Die deutsche Wirtschaft braucht tiefgreifende und mutige Reformen im Unternehmenssteuerrecht, sagen Experten. Der bürokratische Aufwand und die Komplexität der Vorgaben belasten vor allem dem Mittelstand.
Deutsche Unternehmen versinken in bürokratischen Prozessen. Einen großen Teil davon verursacht das Steuerrecht.
fermate / Getty Images / iStock
Der Koalitionsvertrag sieht zahlreiche steuerpolitische Maßnahmen vor, um Unternehmen zu entlasten. Auch wenn die geplante Senkung der Körperschaftssteuer und andere Pläne umgesetzt werden, bedarf es umfassenderer steuerpolitischer Reformen, um die Resilienz und Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft angesichts konjunktureller Stagnation und struktureller Belastungen zu stärken. Besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMU) leiden unter einem hohen bürokratischen Aufwand, betont der Bund der Steuerzahler (BdSt). Ihre Steuerplanungskosten seien aktuell im Verhältnis zum Umsatz oftmals deutlich höher als bei Großunternehmen. Auch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) mahnt in einer aktuellen Analyse grundlegende steuerliche Entlastungen an: Die hohe Abgabenlast und die ausufernde Verwaltungspflichten gefährdeten nicht nur das Wachstum, sondern auch die internationale Konkurrenzfähigkeit des Standorts Deutschland.
Komplexität im Steuerrecht abbauen
Besondere Kritik übt das IDW an der zunehmenden Komplexität des Steuerrechts, die Investitionen hemme und das wirtschaftliche Handeln erschwere. Die Wirtschaftsprüfer fordern eine Rückkehr zu klaren, systematischeren Regelungen und eine konsequente Reduktion steuerlicher Sondervorschriften.
Der Abbau überbordender Dokumentationsvorgaben sei angesichts begrenzter personeller Kapazitäten infolge des Fachkräftemangels besonders dringlich. Effektivere Verwaltungsprozesse würden nicht nur Ressourcen sparen, sondern auch die Planungs- und Investitionssicherheit der Unternehmen stärken.
Mindeststeuer führt zu Mehraufwand
Ein besonderer Fokus des IDW liegt auf der globalen Mindeststeuer (MinStG), deren Einführung nach Einschätzung der Experten massive praktische Herausforderungen mit sich bringt. Die Schwierigkeiten liegen dem Institut zufolge weniger im Steuersatz von 15 Prozent selbst, sondern vielmehr in der technischen, administrativen und rechtlichen Umsetzung. Unternehmen seien mit einem erheblichen Mehraufwand konfrontiert, insbesondere im Hinblick auf die Nachweispflichten, Datenaufbereitung und IT-Anpassungen. Dies führe zu hohen Kosten - mit potenziell nachteiligen Standorteffekten gegenüber Ländern mit geringerer Regulierung, heißt es in der Analyse.
Kritik an der umfangreichen Nachweis- und Dokumentationspflichten im Zusammenhang mit der Mindeststeuer, gab es auch von der vom Bundesfinanzministerium eingesetzten Expertenkommission "Vereinfachte Unternehmensteuer". In ihrem im Sommer 2024 vorgelegten Bericht, schlägt diese unter anderem eine teilweise Rückführung der Anti-Missbrauchsvorschriften und eine Entschärfung der Wegzugsbesteuerung vor. Ziel sei eine spürbare Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung, ohne die fiskalische Integrität des Systems zu gefährden.
Mit klaren Steuergesetzen Investitionen fördern
Generell erhofft sich der IDW vom Bürokratieabbau und der "Wiederherstellung einer klaren Gesetzessystematik" im Steuerwesen Impulse zur Stärkung der Investitions- und Innovationstätigkeit. "Dazu gehört neben einer Vereinfachung bei der Gewerbesteuer, beispielsweise durch Anpassung an die einkommen- beziehungsweise körperschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage, auch ein grundlegender Mentalitätswandel in der Steuerpolitik und -verwaltung".
Der BdSt spricht sich in seinem Zehn-Punkte-Plan von September 2024 nicht nur für eine zügige Senkung der Gewerbesteuer, sondern langfristig sogar für deren gänzliche Abschaffung aus. Diese enthalte zahlreiche Mängel, sei konjunkturanfällig, von Kommune zu Kommune unterschiedlich geregelt und könne in Krisenzeiten zu einer Substanzsteuer werden, wenn Unternehmen keine Gewinne erzielen. Die durch sie verursachten jährlichen Bürokratiekosten beziffert der Verband auf rund 2,6 Milliarden Euro und beruft sich dabei auf Schätzungen des Statistischen Bundesamtes.
Gewerbesteuerreform notwendig
Gleichwohl erkennt der Verband an, dass eine Abschaffung nicht gegen die Kommungen funktionieren kann:
Ziel einer umfassenden Gewerbesteuerreform sollte es sein, einen Ersatz zu finden, der weniger bürokratisch und konjunkturanfällig und gleichzeitig rechtsformneutral, einheitlich bezüglich der Bemessungsgrundlage sowie kommunal steuerbar ist", heißt es in dem Papier des BdST.
Auch bei der Verlustverrechnung sehen Steuerexperten erhebliches Potenzial zur Stärkung der wirtschaftlichen Substanz von Unternehmen. Eine reformierte Verlustverrechnung könnte Konjunkturschwankungen besser abfedern und Investitionen fördern. Als digitale Wegmarke gilt die Einführung der elektronischen Rechnung im B2B-Bereich, die laut einer Stellungnahme des IDW von Februar 2024 sowohl die Steuergerechtigkeit als auch die Effizienz in der Umsatzsteuererhebung verbessert. Ergänzend fordern die Wirtschaftsprüfer eine umfassende Digitalisierung der Finanzverwaltung und Reformen bei Betriebsprüfungen zur Beschleunigung von Verfahren.
Investitionsprämie mit vereinfachter Kontrolle
Schließlich wird die von der Ampel-Koalition bechlossene, aber im Bundesrat gescheiterte Klimaschutz-Investitionsprämiedie als gezielte steuerliche Maßnahme von Steuerexperten für sinnvoll erachtet. So empfehlen Tom Krebs, Professor für Makroökonomik und Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim, und Isabella M. Weber, die am Political Economy Research Institute an der University of Massachusetts Amherst die Chinaforschung leitet und Volkswirtschaft lehrt, der künftigen Bundesregierung eine gewinnunabhängige steuerliche Zulage für Investitionen in den Klimaschutz. Diese habe gegenüber verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten den Vorteil, "dass sie auch von Unternehmen genutzt werden kann, die aktuell keine Gewinne verbuchen", schreiben die beiden Wissenschaftler im "Witschaftsdienst" von Anfang Januar 2025.
Beispielsweise könnte die Investitionsprämie so ausgestaltet sein, dass Unternehmen 25 Prozent der Anschaffungs- und Herstellungskosten der Investitionen erstattet bekommen", so die Ökonomen.
Die Einhaltung der Vorgaben müsse dabei - entgegen der ursprünglich geplanten umfassenden Ex-ante-Kontrolle - einfach und unbürokratisch durch eine stichprobenartige Ex-post-Überprüfung erfolgen, um alle mittelständischen Unternehmen zu erreichen. "Die volle Wirksamkeit wird eine Investitionsprämie nicht entfalten können, wenn sie in der Umsetzung durch ein Übermaß an Kontrolle zu einem Bürokratiemonster mutiert", so die beiden Ökonomen.