Sinn und Arbeit

Während aktuell alle gesellschaftlichen Bereiche von krisenhaften Symptomen gezeichnet sind, entwickelt sich gleichzeitig mit der Bewältigung dieser Krisen Krisenkompetenz. Individuen und Gesellschaft sind mit der sich dynamisch entwickelnden globalen Situation herausgefordert, Strategien zu entwickeln und umzusetzen, die „das Beste“ aus dieser noch nie gekannten Lage machen und zukunftsfähige Wege aus der Krise definieren. Begriffe wie sinnvolle Arbeit, systemrelevante und kritische Arbeitsplätze ebenso wie der Purpose eines Unternehmens sind in der Diskussion. Die Kosten der seit langem beobachteten Sinnleere sind immens und fordern zum Handeln heraus.

Organisationen, Unternehmens, Teams und Einzelpersonen sind mit epochalen Krisen konfrontiert. Krisenbewältigung hat ein individuelles Verständnis des Sinns dieser Herausforderung zur Grundlage. Mitarbeiter, Experten und Führungskräfte justieren gerade neu, was in ihrer jeweiligen Rolle und Funktion nicht nur unmittelbar in der andauernden Krise notwendig und hilfreich ist, sondern wo sich aktuell bereits nachhaltig Neues ankündigt. Einerseits offenbaren die aktuellen immensen Herausforderungen vielfältige Gestaltungspotentiale, andererseits geht Handeln nur mit einem „tragischen Optimismus“, der aus der Realität das Optimum herausholt. Welche Bedeutung hat bei der Bewältigung der Herausforderungen ‚Big Data‘ und wieviel Sinn bietet der Megatrend der Digitalisierung für Einzelne, für Führungskräfte und Unternehmen?

Experten diagnostizieren immer mehr Menschen, die nach „etwas“ anderem „statt Erfolg“ suchen und die Sinnfragen in ihrer Arbeit, gegenüber ihren Führungskräften und auch in der Beratung und im Coaching ansprechen. Innerhalb der zwei Dimensionen der Arbeit entsteht gerade ein neues Paradigma der Sinnhaftigkeit von Arbeit, in dem sich Einzelne verorten und ihrer Tätigkeit auf drei Wegen Sinn verleihen.

Die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Sinnerleben der einzelnen Person, den Sinnquellen und der Arbeit, Gesundheit, individuellen Bewältigungsstrategien und Ressourcen sind inzwischen vielfältig beforscht. Menschen wollen mit ihrer Arbeit positiv „einen Unterschied machen“. Die meisten empirischen Studien haben sich hauptsächlich auf die vielen, unbestreitbaren "positiven Vorteile" für Organisationen und für Mitarbeiter konzentriert Daneben rücken gerade in der Krise die existenziellen Sinnthemen der einzelnen Person und ihre Bedeutung am Arbeitsplatz stärker in die Aufmerksamkeit. Die Sinnsuche der einzelnen Person findet zwischen Erfolg und Erfüllung statt.

Sinn ist ein Existenzial im Leben jeder Person und grundlegendes, im Menschen angelegtes Motiv des Handelns im Kern des Menschen. Treiber für die intrinsische Motivation ist die Sinnhaftigkeit, der Wunsch, etwas zu tun, das einen Sinn hat und wichtig ist für andere, für die Welt um die einzelne Person herum, den Arbeitszusammenhang und für den Kunden. Sinnvolle Arbeit erleben Mitarbeiter nur, wenn sie in ihrer Arbeit Bedeutsamkeit, Zugehörigkeit, Passung zwischen eigenen Fähigkeiten und Unternehmenszielen erleben. Werte bieten dabei umfassende Sinnmöglichkeiten für die einzelnen Mitarbeiter, für die sie Passung im Unternehmen suchen. Auch in der Arbeitswelt begegnen Menschen der existenziell angelegten tragischen Trias von Leid, Schuld und Endlichkeit des Lebens, für die sie Orientierung in ihrem Ringen um Sinn suchen.

In vielfacher Form ist das Selbst in den Fokus der Arbeitswelt gerückt und zieht die Aufmerksamkeit aller auf sich: Mitarbeiter ringen um Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und Selbstakzeptanz, Selbstbestimmung, Autonomie und Kohärenz. Personalexperten, -abteilungen und Führungskräfte entwickeln immer deutlicher verfeinerte Konzepte für die Selbsteinschätzung. Gleichzeitig offenbaren alle Aktivitäten die Grenzen des Selbstkonzeptes für die einzelne Person auf der Suche nach Sinn in der Arbeit. Es gilt, ein neues Verständnis für die Notwendigkeit von Selbstfürsorge zu verbreiten. Die Bedeutung von Empathie und Mitgefühl als wichtige Fähigkeit, sich selbst und andere zu führen, wird zunehmend anerkannt und im Arbeitsleben praktiziert.

Die Rolle anderer Menschen in der Ermutigung und Bekräftigung von Sinnpotentialen der einzelnen Person wird in der ‚Klimt-Perspektive‘ deutlich. Der Aufbau einer ‚Kultur des Sinns‘ in Unternehmen setzt ein Verständnis für die vorhandenen lebenserfüllenden, dauerhaften Lebensziele der jetzigen und zukünftigen Mitarbeiter voraus. Sinngebung ist sowohl ein zutiefst individuelles als auch ein soziales Phänomen. Er ist innerlich konstruiert und manifestiert sich in der Auseinandersetzung mit anderen. Die im Menschen grundlegend angelegten Fähigkeiten (Spiegelneuronen), seine individuellen Tugenden und Charakterstärken bieten ein großes Repertoire für sinnvolle Arbeits- und Lebenserfahrungen und dafür, Organisationen menschlicher zu machen.

Menschen teilen einige grundlegende Überzeugungen über die Menschheit, Werte und die Potenziale der Menschen. Diesen Überzeugungen in der Arbeitswelt gerecht zu werden, ist ein in Zusammenhang mit einem sinnerfüllten Arbeitsleben stehendes Bedürfnis; es kann alle Beteiligten verbinden und die gemeinsame Grundlage für ein entsprechendes Handeln im 21. Jahrhundert bilden. Indem sie das Leiden, die vergangenen und die aktuellen Krisen, das Positive und das Verheerende, die unbeantworteten Fragen in einer Art kopernikanischer Wende auf ihre Füße stellen, suchen Menschen an allen Orten mit der ‚Trotzmacht des Geistes‘ nach Antworten, wie sie nicht nur überleben können, sondern aus Leid und Schmerz und aus den allerorten entstandenen gesundheitlichen, wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Krisen wieder Leben gestalten können.

Spätestens seit den 90er Jahren ist bei den einzelnen Mitarbeitern, Fach- und Führungskräften und in Unternehmen eine neue „Welle der Verantwortung“ entstanden, die die Konzepte des ‚Good Business‘ und ‚Guter Arbeit‘ nutzt zur Förderung von Kreativität und Initiative der Mitarbeiter. Konkrete Unternehmensbeispiele belegen, wie Fairness und Nachhaltigkeit gelebt werden kann und wie Unternehmensführung auf Augenhöhe die Sinnpotenziale aller fördert.

Leadership 4.0 manifestiert den menschlichen Geist, seine Fähigkeiten der Selbstdistanz und der Selbstentwicklung. Die persönlichen Kompetenzen der Führungskraft, hohe ethische und moralische Standards, Offenheit, Altruismus, Commitment zur eigenen Weiterentwicklung und Veränderungsfähigkeit haben in den vergangenen Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen und werden heute als die Schlüsselfähigkeiten für Führung im 21. Jahrhundert angesehen. Was macht den Sinn der eigenen, konkreten Führungstätigkeit aus und worin liegt die hohe Sinn dieser eigenen Praxis für die Mitarbeiter? Führung im 21. Jahrhundert hat die achtsame Praxis der Selbstfürsorge zur Grundlage. Auf dieser Basis entwickeln sich Konzepte von Caring, Servant oder Compassionate Leadership, in denen die eigenen Bedürfnisse angenommen und auf dieser Basis die Bedürfnisse der Mitarbeiter in Wertschätzung akzeptiert und im Führungshandeln verwirklicht werden können. Die neu entstehenden ‚Pionierorganisationen‘ beruhen auf Selbstmanagement, auf Entscheidungsfindung im Team und auf der Verteilung der Verantwortung auf jede einzelne Person im Rahmen ihrer Teams. Jeder ist ein „leader“, Hierarchien sind obsolet geworden, wobei die Praxis der Selbstorganisation einerseits hohe Anforderungen an den einzelnen Mitarbeiter stellt und andererseits passgenau die individuelle Sinnmotivation anspricht

Seit einigen Jahren sind weltweit einzelne Unternehmen und Organisationen zu beobachten, die heute als ‚Pioniere‘ für sinnvolles unternehmerisches Handeln gelten. Ausgehend vom persönlichen Engagement ihrer Eigentümer und Führungskräfte haben sie sich in Freiheit auf den Weg gemacht, Organisationen zu entwickeln, die frühzeitig die Fragen des 21. Jahrhunderts in das öffentliche Bewusstsein getragen haben und durch ihr konkretes Handeln Wege aufgezeigt haben, wie eigene unternehmerische Verantwortung diese Herausforderungen konkret beantworten kann. Die Unternehmensbeispiele zeigen den Paradigmenwechsel vom Know How zum Know Why, oder das Selbstverständnis eines Dirigenten als musikalischer Mitarbeiter des Orchesters, oder die inzwischen zur Wirklichkeit gewordene Vision eines Unternehmers als Beispiel dafür, wie die Ausübung von Führungsqualitäten die gesamte globale Gemeinschaft beeinflussen kann, indem sie das Bewusstsein für die globalen Herausforderungen, denen die Menschheit gegenübersteht, schärft und für Einzelpersonen und Organisationen positive Veränderungen bewirkt.

Wir befinden uns mitten in einem erneuerten und frischen Interesse an den Grundlagen der Philosophie. Die Lehren der griechischen Philosophen sind in fast allen Lebensbereichen wieder in den Blickpunkt gerückt. Heute, da moderne Gesellschaften mit Symptomen des Konsumismus, Materialismus, des Egozentrismus und der Gier, mit unethischem und intolerantem Verhalten einerseits und mit Verzweiflung hinsichtlich des eigenen Selbstwertgefühls andererseits konfrontiert sind, hat die Philosophie ethischer Normen wieder große Aufmerksamkeit erlangt. Foucault’s Konzept der ‚Fürsorge für das Selbst‘ beschreibt eine transformative Praxis der Selbsterkenntnis. Der heute allerorten geäußerte Wunsch nach sinnvoller Arbeit kann in der Reflexion dieser philosophischen und existenziellen Grundlagen bis hin zu den modernen Philosophen als ständige Suche verstanden werden, allgemeine Tugenden, Freiheit und Verantwortung des Einzelnen, Werte und tägliche Praxis mit den Herausforderungen unserer Zeit in Einklang zu bringen.

Die Entwicklungen des 21. Jahrhunderts und die Megatrends auf der ganzen Welt haben Unternehmen rund um den Globus seit vielen Jahren dazu inspiriert, ihre spezifischen Angebote zur Begleitung von Menschen in ihren jeweiligen Arbeitskontexten auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Mission und dem Wohlergehen ihrer Mitarbeiter kontinuierlich auszubauen und weiterzuentwickeln. Business- und Executive Coaching, Mitarbeiter- und Sozialberatung und Employee Assistance Programme haben auf wissenschaftlicher Basis Qualitätskriterien für ihre Services für Mitarbeiter, Experten, Führungskräfte und Unternehmen definiert. Das Wohlergehen und die Leistungsfähigkeit der einzelnen Personen, die die Angebote nutzen, stehen dabei im Zentrum der Services. Dabei bieten sinnorientierte und existenzielle Beratungsangebote neben den Coachings, den Trainings und der Mitarbeiterberatung ein spezielles Angebot zur Erörterung von Anliegen der einzelnen Person, bei denen sich Aspekte des Arbeits- und Privatlebens miteinander verschränken. Begleitung, Ermutigung, Bewältigung sind zentrale Ergebnisse der Beratung. Inwieweit bieten die dynamische Digitalisierung von Coaching- und Beratungsangeboten eine echte Weiterentwicklung des Angebotes im Interesse der Mitarbeiter und des Unternehmens?

Megatrends und gesellschaftliche Entwicklungen, vor allem die beschleunigte Digitalisierung, zusammen mit den deutlich gewandelten Erwartungen der neuen Generationen, haben in den vergangenen Jahren einen deutlichen Wandel in der Arbeitswelt vorangetrieben. Neue Organisationsformen und Ansätze sind umgesetzt worden, die einem Paradigmenwechsel in der Unternehmens-, Führungs- und Organisationskultur gleichkommen. Dieser Prozess hat von Beginn an ein anderes Mindset zur Grundlage, der Veränderung als Prozess versteht, bei dem im gesamten Unternehmen ein Kulturwandel stattfindet, der ein neues, anderes Führungsverständnis und Selbstorganisation als wesentliche Veränderungsthemen beschreibt. Das Konzept von New Work bezieht all das soziale, psychologische, wirtschaftliche und IT-Wissen ein, über das wir heute verfügen. New Work birgt spezifische Risiken und Chancen für die einzelne Person in ihrem Streben nach sinnvoller Arbeit und für Unternehmen, die ihrerseits Kundenbedürfnisse erfüllen und ihren deutlichen gesellschaftlichen Beitrag leisten wollen. „Arbeit, die wir wirklich, wirklich wollen“ – wie kann dieses hoch aktuelle Verständnis des Begründers von New Work, Fritjof Bergmann, sinnvoll in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts umgesetzt werden?

Die Herausforderungen der Zeit sind Fragen, die jede Organisation als „Ansporn“ begreifen kann und ihrerseits konkret beantwortet: Digitalisierung, Klimawandel, Erhalt der Demokratie. Die Mitarbeiter von heute und von morgen stellen Ansprüche an die Unternehmen und Organisationen und wollen Gegenwart und Zukunft mitgestalten: Gelebte Nachhaltigkeit, flexible Arbeitsmodelle, Authentizität am Arbeitsplatz sind die Bereiche, in denen sinnvolle Arbeit aktuell vorrangig erwartet wird. Menschen sind die einzigen Lebewesen, die sich eine Zukunft vorstellen können und die sich in einen zukünftigen Zustand hinein entwerfen können und die, mehr noch, von diesem imaginierten Zukunftsort aus, an einem Ort des Futur Zwei, der vollendeten Zukunft, zurückblicken können auf den Weg, den sie zurückzulegen hatten, um an diesen Ort in der zukünftigen Zeit zu kommen. Diese nur dem Menschen gegebene Fähigkeit der Selbstdistanzierung ist die Grundlage der gängigen Praxis der Unternehmensführung: Aus der gewünschten Zukunft, dem „True North“ zurückblickend die Schritte, Denk- und Handlungsweisen bewusst zu gehen, back to the future zu planen, daraus zu handeln und zu fragen: Wer werde ich gewesen sein? Was werden wir getan haben? Wohin werden wir gelangt sein? Daraus entstehen in Freiheit und Verantwortung bewusst gewollte Zukunftsentwürfe. Sinn ist ein Produkt der inneren Untersuchung und der äußeren Erforschung. Keiner einzelnen Person lässt sich Sinn diktieren, sondern alle – jede Person, jeder Mitarbeiter und jede Führungskraft – sind Teil einer größeren Gemeinschaft im Kontext des Unternehmens. Es bedarf keinerlei Art von utopischen Träumen, sondern eine „Kultur der Sinnhaftigkeit“ wird in vielen kleinen Schritten und immer wieder neu aufgebaut.