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Unterhaltsamer Antisemitismus?

Kritische Perspektiven auf (un-)soziale Phänomene unserer Gegenwart

  • 2025
  • Book
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Die Beiträge in diesem Buch reagieren auf die Beobachtung, dass in medial konstituierten Empörungskulturen der Umgang mit historischen und tagesaktuell existenziellen, insbesondere mit antisemitisch imprägnierten Bedrohungsphänomenen zunehmend auf Plattformen stattfindet, wo man Betroffenheit ohne persönliche Erfahrung artikulieren und mit vorgeschobenen Platzhaltern inszenieren kann.

Konsequent werden entsprechende Einsichten belegt und kontextualisiert. Aufzuzeigen gilt, wie sich der Antisemitismus 3.0 als Entertainment-Motiv der Bildkultur unserer Gegenwart realisiert, um diese Szenarien und Prozesse angemessen hermeneutisch, kulturtheoretisch sowie normativ einzuholen und zu bewältigen.

Table of Contents

Frontmatter

Einführung

Frontmatter
Unterhaltsamer Antisemitismus?
Einführende Bemerkungen und Problemskizzen zu einigen unsozialen Phänomenen in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts
Zusammenfassung
Nicht erst seit der Veröffentlichung des so genannten Sylt-Videos, nicht erst seit Bekanntgabe des Umstands, dass die Präsidentin der TU Berlin mehrere ‚Likes‘ für Antisemitische Tweets in Social Media vergeben hat, nicht erst, seit Filmsequenzen und Standbilder von militärischen und antihumanitären Aktionen im Gazastreifen verbreitet werden, nicht erst, seit sich unzählige Menschen aufgefordert fühlen, auf die politische Großwetterlage weniger mit friedlichen Protesten als vielmehr mit Gewalttaten zu reagieren: israelkritische Parolen und antijüdische Äußerungen sind Ausdruck einer zynischen Einstellung, die sich in der deutschen Bevölkerung mit anwachsender Deutlichkeit ausbreitet. Und obwohl es mitunter noch scheint, als gäbe es hinreichend Kräfte, um jede Form von Antisemitismus auf der Grundlage freiheitlich-demokratischer Leitwerte der Gesellschaft zivilcouragiert und reflektiert zu ächten, werden antisemitisch begründete Straftaten zunehmend registriert – während es zu den seltsameren Umständen der letzten zwei Dekaden gehört, dass sich die Angehörigen einer anti-antisemitisch aufgestellten Protestkultur offenkundig darauf beschränken, ihre besondere Befindlichkeit in Momentaufnahmen zu artikulieren, ohne sich nachhaltig zu positionieren und politisch entsprechend wirkmächtig zu assoziieren. „Was ist neu am Antisemitismus der Gegenwart?“, diese wichtig gebliebene Forschungsfrage muss unbedingt auch auf eine Erkundung des Doppelphänomens abzielen, dass ein womöglich renovierter Antisemitismus eben nicht nur als brandgefährlich und bedrohlich verstanden werden kann, sondern auch mit Themen, Verhaltensmustern, Denkbildern und Motiven aufwartet, die der Eigendarstellung und Präsentation von Subjekten insofern dienlich sind, als sie sich mit Praktiken öffentlicher Distanzierung und Verfemung selbstinszenieren. Von daher wird auch die konventionelle Fixierung auf den traditionellen „gesellschaftlichen Resonanzraum, in dem Antisemitismus verhandelt wird“, mit der Einsicht zu korrigieren sein, dass man es längst mit einem gesellschaftlichen Resonanzgroßraum zu tun hat, der völlig disparat ist, weil er gegensätzliche Einstellungen in sich ventiliert: Normativ unformatiert und moralisch unübersichtlich ist dieser gesellschaftliche Resonanzraum dahingehend, dass in ihm antisemitische Motive, israelfeindliche Statements und judenverachtende Weltbilder einerseits kommuniziert und gepflegt, andererseits (und andernorts, jedoch zugleich) kritisch reflektiert und sozial geächtet werden können. Dies korrespondiert auf sonderliche Weise mit dem Tatbestand, dass sich beachtliche Diskurse, quasi abgestimmt auf die Regelwerke der Medienkulturen, einerseits auf das Abendprogramm, andererseits auf das Smartphone haben verlegen lassen; sie sind geradezu verabschiedet worden in die (virtuellen, digitalen und feuilletonistischen) Sektoren des Moderierten und Unterhaltsamen, wo (teil-)anonymisierte Kommentator:innen hinter kunstvollen Avataren bzw. mit alternativen Identitäten, mitunter auch Künstler:innen, Schauspieler:innen und Politiker:innen unter Zuhilfenahme postfaktischer Argumente das Antisemitische wie auch das Anti-Antisemitische performieren. Ist das vielleicht gar das verhöhnend Neue am Antisemitismus, nämlich: dass er sich geradezu spielerisch-unterhaltsam in Segmente und Milieus der zivilen Gesellschaft hineintrivialisiert – und genau dort zu einer größeren Bedrohung für aufgeklärte Leitwerte der Demokratie werden kann, wo man sich ihm nur mit inszenierten Empörungsrufen entgegenstellt, die letztlich seiner Popularisierung dienlich werden können?
Frank Thomas Brinkmann, Malte Dominik Krüger

Theorie, Gesellschafts- und Geschichtsbilder

Frontmatter
Aktueller Antisemitismus und Iconic Turn
Ein essayistischer Versuch
Zusammenfassung
Wer nach dem aktuellen Antisemitismus fragt, der stößt – früher oder später – auch auf den Sachverhalt einer hochgradig medialisierten Gesellschaft, deren Teil der aktuelle Antisemitismus ist. Die Ausrichtung dieser hochgradig medialisierten Gesellschaft wird nicht zuletzt von Bildern bestimmt, die immer auch der Anschaulichkeit und der Unterhaltung dienen. Diese Bilder erscheinen in der Regel als äußere Bilder auf Bildschirmen von Endgeräten wie etwa Fernsehern, Smartphones oder Computern. Da äußere Bilder auf die Wahrnehmung von Menschen angewiesen sind, die sie realisieren, gehören zu äußeren Bildern in gewisser Hinsicht immer auch innere Bilder. Sie hängen wiederum mit sprachlichen Bildern und einer bildlichen Dimension der Sprache zusammen. Die große Familie der Bilder ist komplex. Sie wird in den Kulturwissenschaften nach der medialen Wende zum Bild und Bildschirm unter dem Schlagwort des „Iconic Turn“ analysiert. Der Verbindung von aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus und dem Iconic Turn möchte der folgende Beitrag in einer essayistischen Annäherung nachgehen.
Malte Dominik Krüger
Spektakulär (un)informiert, satt unterhalten und bestens empört?
Beobachtungen in einer oberflächlich gereizten, unerzogenen (Medien-)Gesellschaft
Zusammenfassung
Es begab sich vor nicht allzu langer Zeit an einer mittelhessischen Universität. Das praktisch-theologische Seminar Religiöser Pluralismus? war im Semesterverlauf fortgeschritten, man befand sich in angestrengten Denkprozessen zu ‚Interkulturalität und Verantwortungsethik‘, genauer noch: in den ersten Minuten der Sitzung One World?. Als Einstieg und Einstimmung wurde ein Gedicht vorgetragen, zunächst, ohne dessen Verfasserin zu nennen: Gemeinsam Vergesset nicht Freunde wir reisen gemeinsam besteigen Berge pflücken Himbeeren lassen uns tragen von den vier Winden Vergesset nicht es ist unsre gemeinsame Welt die ungeteilte ach die geteilte die uns aufblühen läßt die uns vernichtet diese zerrissene ungeteilte Erde auf der wir gemeinsam reisen.
Frank Thomas Brinkmann
Antisemitismus und Antisemitismusforschung
Ein Überblick
Zusammenfassung
Kaum eine Woche vergeht, in der nicht eine aktuelle Umfrage, eine Studie oder eine Statistik veröffentlicht wird, in der es um Antisemitismus geht. Hinter der Vielzahl an Studien steht dabei nicht nur das Ziel der Wissensvermehrung, sondern auch das Verlangen danach, ein komplexes, schwer zu definierendes gesellschaftliches Phänomen begreifbar und damit auch beherrschbar zu machen, nach dem Motto: Problem erkannt, ermessen, bekämpft. Antisemitismus ist jedoch nicht messbar wie die Wassertemperatur. Mehr noch: Die vielen Umfragen und Statistiken dienen auch dazu, das Unbehagen zu bannen und suggerieren eine Sicherheit darüber, wie es um uns steht, die es so aber nicht geben kann. Zahlen können allerdings helfen, gesellschaftliche Tendenzen und Bewegungen wahrzunehmen. Dies soll im Folgenden herausgearbeitet und in den Kontext der Entwicklungen der Antisemitismusforschung eingeordnet werden.
Stefanie Schüler-Springorum

Sprach-, Erzähl- und Medienbilder

Frontmatter
Von „ungeimpft“ bis zum „Ende des Schuldkults“
Zur sprachlichen Konstitution von Alltagsantisemitismus
Zusammenfassung
Antisemitismus im öffentlich-politischen Diskurs als eine spezifische Form von Alltagsantisemitismus stellt sich u.a. als sprachliches Phänomen dar. Antisemitismus zeigt sich dabei als eine spezifische Variante gewaltvollen sprachlichen Handelns. Ausgehend von einer sprachtheoretischen Verortung des Beitrags in den Bereich der Pragmalinguistik zielt der Beitrag darauf, musterhafte Ausprägungen von Verbalantisemitismus als gewaltvolles sprachliches Handeln anhand eines Datenkorpus öffentlich-politischer Kommunikation herauszuarbeiten und zu zeigen, auf welchen sprachlichen Ebenen und mit welchen sprachlichen Mitteln Verbalantisemitismus im Alltag realisiert wird.
Constanze Spieß
Kippfigur(en) zwischen Antisemitismuskritik und Antisemitismus
Elisabeth Langgässers Kurzgeschichte „Saisonbeginn“ als jüdischer Witz?
Zusammenfassung
Der vorliegende Beitrag begibt sich auf die Suche nach einer Form ästhetisch überzeugender Antisemitismuskritik für die christliche Theologie und untersucht dafür die Kulturgestalt des jüdischen Witzes und die literarische Gestalt von Elisabeth Langgässers Kurzgeschichte „Saisonbeginn“ (1948), bezieht beide aufeinander, problematisiert implizite Formen ‚unterhaltsamen‘ Antisemitismusses in ihnen und weitet am Ende den Blick auf zeitgenössische Gestalten von Antisemitismus und ästhetischer Antisemitismuskritik (u.a. von Shahak Shapiras Interventionen und James E. Youngs counter-monuments).
Daniel Rossa
Die Bomben des Piktozän
Ein bildtheologischer Blick auf den 7. Oktober und darüber hinaus
Zusammenfassung
Ich beginne mit einer persönlichen Bemerkung. Als mich die Anfrage ereilte, für diesen Band einen Beitrag über „Israels Leichen als Unterhaltung der islamischen Welt nach dem 7. Oktober 2023 (oder ähnlich)“ zu schreiben, zuckte ich zunächst zusammen. Das ist heikel, dachte ich. Ein Spiel mit dem Feuer. Nah am Tabu. Und nah am Tabubruch. Trotzdem sagte ich zu, verbannte die Zusage aber sofort und zwar wochenlang in den hintersten Hintergrund meines Bewusstseins, was dazu führte, dass sich das Verdrängte regelmäßig umso aufdringlicher in Erinnerung rief. Natürlich wusste ich genau, warum ich keine Lust hatte, den Text zu schreiben. Ich hatte keine Lust, mir die Bilder des 7. Oktober anzuschauen. Genauer gesagt hatte ich einen ziemlichen Horror davor. Die Vorstellung, mich mit den Videos und Fotos des Massakers zu konfrontieren, war für mich mindestens so schrecklich wie die Bilder selbst. Meine Schreibblockade löste sich exakt in dem Augenblick, in dem mir dämmerte, dass ich den angefragten Artikel nur würde schreiben können, wenn ich darin meine Aversion zum Thema machte, mir die terroristischen Bilder von Ten Seven im Internet anzuschauen. So ist ein Text über Bilder entstanden, dessen Autor die Bilder, über die er schreibt, ohne über sie zu schreiben, nie gesehen hat. Was folgt, ist also ein Text über ein selbstauferlegtes Bilderverbot. Zugleich ist dieser Text auch ein Text über Bilder als Ikonoklasmen. Es ist ein Text über dreckige, aber auch über reine Bilder in Zeiten geradezu hysterischer Hygiene und geradezu puritanischer, wenn nicht sogar jakobinischer Reinhaltungs-, Reinigungs- und Säuberungsversuche der öffentlichen Sprache und der öffentlichen Bilder in einer achtsamen Welt und in den Medien und Hochschulen dieser achtsamen Welt. Nicht zuletzt ist es ein Text über die Dialektik der Dekontamination diabolischer Bilder. Und ganz am Ende auch ein Text über das einzige Bild, das die Dämonen des Zeitalters der Bilder austreiben kann: das Bild Gottes.
Ralf Frisch

Kunst-, Kultur- und Erinnerungsbilder

Frontmatter
Faszinierender Faschismus in der Empörungskultur
Zusammenfassung
„Sie interessierte sich für alles. Wenn man sie mit einem einzigen Wort charakterisieren müsste, dann käme eigentlich nur eines in Frage: Wissbegier“. So vielfältig Susan Sontag (1933–2004) war, so breit gefächert ist auch ihr Œuvre: Fotografie, Pornografie, Politik, Krankheit, Kitsch – um nur einige Themen zu nennen. Ob Film, Theater, Prosa, Lyrik, Tanz, Musik, Malerei oder Aktionskunst– kaum eine Kunstform blieb von ihr unbeachtet.
Mirjam Stahl
Die documenta im Spannungsfeld von Antisemitismus, Postkolonialismus und jüdischen Perspektiven
Zusammenfassung
Der Aufsatz analysiert die Leerstellen innerhalb der Disziplin der Kunstgeschichte in Bezug auf Antisemitismusforschung und Jüdische Studien. Zwar gibt es diverse Forschungen zu jüdisch codierten Themen, doch eine wissenschaftskritische Neuperspektivierung des Fachs Kunstgeschichte – vergleichbar etwa mit dem Impact der Gender oder Postcolonial Studies – blieb bisher aus. Weil dieser „Jewish Turn“ in der Kunstgeschichte bisher fehlt, ist es kaum verwunderlich, dass es auch an Bildkompetenzen fehlt, um visuellen Antisemitismus in seinen vielfältigen Formen zu erkennen. Auch jüdische Perspektiven bleiben insbesondere in ihrer Pluralität häufig unsichtbar. Der Aufsatz zielt drauf ab, einen Beitrag dazu zu leisten, die kunsthistorischen blinden Flecken in Bezug auf visuellen Antisemitismus und jüdische Perspektiven am Beispiel der international bekannten Kasseler Ausstellung der documenta (fifteen) zu benennen und genauer einzukreisen. This essay analyses gaps in the field of art history with regard to anti-Semitism research and Jewish studies. While a variety of research exists on Jewish-coded topics, a critical re-evaluation of art history comparable to the impact of gender or postcolonial studies has yet to occur. As this ‚Jewish turn‘ has been absent from art history until now, it is hardly surprising that there is also a lack of visual literacy to recognise visual anti-Semitism in its many forms. Jewish perspectives often remain invisible, particularly in their plurality. Using the example of the internationally renowned documenta (fifteen) exhibition in Kassel, this essay aims to contribute to identifying and pinpointing the blind spots in art history with regard to visual anti-Semitism and Jewish perspectives.
Alma-Elisa Kittner
Ästhetischer Genuss als Movens und Gefahr
Überlegungen zu einer zeitgemäßen Erinnerungskultur
Zusammenfassung
Die Debatte, ob ein ästhetisches Darstellen oder Inszenieren des Holocausts überhaupt erlaubt werden dürfe, wird spätestens seit den 1950er-Jahren umfassend geführt und ist auch heute noch aktuell. Sie verbindet sich in der bereits von Theodor W. Adorno formulierten Gefahr:
Friederike Jaekel

Klischee-, Zerr- und Gegenbilder

Frontmatter
Werft nichts Heiliges vor die Hunde
Jesu Begegnung mit der Syrophönizierin und der Kanaanäerin
Zusammenfassung
Seit der Spätantike hält sich das Vorurteil, Jesus und Paulus hätten jüdische Menschen als Hunde bezeichnet, um sich gegen Juden zur Wehr zu setzen, die ihrerseits „Heiden“ als Hunde beschimpft hätten. Der Artikel geht den Quellen für diese Behauptung nach. Es zeigt sich, dass diese stereotypisierende Auslegung zwar bis heute verbreitet ist, jedoch auf keinerlei biblischen Grundlagen beruht. Vielmehr war das von Jesus verwendete Bild aus Mt 7,6 bereits im 2. Jh. unklar und wurde sehr unterschiedlich interpretiert. Die Gruppe oder Gruppen, die Paulus in Phil 3,6 als „Hunde“ in den Blick nimmt, sind ebenso nicht mehr zu identifizieren. Das Bild von den Haushunden, dass Jesus und die Kananäerin in Mt 15,21–28 und die Syrophönizierin in Mk 7,24–30 diskutieren, hat nichts mit der Stereotypisierung von Menschengruppen zu tun.
Angela Standhartinger
Geschlechtlich codierte Zerrbilder des Jüdischen in Kunst und Karikatur
Eine genderkritische intersektionale Analyse
Zusammenfassung
Ausgehend von der Annahme, dass wir „anders über Antisemitismus sprechen und denken“ (Coffey/Laumann 2021) müssen, um mehr-dimensionale und interdependente Diskriminierungsstrukturen erkennen zu können, beschäftigt sich dieser Artikel mit zeitgenössischen Zerrbildern ‚jdes Jüdischen‘ in Kunst und Karikatur. Im Rahmen einer gendertheoretischen intersektionalen Perspektive wird die Verschränkung von Antisemitismus mit Geschlechterkonstruktionen untersucht. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der historisch weitreichenden Vergeschlechtlichung ‚jüdischer Differenz‘ und der antisemitischen Vorstellung einer transgressiven, abweichenden Sexualität, die von Juden_Jüdinnen verkörpert wird.
Véronique Sina
How to do things visually
Bericht über einen Versuch, antisemitischen Übergriffen durch Setzung positiver Bilder zu begegnen
Zusammenfassung
Wie lässt sich Antisemitismen in unserer Gesellschaft positiv entgegentreten? . Angesichts der gesellschaftlich schwindendenTrennungslinie zwischen Menschen, die hasserfüllte Äußerungen gegen Menschen jüdischen Glaubens selbst tätigen oder diese unwidersprochen lassen, und Menschen, die diese Situation als befremdlich bis verstörend empfinden, ist es notwendig, sich in eine neue Art von Sprachfähigkeit einzuüben.  Vorgestellt wird ein Versuch, in einer oberhessischen Kleinstadt ein positives Sprachbild zu etablieren, das einerseits die Gegebenheiten vor Ort aufnimmt als auch die geschichtliche Tiefendimension des Geschehenen emotional adaptierbar zu gestalten.
Martina Kepper

Einstellungs- und (Un-)Rechtsbilder

Frontmatter
Aktuelle Befunde zu antisemitischen Einstellungen in der evangelischen Kirche und der Anti-Antisemitismus im Protestantismus
Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht historische und aktuelle Dimensionen des Antisemitismus im Protestantismus sowie die Entwicklung eines kirchlichen Anti-Antisemitismus-Konsenses. Den Ausgangspunkt bildet die ambivalente Haltung der Bekennenden Kirche, die sich noch im Fehlen einer ausdrücklichen Benennung der Judenverfolgung 1945 zeigt. Historisch ist sie bedingt durch eine bis zu Luther zurückreichende antijudaistische Grundeinstellung. Seit den 1980er-Jahrensind theologische Ansätze entstanden, die jüdisches Selbstverständnis ernst nehmen und die bleibende Bindung an das Judesein Jesu betonen. Eine aktuelle EKD-Studie zeigt: Evangelische Kirchenmitglieder äußern seltener primären Antisemitismus, jedoch teils hohe Zustimmungswerte zu sekundären und israelbezogenen Formen. Transreligiöse Orientierung wirkt präventiv, monoreligiöse begünstigt Vorurteile. Ziel muss ein tragfähiger, theologisch fundierter Anti-Antisemitismus-Konsens im Protestantismus sein.
Georg Lämmlin
Antisemitismus als Straftat und Moralwidrigkeit
Zusammenfassung
Aktuelle Untersuchungen zeigen ein paradoxes Bild: Auf der einen Seite zeigt sich die Rechtsordnung zumindest auf den ersten Blick zunehmend wehrhaft gegenüber antisemitischen Straftaten; auf der anderen Seiten belegen Statistiken in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme antisemitisch motivierter Angriffe und Straftaten, denen – um es hier schon deutlich zu sagen – die (nicht nur Straf-)Justiz kaum Herr zu werden vermag; wie in diesem Beitrag zu zeigen sein wird, liegt dies teils an in der Tat komplizierten rechtlichen Verhältnissen, teils aber auch an mangelndem Verständnis für antisemitische Attacken und deren Wirkungen auf die Opfer bis hin schließlich zu offenkundiger Ignoranz gegenüber allenfalls vordergründig kaschiertem Antisemitismus in ‚aller Couleur‘. Die Stichworte für das justizielle Wegschauenwollen gegenüber öffentlich und offensichtlich vorgetragenem Antisemitismus sind Meinungs- und Kunstfreiheit, vorgebliche Missverständlichkeit von Äußerungen, angebliche Israel-Kritik oder auch selbst gemachte Erfahrungen mit Diskriminierung und schließlich der Versuch, (strafbares) Unrecht zwar anzuerkennen, aber bitte eben nicht als antisemitisch, eben weil dies gerade vor dem historischen Hintergrund ein so schwerwiegendes Verdikt – ein ‚Totschlagsargument‘ gleichermaßen – darstellt. In der Weimarer Republik war immer wieder – und statistisch betrachtet keineswegs ohne Grund – die Rede davon, dass die ‚Justiz auf dem rechten Auge blind‘ ist; das trifft so heute nicht mehr zu, doch bleibt – das muss man wohl konstatieren – der Antisemitismus gewissermaßen ein blinder Fleck in vielen Verfahren. Manches Mal mag die Frage, ob ein (Fehl-)Verhalten zumindest auch durch offenen oder latenten Antisemitismus des Handelnden verursacht oder geprägt gewesen ist, geradezu der sprichwörtlich nicht namhaft gemachte ‚Elefant‘ in deutschen Gerichtssälen sein. Würde man nämlich – wie sicherlich in einigen Fällen – explizit Antisemitismus als Leitmotiv oder zumindest Hintergrund des Handelnden identifizieren (oder zumindest darüber vor Gericht verhandeln, ob ein solcher bei der Tatbegehung leitend gewesen sein könnte), müsste man nicht nur diesem gegenüber diesen – eben besonders treffenden – Vorwurf explizieren, sondern zugleich auch öffentlich reflektieren (im Urteil coram publico ‚im Namen des Volkes‘), dass (und vielleicht auch warum) es in der deutschen Gesellschaft trotz der allseits bekannten Geschichte noch solche Geistesgrundlagen gibt (und – das knüpft an an die Nichtmehrblindheit allein auf dem rechten Auge – dass dies eben nicht bloß eine Gedankenverirrung notorischer Rechtsextremisten und Islamisten, sondern auch in den Gehirnen breiter bürgerlicher Schichten bis hin zu linken ‚Antizionisten‘ beheimatet ist).
Martin Heger
Title
Unterhaltsamer Antisemitismus?
Editors
Frank Thomas Brinkmann
Malte Dominik Krüger
Copyright Year
2025
Electronic ISBN
978-3-658-48554-2
Print ISBN
978-3-658-48553-5
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-48554-2

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