Zwar hat die Corona-Krise einige Branchen komplett lahmgelegt, doch zeigen sich Wirtschaft und Verwaltung hierzulande insgesamt robust. Jede zweite Firma glaubt sogar, gestärkt aus der Krise zu kommen. Ist das Wunschdenken oder realistisch?
Noch ist die Covid-19-Pandemie nicht ausgestanden. Doch es lohnt ein Blick darauf, wie Organisationen bisher durch die Krise gekommen sind und was ihre Widerstandsfähigkeit stärkt. Denn wer weiß, wann die nächste Krise kommt.
Das Beratungsunternehmen von Sopra Steria und das F.A.Z.-Institut haben daher im Februar 2021 für ihre "Potenzialanalyse Resilienz" 294 Entscheiderinnen und Entscheider unterschiedlicher Branchen zur Resilienz ihrer Organisationen befragt. Dabei ergibt sich zunächst ein recht positives Bild. "Die nicht unmittelbar von Schließungen betroffenen Branchen konnten sich überwiegend schnell an die neue Situation anpassen, zeigt unsere Studie", sagt Urs Krämer, CEO von Sopra Steria. Daran haben zum einen die Investitionen der vergangenen Jahre in die Digitalisierung ihren Anteil. Zum anderen verfügten die Unternehmen über immer bessere Frühwarnsysteme, um Bedrohungen rechtzeitig zu erkennen.
Finanzdienstleister zeigen sich selbstbewusst
So gaben 91 Prozent der Befragten an, die Krise eher gut oder sehr gut zu bewältigen, wobei etwa Handel und Touristik nicht einbezogen waren. Die Befragten stammten aus den Branchen Banken/Versicherungen/sonstige Finanzdienstleistungen, Energie- /Wasserversorgung, Telekommunikation/Medien, öffentliche Verwaltung, Automobilindustrie sowie sonstige verarbeitende Industrie kamen.
Während insbesondere Finanzdienstleister mit 41 Prozent überdurchschnittlich oft sagten, die Krise sehr gut zu bewältigen, hinken sie bei anderen Aspekten hinterher. Beispielsweise beim Erkennen von eigenen Schwachstellen sowie der Behandlung von Widerstandsfähigkeit als strategischem Thema der Unternehmensführung.
Die öffentliche Vewaltung setzt andere Schwerpunkte
Die Befragung zeigt darüber hinaus, dass die öffentliche Verwaltung oftmals anders als die Wirtschaft agiert: Wenn es zum Beispiel darum geht, schnell auf Veränderungen zu reagieren, nutzt die Verwaltung neue Technologien viel zurückhaltender als etwa Finanzdienstleister und verarbeitendes Gewerbe. Zudem lastet auf der Verwaltung offenbar ein deutlich geringerer krisenbedingter Kostendruck. Vor allem das verarbeitende Gewerbe hat vermehrt Kosten reduziert, Investitionen unterlassen, Lagerbestände verringert und Outsourcing betrieben.
Auch gewichten die Befragten aus der Verwaltung ihre Resilienzfaktoren in Teilen anders. Branchenübergreifend werden "Weiterbildung der Mitarbeitenden" und "transparente, klar definierte und digitalisierte Prozesse" als besonders resilienzfördernd angesehen. Während aber für Finanzdiensteister und verarbeitendes Gewerbe außerdem eine "offene Unternehmenskultur" sowie die "Überwindung des Silodenkens" sehr wichtige Aspekte zur Förderung der Widerstandsfähigkeit sind, spielen diese für die öffentliche Verwaltung eine geringere Rolle. Sie misst derweil dem Konfliktmanagement durch das Führungspersonal größere Bedeutung für die Resilienz der Organisation bei.
Mehr Digitalisierung, mehr Cyberattacken
Wie die Analyse ferner ergibt, sind die IT-Verantwortlichen durch die in der Krise beschleunigte Digitalisierung unter Druck geraten. Branchenübergreifend verzeichnet jede vierte Organisation mehr Cyberattacken und 60 Prozent investieren in die Erhöhung der IT-Sicherheit. Hinzu kommen der Ausbau von IT-Expertise und die technologische Aufrüstung.
Indessen nutzen der Befragung zufolge im Schnitt nur 25 Prozent der Organisationen die Krisensituation, um ihre strategisch relevanten Wettbewerbsvorteile und Kernaufgaben herauszuarbeiten. Vorreiter ist demnach die Industrie: 44 Prozent der befragten Firmen im verarbeitenden Gewerbe schärfen ihr Stärkenprofil. In der öffentlichen Verwaltung und bei Versorgungsunternehmen seien es im Schnitt gerade mal elf Prozent.
Resilienz ist mehr als Risikovermeidung
"Resilienz darf nicht in Risiko-Aversion enden, die nur darauf aus ist, Konzepte, Ideen und Systeme nach allen Seiten abzusichern, ohne innovativ zu denken. Gerade Krisen bieten die Chance, sich auf seine Stärken zu besinnen und diese nach Möglichkeit auszubauen", betont Sopra-Steria-CEO Krämer.
Damit folgt er dem wissenschaftlichen Verständnis von Resilienz. In dem Buchkapitel "Grundlagen und wesentliche Elemente der organisationalen Resilienz" erklärt auch Birgit Cronenberg: "Ein zentrales Merkmal von Resilienz ist die Adaptionsfähigkeit von Störungen mit einhergehender selbstständiger Bewältigung durch Lernen, was wiederum zu innovativen Lösungen führen kann. Grundsätzlich ist das Konzept der Resilienz langfristig, präventiv und nachhaltig ausgerichtet." (Seite 28)
Individuen, Team, Prozesse und Strukturen einbeziehen
Die organisationale Resilienz ist der Springer-Autorin zufolge als systemisches Konzept zu begreifen. Das heißt, dass alle Ebenen – Individuum, Team und Prozesse/Strukturen – mit ihren Wechselwirkungen und -beziehungen einzubeziehen sind, wenn die Resilienz der Organisation gestärkt werden soll.
Um nun eine nachhaltige und präventive Förderung der Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit von Unternehmen zu erreichen, sei die Einführung eines betrieblichen Resilienz-Managements (resilience engineering) erforderlich. Dessen Aufgabe ist es, geeignete Instrumente auf strategischer und operativer Ebene für die gesamte Organisation bereitzustellen. Die Autorin nennt hierzu folgende, auf Wissenschaft und Praxis basierende Instrumente (Seite 38ff):
Instrumente des Resilienz-Managements | |
Resilience Engineering nach Hollnagel | Das Konzept differenziert nach Schutz und Prävention vor schädlichen Ereignissen (Schutzsicherheit) sowie der Fähigkeit des Systems, so zu funktionieren, dass akzeptable Ergebnisse erzielt werden (produktive Sicherheit). Mit dem "RAG – Resilience Analysis Grid" steht zudem ein Analysetool bereit, das die Implementierung eines systematischen und messbaren resilience engineering ermöglicht. |
ISO 22316 Security and Resilience | Die ISO umfasst zwei grundlegende Prinzipien und 13 Attribute zur Förderung der organisationalen Resilienz. Es wird aber auch betont, dass es nicht den einen richtigen Ansatz gibt, um die Widerstandsfähigkeit von Organisationen zu verbessern, sondern dass organisationale Resilienz als strategisches Unternehmensziel zu verankern ist. |
Stärke – Resilienzkompass | Der Resilienzkompass entspringt dem vom BMBF geförderten Projekt "Stärke" und ist ein anpassungsfähiges, ganzheitliches Instrument, dass auf dem Qualitätsstandard EFQM Excellence Modell aufbaut. Ziel ist es, insbesondere KMU mithilfe des praxisorientierten Leitfadens zur eigenständigen Resilienzförderung durch Maßnahmen der Kompetenz- und Organisationsentwicklung zu befähigen, um damit die unternehmensspezifische Anpassungsfähigkeit an gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu ermöglichen. |
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