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2016 | Book

Solidaritätsbrüche in Europa

Konzeptuelle Überlegungen und empirische Befunde

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About this book

Die Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise wird Europa noch über Jahre prägen und es werden zunehmend soziale Krisenerscheinungen in einzelnen Mitgliedsstaaten sichtbar. Mit diesem Sammelband wird die Grundfrage des solidarischen Handelns in Zeiten der Krise umfassend aufgegriffen. Konzeptuelle Überlegungen werden durch empirische Studien ergänzt, woraus Erkenntnisse über gegenwärtige Solidaritätsbrüche in einzelnen europäischen Ländern abgeleitet werden. Namhafte Soziologinnen und Soziologen regen einen umfangreichen Diskurs zu den Herausforderungen eines solidarischen Europa an und ergründen eine Thematik, die für den europäischen Zusammenhalt von entscheidender Bedeutung sein könnte.

Table of Contents

Frontmatter
1. Gefährdungen der europäischen und innerstaatlichen Solidarität: Zur Ausrichtung des Sammelbandes
Zusammenfassung
Der europäische Integrationsprozess ist in den letzten Jahren deutlich ins Stocken geraten. Die andauernde Wirtschaftskrise in Europa nährt insbesondere in den massiv betroffenen Staaten Befürchtungen einer auftretenden Gesellschaftskrise. Die EU-BürgerInnen erscheinen zunehmend verwundbar, nicht nur auf der breit diskutierten strukturellen Ebene, wo hohe Arbeitslosenraten, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Abstiegsängste in zahlreichen Gesellschaften der Europäischen Union allgegenwärtig sind, sondern vor allem auch auf der politischen Ebene, wo eine Ohnmacht in Bezug auf politische Entscheidungsdynamiken spürbar wird, die sich in einem hohen Misstrauen gegenüber den politischen Eliten ausdrückt. Diese Krisenzustände können sich zunehmend auf die kulturelle Ebene auswirken und die gesellschaftliche Kohäsion beeinträchtigen. Potentielle Solidaritätseinschränkungen stehen im Fokus des Sammelbandes und werden in der Einleitung differenziert beleuchtet. Zusätzlich wird ein Überblick über die einzelnen Beiträge des Sammelbandes gegeben.
Wolfgang Aschauer, Julia Hofmann

Systemische und soziale Dynamiken der Entsolidarisierung

Frontmatter
2. Die drei Europas. Wie die Integration zu neuen Spaltungen in Europa führte und wie man diese durch abgestufte Integration überwinden könnte
Zusammenfassung
Der Beitrag geht von der These aus, dass zwischen Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union ein enger und widersprüchlicher Zusammenhang besteht: Institutionelle Vertiefung setzt ein Mindestmaß an Homogenität der Mitgliedsstaaten voraus, Erweiterung reduziert diese. Damit diese beiden Aspekte besser in Übereinstimmung gebracht werden können, ist klarer zu bestimmen, was der Begriff „Europa“ umfasst. Im ersten Teil wird dargestellt, dass viele Krisen der EU mit problematischen Erweiterungsschritten zusammenhingen. Dies begann schon mit dem Beitritt Großbritanniens, setzte sich fort mit der Aufnahme von Griechenland und Zypern, und führt möglicherweise zu einer nächsten tiefen Krise im Zusammenhang mit dem Beitrittsansuchen der Türkei. Im zweiten Teil wird die These vertreten, dass die Idee der abgestuften Integration einen Weg zur Lösung des Konfliktes Vertiefung-Erweiterung darstellt; de facto erfolgt die Entwicklung der EU in manchen Aspekten bereits diesem Prinzip (Schengen-Vertrag und gemeinsame Währung wurden nicht von allen Mitgliedsstaaten übernommen). Es wird zunächst argumentiert, dass auch „Kerneuropa“ mit einer gemeinsamen Währung ohne weitere starke institutionelle Vertiefung funktionieren kann, wenn sich die Mitglieder an die Voraussetzungen dafür halten; die EU kann sich auf die Idee einer „sozialen Rechtsgemeinschaft“ stützen, die starke Integration auch ohne einen bürokratischen Apparat ermöglicht. Europa im weiteren Sinne umfasst aber auch Russland, ja sogar die Mittelmeer-Anrainerstaaten in Nordafrika und im Nahen Osten; sie alle sind historisch, kulturell und auch wirtschaftlich enger mit der EU bzw. Westeuropa verbunden als mit irgendeiner anderen Region. Die EU sollte dieser Tatsache auch im eigenen Interesse Rechnung tragen durch den Abschluss umfassender Rahmenverträge, die allen diesen Staaten signalisieren, dass sie als befreundete Nachbarn und nicht als potentielle Feinde bzw. Gefahrenherde (etwa durch illegale Immigration) betrachtet werden.
Max Haller
3. Mehr Solidarität durch „Mehr Europa“?
Zusammenfassung
Solidarität ist ein Kernbegriff der europäischen Integrationsgeschichte. Doch auf welche Art von Solidarität kann sie bauen? Zwar hat auch die grenzüberscheitende Solidaritätsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger zugenommen. Doch in der Hauptsache handelt es um eine rechtlich verbürgte Solidarität zwischen Staaten. Sie folgt dem Eingeständnis einer gemeinsamen Verantwortung und dem gewachsenem Gefühl wechselseitiger Abhängigkeit.  Das Entstehen einer supranational europäischen Bürgerschaft wurde mehrfach vorausgesagt, ist aber nach den hier zusammengetragenen Befunden weiterhin nicht in Sicht. Im Zuge der institutionellen Behandlung der Krisendynamiken durch die EU sind aktuell sogar Entsolidarisierungsprozesse zwischen den europäischen Gesellschaften zu beobachten. Die Durchsetzung einer politischen Union mit gemeinsamer Wirtschaftsregierung und supranationaler Wettbewerbsdemokratie würde demnach nicht, wie von den Befürwortern erwartet, transnationale Solidarität stärken, sondern ganz im Gegenteil den europäischen Integrationsprozess insgesamt gefährden.
Stefan Immerfall
4. Solidarität als schwindende Ressource der Sozialintegration? Eine Annäherung an Entkoppelungstendenzen der EU-BürgerInnen
Zusammenfassung
In der EU zeigt sich eine zunehmende Spannung zwischen einer forcierten Systemintegration von Seiten der europäischen Eliten und einer geringen Sozialintegration aus Sicht der BürgerInnen. Im Beitrag wird versucht, die systemische und lebensweltliche Integrationsdynamik in der EU getrennt in den Blick zu nehmen. Dabei wird – wenig überraschend – auf die Aktualität des Ansatzes von Jürgen Habermas hingewiesen. Durch die zunehmende Verselbständigung des europäischen Integrationsprozesses werden Tendenzen einer zunehmenden Entkoppelung zwischen System und Lebenswelt wieder offenkundig und zudem forciert die im Zuge der Kolonisierung der Lebenswelt vorangetriebene marktgetriebene Individualisierung individuelle Verunsicherungen. Die These der abnehmenden Solidarität innerhalb und zwischen europäischen Gesellschaften kann durch individuelle Handlungsstrategien in allen Gesellschaftsschichten begründet werden. Dem weitverbreiteten Unbehagen in der Gesellschaft wird – so die Leitthese des Beitrags – entweder offensiv und egozentrisch in den oberen Statusgruppen oder defensiv und ethnozentrisch an den unteren Rändern der Gesellschaft begegnet. Derartige Entsolidarisierungsprozesse erschweren und verhindern möglicherweise den weiteren europäischen Einigungsprozess, weil aufgrund der fehlenden Sozialintegration von EU-BürgerInnen eine Kraft ausgehen könnte, die in der gegenwärtigen Europaforschung häufig unterschätzt wird.
Wolfgang Aschauer

Empirische Befunde zu Solidaritätsbrüchen in Europa

Frontmatter
5. Solidarität – eine einfache Gleichung? Gerechtigkeitsvorstellungen von ÖsterreicherInnen in Zeiten einer europäischen Krise
Zusammenfassung
Ausgangspunkt des Artikels ist die Frage nach einer Erklärung für die schwindende Solidarität gegenüber dem Süden Europas seit Ausbruch der Krise. Unter Rückgriff auf Debatten aus der aktuellen Ungleichheitsforschung argumentiert die Autorin, dass individuelle Biographien und die daraus entstehenden Handlungsstrategien einen Einfluss auf die Einstellungen gegenüber den Entwicklungen auf europäischer Ebene haben. Anhand von 18 in Österreich durchgeführten, narrativen Interviews wird die enge Verknüpfung von biographischen und europapolitischen Deutungsmustern und Strategien aufgezeigt. Es werden drei zentralen Handlungsmodi auf individueller Ebene (kämpfen, berechnen, kommunizieren) identifiziert, die – so die Autorin – drei Einstellungstypen auf europäischer Ebene (Verunsicherte, PerformerInnen, Unkonventionelle) entsprechen. Die Fähigkeit, Solidarität in Krisenzeiten bekunden zu können, hängt, so die These des Artikels, demnach stark von individuellen, biographischen Erfahrungen und Strategien ab. Der Artikel endet mit dem überraschenden empirischen Befund, dass die schwindende Solidarität gegenüber Südeuropa bei bestimmten Einstellungstypen sich nicht in eine generelle EU-Feindlichkeit umwandelt.
Elisabeth Donat
6. Solidaritätsbrüche durch moralische Unternehmen. Grenzverschiebungen im System und Sozialraum der Tafeln
Zusammenfassung
Lebensmitteltafeln sind Prototypen eines neuen armutsökonomischen Marktes. Die Versorgung von Armen durch Tafeln hat sich in Deutschland seit Gründung der ersten Tafeln von „Mahlzeitnothilfen“ zu einer latenten Regelversorgung ausgeweitet. Der Beitrag stellt zentrale Ergebnisse des Forschungsprojekts „Tafel-Monitor“ (2011–2014) vor und stellt dabei die Perspektive der Tafelnutzer in den Mittelpunkt. Solidaritätsbrüche werden dabei auf zwei Ebenen festgemacht. Erstens werden Tafeln als Form „inszenierter Solidarität“ beschrieben. Grenzverschiebungen in der sozialpolitischen Matrix führen zu einer Re-Vitalisierung einer doppelten Verantwortungslogik sowohl bei den Tafelnutzern als auch bei den Tafelhelfern. Tafeln als zivilgesellschaftliche Akteure werden zunehmend als lokale Armutslinderungsinstanz mobilisiert und inszeniert. Die aktive Inanspruchnahme der Tafeln im Kontext der sog. „Engagementpolitik“ der Bundesregierung resultiert in einer De-Institutionalisierung von Solidarität: Bürgerrechte werden durch Almosen ersetzt. Zweitens ist der soziale Ort der Tafeln bzw. die Praxis der Tafeln doppelt strukturiert. Die zentralen Gruppen (Nutzer/Helfer) unterscheiden sich diametral in ihren Wirklichkeitsordnungen über den Sinngehalt von Tafeln. Bei der Nutzung der Tafeln lassen sich die Typen Integrierte, Pragmatische und Distanzierte in Abhängigkeit des Ergebnisses ihrer individuellen Bilanzierungen der Tafelnutzung und deren Habitualisierung unterscheiden. Der Sozialraum der Tafeln lässt sich dabei anhand dieser Kriterien in drei Zonen einteilen. Von der Zone der Aushandlung ausgehend sich, ob Nutzer entweder in die Zone der De-Humanisierung oder in die Zone der Stabilisierung driften. Tafelnutzer, die dauerhaft keinen Anschluss zur Mehrheitsgesellschaft finden, richten sich in der letztgenannten Zone in einer Art Ersatzwelt ein, werden dort gemeinsam ausgeschlossen und empfinden diesen Zustand mit der Zeit als normal. Dieser Prozess wird im Beitrag Kompression der Solidarität genannt, weil er nun noch in funktionales Äquivalent zu gelebter Solidarität darstellt. Solidarität, so die Kernthese, wird institutionell und interpersonell lediglich „gebrochen“ erlebt.
Stefan Selke
7. Gefangen in Arbeitslosigkeit? (Des-)Integrationsprozesse im Zuge der Hartz-Reformen in Deutschland
Zusammenfassung
Mit den Hartz-Reformen vollzog sich eine schrittweise Umstellung der deutschen Sozialpolitik vom fürsorgenden Wohlfahrtsstaat zum aktivierenden Workfare-Regime. Zentrales Reformziel waren die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung in der Bevölkerung und die Verkürzung individueller Arbeitslosigkeitsphasen. Im Rekurs auf das Armutsfallentheorem wird seither die Strategie verfolgt, Arbeitslose nicht durch eine komfortable Lebenslage zu verlocken, dem Arbeitsmarkt fern zu bleiben. Konträr zu motivationstheoretischen Annahmen verweist die dynamische Armutsforschung auf eine Vielfalt individuellen Handlungsvermögens. Indes betonen Theorien sozialer Exklusion armutsinduzierte Desintegrationsprozesse. Die Studie prüft anhand von Ereignisdatenanalysen auf Basis des Sozioökonomischen Panels, ob sich die Dynamik der Arbeitslosigkeit seit der vierten Hartz-Reform verändert hat. Im Ergebnis zeigen sich sowohl Veränderungsdynamiken als auch Hinweise auf Verfestigungstendenzen. Zudem kann eine signifikante Forcierung der Erwerbsintegration im neuen Sozialregime nachgewiesen werden.
Sonja Fehr
8. Arbeitsmarktfähigkeit unter Beobachtung. „Scheininvalidität“ in der Schweiz
Zusammenfassung
Der Schweizer Sozialstaat wurde in den letzten Jahren zunehmend von einer (ver-)sorgenden in eine aktivierende Ausgestaltung überführt. Ein Beispiel hierfür sind die jüngsten Revisionen des Invalidenversicherungsgesetzes. Der Beitrag untersucht die Einführung einer verstärkten Betrugsbekämpfung in der Schweizer Invalidenversicherung, wozu unter anderem die Observation verdächtiger Bezügerinnen und Bezüger von Invalidenrenten gehört. Die politischen Debatten zur Betrugsbekämpfung prägten den Begriff „Scheininvalidität“, wobei Schmerzpatientinnen und -patienten primäres Ziel der Anschuldigungen waren. Für die Betroffenen sind die Folgen dieser Reformen gravierend: Die Kombination verstärkter Eingliederungsbemühungen mit der systematischen Betrugsbekämpfung schürt die Stigmatisierung von Personen, die keinen Platz im ersten Arbeitsmarkt finden. Diesen Menschen wird der Wille, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, grundsätzlich abgesprochen. Die Entwicklungen führen darüber hinaus zu einer Abnahme der Solidarität in der Gesellschaft. Die Missbrauchsdebatten lassen solidarisches Handeln zunehmend als unmöglich erscheinen, da ein solches durch betrügerische Aktivitäten fortlaufend unterminiert werde.
Benedikt Hassler
9. Zwischen Individualismus und sozialer Verantwortung. Polens eigenwilliger Weg des gesellschaftlichen Wandels
Zusammenfassung
Seit dem Ende der Volksrepublik verschärfen sich die sozialen und ökonomischen Unterschiede in der polnischen Gesellschaft. Landesweite Statistiken von Arbeitslosigkeit und durchschnittlichem Einkommen verdecken starke regionale Differenzen. Da Arbeitslosigkeit nicht zum Bezug von Sozialunterstützung berechtigt, sind Langzeitarbeitslose auf (Sach-)Spenden caritativer Hilfe angewiesen. An die Stelle eines staatlichen Sozialhilfesystems treten patriarchalische Strukturen der Unterstützung. Alternativen Überlebensstrategien bieten sich in der Wanderarbeit und im informellen Sektor an. Am Beispiel des Schmuggels wird die historische Entwicklung der Schattenwirtschaft in Polen aufgezeigt, die bis in die 1980er Jahre zurückreicht. Aktivitäten in der informellen Ökonomie werden gesellschaftlich als Initiative selbständig handelnder Subjekte bewertet. Wanderarbeiter, die in privaten Haushalten oder in der Landwirtschaft arbeiten, sind gezwungen patriarchalische Arbeitsverhältnisse zu akzeptieren.
Mathias Wagner
10. ‚Gesegneter Boden ideologischer Verwirrung‘ (Geiger)? Der Extremismus der Mitte
Zusammenfassung
In diesem Beitrag werden theoretische Grundlagen und empirische Ergebnisse der „Mitte“-Studien zur rechtsextremen Einstellung in Deutschland vorgestellt. Eingangs wird der „Mitte“-Begriff der Studien entfaltet. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts fiel die besondere politische und ökonomische Situation der Mittelschicht ins Auge. Aufmerksame Beobachter beschrieben die besondere Situation, etwa Siegried Kracauer mit seiner essayistischen Analyse „Die Angestellten“. Mit dem Aufstieg der NSDAP bekam diese Orientierung auf die breite Mitte der Gesellschaft besondere Brisanz, Hans Speier analysierte ebenso die Lage der Angestellten, Theodor Geiger und Emil Gruenberg dagegen wählten einen generischen Begriff, eben die „Mitte“. Dieser Begriff hatte deutliche Stärken, weil damit mehr bezeichnet war, als nur eine besondere Position im ökonomischen Betrieb. Deshalb wahrscheinlich griff ihn Seymour Lipset dankbar auf, als er die Spielarten politischen Extremismus um jenen der „Mitte“ erweiterte und damit den Faschismus meinte. Mit diesem Paradox eines „Extremismus der Mitte“ war gleichzeitig auch der Blick geschärft für jene Bedingungen einer demokratischen Gesellschaft, die immer wieder aufs neue zu ihrer Bedrohung führt. Mit den „Studien zum autoritären Charakter“ waren von der Sozialpsychologie aus genau diese Bedingungen untersucht worden und zur Analyse der „narzisstischen Plombe“ der Ökonomie und den Extremismus der Mitte in Deutschland greifen wir beide Konzeptionen auf. Vor diesem Hintergrund werden die Ergebnisse der Erhebung bis zum Jahr 2014 vorgestellt und dann interpretiert.
Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler
11. Abstiegsangst und Tritt nach unten? Die Verbreitung von Vorurteilen und die Rolle sozialer Unsicherheit bei der Entstehung dieser am Beispiel Österreichs
Zusammenfassung
Der vorliegende Artikel widmet sich dem Thema der „Solidaritätsbrüche“ am Beispiel der Verbreitung von Vorurteilen gegenüber marginalisierten sozialen Gruppen und ihren Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt. Am Beispiel Österreichs wird die konflikttheoretischen Annahme geprüft, die Zunahme materieller Verteilungskonflikte führe dazu, dass die „Grenzen der Gemeinschaft“ enger gezogen werden und marginalisierte soziale Gruppen zunehmend als „BürgerInnen zweiter Klasse“ bzw. als „Bürde für die Gemeinschaft“ definiert werden. Der postulierte Zusammenhang von sozialen Unsicherheiten, Verunsicherungen und relativen Deprivationen mit Vorurteilen kann bei der Entstehung und Rezeption von Vorteilen gegenüber marginalisierten sozialen Gruppen im Allgemeinen (die sogenannte „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“) empirisch nachgewiesen werden. Bei den Ressentiments gegenüber spezifischen Gruppen (wie etwa den Vorurteilen gegenüber AsylwerberInnen oder sozial Schwachen) zeigt sich, dass diese Vorurteile jeweils ihrer eigenen Logik folgen. Die vorliegenden Ergebnisse sollen jedoch nicht als Widerlegung konflikttheoretischer Ansätze gelesen werden, sondern als Betonung der Heterogenität und Mehrdimensionalität von Entstehungs- und Rezeptionsbedingungen sozialer Vorurteile. Die Formel „Abstiegsangst = Tritt nach unten?“ geht nicht für alle Feindbilder in gleichem Ausmaß auf.
Julia Hofmann
Backmatter
Metadata
Title
Solidaritätsbrüche in Europa
Editors
Wolfgang Aschauer
Elisabeth Donat
Julia Hofmann
Copyright Year
2016
Electronic ISBN
978-3-658-06405-1
Print ISBN
978-3-658-06404-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-06405-1