Souveränität im digitalen Raum für Unternehmen und Individuen: Der von der EU-Kommission geplante Digital Services Act rüttelt an der Monopolmacht großer Plattformen. Er stellt aber auch das Targeting für personalisiertes Marketing infrage.
Seit dem 20. Oktober 2020 liegen drei Initiativberichte zum Digitale-Dienste-Gesetz (Digital Services Act) auf dem Tisch des EU-Parlaments. Noch in diesem Jahr will die EU-Kommission einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen. Um die digitale Binnenmarktstrategie weiter voranzutreiben, sollen die neuen Maßnahmen vor allem gezielt an den drei derzeit größten Schwachstellen ansetzen:
- Datenwirtschaft,
- Cybersicherheit und
- Online-Plattformen.
Mit einem aktuell auf rund 740 Milliarden Euro geschätzten Wert birgt die Datenwirtschaft großes Potenzial für das Bruttoinlandsprodukt der Europäischen Union, wie Springer-Autor Göttrik Wewer im Buchkapitel "Digitale Agenda der Europäischen Kommission" feststellt. Noch lässt sich dieser Schatz jedoch nicht wie gewünscht bergen, da das Gros der verfügbaren Daten in den Händen einiger weniger US-amerikanischer Internetkonzerne liegt, darunter etwa Amazon, Google und Facebook. Der Digital Services Act soll Netzwerkeffekten wie diesen und damit der Monopolbildung entgegenwirken.
Interoperabilität sprengt Barrieren
Denkbar wäre etwa, Tech-Riesen zur Datentransparenz zu verpflichten, wodurch auch kleinere Unternehmen oder sogar Start-ups kommerziellen Nutzen aus den verfügbaren Datensätzen schöpfen könnten. Die großen Online-Plattformen würden auf diese Weise ihrer machtvollen Position als Gatekeeper und Regelsetzer beraubt, so die Hoffnung. Wenn Schnittstellen geöffnet werden müssten, entstünden auch völlig neue Chancen für die so genannte Interoperabilität: Von einander unabhängige Systeme wie zum Beispiel Messaging-Dienste könnten dann nahtlos Daten austauschen.
Nutzer müssten sich folglich nicht entscheiden, ob sie Whatsapp oder Threema als Kurznachrichtendienste verwenden möchten, da sie in diesem Fall kanalübergreifend mit ihren Kontakten kommunizieren können. Da sowohl der von Online-Plattformen kontrollierte als auch der ungebremste Datenfluss ein hohes Maß an Cybersicherheit erfordert, sieht die EU-Kommission auch in diesem Punkt großen Handlungsbedarf. "Bei den Online-Plattformen müssten zwei Themen genauer untersucht werden: ihre Handelspraktiken gegenüber Unternehmen, um zu einem fairen Umgang miteinander zu kommen, und die Entwicklung von geeigneten Verfahren für eine einfache Meldung und wirksame Entfernung illegaler Inhalte von solchen Plattformen", fasst Wewer zusammen (Seite 377).
Targeting und Algorithmen im Visier
Eine stärkere Regulierung der Tech-Konzerne könnte ferner verschärfte Transparenzpflichten für die Empfehlungsalgorithmen umfassen. Posts auf Sozialen Netzwerken, die den Kategorien Hate Speech oder Fake News zuzuordnen sind, lassen sich auf diese Weise nicht nur schneller aus dem Verkehr ziehen, sondern auch wissenschaftlich analysieren. Gerade im Zusammenhang mit politischen Wahlkämpfen, die etwa in den USA unter anderem auf Basis von komplexen und wenig transparenten Social-Media-Strategien geführt werden, schlummern in diesem Bereich hochbrisante Informationen.
Da verwundert es nicht, dass der Digital Services Act auch das Thema Targeting, also die genaue Zielgruppenansprache im Online-Marketing, ins Auge fasst – die Grundlage für Empfehlungsalgorithmen. Der dazu gehörige Initiativbericht wurde von dem EU-Parlamentarier Tiemo Wölken eingereicht. Er fordert in einem Youtube-Video drastische Veränderungen in der digitalen Werbeaussteuerung. Um Daten besser schützen zu können, sollte personalisierte Werbung nur noch freiwillig von Nutzern empfangen werden können. Die Lösung liegt laut Wölken in kontextbezogener Werbung.
Was bringt Souveränität?
Eine massive Beschränkung oder gar ein Verbot von Targeting stößt beim Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. auf Kritik. "Datenschutz und Privatsphäre sind wichtige Grundrechte, aber auch Meinungsfreiheit- und -vielfalt, wofür Qualitätsjournalismus nötig ist. Ohne die Refinanzierung durch Marketing können diese Inhalte nicht garantiert werden und europäische digitale Geschäftsmodelle kaum erhalten bleiben", meint BVDW-Vizepräsident Thomas Duhr. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen könnten im Falle einer solchen Regeländerung zu Schaden kommen. "Man kann nicht auf der einen Seite fordern, dass wir in Europa digitale Souveränität erreichen müssen und uns unabhängig machen wollen und auf der anderen Seite schneiden wir unseren Unternehmen die Grundlage weg", so Duhr.
Wie also ließe sich eine Balance zwischen dem Grundrechtsschutz der Bürger und den Wettbewerbschancen für die Digitale Wirtschaft schaffen? Neben der Dringlichkeit, dass Internetplattformen Transparenz über ihre Targeting-Algorithmen schaffen, besteht eine Möglichkeit darin, Internetnutzer über konkrete Verwendungszwecke ihrer selbst im Netz preigegebenen Daten entscheiden zu lassen. Denn: "Selbst wenn die Datenerhebung anonymisiert oder pseudonymisiert stattfindet, kann Persönlichkeits-genau kommuniziert werden. Dies ist den Nutzern wahrscheinlich nicht bewusst", schreibt Springer-Autor Gregor Hopf im Buchkapitel "Psychografisches Targeting – Wirkung und Funktionsweise als eine besondere Form des Micro-Targetings in den sozialen Medien" (Seite 96).