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2000 | Book

Soziale Mobilisierung und Demokratie

Die preußischen Wahlrechtskonflikte 1900 bis 1918

Author: Jörg Rössel

Publisher: Deutscher Universitätsverlag

Book Series : DUV: Sozialwissenschaft

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About this book

Die Idee zu dieser Arbeit geht zurück auf ein Seminar über Kapitalismus und Demokratie, welches ich an der Freien Universität Berlin bei Dietrich Rüschemeyer besucht habe. Sie ist allerdings erst einige Zeit später in den Jahren 1996 bis 1998 in der ausgesprochen produktiven und kollegialen Atmosphäre des Institutes fiir Kulturwissenschaften der Universität Leipzig entstanden. Grundlage ist ein von der Fritz Thyssen Stiftung finanziertes Projekt über Wahlrechtsdebatten in Preußen zwischen 1849 und 1918 gewesen. Auch fiir die finanzielle Unterstützung bei der Publikation dieser Arbeit möchte ich mich bei der Fritz Thyssen Stiftung bedanken. Für Unterstützung und Hilfe bei der Entstehung der Arbeit bin ich den Gutachtern Hans Joas und Georg Vobruba sowie allen voran meinem Betreuer Jürgen Gerhards zu Dank verpflichtet. Weitere Kollegen haben Teile der Arbeit gelesen und mir durch wertvolle Kommentare weitergeholfen. Dazu gehören Robert Brandt, Rolf Hackenbroch, Andreas Helmedach, Wolfgang Knöbl und Dieter Ohr. Wichtig fiir die Entstehung des Textes war auch die Gelegenheit, Vorträge am Institut fiir Kulturwissenschaften in Leipzig und am John F. Kennedy Institut fiir Nordamerika­ studien in Berlin über das Thema der Arbeit zu halten. Darüber hinaus war auch die überaus sorgfältige und motivierte Arbeit der beiden im oben genannten Projekt beschäftigten studentischen bzw. wissenschaftlichen Hilfskräfte Gabor Rychlak und Volker Titel entscheidend fiir das Gelingen der Arbeit. Der größte Dank geht an Heidi Hänel, die mich in vielfältiger Weise bei der Erstellung der Arbeit unterstützt hat. Ihr ist dieses Buch gewidmet.

Table of Contents

Frontmatter
1. Einleitung und Fragestellung
Zusammenfassung
In den vergangenen zwanzig Jahren fand eine aufsehenerregende Zunahme der Anzahl von demokratischen Regimen auf verschiedenen Kontinenten statt (vgl. Diamond 1996; Linz/Stepan 1996; Merkel 1999). Diese Entwicklung hatte auch Rückwirkungen auf die Forschungsschwerpunkte der politischen Soziologie. Wurde in den siebziger Jahren noch vorwiegend über den Zusammenbruch von Demokratien geforscht (Collier 1979; O’Donnell 1973; Linz/Stepan 1978), so hat in den achtziger Jahren eine Wende in der Forschung stattgefunden und eine neue Ära der Demokratisierung, die sogenannte dritte Welle der Demokratisierung wurde zum Gegenstand der Forschung gemacht (Diamond 1993; Diamond/Linz/Lipset 1988 – 1992; Huntington 1991; Lipset 1994; Schmitter/O’Donnell 1987; Pastor 1985). Begonnen hat diese Welle der Demokratisierung mit dem Sturz der Diktaturen in Südeuropa in der Mitte der siebziger Jahre (Griechenland, Portugal und Spanien) und ging weiter mit der Öffnung autoritärer Systeme in Lateinamerika (Argentinien, Brasilien, Peru, Chile) seit den späten siebziger, vorwiegend aber in den achtziger Jahren. Darüber hinaus zeigten sich auch Liberalisierungsanzeichen in einigen autoritären Systemen Asiens (Taiwan, Südkorea), und vor allem ergab sich als Höhepunkt der Entwicklung der Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen in Osteuropa und die Versuche dieser Länder, sich an einem demokratischen und marktwirtschaftlichen Modell zu orientieren.
Jörg Rössel
2. Theoretischer Bezugsrahmen
Zusammenfassung
Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die Frage nach der Rolle der politischen Kultur bei der Erklärung der Entstehung und Stabilität demokratischer politischer Regime. Dieser Frage soll in dieser Arbeit sowohl theoretisch als auch empirisch nachgegangen werden. In diesem Kapitel werde ich zuerst versuchen, einen flexiblen theoretischen Rahmen zu skizzieren, der erstens die Ergebnisse verschiedener Forschungsrichtungen in der Soziologie der Demokratie zu integrieren vermag und zweitens auch verdeutlicht, welche Position der Kultur respektive der politischen Kultur in einem solchen Erklärungsrahmen zukommt.
Jörg Rössel
3. Daten und Methode
Zusammenfassung
In den vorhergehenden theoretischen Ausführungen wurde die Prämisse der interpretativen Soziologie dargestellt, daß Menschen ihre Handlungen nicht nach mechanischen Prinzipien oder in Abhängigkeit von objektiven Strukturbedingungen oder Interessenlagen ausfiihren, sondern daß soziale Akteure sich selbst, ihre Interessen und Handlungen sowie die sozialen Kontexte in denen sie sich befinden, immer schon sinnhaft deuten und interpretieren. Daher sind auch die Interessen von an Demokratisierungsprozessen beteiligten Akteuren nicht als gegeben (z. B. durch objektive Positionen in der Klassenstruktur o. ä.) zu betrachten, sondern ihre jeweilige Konstruktion zu untersuchen. Im Anschluß an diesen Grundsatz wurde ein Modell der Konstitution kollektiver Akteure entwickelt, welches neben anderen Aussagen über die soziale Konstruktion von Interessen zwei zentrale Thesen im Hinblick auf das Verhältnis von kulturellen Werten und Interessen derartiger Akteure enthält: Erstens sind Interessen sozial konstruiert und ihnen liegen kulturelle Bewertungsmaßstäbe zugrunde. Zweitens folgt aus der ersten These, daß es jeweils eine Anzahl von nichtbeliebigen kulturellen Werten gibt, die zur argumentativen Rechtfertigung von spezifischen Interessen herangezogen werden können. Dies sind vor allem diejenigen Bewertungsmaßstäbe, die in die Konstruktion der Interessen eingehen. Schließlich folgt daraus als empirisch prüfbare These die Behauptung, daß zwei Akteure mit einer spezifischen Interessendivergenz ähnlich große Divergenzen in ihren kulturellen Orientierungen aufweisen sollten.
Jörg Rössel
4. Das preußische Dreiklassenwahlrecht
Zusammenfassung
Gegenstand des empirischen Teils dieser Arbeit, deren Hauptfrage sich auf die Rolle von politischer Kultur in der Erklärung der Entstehung und Stabilität von demokratischen Regimen richtet, sind die Wahlrechtsdebatten im preußischen Abgeordnetenhaus zwischen 1900 und 1918 und die darin repräsentierten kollektiven Akteure. Die von den Redner verwendeten Argumente und ihre kulturellen Bezugspunkte wurden mit Hilfe der in Abschnitt 3.1.2. erläuterten Inhaltsanalyse erhoben. Der Vorteil einer solchen Vorgehensweise ist, daß kulturelle Werte und Interpretationsrahmen nicht in dekontextualisierter Weise, wie z. B. in Bevölkerungsumfragen, erhoben werden, sondern in unmittelbaren Bezug zu einem Konflikt um die Demokratisierung des preußischen Staates.
Jörg Rössel
5. Soziale Konfliktstruktur und Kultur
Zusammenfassung
Der in Kapitel 2.1. und 2.2. entwickelte integrative theoretische Rahmen einer Soziologie der Demokratie besteht aus zwei Teilen, einem umfassenden Gesamtrahmen der Bedingungen für die Entstehung und Stabilität von Demokratien und einem Modell der Konstitution kollektiver Akteure. In dem Gesamtrahmen wurde behauptet, daß sich aufgrund der großen Modernisierungsprozesse von Staatsbildung und industrieller Wirtschaftsentwicklung erhebliche Verschiebungen in der relativen Macht und den Interessen großer Bevölkerungsgruppen ergeben, die im wesentlichen darüber entscheiden, ob ein demokratisches Regime entstehen kann Allerdings ist in der hier vorgeschlagenen Konzeption der Zusammenhang zwischen den Modernisierungsprozessen und den gesellschaftlichen Macht- und Interessenverschiebungen nicht unmittelbar, sondern über mehrere soziale Prozesse vermittelt. Erstens wurde die Prämisse aufgestellt, daß die politische Bedeutung von Bevölkerungsgruppen davon abhängt, ob sie kollektive Akteure zu ihrer Vertretung organisieren kann und zweitens daß die von diesen Akteuren verfolgten Interessen nicht allein von der objektiven sozialen Lage des von ihnen repräsentierten Bevölkerungssegments abhängen, sondern in sozialen Prozessen konstruiert werden. Im Modell der Konstitution kollektiver Akteure wurde nun versucht, die Determinanten der Mobilisierung von Machtressourcen und damit auch der erfolgreichen Organisierung einer Bevölkerungsgruppe sowie der Prozesse der Definition der von diesen Akteuren vertretenen Interessen anzugeben.
Jörg Rössel
6. Politische Parteien
Zusammenfassung
In den theoretischen Ausführungen in Abschnitt 2.2. wurde dargestellt, daß in der politischen Soziologie und den Politikwissenschaften Parteien gewöhnlich die Funktion zugesprochen wird gesellschaftliche Interessen zu aggregieren und in das politische System hinein zu transportieren (Lipset 1969; Rucht 1993; Duverger 1959; Easton 1957; Rohe 1992: 24–28). Im Gegensatz zu den Interessenorganisationen sind aber die Parteien aufgrund der Beschränkungen durch das Wahlrecht und der Notwendigkeit politische Mehrheiten zu bilden, gezwungen Koalitionen verschiedener Bevölkerungsgruppen herzustellen. Parteieliten stehen also vor einer gewissen Notwendigkeit komplexere Programme zu formulieren, die im Gegensatz zu den Forderungen von Interessenverbänden größere Bevölkerungsgruppen ansprechen. Laut Hypothese 8 lassen sich auch fir die politischen Parteien Interessendivergenzen und damit einhergehende kulturelle Unterschiede erwarten. Diese sollen in diesem Kapitel genauer spezifiziert werden. In Abschnitt 6.1.1. wird analysiert welche Bevölkerungsgruppen die verschiedenen im preußischen Abgeordnetenhaus vertretenen politischen Parteien hinter sich versammeln konnten. Dies wird einerseits mit Hilfe einer einfachen wahlsoziologischen Analyse der Ergebnisse der preußischen Landtagswahlen von 1908 geschehen und andererseits ergänzt durch die Heranziehung von wahlhistorischer und -soziologischer Sekundärliteratur, die zum Teil sehr viel genauere Einblicke in die Wählerklientel der deutschen Parteien vermittelt.1 Durch die Verwendung dieser Literatur kann zum Teil auch hier wiederum an die differenzierte Klassenanalyse aus Abschnitt 5.1.
Jörg Rössel
7. Empirische Analyse der kulturellen Dimensionen der Wahlrechtsdebatten
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wende ich mich nun der empirischen Analyse der in Abschnitt 2.3. entwickelten und in Kapitel 5 und 6 differenzierten Hypothesen zu. Diese sowie die in der Analyse verwendeten Variablen sind im Anschluß an diesen Abschnitt zur besseren Übersicht noch einmal aufgelistet. In den ersten beiden inhaltlichen Abschnitten des Kapitels werde ich mich der deskriptiven Analyse der an den preußischen Wahlrechtsdebatten beteiligten Redner (7.1.) und den von ihnen verwendeten Argumente zuwenden (7.2.). Erst im Anschluß an die Beschreibung der Sozialstruktur der Redner der verschiedenen Parteien und die Darstellung der Häufigkeit der argumentativ genannten kulturellen Werte, wende ich mich dem Zusammenhang zwischen Parteizugehörigkeit sowie Wahlkreismerkmalen auf der einen Seite und kultureller Orientierung auf der anderen Seite zu.
Jörg Rössel
8. Zusammenfassung
Zusammenfassung
Die Ausgangsfrage dieser Untersuchung zielt auf die Rolle der politischen Kultur bei der Erklärung der Entstehung und der Stabilität demokratischer politischer Regime. Angesichts der Zentralität der Beschäftigung mit dem Begriff und Gegenstand Kultur in der politischen Soziologie und den Sozial- und Geisteswissenschaften im allgemeinen, sollte versucht werden diesen Forschungsgegenstand am Beispiel der Entstehung von demokratischen Regimen in differenzierter Weise zu behandeln. Dazu wurde erstens in der Diskussion von vier Forschungsrichtungen in der Soziologie der Demokratie ein integrativer theoretischer Rahmen für die Erklärung der Entstehung und Stabilität von demokratischen Regimen zu entwickeln versucht. Zweitens wurde in einer empirischen Fallstudie über Wahlrechtskonflikte in Preußen zwischen 1900 und 1918, die in diesem theoretischen Rahmen formulierte Verknüpfung von Interessen und kultureller Orientierung kollektiver Akteure überprüft.
Jörg Rössel
9. Anhang
Jörg Rössel
10. Literatur
Jörg Rössel
Backmatter
Metadata
Title
Soziale Mobilisierung und Demokratie
Author
Jörg Rössel
Copyright Year
2000
Publisher
Deutscher Universitätsverlag
Electronic ISBN
978-3-322-90745-5
Print ISBN
978-3-8244-4410-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-322-90745-5