Zusammenfassung
Lebensmitteltafeln sind Prototypen eines neuen armutsökonomischen Marktes. Die Versorgung von Armen durch Tafeln hat sich in Deutschland seit Gründung der ersten Tafeln von „Mahlzeitnothilfen“ zu einer latenten Regelversorgung ausgeweitet. Der Beitrag stellt zentrale Ergebnisse des Forschungsprojekts „Tafel-Monitor“ (2011–2014) vor und stellt dabei die Perspektive der Tafelnutzer in den Mittelpunkt. Solidaritätsbrüche werden dabei auf zwei Ebenen festgemacht. Erstens werden Tafeln als Form „inszenierter Solidarität“ beschrieben. Grenzverschiebungen in der sozialpolitischen Matrix führen zu einer Re-Vitalisierung einer doppelten Verantwortungslogik sowohl bei den Tafelnutzern als auch bei den Tafelhelfern. Tafeln als zivilgesellschaftliche Akteure werden zunehmend als lokale Armutslinderungsinstanz mobilisiert und inszeniert. Die aktive Inanspruchnahme der Tafeln im Kontext der sog. „Engagementpolitik“ der Bundesregierung resultiert in einer De-Institutionalisierung von Solidarität: Bürgerrechte werden durch Almosen ersetzt. Zweitens ist der soziale Ort der Tafeln bzw. die Praxis der Tafeln doppelt strukturiert. Die zentralen Gruppen (Nutzer/Helfer) unterscheiden sich diametral in ihren Wirklichkeitsordnungen über den Sinngehalt von Tafeln. Bei der Nutzung der Tafeln lassen sich die Typen Integrierte, Pragmatische und Distanzierte in Abhängigkeit des Ergebnisses ihrer individuellen Bilanzierungen der Tafelnutzung und deren Habitualisierung unterscheiden. Der Sozialraum der Tafeln lässt sich dabei anhand dieser Kriterien in drei Zonen einteilen. Von der Zone der Aushandlung ausgehend sich, ob Nutzer entweder in die Zone der De-Humanisierung oder in die Zone der Stabilisierung driften. Tafelnutzer, die dauerhaft keinen Anschluss zur Mehrheitsgesellschaft finden, richten sich in der letztgenannten Zone in einer Art Ersatzwelt ein, werden dort gemeinsam ausgeschlossen und empfinden diesen Zustand mit der Zeit als normal. Dieser Prozess wird im Beitrag Kompression der Solidarität genannt, weil er nun noch in funktionales Äquivalent zu gelebter Solidarität darstellt. Solidarität, so die Kernthese, wird institutionell und interpersonell lediglich „gebrochen“ erlebt.