Skip to main content
Top

09-11-2015 | Umwelt | Interview | Article

Vorbildliches kommunales Konzept zur Gewässerentwicklung

Author: Günter Knackfuß

5:30 min reading time

Activate our intelligent search to find suitable subject content or patents.

search-config
print
PRINT
insite
SEARCH
loading …

Im Projekt KOGGE untersucht die Uni Rostock am Beispiel der Hansestadt Rostock, wie der Zustand kleiner Fließgewässer erfasst und verbessert werden kann. Springer für Professionals sprach mit Professor Tränckner über das Projekt.

Springer für Professionals: Warum wurde für das Forschungsprojekt KOGGE das Stadtgebiet von Rostock ausgewählt?

Jens Tränckner: Die wasserwirtschaftliche Situation hier ist charakteristisch für viele Städte des Norddeutschen Tieflands. Diese unterscheidet sich deutlich von klassischen Flussstädten in Tallagen. In den flachen Niederungsgebieten Norddeutschlands werden die Gemeinden durch zahlreiche kleinere Fließgewässer und Grabensysteme entwässert. Die Gesamtlänge aller Fließgewässer in Rostock beträgt ca. 200 Kilometer. Nur ein Bruchteil davon unterliegt davon aktuell der Berichtspflicht bei der Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie. Diese Gewässer erbringen für die Stadtgesellschaft vielfältige Leistungen, vom Hochwasserschutz, über Erholungsfunktionen bis zur Verbesserung des Stadtklimas. Rostock hat bei der Analyse gegenüber vielen anderen Städten einen deutlichen Bearbeitungsvorsprung. Nach verheerenden Überschwemmungsereignissen infolge von Starkniederschlägen im Jahr 2011 wurde durch die Hansestadt die Erarbeitung eines "Integralen Entwässerungskonzepts" (INTEK) initiiert. Bereits hier haben die wichtigsten wasserwirtschaftlichen Akteure und das Umweltamt der Stadt intensiv an der Entwicklung eines nachhaltigen Hochwasserschutzkonzepts zusammengearbeitet.

Welche Hauptziele wurden für die wissenschaftlichen Untersuchungen festgelegt?

Weitere Artikel zum Thema

Das übergeordnete Ziel des Verbundprojekts KOGGE ist die Erarbeitung eines strategischen, stadtübergreifenden Gewässerentwicklungskonzepts. In diesem sollen für die multifunktionalen Ansprüche an die Fließgewässer möglichst ganzheitliche und übertragbare Lösungswege gefunden werden. Nach unserer Kenntnis ist diese projektkonzentrierte Entwicklung eines Gewässerentwicklungskonzepts auf der Skala einer (kleineren) Großstadt bisher einzigartig. Um dies zu erreichen, haben wir uns wichtige Teilaufgaben definiert. So werden wir eine gemeinsame web-basierte Geodateninfrastruktur aufbauen, welche den effizienten Zugriff auf alle Daten der Partner ermöglicht. Um die hydrologisch/hydraulischen Prozesse und Interaktionen zu verstehen und z.B. ereignisbezogen Hochwasserrisiken bewerten zu können, werden wir ein integrales Makromodell von Fließgewässer, Kanalnetz und Grundwasser für das gesamte Stadtgebiet einschließlich der ländlichen Einzugsgebiete aufbauen. Ein besonderer Schwerpunkt des Projekts ist die Entwicklung eines Bewertungsverfahrens für die urban geprägten, nicht-WRRL-berichtspflichtigen Gewässer und Feuchtgebiete. Von Beginn an wollen wir auch die Stadtgesellschaft in die Entwicklung des Gewässerkonzepts einbeziehen. Wir werden auch die Möglichkeiten einer entwickelnden Gewässerunterhaltung im Projekt adressieren, dies stellt eine besondere Herausforderung für die Arbeit des Wasser- und Bodenverbandes dar. Hier wird es u.a. darum gehen, den hydraulisch begründeten Unterhaltungsaufwand in Renaturierungsbereichen zu begrenzen.

Besonders berücksichtigt werden sollen auch Fragen des Hochwasserschutzes – aus welchen Gründen?

Wie oben erwähnt, hat Rostock bereits Erfahrungen mit schweren Hochwasserschäden sammeln müssen. Wie in vielen anderen Städten auch, erfolgte insbesondere im innerstädtischen Bereich in den letzten Jahrzehnten eine ständige Nachverdichtung. Damit verbunden ist der abzuführende Regenwasserabfluss ständig gestiegen. Einige Bereiche des Kanalnetzes haben damit die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht. Gleichzeitig führen einige Kanäle, historisch bedingt, noch den Abfluss ehemaliger Fließgewässer. In der Hansestadt besteht auch weiterhin ein hoher Druck zur weiteren Flächenerschließung für Wohn- und Gewerbezwecke. Wir brauchen also dringend ein nachhaltiges Konzept für den Hochwasserschutz. Im INTEK wurde dafür schon das Konzept der "Entwässerungsleitachsen" entworfen. Konkret geht es darum, Mischwassersysteme zu entflechten und das Regenwasser in diesen Leitachsen getrennt abzuführen. Wo dies städtebaulich möglich ist, sollen diese Leitachsen als offenes, naturnahes und erlebbares Gewässer gestaltet werden. Dies ist ein ideales Beispiel für integrale Gewässerentwicklung.

Ihre Kooperationspartner vom Lehrstuhl für Geodäsie und Geoinformatik entwickeln bei KOGGE eine moderne Geodateninfrastruktur. Was soll damit erreicht werden?

In den Kommunen in Deutschland gehören heutzutage Geo-Informationssysteme (GIS) zum täglichen Arbeitsalltag. Dementsprechend liegt eine große Menge an Geoinformationen bereits vor, jedoch zumeist durch die Vielzahl der beteiligten Einrichtungen bedingt eher heterogen und an den jeweiligen Arbeitsplätzen der Bearbeiter. Um diese, sowie die weiteren im Laufe des Projektes entstehenden Geoinformationen allen (inkl. den Bürgern und Entscheidungsträgern) zugängig zu machen, bedarf es sogenannter Geodateninfrastrukturen, die die Geoinformationen über das WorldWideWeb verfügbar machen. Dadurch erleichtern sich insbesondere die Arbeitsprozesse zwischen den Beteiligten, die auf einer gemeinsam abgestimmten und stets aktuellen Datenbasis arbeiten.

Bei den Analysen wollen sie auch Drohnen einsetzen. Welche Ergebnisse erwarten sie davon?

Mittels Drohnen (oder besser kleinen unbemannten Flugkörpern (UAV), an denen eine Kamera montiert ist) kann an ausgewählten Punkten (sogenannten Hot spots) die Datenlage nochmals deutlich verbessert werden, und zwar in zweierlei Hinsicht: Räumlich lassen sich hier z.B. Geländemodelle in Zentimeterqualität erzeugen, zeitlich können solche Bildflüge ereignisbezogen (also z.B. nach einem Starkregenereignis) sofort ausgeführt werden.

Für eine aktive Bürgerbeteiligung wurde die Internetplattform Klarschiff-HRO geschaffen. Wie wird diese bisher angenommen?“

Klarschiff-HRO existiert bereits seit längerem und ermöglicht den Bürgern mittels einer App Fragen, Hinweise und Beschwerden an die Stadtverwaltung zu richten. Ein typisches Beispiel ist der Hinweis auf wilde Müllentsorgung, wobei durch das GPS des Smartphones und die eingebaute Kamera sowohl der genaue Ort als auch das konkrete Objekt direkt übermittelt werden kann.

Im Moment entwickeln wir in KOGGE eine Umfrage zur Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung für bestimmte Gewässerfunktionen, z.B. Hochwasserschutz, Spazieren am Gewässer, Angeln. Wir erhoffen uns davon eine statistisch auswertbare Erkenntnis, welche Gewässerfunktionen der Stadtgesellschaft besonders wichtig erscheinen und wollen dies auch räumlich und sozio-ökonomisch einordnen. Diese Web-Seite werden wir noch dieses Jahr freischalten und ordentlich bewerben.

Welche Möglichkeiten sehen sie für eine spätere Nachnutzung des Endkonzeptes durch andere Kommunen?

Wir werden in KOGGE viele Methoden und Werkzeuge entwickeln, welche durch andere Kommunen genutzt werden können. Dies betrifft z.B. den Aufbau einer web-basierten Geodateninfrastruktur, die Methoden zur Zustandsbewertung der urban geprägten kleinen Fließ- und Standgewässer, die integrale Modellierung der wasserwirtschaftlichen Systeme oder auch zielgerichtete Maßnahmenplanung wie die angesprochenen Entwässerungsleitachsen oder die Lokalisierung und Gestaltung von Gewässerabschnitten für eine naturnahe Gewässerentwicklung. Auch in der Öffentlichkeitsarbeit werden wir Erfahrungen zur partizipativen wasserwirtschaftlichen Planung, insbesondere zur web-basierten Kommunikation sammeln, welche für Kommunen und Betreiber interessant sein sollten. Last not least kann unser Netzwerk selbst und die kooperative Zusammenarbeit der Akteure ein Vorbild für andere Kommunen sein.

Vielen Dank für das Interview. 

Das Projekt KOGGE wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Das Interview führte Günter Knackfuß, freier Autor, für Springer für Professionals.

print
PRINT

Related topics

Background information for this content

2011 | OriginalPaper | Chapter

Morphologie der Fließgewässer

Source:
Naturnaher Wasserbau

2014 | OriginalPaper | Chapter

Abwasser- und Wassertechnik

Source:
Technischer Ausbau von Gebäuden

2013 | OriginalPaper | Chapter

Hochwasserschutzmaßnahmen

Source:
Hochwasser-Handbuch