom ökonomischen Inhaltsbereich „Entrepreneurship“ verdeutlichen Strunk (2012/2019), Liening et al. (2013), Liening (2017b) und Sender (2017), wie wirtschaftsdidaktisches Handeln als synergetischer Kontrollparameter in ökonomischen Lernprozessen wirken kann.
 
62
So wurde in Abschnitt 2.​1.​2 aufgezeigt, wie Entrepreneurship Education aus vielfältigen Lebenssituationen heraus bildungsrelevant sein kann. Dies betrifft berufliche Kontexte im Zuge von Gründungs- und Innovationsprozessen ebenso wie private Kaufentscheidungen, etwa wenn Produkte bestimmte Wertschöpfungsaspekte (z. B. die Gewährleistung von Arbeitsschutz) aufweisen sollen.
 
63
Sender (2017, S. 147) formuliert diesbezüglich, dass als Systemverhaltensweise „[…] der bzw. die individuelle Lernende und seine bzw. ihre herangezogenen Konzepte […]“ fungiert.
 
64
Ferner machen Haken und Schiepek (2006, S. 436) auf das Potenzial dieser Prinzipien für die Prozessgestaltung auch außerhalb therapeutischer Settings aufmerksam. So werden sie u. a. innerhalb der Organisationsentwicklungsforschung (vgl. Schiersmann, 2014), systemischen Beratungskontexten (vgl. Schiersmann, 2020), ökonomischen Lernkontexten (vgl. Sender, 2017) sowie im Management (vgl. Strunk, 2021) rezipiert.
 
65
Die sich orginär auf therapeutische Kontexte beziehenden Prinzipien werden in der Forschungsliteratur je nach Anwendungskontext abgewandelt. Während Sender (2017, S. 166 ff.) für wirtschaftsdidaktische Lernprozesse bspw. sechs Prinzipien ableitet, beschreibt Strunk (2021, S. 162) für organisationale Veränderungsprozesse neun Prinzipien. Der Grundgedanke gezielter Destabilisierung bzw. Re-Stabilisierung bleibt dabei jeweils erhalten.
 
66
Haken und Schiepek (2006, S. 437) rekurrieren hierbei explizit auch auf die Bindungstheorie (vgl. Bowlby, 1969), die die begünstigende Bedeutung stabiler Rahmenbedingungen für explorative Tendenzen betont und – wie in Abschnitt 2.​1.​1.​2 dargelegt – ebenfalls Gegenstand der Entrepreneurshipforschung ist (vgl. Zelekha et al., 2018).
 
67
Die Idee der Einbindung des von Haken und Schiepek (2006, S. 443) vorgeschlagenen „Personal Digital Assistants“ (PDA) lässt sich auf mobile Endgeräte wie Smartphones übertragen, über die eine erleichterte Zugriffsmöglichkeit durch die Lerngruppe besteht. Sender (2017, S. 186) verwendet für die Datenerfassung eine adaptierte Form des Therapieprozessbogens (vgl. Schiepek, Aichhorn & Strunk, 2012), der eben mithilfe solcher technischer Hilfsmittel ausgefüllt werden kann.
 
68
Haken und Schiepek (2006, S. 440) ziehen einen Vergleich zu Hilfestellungen beim selbstständigen Erlernen von Bewegungsabläufen, die das Einnehmen einer bestimmten Technik begünstigen.
 
69
Während Liening et al. (2013) die Modellierung von Lernen höherer Ordnung als synergetischen Phasenübergang in einem wirtschaftsdidaktischen Lerarrangement fokussieren, interpretiert Sender (2017) im Besonderen Schwellenübergänge in ökonomischen Lernprozessen als synergetische Phasenübergänge.
 
Metadata
Title
Schwellenkonzeptorientierte, wirtschaftsdidaktische Entrepreneurship Education aus komplexitätswissenschaftlicher Perspektive
Author
Jan-Martin Geiger
Copyright Year
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-39479-0_4